E-Book, Deutsch, 168 Seiten
Windmüller Nichts bleibt
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7431-6876-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 168 Seiten
ISBN: 978-3-7431-6876-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Christa Windmüller war viele Jahre als Heilpraktikerin mit psychosozialen Schwerpunkten tätig. Heute arbeitet sie als freie Journalistin und Autorin. Ihr Leitgedanke ist es, nicht alltäglichen Themen ein Gesicht zu verleihen.
Autoren/Hrsg.
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5.
Als ich Guido, meinen Mann, kennenlernte, hatte er gerade sein Referendariat begonnen, in einer kleinen Kanzlei im Zentrum, versteckt in einem Hinterhof. Die Kanzlei wirkte ebenso alt und verschroben wie er selbst und seine Anzüge, die kleine runde Nickelbrille tat ihr Übriges. Ich verliebte mich in ihn, trotzdem oder deswegen. Er war beinahe täglich in dem kleinen Café an der Ecke, in dem ich kellnerte, um mir meinen Lebensunterhalt und das Geld für die Kurse zu verdienen. Ich wollte Dolmetscherin werden. Guido saß immer am selben Tisch, bestellte immer dasselbe, traf sich mit immer denselben Kollegen und sah immer gleich aus. Er beachtete mich nicht, er beachtete niemanden. Nichts, ausgenommen seiner zerknitterten Unterlagen, fand seine Aufmerksamkeit. Auch die Menschen um ihn herum störten ihn nicht. Einige belächelten ihn und nannten ihn den »zerstreuten Professor«, doch er ignorierte das.
Erst als mir ein Glas Cola vom Tablett rutschte und direkt vor seinen Füßen landete, nahm er mich wahr. Ich war in Gedanken und in Eile, weil ich mich beim letzten Kunden verrechnet hatte, was leider häufiger passierte, und sich aufgrund dessen die nächsten Bestellungen verzögerten. Ein ungeduldiger Blick des Chefs streifte mich, ich geriet ins Stolpern und das Glas auf meinem Tablett verselbstständigte sich.
Aber Guido ließ sich nicht irritieren, mit einem Lächeln blickte er auf seine Schuhe und wandte sich wieder seinen Unterlagen zu. So geschah das eine ganze Weile. Ich bemühte mich, ihm freundlich und aufmerksam zu begegnen, ohne ihn mit Getränken zu beschütten oder mich gar bei ihm zu verrechnen, und er schenkte mir gelegentlich ein Augenzwinkern. Bis er mich eines Tages fragte, es war mitten im Winter: »Ist dir in deinem kurzen Rock nicht kalt? Es zieht doch durch die Tür.« Ich schüttelte verlegen den Kopf, dazu fiel mir nichts ein. Ich war mir nicht sicher, ob er mich tatsächlich ansprechen oder bloß etwas sagen wollte.
Hierauf wurde ich krank, nicht wegen des kurzen Rockes, sondern weil ich mir beim Sport den Knöchel verstaucht hatte. Die Auszeit tat gut, mir standen einige Prüfungen bevor und ich musste mich dringend aufs Lernen konzentrieren. Plötzlich klopfte es an meiner Tür – ich dachte an meine Vermieterin, die die ausstehende Miete abholen wollte – doch es war Guido, der mich im Café vermisste. Ich war sprachlos, als er mir das offenbarte. Er grinste und sagte, dass ich ihm längst aufgefallen sei und die Cola überhaupt nicht auf seine Füße hätte kleckern müssen. Es war der peinlichste Moment meines Lebens, aber wir hatten uns gefunden. Von da an gingen wir sämtliche Wege gemeinsam.
Guido beendete sein Referendariat und wechselte zu einem der namhaftesten Konzerne der Stadt. Dort blieb er, bis er von einem anderen abgeworben wurde, bis er zwischen verschiedenen Angeboten wählen konnte. Ich war stolz auf ihn und präsentierte mich stolz mit ihm. Seine Eltern waren nicht weniger stolz auf ihren Sohn, obgleich sie mir nicht unbedingt das Gefühl gaben, willkommen zu sein. Sie hatten sich eine korrektere, biedere Frau für ihren klugen Sohn gewünscht, zumal er ihr einziger war. Doch wir setzten uns über seine Eltern hinweg.
6.
Zu meinen Eltern hatte ich kaum Kontakt. Sie konnten mit meinen Vorstellungen von Frau-Sein nicht umgehen. Sie hatten sich gedacht, dass ich nach einer Ausbildung im Büro eine Familie gründen würde. Allerdings dachte ich weder an eine Ausbildung im Büro noch an Familiengründung. Für mich war das Abitur vorrangig, was sich definitiv nicht mit den Entwürfen meiner Eltern deckte. Im Prinzip war ich froh, dass sie mich das Abitur machen ließen und mich nicht behinderten oder es verboten, wie es bei meinen Freundinnen zum Teil der Fall war. Ich hatte auch keine Geschwister, mit denen sich die Wünsche meiner Eltern erfüllen konnten.
Einen Kompromiss schloss ich jedoch. Ich tat meinen Eltern den Gefallen einer Ausbildung, und begann nach dem Abitur eine Banklehre, um, wie sie zu sagen pflegten, etwas in der Hand zu haben. Das war ich ihnen schuldig, glaubte ich, außerdem fehlte mir der Mut, um zu protestieren. Sie hatten mich seit meiner Geburt finanziert, was sie mir unablässig unter die Nase rieben. Wobei ich die Entscheidung schon bald bitter bereute, die Banklehre passte überhaupt nicht zu mir. Zwar quälte ich mich durch die Zwischenprüfung und noch ein bisschen weiter, hätte aber vermutlich die Abschlussprüfung nicht geschafft und brach kurz vorher ab. Das Ergebnis dieses Gefallens waren zweieinhalb verlorene Jahre und Eltern, die aus allen Wolken fielen, die mich nicht begreifen konnten.
