E-Book, Deutsch, 416 Seiten
Winslow Die Sprache des Feuers
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7499-0517-1
Verlag: HarperCollins eBook
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, 416 Seiten
ISBN: 978-3-7499-0517-1
Verlag: HarperCollins eBook
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Grandiose Spannung von Krimisuperstar Don Winslow
Brandspezialist Jack Wade untersucht für die 'California Fire & Life' einen Versicherungsfall. Die Villa des einflussreichen Immobilienbesitzers Nicky Vale ist in Flammen aufgegangen, die Leiche seiner Ehefrau Pamela wurde in den Trümmern gefunden. Der Fall ist klar: zu viel Alkohol und eine brennende Zigarette - zumindest steht das im Polizeibericht. Damit will sich Wade nicht zufriedengeben. Er kennt die Sprache des Feuers, und er hegt den Verdacht, dass Nicky Vale nicht die ganze Wahrheit sagt. Doch sämtliche Ermittlungen führen in Sackgassen. Als die Situation außer Kontrolle gerät beschließt er, Feuer mit Feuer zu bekämpfen.
Don Winslow ist Autor von fünfundzwanzigpreisgekrönten internationalen Bestsellern, daruntersieben New York Times-Bestseller, u. a. »Corruption«,der internationale Nr.-1-Bestseller »Das Kartell« sowie»Tage der Toten«, »Zeit des Zorns« und »FrankieMachine«. »Zeit des Zorns« wurde von dem dreifachenOscar-Preisträger und Regisseur Oliver Stone verfilmt. Winslows epische Kartell-Trilogie wurde für das Fernsehenadaptiert und wird 2024 als wöchentliche Serieerscheinen. Weitere Bücher von Winslow befinden sichderzeit in fortgeschrittener Entwicklung bei Paramount:(»Frankie Machine«) unter der Regie von ChristopherStorer, Netflix (»Boone Daniels«-Reihe),Warner Brothers (»Satori«) und Sony (»City on Fire«,»City of Dreams«, »City in Ruins«). Winslow schriebaußerdem eine Reihe preisgekrönter Kurzgeschichtenfür Audible, die vom vierfach Oscar-Nominierten EdHarris gesprochen werden. Winslow, ein ehemaligerPrivatdetektiv, Antiterrorausbilder und Prozesssachverständiger, lebt in Kalifornien und Rhode Island.
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8
Der Hund ist wahrscheinlich weggelaufen, als die Feuerwehrmänner ins Haus eindrangen, und steht jetzt unter Schock. Die Kinder werden sich Sorgen machen um ihren Hund, und sicher wird es sie ein bisschen trösten, wenn sie ihn wiedersehen.
Jack mag Hunde, eigentlich.
Was er nicht so mag, sind Menschen.
Die neunzehn Jahre, seit er hinter den Menschen und ihren Katastrophen herräumt (sieben bei der Polizei, zwölf bei der Versicherung), haben ihn gelehrt, dass Menschen zu allem fähig sind. Sie lügen, betrügen, stehlen, töten und machen eine Menge Dreck. Hunde hingegen haben einen gewissen Sinn für Ethik.
Er findet den Hund unter den tiefen Ästen einer Jacaranda. So ein Schoß- und Spielhund, nichts als Knopfaugen und Gekläff.
»He, Kleiner«, sagt Jack, »ist ja gut.«
Ist es nicht, aber Menschen lügen nun mal.
Dem Hund ist es egal. Er ist einfach froh, ein menschliches Wesen zu sehen und eine freundliche Stimme zu hören. Kommt unter dem Baum vor und beschnüffelt Jacks Hand, um rauszukriegen, wer er ist und was er will.
»Wie heißt du denn?«, fragt Jack.
Das wird er mir gerade verraten, denkt er.
»Leo«, sagt eine Stimme, und Jack springt fast aus seinem Papieroverall vor Schreck.
Er blickt hoch und sieht den alten Mann hinter dem Zaun, mit einem Papagei auf der Schulter.
»Leo«, wiederholt der Papagei.
Leo wedelt mit dem Schwanz.
Was sozusagen der Job des Yorkshire Terriers ist.
»Na, komm«, sagt Jack, »so ist’s brav.«
Er nimmt Leo hoch, klemmt ihn unter den Arm, krault ihm den Kopf und geht auf den Zaun zu.
Er spürt Leos Zittern.
