E-Book, Deutsch, 457 Seiten
Winter Erzähl mir von den weißen Blüten
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-95530-957-2
Verlag: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 457 Seiten
ISBN: 978-3-95530-957-2
Verlag: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
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Der Maler Paul Handewitt verliert in Nepal auf tragische Weise seine große Liebe, die Italienerin Giulia. Ihren Tod kann er nur schwer verwinden, doch er beschließt, in Asien zu bleiben und nicht nach Deutschland zurückzukehren. Achtzehn Jahre später lernt der inzwischen international erfolgreiche Paul in Malaysia die junge Galeristin Julie kennen. Ihre Liebesbeziehung ist stürmisch, dennoch kann Paul die Vergangenheit nicht loslassen ... Eine wunderschöne Geschichte von der Liebe und von der Hoffnung, die uns am Leben hält.
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1. Weiße Blüten
Leise chinesische Musik drang in den Garten, als Julie die Tür öffnete und auf die Veranda trat. Sie sog den süßlichen Duft von Jasmin und Frangipani ein, der aus dem Dunkel herüberwehte, und blickte zum Himmel. Eine Nacht voller Sterne dehnte sich über dem von alten Bäumen umstandenen Bungalow, den ein englischer Kolonialbeamter in den dreißiger Jahren am Fuß des Penang Hill hatte bauen lassen, um dort Zuflucht vor der Hitze und dem Schmutz der Stadt zu finden. Er hätte sich nicht träumen lassen, dass wenige Generationen später eine junge Chinesin sein Haus bewohnen würde.
Sie trug einen dunkelblauen Qipao, ihr Lieblingsstück, von einem Spezialisten für traditionelle chinesische Gewänder in Georgetown maßgefertigt. Sein Schnitt betonte ihre schmale Taille, und sie liebte das leise Rascheln der Seide, wenn sie sich bewegte.
Julie ging zurück ins Haus und setzte sich vor den Schlafzimmerspiegel, um ihr pechschwarzes, bis zu den Hüften reichendes Haar zu bürsten. Als sie mit seinem Glanz zufrieden war, legte sie die Bürste beiseite und steckte die Haare zu einer komplizierten Frisur auf, in der sie zum Abschluss einen Kamm aus Elfenbein befestigte. Bevor sie sich schminkte, betrachtete sie ihr Spiegelbild und fragte sich wieder einmal, woher wohl die für ihre Familie untypisch ausgeprägten Wangenknochen stammen mochten. Die ausdrucksstarken Augen jedenfalls hatte sie eindeutig von ihrer Mutter, ebenso die feinen, halbmondförmigen Brauen.
Ein Blick auf die Uhr erinnerte sie daran, dass sie sich beeilen musste. Routiniert trug sie Wimperntusche und einen dezenten Lidschatten auf. Nur mit der Wahl des Lippenstifts hatte sie wie üblich ein Problem. War das Rot zu stark, zu auffällig? Sie starrte in den Spiegel und zögerte. Mit ihren vollen Lippen und makellosen Zähnen konnte sie sich die kräftige Farbe leisten, andererseits scheute sie sich, die natürliche Sinnlichkeit ihres Mundes noch zu betonen und damit eventuell einen falschen Eindruck zu erwecken.
Nur wenige Menschen konnten sich Julie Lins Schönheit entziehen, was sie nicht selten als Fluch empfand, denn ihr selbstsicheres Auftreten täuschte darüber hinweg, dass sie im Umgang mit Männern schüchtern und unerfahren war. Sie stellte hohe Ansprüche, und bis auf einen einzigen, vor langer Zeit, hatte bisher kein Mann ihren Vorstellungen entsprochen. Seitdem hatte sie gelernt, das Alleinsein jedem faulen Kompromiss vorzuziehen.
Es klingelte an der Tür. Harry war da. Ohne Eile steckte Julie ihre Perlenohrringe an, bevor sie zum Abschluss in ein Paar High Heels schlüpfte. Die Absätze waren zu hoch, um perfekt zum Qipao zu passen, aber sie brachten ihre langen Beine perfekt zur Geltung. Diese kleine Eitelkeit gönnte sie sich.