Sie redeten nicht mit mir, wir redeten nicht miteinander, es gelang einfach nicht. Trotzdem war klar, dass sie mich nicht weiter unterstützen würden – unabhängig welchen Weg ich einschlug. Sie hatten ihren Standpunkt, ihre Meinung. Und ihrer Meinung nach, hatte ich meine Zukunft kaputtgemacht, »vertan«.
Ich hingegen musste erst einmal zu mir finden, mich selbst finden, mich zumindest auf die Suche nach etwas begeben, das mir fehlte. Ich wollte Antworten auf meine Fragen und dazu schien mir ein Ortswechsel nützlich, eventuell ein Auslandsaufenthalt, was wieder auf totales Unverständnis stieß. Ich musste mich befreien, freimachen von Wünschen, die nicht meine waren. Und ich wollte etwas anders machen. Nicht besser, sondern anders.
7.
Meine Mutter war seit ihrer Heirat Hausfrau, sie hatte keine Ausbildung und fand keine für sich notwendig. »Es waren andere Zeiten«, sagte sie häufig. Folglich kümmerte sie sich um meinen Vater und um den Haushalt, als sei es ihre Lebensaufgabe, welche es wohl auch war. Meine Gedanken, meine Ansichten waren nicht relevant. Hauptsache, der Vater wurde nicht behelligt. Er arbeitete hart und sollte sich nicht mit Familiensorgen, die als Lappalien galten, auseinandersetzen müssen. Mein Vater verhielt sich demgemäß. Er kam von der Arbeit nach Hause, legte seine Füße hoch und kommandierte meine Mutter herum. Gespräche gab es keine, nur Kommandos. Und für sie war das das Normalste der Welt. Ich wollte alles, aber nicht so behandelt werden, von niemandem.
Viel später erfuhr ich – ich hätte es bemerken müssen –, dass meine Eltern, insbesondere mein Vater, sich einen Jungen erhofft hatten. Doch meine Mutter wurde bloß einmal schwanger – mit mir. Jedenfalls war sie davon überzeugt, dass eine Frau ihre Aufgabe als treusorgende Haus- und Ehefrau zu erledigen hatte. Sie projizierte ihren Lebenssinn auf alle Frauen, primär natürlich auf mich. Oft fragte ich mich, wie das sein konnte, sie hatte den Krieg miterlebt, überlebt und trug, wie die meisten Frauen, ihren Anteil am Wiederaufbau. Sie hatte beide Eltern und ihren Verlobten bei Bombenangriffen verloren und schlug sich allein durch. Doch darüber sprach sie nicht.
Mein Vater war, körperlich unversehrt, nach einiger Zeit Gefangenschaft aus dem Krieg zurückgekehrt. Danach hatte er in einer Fabrik gearbeitet, in der er meine Mutter kennenlernte. Sie war dort als Näherin beschäftigt. Sie heirateten bald, ob aus Liebe oder weil meine Mutter mit mir schwanger war, konnte ich nicht herausfinden. Der Horizont meines Vaters war eng und meine Mutter erhob sich nicht, sie ordnete sich ihm unter, sodass die Nähstube schnell der Vergangenheit angehörte. Eigene Bedürfnisse schienen ihr nicht wichtig zu sein, schien sie nicht zu haben.
8.
Ein ähnliches Unterordnen erwarteten meine Eltern von mir, doch es klappte nicht. Ich beugte mich nicht. Zwar gehorchte ich und fügte mich, war in jeder Hinsicht abhängig, aber das konnte, durfte nicht der Sinn meines Lebens sein. Ich wollte eine andere Zukunft. Ich wollte keinem Mann das Feierabendbier bringen, ihn bekochen und das als meine Berufung ansehen. Mir genügte das nicht, ich wollte etwas bewirken, etwas bewegen, und das Leben, das Tun sollten selbstbestimmt sein.
Meine Interessen zeichneten sich relativ früh ab, ich mochte fremde Länder und deren Sprachen. Meine Eltern boten sich und mir nicht viel, aber in den Sommerferien fuhren wir in den Urlaub. Und nicht etwa an die Ostsee, sondern ins Ausland. Ich freute mich schon Monate vorher darauf und lernte die jeweilige Landessprache. Für meine Eltern zählte weder die Sprache noch die Kultur, für sie war ausschlaggebend, überhaupt Urlaub zu machen, zu verreisen, um bei Bekannten und Nachbarn vermögender dazustehen. Sie brauchten die Bestätigung, es von unten nach oben geschafft zu haben. Sie hatten es nicht geschafft und ihre Auftritte waren nicht selten peinlich, doch sie glaubten ebendas. Sie fühlten sich groß, trotzdem sie es nicht waren.
Und jeder Versuch von mir, dieser Struktur zu entfliehen, stieß auf Abwehr. Sie warfen mir Undankbarkeit vor, meinten, sie seien mir unangenehm. Ich gab das nicht zu, ließ mir nichts unterstellen, dabei hätte ich ihre Äußerungen zu gern bejaht. Aber ich traute mich nicht, ich hatte Angst vor Ablehnung, Angst vor weiterer Konfrontation. Letztlich scheiterte es an der Verständigung. Ich zog aus, ohne die Wünsche nach dem...