Wie war das mit der Behauptung, dass Menschen ihren Haustieren ähneln und umgekehrt? Jack dachte immer, das gelte nur für Hunde, aber der alte Mann und der Papagei sehen irgendwie gleich aus. Beide haben sie kräftige Schnäbel: Bei dem Papagei versteht sich das von selbst, aber warum sieht die Nase des Mannes wie ein Papageienschnabel aus? Mann und Papagei wirken wie speziesübergreifende siamesische Zwillinge, nur dass der Papagei grün ist – mit grellroten und gelben Partien –, der alte Mann dagegen überwiegend weiß.
Weißes Haar, weißes Hemd, weiße Hose. Die Schuhe kann Jack hinter der Hecke nicht sehen, aber er könnte wetten, dass auch sie weiß sind.
»Howard Meissner«, sagt der Mann, »und Sie sind ein Marsmensch.«
»Beinahe«, sagt Jack. Er streckt ihm die linke Hand hin, weil er Leo unterm anderen Arm hält. »Jack Wade, California Fire and Life.«
»Das ist Eliot.«
Womit er den Papagei meint.
Eliot, Eliot, krächzt der Papagei.
»Schöner Vogel«, sagt Jack.
Schöner Vogel, schöner Vogel.
Jack ahnt, dass der Papagei den Spruch nicht zum ersten Mal hört.
»Schrecklich, das mit Pamela«, sagt Meissner. »Ich hab gesehen, wie sie rausgetragen wurde.«
»Tja.«
Meissners Augen werden feucht.
Er greift über den Zaun und streichelt Leo. »Schon gut, Leo. Du hast getan, was du konntest.«
Jack sieht ihn fragend an, und Meissner erklärt: »Leos Gebell hat mich geweckt. Ich ging ans Fenster, sah das Feuer und wählte die 911.«
»Wann war das?«
»Vier Uhr vierundvierzig.«
»Das wissen Sie so genau, Mr. Meissner?«
»Mein Digitalwecker«, sagt Meissner. »Da merkt man sich die Zahlen. Ich rief sofort an. Aber zu spät.«
»Sie haben getan, was Sie konnten.«
»Ich dachte, Pamela war aus dem Haus gegangen, weil Leo draußen war.«
Leo, Leo.
»Leo war draußen?«, fragt Jack.
»Ja.«
»Als Sie ihn bellen hörten?«
»Ja.«
»Sind Sie sicher, Mr. Meissner?«
Schöner Vogel, schöner Vogel.
Meissner nickt. »Ich habe ihn draußen gesehen, er bellte das Haus an. Ich dachte, Pamela …«
»Ist Leo nachts immer draußen?«
»Ich bitte Sie!«
Eine dumme Frage, Jack weiß es. Niemand lässt so einen Hund über Nacht draußen. In dieser Gegend sieht man überall die Suchanzeigen: vermisste Terrier und vermisste Katzen, aber bei den vielen Kojoten, die sich hier rumtreiben, ist das kein Wunder.
»Kojoten«, sagt Jack.
»Allerdings.«
»Mr. Meissner«, fragt er weiter, »haben Sie die Flammen gesehen?«
Meissner nickt.
»Welche Farbe hatten sie?«
»Rot.«
»Ziegelrot, hellrot, knallrot, kirschrot?«
Meissner denkt nach. »Blutrot. Blutrot trifft es.«
»Und der Rauch?«
Kein Zögern, kein Zweifeln: »Schwarz.«
»Mr. Meissner, wissen Sie, wo sich die Familie aufhielt?«
»Die Kinder waren bei Nicky zum Übernachten. Zum Glück.«
»Sind die Eltern geschieden?«
»Getrennt«, sagt Meissner. »Nicky wohnt jetzt bei seiner Mutter.«
»Und wo wohnt die Mutter?«
»Monarch Bay. Das hab ich den Polizisten gesagt, als sie hier waren, wegen der Benachrichtigung.«
Nur dass sie immer noch suchen, wie Jack von Bentley gehört hat.
»Mir tun die Kinder leid«, sagt Meissner. Er seufzt das Seufzen eines Mannes, der schon zu viel gesehen hat. »Werden rumgeschoben wie Schachfiguren.«
»Verstehe«, sagt Jack. »Na, vielen Dank, Mr. Meissner.«
»Howard.«
»Howard«, wiederholt Jack. Dann fragt er: »Kennen Sie den Grund der Trennung? Worum es da ging?«
»Es lag an Pamela«, sagt er traurig. »Sie hat getrunken.«
Das ist es also, denkt Jack, während sich Meissner entfernt. Pamela ist für einen Abend die Kinder los und greift zur Flasche. Irgendwann lässt sie Leo raus zum Pinkeln, vergisst, dass er draußen ist, und geht mit Flasche und Zigarette ins Bett.
