E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Wimmer Buddhakäse: Ein Salzkammergut-Krimi
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-902784-78-0
Verlag: Federfrei Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-902784-78-0
Verlag: Federfrei Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Schulbusfahrer Hugo Knoll erhält für seine LKW-Gedichte ein Stipendium, das ihn einen Monat lang in ein Jagdhüttenidyll der Pinzgauer Bergwelt führt. Dort wird er von sprechenden Almkühen gezwungen, als Marktfahrer an den ahnungslosen Talbewohnern die Wirkung eines „Buddhakäses“ zu erproben, dessen Basis - friedvollen „Buddhaspirit“ - die Kühe tief im Inneren eines Berglaboratoriums gewinnen. Dorthin haben die Tiere eine chinesische Wirtschaftsdelegation entführt, deren Mitglieder sie mit Hilfe eines „Aurasaugers“ sanft „auskochen“ - eine Idee der obersten Kuh Ziza nach ihrer Lektüre des Buches „Zen in der Kunst des Melkens“. Die beiden ersten Verkostungen des Buddhakäses enden im Fiasko: Die Probanden verwandeln sich entweder in rabiate Sachbeschädiger oder steigen wie Gasluftballons in den Himmel. Ob es den Kühen gelingen wird, den perfekten Buddhakäse herzustellen und damit den Weltfrieden zu retten?
Erich Wimmer unterrichtet Geige in der Mühlviertler Bergwelt, wo er zusammen mit seiner Frau Judith und den Katzen Mephisto und Gretchen lebt. Theoretisch kann er Kühen Milch abzapfen, weil er in seiner Zeit als Landwirtschaftsgymnasiast einen Melkkurs absolvieren musste. Praktisch ist es ihm mittlerweile lieber, wenn er die Milch im Supermarkt kauft. Besonders seit diverse Kühe und ganze Herden renitenter werden. Das hängt unmittelbar mit diesem Roman zusammen, der die Kuhwelt und ihre mafiösen Strukturen schonungslos entlarvt.
Autoren/Hrsg.
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Felgen schwelgen
»Lieber Herr Knoll! Herzlichen Glückwunsch. Unsere Jury hat Ihnen das erstmalig ausgeschriebene Hauholz-Literatur-Stipendium zugesprochen. Es würde uns sehr freuen, wenn Sie sich so bald wie möglich mit uns in Verbindung setzen und uns mitteilen, ob Sie das Stipendium annehmen …«
Während mir Hulda das E-Mail am Telefon vorlas, spürte ich nicht die geringste Aufregung in ihrer Stimme. Meine Frau verkündete die wichtigste Nachricht meines Lebens so beiläufig, als handele es sich dabei um die Einladung zu einer Busfahrt, mit der Möglichkeit, eine halb defekte Waschmaschine zu einem stark überhöhten Preis zu erstehen. Natürlich hatte ich mich über die Jahre an Huldas Unaufgeregtheit gewöhnt. Ich hatte lernen müssen, ihre Coolness als ausgleichendes Gewicht auf der Waage unserer unterschiedlichen Temperamente zu begreifen. Aber genau jetzt, wo eine Jury endlich einmal die Bedeutung meiner Gedichte erkannt und mich mit einem Schlag bis an die Schwelle des Dichterolymps katapultiert hatte, wo genau das geschehen war, was sonst nur in den verborgensten Winkeln meiner geheimen Träume passierte, zumindest in diesem Moment hätte ich mir eine etwas spürbarere Reaktion meiner Frau erwartet. Einen mit ein wenig Stolz geschwellten Unterton, ein leichtes Flattern ihrer Stimmbänder, das eine oder andere mit ein paar Körnern Enthusiasmus gewürzte Wort.
