Wilson | Owl und der verlorene Junge | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 304 Seiten

Reihe: Die Abenteuer der Tochter des Winters

Wilson Owl und der verlorene Junge


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-96826-703-6
Verlag: Von Hacht Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 2, 304 Seiten

Reihe: Die Abenteuer der Tochter des Winters

ISBN: 978-3-96826-703-6
Verlag: Von Hacht Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In einem ewigen Sommer festzustecken ist kein Spaß. Vor allem, wenn man die Tochter des Winters ist. Owls Freund Alberic - der zufällig auch der Sohn des Earl of Autumn ist - wird vermisst. Entschlossen, ihn zu finden und den ewigen Sommer zu beenden, begeben sich Owl und ihre beste Freundin Mallory auf ein Abenteuer, das sie tief in die magische Welt der Zeit führen wird. Dort sind dunkle Mächte am Werk, die vor nichts zurückschrecken. Werden Owl und Alberic in der Lage sein, ihre Magie zu kontrollieren und den Wechsel der Jahreszeiten wiederherzustellen? Eine Geschichte, die den Klimawandel, Verlust und Trauer thematisiert - und doch voller Magie, Freundschaft, Liebe und Hoffnung für die Zukunft ist.

Sylke Hachmeister arbeitete nach ihrem Studium der Publizistik, Anglistik und Soziologie in Münster einige Jahre als Lektorin in einem Hamburger Kinderbuchverlag, bevor sie sich als Übersetzerin selbstständig machte. Sie lebt mit ihrer Familie bei Köln.
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1


Die Hitze drückt mir auf die Haut, und je näher ich dem Wald komme, desto heißer wird es. Im Laufe des Sommers sind hier neue Pflanzen gewachsen, glänzende Schlingpflanzen ranken sich dicht um die alten Stämme der Eichen und Holunder, und als ich tiefer hineingehe, recken sie sich nach mir. Ich habe das seit Anfang September schon mehrmals versucht, und jedes Mal musste ich wieder umkehren.

Aber diesmal habe ich mir fest vorgenommen, es zu schaffen.

Ich strecke eine Hand schützend aus, doch die duftenden orangen Blüten wehren sich, drängen sich an meinen Arm, und von ihren langen gelben Staubgefäßen fällt dichter Blütenstaub herab. Ich grummele, als sich Quaddeln auf meiner Haut bilden, und einen Moment lang scheint sich alles um mich herum zu drehen. Der blaue Himmel, das trockene Gras hinter mir, das pochende, heimtückische Herz eines endlosen Feensommers in dem Wald vor mir.

Meine Brust ist wie zugeschnürt, ich weiche zurück.

Endlose Feensommer sind nichts für Feiglinge. Und mir tun sie ganz bestimmt nicht gut, denn ich bin die Tochter des Winterkönigs Jokul. Ich wende dem Wald, der den Feenhofstaat verbirgt, den Rücken zu, schaue eine Weile zur Stadt und versuche zu Atem zu kommen. In der Stadt ist alles normal: die Häuser, die Kinder, die in den länger werdenden Schatten spielen, das Glühen am Horizont, während die Sonne langsam untergeht. Niemand sonst weiß von der Magie, die hinter diesem Wald liegt. Ich reibe die wunden Stellen an meinen Armen und schaue wütend auf das dichte neue Laub, das mich zurückgedrängt hat.

Vielleicht hätte ich warten sollen, bis es dunkel ist. Und Handschuhe anziehen. Das Bedürfnis, zum Hofstaat zu gelangen, wo all die Feenwesen leben, war so groß, und mir war so heiß, dass ich keinen Moment länger warten wollte. Ich bin diesen Sommer so leid. Bin es leid, allein darin zu sein. Es ist fast November, verdammt noch mal – diese höllische Hitze soll endlich aufhören. Doch als sich im Unterholz etwas regt, leuchtend wie Glut und nach diesen fiesen orangen Blüten stinkend, merke ich beklommen, dass ich bloß meine Zeit vergeude. Was da drin läuft, geht mich nichts an. Jokul ist offensichtlich nicht da, und ohne ihn ist dort für mich kein Platz.

Im lodernden Sonnenuntergang trotte ich nach Hause. Es ist immer noch heiß, und die Luft dringt nur zäh durch meine Lunge.