Vor der Tür stand ein untersetzter, etwa dreißig Jahre alter Chinese mit fast kahl rasiertem Schädel. Aus seinem runden Gesicht blickten wache Augen.
„Himmel, du siehst umwerfend aus. Wie lange hast du dafür gebraucht?“
„Ziemlich lange“, gestand sie lächelnd.
Julie schloss die Tür ab und folgte ihm zu seinem Wagen. In ihren Schuhen überragte sie ihn um ein gutes Stück, doch damit musste Harry leben.
„Ich habe nicht die geringste Lust, auf diese Party zu gehen“, klagte er, als sie an der Pferderennbahn vorbei nach Norden fuhren. „Was sollen wir da?“
„Tan Chee Wah hat viel für mich getan. Wir brauchen nicht lange zu bleiben, aber ich kann seinen Geburtstag unmöglich ignorieren.“
„Du weißt, dass meine Mutter auf uns wartet.“
Harrys Drängeln missfiel Julie, aber da er nur ihretwegen mitkam, beschwerte sie sich nicht. Später waren sie noch bei seinen Eltern eingeladen, und sie hoffte, dass er ihre Zustimmung zu diesem gemeinsamen Essen nicht zum Anlass für Erwartungen nahm, die sie weder erfüllen konnte noch wollte.
Sie ging seit einem halben Jahr mit Harry aus, weil er aufmerksam, amüsant und ein intelligenter Gesprächspartner war. Das Problem bestand darin, dass er sich in sie verliebt hatte, sie seine Gefühle aber nicht erwiderte. Trotzdem suchte sie weiterhin seine Gesellschaft, solange er akzeptierte, dass sie alle körperlichen Annäherungsversuche zurückwies. Sie mochte ihn, und außerdem hatte sie nicht viele Freunde in Malaysia.
Der blaue Toyota rollte langsam durch den vornehmen Villenvorort Taman Jesselton, westlich der Inselhauptstadt Georgetown, bis sie das hell erleuchtete Haus gefunden hatten. Hinter dem gepflegten Garten zog sich tropisches Grün den Berg hinauf: die beste Lage im teuersten Wohngebiet der Insel.
Tan Chee Wah war ein unscheinbarer, schmächtiger Chinese mit schütterem Haar. Man hätte ihn für einen Rentner halten können, der seine Tage damit verbrachte, im Garten zu sitzen und die Goldfische im Teich zu füttern; stattdessen leitete er ein Familienimperium, mit Umsicht und, falls nötig, gnadenloser Härte. Sein Erfolg beruhte auf der Fähigkeit, Tradition mit moderner Geschäftsführung zu verbinden.
Julie sorgte für Aufsehen, als sie, ihrer schwindelerregenden Absätze zum Trotz, mit elegantem und sicherem Gang den Salon betrat. Der hautenge, beidseitig hoch geschlitzte Qipao schmiegte sich an ihren Körper und enthüllte bei jedem Schritt ihre schlanken Beine; dennoch war es das kühle Weiß ihres Gesichts und der nackten Arme, das unter den anwesenden Chinesinnen den größten Neid erregte.
„Guten Abend, Mr Tan“, grüßte sie den Gastgeber.
„Julie! Schön, dass Sie gekommen sind.“
„Das hätte ich mir nicht nehmen lassen. Entschuldigen Sie, dass wir so spät dran sind. Es ist meine Schuld, fürchte ich.“
„Sie hat stundenlang gebraucht, um sich herauszuputzen“, ergänzte Harry.
„Und es hat sich gelohnt“, stellte Chee Wah fest. „Wie geht das Geschäft?“
„Ich kann nicht klagen, wenn ich bedenke, wie hart es am Anfang war. Sie haben mir sehr geholfen, mich trotz der Wirtschaftskrise zu etablieren.“
„Sie haben hart gearbeitet, und wenn harte Arbeit sich mit Verstand paart, zahlt sich das immer aus. Ich freue mich, wenn ich Ihnen hin und wieder helfen kann. Möchten Sie etwas trinken?“
„Sehr gern“, meinte Harry. „Ein Scotch auf Eis wäre schön.“
„Für mich bitte auch“, sagte Julie.