Aber Huldas Stimme hatte bis zum Ende der Botschaft wie die Durchsage einer Nachrichtensprecherin geklungen. Überschwemmung im Jemen, Explosion in Bremen, Hauholz-Preis an Knoll Hugo, Wetterwechsel nicht unmöglich, schönen Nachmittag. Obwohl Hulda in ihrem Büro saß, wo sie auf meine Bitte hin meine Mails gecheckt hatte und bestimmt noch andere Dinge zu tun waren, hatte sie genügend Zeit, um entspannt auf meine Reaktion zu warten. Die natürlich ausblieb. Ich war vollkommen sprachlos und unfähig, irgendetwas Konstruktives von mir zu geben. Ab und zu japste ich ein wenig, um wenigstens den Primärkreislauf meiner Atmung aufrechtzuerhalten. Aber davon abgesehen, war ich ganz erfüllt von der Einzigartigkeit dieses Moments. Aus dem ganzen deutschen Sprachraum hatten sich Schreibende um dieses neue Stipendium beworben. Die Chance, mit meinen LKW-Gedichten in die Phalanx der renommierten Dichter einzudringen, war in meiner ganz persönlichen Einschätzungsskala bei null hoch minus null gelegen.
Aber ich hatte mich trotzdem beworben. Schließlich bewerbe ich mich seit Jahren um jeden Literaturpreis. Solche Teilnahmen sind bei mir so obligat geworden wie das Ausfüllen und Abgeben meines wöchentlichen Lottotipps. Aber ich hätte hundert Mal eher mit einem Lottogewinn gerechnet als mit der Zuerkennung dieses Stipendiums. Immerhin war damit nicht nur ein Monat Aufenthalt in einer imposanten Forst-Immobilie verbunden. Angeblich winkten dem Gewinner auch echte Geldscheine als Lebenshaltungszuschuss. Was das größte Wunder war. Auf den literarischen Feldern schmolzen die Zuwendungen ja noch schneller als das Eis auf den österreichischen Gletschern. An die Stelle der Zahlung traten höherwertige Anerkennungsformen. Händeschütteln zum Beispiel oder Schulterklopfen. Aber Geld, richtige Scheine, waren Mangelware geworden. Umso mehr freute ich mich über den in Aussicht gestellten Zuschuss, der für meine Begriffe wirklich großzügig war. Seit Beginn meiner Reimerei hatte ich nichts als Verluste gehabt. Siebzig Mal hatte ich meinen ersten, nie gedruckten Gedichtband »« kopiert und an achtundsechzig Verlage geschickt. Ein Exemplar hatte ich behalten und das andere meiner Mutter geschenkt. Sie ist nicht nur der einzige Mensch auf der Welt, der alle meine Gedichte gelesen hat, außer ihr gibt es auch niemanden, der eines davon auswendig kann. Als sie mir eines Tages mein Gedicht so ganz nebenbei vortrug, wäre ich beinahe in Tränen ausgebrochen. Was würde sie erst sagen, wenn sie von meinem Preis erfuhr?
»Übrigens ist das Mail schon zwölf Tage alt«, unterbrach Hulda meine mentale Himmelfahrt.
»Was?!«, schrie ich auf, als hätte mich ein Cowboy mit einem seiner Rinder verwechselt und mir einen Brandstempel mit der weißglühenden Zahl Zwölf in die Arschbacke gerammt. »Das ist unmöglich, das kann einfach nicht, wieso haben wir nicht …«
»Wir waren im Urlaub«, erinnerte Hulda mich ruhig.
»Aber wieso?«
»Du willst von mir wissen, wieso wir im Urlaub waren?«
»Nein, ich will … warum, ich meine, wieso geht sich das genau so aus, dass …«
»Beruhige dich«, sagte Hulda, »ist ja keine Tragödie.«
»Ja, sicher«, bestätigte ich mechanisch, »bestimmt nicht … das ist nur die Apokalypse.«
Mit einem Bein stand ich auf dem Gehsteig, mit dem anderen mitten in meinem ganz persönlichen Weltuntergang. Soeben erblüht, versank das filigrane Veilchen meiner Poesie schon wieder im Schlamm der üblichen Bedeutungslosigkeit. Zwölf ganze Tage, von denen wahrscheinlich jeder Einzelne vierundzwanzig Stunden gedauert hatte. Und zwölf mal vierundzwanzig mal sechzig Minuten mal sechzig Sekunden ergab die schier unendliche Zahl an Gelegenheiten zur Preisannahme, die ich alle nicht genutzt hatte. Die Mail-Botschaft vom Sieg stammte direkt aus der mittleren Steinzeit. So