Ein Begleiter durch die Advents- und Weihnachtszeit - Andachten, Gedichte und Gebete
E-Book, Deutsch, 155 Seiten
ISBN: 978-3-7615-6231-4
Verlag: Neukirchener
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Texte, die inspirieren und hinterfragen, verzaubern und erden, bestärken und manchmal auch provozieren: Vielleicht lässt ein Gott, der im Stall als Mensch geboren wird, sich auch heute eher am ungewöhnlichen Ort finden als am vertrauten, eher in der Frage als in der Antwort, eher in der Irritation als in der Bestätigung.
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2. Kapitel Die Sehnsucht aushalten
Träufelt, ihr Himmel, von oben und ihr Wolken, regnet Gerechtigkeit!
Jesaja 45,8 Die offene Tür zum Himmel
Die Adventszeit rüttelt in mir die Sehnsucht nach dem Himmel wach. Einerseits duftet es im Haus, Kerzen leuchten und ich höre die vertrauten Lieder, von Liebe und Frieden erzählen sie. Andererseits abends die Nachrichten: immer noch hungernde Menschen in Afrika. Wieder ein Terroranschlag im Nahen Osten. Immer noch, immer wieder die Bilder von Menschen, die verzweifelt oder traurig sind. Gerade im Advent kann ich das manchmal kaum aushalten. Da sehne ich mich nach einer heileren Welt. Und manchmal wünsche ich mir einen, der von oben her eingreift und alles anders werden lässt! So muss es auch dem gegangen sein, der ein altes Lied aus dem Gesangbuch gedichtet hat, Friedrich Spee hieß er. Er fragt verzweifelt: „Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt?“ Und schreibt in einem Gesangbuchvers: „Oh Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf, reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für. (EG 7)“ Ich finde mich wieder in diesen ungeduldigen Worten. Ja, mein Gott, wo bleibst du denn? Nun reiß doch den Himmel endlich auf! Komm, tröste uns und bring den Himmel zur Erde. Aber so ist es nicht. Gott verändert die Welt nicht durch einen Himmelsriss oder gar durch Gewalt. Er wählt einen leiseren, sanften Weg. Er öffnet fast heimlich die Tür zum Himmel und schickt seinen Sohn auf die Erde – als kleines Baby. Und wenn ich dann die Geschichten aus dem Neuen Testament lese, begreife ich: Dieser Jesus lässt mich einen Blick durch die Himmelstür werfen. Ich sehe, wie es dort zugeht: Traurige werden getröstet, Kranke geheilt und Tote lebendig. Böses in uns Menschen wird gut und Streitende schließen Frieden. So legt er mir diese Sehnsucht nach dem Himmel ins Herz. Und wenn sie müde ist, rüttelt er sie wach. Gerade jetzt im Advent. Denn sie soll im Herzen brennen, auch wenn ich es manchmal kaum aushalten kann. Die Sehnsucht nämlich verändert mich: Sie lässt mich mit anderen mitfühlen. Und sie macht mich bereit, ihnen das zu schenken, was sie brauchen: Freundlichkeit und Liebe oder Zeit und Geld. Damit auch sie einen Blick in den Himmel werfen, dessen Tür Gott für uns geöffnet hat. Gebet
Menschgewordener Gott, du hörst das Seufzen der Welt und empfindest den Schmerz der Erde, du siehst unser Sehnen nach Erlösung. Wir sind dir nicht egal. Steck uns an mit deiner Liebe, damit auch wir nicht gleichgültig werden gegenüber den nahen Nachbarn und den fremden Fernen. Lass uns durch dich zu Geschwistern werden, die sich umeinander sorgen und füreinander einstehen in Menschlichkeit. Barbaratag (4. Dezember)