Das heißt, sie raucht und trinkt im Bett. Die Flasche kippt um, Wodka läuft aus. Entweder merkt sie nichts, oder es ist ihr egal. Dann schläft sie ein, mit der brennenden Zigarette. Ihre Hand mit der Zigarette sackt nach unten, die Glut entzündet den Wodka, die Flammen greifen auf die Bettwäsche über, und das Zimmer füllt sich mit Rauch.
Normalerweise dauert es zehn bis fünfzehn Minuten, bis die Bettwäsche zu brennen anfängt. Zehn bis fünfzehn Minuten, in denen Pamela den Rauch hätte riechen, die Hitze hätte spüren können. Sie hätte den Brand ersticken können, und gut. Aber Wodka brennt sofort, mit größerer Hitze als eine glimmende Zigarette, die Flammen greifen sofort auf die Bettwäsche über, und da sie fest schläft, hat die Frau keine Chance.
Es ist der Rauch, der sie umbringt, nicht das Feuer.
Jack stellt sich vor, wie sie im Bett liegt, betrunken und im Tiefschlaf. Ihre Atmung funktioniert, obwohl ihr Verstand weggetreten ist, und mit ihrer Atmung saugt sie den Rauch ein, füllt ihre Lunge damit, bis es zu spät ist.
Sie erstickt am Rauch, während sie schläft.
Wie ein Betrunkener, der am Erbrochenen erstickt.
Es gibt also einen winzigen Trost für Pamela Vale. Sie wusste buchstäblich nicht, wie ihr geschah.
Sie mussten sie von den Sprungfedern kratzen. Aber sie war tot, als ihr brennendes Fleisch mit dem Metall verschmolz. Sie wachte nicht mehr auf, das ist alles. Das Feuer brach aus, sie inhalierte eine tödliche Dosis Rauch, und dann wurde das Feuer, genährt vom Mobiliar und den Balken des Hauses, so heiß und so vernichtend, dass es die Stahlfedern der Matratze zum Schmelzen brachte.
Ein bedauerlicher Unfall.
Es liegt eine grausame, aber auch wieder tröstliche Ironie in einem solchen Feuertod. Grausam, weil es die eigenen Gegenstände sind, an denen das Opfer erstickt – Möbel, Bettwäsche, Decken, Tapeten, Kleider, Bücher, Papiere, Fotos, alles, was sich im Laufe einer Ehe, eines Erdendaseins so ansammelt. Der Tod pumpt diese Sachen in die Lungen des Opfers und lässt es daran ersticken.
Bei einem Brand sterben die meisten an Rauchvergiftung. Die ist wie eine Todesspritze – nein, eher wie eine Gaskammer, weil es wirklich ein Gas ist, an dem man stirbt: Kohlenmonoxid.
Der versicherungstechnische Ausdruck dafür lautet »CO-Vergiftung«.
Das klingt grausam, aber das Tröstliche daran ist, dass es viel angenehmer ist, so zu sterben, als bei lebendigem Leibe gebraten zu werden.
Da hätten wir also einen bedauerlichen Unfall, denkt Jack.
Es passt alles zusammen.
Bis auf den rußigen Glassplitter.
Brennendes Holz erzeugt keine blutroten Flammen – die sind gelb oder orange.
Und der Rauch dürfte grau oder braun aussehen, nicht schwarz.
Andererseits sind das die Beobachtungen eines alten Mannes bei Dunkelheit.
Jack geht mit Leo unterm Arm zum Auto zurück, öffnet den Kofferraum und kramt, bis er die alte Frisbeescheibe findet, die er irgendwann hineingeworfen hat. Holt die Wasserflasche vom Fahrersitz und gießt etwas Wasser in die Frisbeescheibe. Setzt Leo davor, und der kleine Racker fängt sofort an zu schlabbern.
Jack holt ein altes Sweatshirt mit dem Aufdruck Killer Dana aus dem Kofferraum und breitet es über den Beifahrersitz. Kurbelt die Scheibe halb runter, kalkuliert, dass es um diese Morgenstunde nicht allzu heiß im Auto wird, und setzt Leo auf das Sweatshirt.
»Bleib sitzen!«, sagt Jack und kommt sich blöd vor. »Äh, Platz!«
Der...