Chee Wah winkte einen der für den Abend angeheuerten Kellner heran und gab ihre Wünsche weiter. Als die Drinks kamen, sah der Chinese Julie wohlwollend an. Seine große Leidenschaft war die Kunst, und er gefiel sich in der Rolle ihres Förderers. Er hatte nicht nur als Erster in ihrer Galerie Bilder gekauft, sondern auch ihren Namen weitergetragen und andere bedeutende Klienten an sie vermittelt. Julie verdankte dem alten Mann viel und machte kein Geheimnis daraus.
„Mir imponieren die Zielstrebigkeit und Energie, mit der Sie Ihre Galerie aufgebaut haben. Leider vermisse ich diese Eigenschaften heutzutage bei den meisten jungen Leuten“, seufzte er und stieß mit ihr an. „Auf gute Geschäfte und ein langes Leben.“
„Und die Freundschaft“, fügte sie hinzu.
Chee Wahs Schwester bat ihn zu sich, und er ließ die beiden allein. Julie nippte an ihrem Whisky und blickte aus einem Fenster in den dunklen Garten, wo an einem Tisch zwei Personen ins Gespräch vertieft dasaßen.
„Wie sieht es aus? Können wir jetzt verschwinden?“, fragte Harry.
„Schon? Wir sind doch gerade erst gekommen.“
„Meine Eltern warten.“
„Ich muss noch mit einigen Leuten reden, bevor ich gehe. Es sind Kunden von mir da, und ich darf niemanden verprellen. Kontaktpflege. Das hast du vorher gewusst.“
„Na gut, auf eine Viertelstunde kommt es nicht an“, sagte Harry und ließ sich mit säuerlicher Miene in einen Sessel fallen, während Julie so gelassen auf die Gruppe um Chee Wah zusteuerte, als hätte sie sich ihr ganzes Leben inmitten der gesellschaftlichen Elite Penangs bewegt.
Zwanzig Minuten später, nachdem sie alle Bekannten gegrüßt und mit jedem einige Worte gewechselt hatte, wurde Julie von einer ihr unbekannten Frau abgefangen und in ein belangloses Gespräch verwickelt. Sie fragte sich, was die grässlich überschminkte Chinesin von ihr wollte, als ein sonnengebräunter Mann zu ihnen trat und sich als Neffe der Unbekannten vorstellte.
„Ich bin Ronnie“, sagte er und schüttelte Julie mit einem für ihren Geschmack zu glatt geratenen Lächeln die Hand.
„Na, dann will ich euch beide mal allein lassen“, meinte die Chinesin mit bemühter Vertraulichkeit. „Mein Mann wartet am Buffet auf mich.“
Endlich begriff Julie, was gespielt wurde, und fast hätte sie laut losgelacht: Dass ein erwachsener, gut aussehender Mann seine Tante vorschickte, um mit ihr ins Gespräch zu kommen, war erbärmlich. Ronnie missdeutete ihre spöttisch heruntergezogenen Mundwinkel und schenkte ihr ein weiteres unerbetenes Lächeln
„Das Kleid steht Ihnen. Sie sehen sensationell aus“, sagte er.
„Tatsächlich?“
„Ja. Ich kann mich nicht entsinnen, jemals eine schönere Frau gesehen zu haben.“
Julie zog die Augenbrauen hoch. Sie verachtete seine durchsichtigen Komplimente ebenso wie die arrogante Routine, mit der er an ihr heruntersah, und seine Siegesgewissheit machte sie wütend. Viele Frauen mochten sich von ihm um den Finger wickeln lassen, aber mit Sicherheit nicht sie.
„Haben Sie Lust und Zeit, nächste Woche mit mir auszugehen? Sie werden es nicht bereuen.“
Seine Finger strichen anzüglich über ihren nackten Oberarm. Sie zeigte ein bezauberndes Lächeln.
„Zeit...