lange hatte ich es nicht der Mühe wert befunden, mich onzuleinen und einfach Ja zu sagen! So lange hatte sich der hohlhirnige Medienverweigerer in mir ahnungslos im Glanz seiner moralinsauren Phrasen gesonnt: »Wissen Sie, ich gehöre zu denen, die noch immer kein eigenes Handy besitzen. Ganz selten, nur im äußersten Notfall, leih ich es von meiner Frau. Genau. Und Fernseher hab ich auch keinen. Ich geh auch nicht ins Internet, höchstens alle zwei, drei Wochen. Und eines muss ich schon sagen, ich fühle mich ziemlich alleine im Kampf gegen die Gigasysteme, aber ich tu halt mein Bestes.«
Noch immer stand ich bewegungslos auf dem Gehsteig mitten in der Stadt. Diesmal hatte ich es richtig vergeigt. Das mit der Steinzeit war vielleicht ein wenig übertrieben, eine verständliche Überreaktion in einer Ausnahmesituation. Aber ganz nüchtern betrachtet, bedeuten zwölf Tage Schweigen heutzutage tatsächlich einen kaum überschaubaren Zeitraum. Wenigstens drei Epochen – Gotik, Renaissance plus eine Zwischeneiszeit. Insgesamt also mehr als genug Zeit, um den Preis mangels Reaktion des ersten einem zweiten Preisträger zuzusprechen, der natürlich vernetzt ist und sofort dankend annimmt. Und wenn ich jetzt noch anrufe, sind alle schon ganz erstaunt und spürbar reserviert – niemand kann sich noch erinnern, dass ursprünglich ich …
»Telefonnummer – da muss es doch irgendwo eine Telefonnummer geben«, würgte ich in den Hörer.
»Klar gibt es die«, sagte Hulda aufgeräumt und gab mir die Nummer eines gewissen Herrn Kompudl. Er war verantwortlich für die Organisation und den reibungslosen Ablauf des Wettbewerbs. In meiner Vorstellung fiel die Chance, ihn einfach so ans Telefon zu bekommen, sofort in die Kategorie Weihnachtswunder im Sommer. Ich wählte zittrig, aber, wie zu erwarten, geschah nichts. Anstelle einer menschlichen Stimme schwappte der mechanisch genäselte Name der Telefonfirma über mir zusammen. Das Tor der Kompudl’schen Mailbox öffnete sich. Ich sprudelte sofort los: »Ja, hallo, Herr Kompudl, ich bin’s, danke, vielen Dank … ich meine, für den Preis, also, natürlich nehme ich gerne an, es war nur so, übrigens – hab ich mich schon vorgestellt? Knoll, Hugo. Ja, ich freu mich total, bin jetzt jederzeit erreichbar unter … es war, wie gesagt, nein, ich hab’s noch nicht gesagt, also, es war, wie nicht gesagt, nur so, ich war im Wald, Sie verstehen, campen, im Austriabusch, also nicht australisch, sondern österreichisch, weit und breit kein Internet, nur Buschtrommeln, haha, kleiner Scherz, jedenfalls – es gab keine Möglichkeit, jetzt erst, die Welt hat mich wieder, ich meine, die Zivilisation, weil die Welt hat einen ja sowieso immer am Ar… Hals, nämlich in Linz, da wurde ich geboren und jetzt wieder, ich meine nicht wiedergeboren, sondern wieder angekommen, zurück in der Heimat und – Sie wissen wahrscheinlich, wie das ist, obwohl, also, was ich sagen will, Sie können sich vielleicht vorstellen, wie …«
Aus. Ende. Plötzlich schwebte ich in einer nirwanaartigen Leere. Kein Wunder. Auch bei virtuellen Hochsprungwettbewerben gab es eine untere Einstiegshöhe. Die hatte ich nicht erreicht. Bei Weitem nicht. Einen Moment lang sah ich das sogar positiv. Niemand hat dein Gestammel gehört. Und selbst wenn es doch jemand hören sollte – daraus kann er bestimmt nicht schlau werden. Du hast also noch eine zweite Chance … genau. Warum auch nicht? War ja logisch, dass man gerade im Sommer einmal ein, zwei Wochen Urlaub macht und nicht erreichbar ist, und so kluge Leute, die so einen Wettbewerb ins Leben rufen, die rechnen mit Fremdurlaub, bestimmt. Alles war gut. Verdammt, verdammt, verdammt.
»Herr Kompudl, warum sitzen Sie nicht einfach in Ihrem Büro? Wissen Sie überhaupt, dass nur eines meiner Gedichte jemals gedruckt wurde?...