»Eines Tages wird es nicht mehr Sommer sein. Eines Tages ist es vorbei. Irgendwann muss der Herbst ja mal kommen.« Zum hunderttausendsten Mal murmele ich dieses Mantra vor mich hin. Vielleicht kommt es mir dieses Jahr nur schlimmer vor, weil es der erste Sommer ist, seit ich Jokul kenne, die Feenwelt entdeckt habe und von meinen Winterkräften weiß. Von den Kräften, die mir in dieser sengenden Hitze rein gar nichts nützen.

Als ich zu der Gasse gelange, die zu unserem Haus führt, zögere ich. Ich sehe Mallorys vertraute Gestalt vor mir, wie sie beim Gehen mit der Hand an der Mauer entlangfährt. Sie blickt im Vorübergehen zum Haus hoch, und es versetzt mir einen Stich. Wie konnten wir einander so aus den Augen verlieren? Seit der ersten Klasse waren wir beste Freundinnen, und jetzt reden wir kaum noch miteinander. Ich habe mich nicht genug um sie gekümmert, als sie in den Ferien wegen der Trennung ihrer Eltern so fertig war.

Ich war zu sehr mit der Frage beschäftigt, wo Jokul steckt und ob dieser Sommer je endet.

In der Wohnung lasse ich den Rucksack von den Schultern gleiten und auf den Dielenboden plumpsen. Ich ziehe Schuhe und Strümpfe aus, um mich ein wenig abzukühlen, und marschiere dann zum Kühlschrank. Das Licht funktioniert nicht mehr, und er macht ein lautes, staubsaugermäßiges Geräusch, das sich nicht gut anhört. Aber wenigstens ist er kühl. Alle Fenster in der Wohnung stehen offen, und die Vorhänge sind halb zugezogen, um die gnadenlosen Sonnenstrahlen abzuhalten, und obwohl es bald dämmert, ist es kratzdeckenheiß.

Den ganzen Sommer lang habe ich auf den Herbst gewartet. Ich habe mir vorgestellt, messerscharfe kühle Luft einzuatmen. Habe mir ausgemalt, wie sich die Blätter an den Bäumen kupferrot und braun färben. Raureif auf den Dachspitzen und das Knirschen von blassem gefrorenen Gras unter meinen Füßen. Wie ich mit Jokul und dem Nordwind auf dem gefrorenen See tanze, wirbelnde geometrische Muster auf das blaue Eis male. Wie ich wieder zum Feenhofstaat gehe und mich alle, die ich im letzten Winter kennengelernt habe, begrüßen: die Hüterin des Sees, der Grüne Mann und die klitzekleinen flitzenden Feen.

Aber nichts davon ist eingetreten. Die Morgen sind immer noch wie geschmolzenes Feuer, alles ist klebrig. Sengend heiße Gehwege, die Flüsse nur Staub, die Wiesen, die mit Raureif bedeckt sein müssten, trocken wie Zunder, der Feenhofstaat anscheinend unerreichbar. Nachts sind meine Träume voller Eis und Abenteuer, und wenn ich aufwache, erfüllen sie einen Moment lang das ganze Zimmer mit ihrem Glanz. Eis bedeckt alle Flächen, Raureif ringelt sich die Wände hoch, und klirrende Eiszapfen hängen an den Vorhängen. Doch dann hellt sich der Himmel auf, das Winterwunderland aus meinen Träumen schmilzt, und ich starte erschöpft in einen weiteren Tag dieses verfluchten Sommers.

Ich schnappe mir ein Glas Wasser und gehe in mein Zimmer. Im Vorbeigehen raschele ich mit den Vorhängen, damit sich die Luft bewegt. Der Teppich kratzt an meinen Füßen, und das Bett kann ich kaum angucken.

»Owl!«, ruft meine Mutter, poltert die Treppe von ihrem Atelier herunter und läuft mir nach. Sie ist barfuß und hat die dunklen Haare hochgesteckt, ihre Arme sind schweißnass. Auf den Wangen hat sie Streifen von Kohlestift. »Wie war dein Tag?«

»Heiß«, sage ich.

Sie schaut mich von oben bis unten an.

»Wie wär’s mit einer kalten Dusche?«

»Au ja.«

»Du siehst müde aus«, sagt sie. »Hast du Mallory heute gesehen?«

»Nicht gesprochen.« Ich seufze, und sie lächelt traurig. Ihr fehlt Mallory auch.

»Was ist mit Alberic?«

Seit ich Alberic letztes Jahr einmal mit nach Hause gebracht habe, hat meine Mutter eine Schwäche für ihn. Er ist der Sohn vom hinterhältigen Grafen Oktober, dem Herrscher des Herbstes, und daher ungefähr so normal wie ich. Seine Mutter war ein Mensch. Sie starb, als er klein war, deshalb lebt er mit seiner Feenfamilie im Hofstaat und hat sich erst letztes Jahr in die Menschenwelt gewagt. Seitdem geht er auf meine Schule. Er war der Erste, der mir Jokul und meine Herkunft gezeigt hat. Wir haben zugeschaut, wie Jokul sich mit Boreas, dem Nordwind, gebalgt hat, und Alberic hat mich davor gewarnt, wie heimtückisch die Feenwesen sein können. Jetzt ist er verschwunden. Alle sind verschwunden, und mit ihnen der Herbst. Und ich kann noch nicht mal zum Feenhofstaat, um nachzusehen, was los ist. Sobald der Sommer anfing, wurde der Weg dorthin von diesen grässlichen Blumen erstickt. Es war wie eine Zurückweisung, und das tat weh. Doch Jokul hatte mich schon darauf vorbereitet, dass ich im Sommer eine Ruhepause einlegen müsste, und vermutlich hat er sich im Sommer auch immer so gefühlt: ausgeschlossen. Aber jetzt dauert es einfach schon viel zu lange.

»Keine Spur von ihm«, sage ich und sinke aufs Bett.

Meine Mutter zieht die Stirn in Falten und lässt sich neben mich plumpsen. »Vielleicht hat Jokul eine Ahnung?«

»Wo der steckt, weiß ich ja auch nicht!«, sage ich. »Und bei dieser bescheuerten Hitze ist es unwahrscheinlich, dass er so bald auftaucht.«

»Es ist wirklich besorgniserregend«, sagt sie und zupft an einem losen Faden der Flickendecke, die sie mir vor Jahren genäht hat. »Die Leute reden von nichts anderem.« Sie schaut mich an, steht schwungvoll auf und zieht mich hoch. »Essen. Ich mache was zu essen, du duschst – immer schön eins nach dem anderen, dann wird das schon.«

Sie nimmt mich in die Arme, und ich lasse den Kopf auf ihre Schulter sinken, nur ganz kurz, obwohl es zu heiß und ein bisschen eklig ist, weil wir beide so verschwitzt sind.

»Okay?«, sagt sie, als sie sich von mir löst.

»Gut.« Ich nicke und gehe ins Bad.

Wenn ich könnte, würde ich in der Dusche wohnen. Das Wasser ist kalt, und als ich fertig bin, liegt ein leichter Eisschauer in der Luft. Nicht viel, aber immerhin kann ich tief durchatmen, ohne das Gefühl zu haben, dass ich ersticke. Mein Kopf wird frei, und als ich mich zu meiner Mutter in unser kleines Wohnzimmer geselle, fällt mein Blick auf das alte Buch mit Feenlegenden in dem überfüllten Regal, der Buchrücken blitzt im Sonnenlicht golden auf. Da durchzuckt es mich, und ich weiß plötzlich, was zu tun ist.

Den Rest des Abends schaue ich Naturdokus mit meiner Mutter, und sie zeichnet dabei. Ich warte darauf, dass sie mal das Zimmer verlässt, damit ich mir das Buch ansehen kann: Fabeln und Erdgeifter: Wie du ihnen begegneft und den Weg fu deinem eigenen fpirituellen Wefen findeft. Das Buch hat meine Mutter mir im letzten Winter überreicht, als ich gerade die Feenwelt entdeckte und lernte, wie ich die Winterkräfte einsetzen kann, die ich von Jokul geerbt habe. In dem Buch stehen viele Legenden über die Feenwesen – den Grünen Mann, den Nordwind, die Maikönigin –, und die meisten von ihnen habe ich kennengelernt. Meine Mutter weiß Bescheid, doch seit meinen Abenteuern im letzten Winter passt sie ein bisschen besser auf. Ich darf nicht mehr allein zum Feenhofstaat gehen, aber da komme ich ja sowieso nicht hin. Das Buch hat sie mir nicht verboten, aber nur, weil sie nicht daran gedacht hat. Ehrlich gesagt hatte ich selbst nicht daran gedacht, bis ich es heute zufällig entdeckt habe. In dem Buch steht ein Zauberspruch, der mir vielleicht helfen kann. Ich muss ihn nur finden. Wir...


Hachmeister, Sylke
Sylke Hachmeister arbeitete nach ihrem Studium der Publizistik, Anglistik und Soziologie in Münster einige Jahre als Lektorin in einem Hamburger Kinderbuchverlag, bevor sie sich als Übersetzerin selbstständig machte. Sie lebt mit ihrer Familie bei Köln.



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