An einem Morgen im Dezember ziehe ich mir die dicke Jacke über. Dann nehme ich mir die Rosenschere und trete vor die Tür. In der Nacht hat es geschneit, unberührt liegt der Garten vor mir. Ich ziehe Gummistiefel an und setze den Fuß in den ersten Schnee. Der Schnee macht alles stiller, er dämpft die Geräusche. Leise knirscht es unter den Sohlen, als ich zum Forsythienbusch gehe. Ich schneide drei Zweige ab, einige Flocken schweben zu Boden. Einige Male atme ich die frische Luft ein und aus. Dann gehe ich zurück ins Haus, um die Zweige in eine Vase zu stellen. Es ist der 4. Dezember. Barbaratag. Barbara soll im 3. Jahrhundert nach Christus in Nikomedia gelebt haben. Als sie Christin werden wollte, versuchte ihr Vater, sie mit allen Mitteln davon abzuhalten. Doch Barbara setzte ihr Vorhaben durch und ließ sich taufen. Als ihr Vater davon erfuhr, brachte er sie vor Gericht und ließ sie zum Tode verurteilen. Die Legende erzählt, dass Barbara auf dem Weg ins Gefängnis sich mit ihrem Gewand an einem Zweig verhakte. Der Zweig brach, Barbara nahm ihn mit und stellte ihn im Gefängnis in ein mit Wasser gefülltes Gefäß. Er blühte an dem Tag, als das Todesurteil über sie gesprochen wurde – als wolle er widersprechen mit einer leisen, doch deutlichen Stimme. Der Vater aber hörte diese Stimme nicht. Er selbst soll seine Tochter enthauptet haben. Noch am selben Tag soll er von einem Blitz erschlagen worden sein. Der 4. Dezember ist der Legende nach Barbaras Todestag. Zweige, die an diesem Tag geschnitten werden und dann in der warmen Wohnung in eine Vase gestellt werden, werden am Heiligen Abend blühen, so sagt man. Solche Barbarazweige überbrücken eine kalte und dunkle Zeit. Draußen erscheint alles erstarrt. Auch der Zweig ist blattlos und kahl. Eine Veränderung ist viele Tage lang kaum zu erkennen. Nichts zu sehen vom Leben, das wieder blühen wird. Geduld ist gefragt. Beharrlichkeit. Hoffnung gegen den Augenschein. Nicht aufzugeben, auch wenn alles aussichtslos erscheint. Einmal wird der Zweig blühen. Am Geburtstag des Kindes, von dem es in einem Lied heißt, es blühe selber wie eine Rose: „mitten im kalten Winter wohl zu der halben Nacht.“ (EG 30). Barbarazweige
An kargen Zweigen nähren sich die Knospen vom sinkenden Licht. Täglich nehmen sie zu, wachsen über sich hinaus, fallen der Kälte wortlos ins Wort. Und lassen mich mitten im Winter vom Blühen träumen. Den Möglichkeitssinn trainieren
Ich mag den Konjunktiv. Er bildet sich in den Lücken der Zeit, zwischen wirklich und möglich, zwischen „nicht mehr“ und „noch nicht“. Er hat das Potential, einen anderen Ausgang der Vergangenheit zu fantasieren. Dabei unternimmt er den – zum Scheitern verurteilten – Versuch, die Kehrseite der Medaille zu erkennen, wenn sie bereits auf dem Boden der Tatsachen aufgetroffen ist. Ja, es stimmt, nichts ist zu ändern an dem, was schon war. Aber die Fantasie begnügt sich ja nicht mit dem, was abgeschlossen ist. Sie ragt hinein in die Zukunft und entwirft ebenso, was noch vor uns liegt. Sie zeichnet ein Bild, wie es werden könnte und trotzt träumend dem Wissen, dass Entwurf und Wirklichkeit nie deckungsgleich sein werden. Der Konjunktiv ist das Sprachrohr eines Möglichkeitssinnes, der darauf vertraut, dass die Welt ohne Gegenentwürfe – man könnte sie auch Visionen nennen – ärmer und trauriger sein würde als mit ihnen. Glaube trainiert jenen Möglichkeitssinn, der den Träumen etwas zutraut und dessen ungestüme Antriebskraft die Sehnsucht ist. Spaziergang im Advent
Wie in den Halmen des Winterweizens im Gegenlicht die Tropfen glitzern. Als hätte der Himmel es erhört, das alte Gebet, diesen Sehnsuchtsruf: „O Gott, ein’ Tau vom Himmel gieß!“ Als sei es möglich, dass die dort wachsenden und reifenden Körner den Hunger der Welt stillen, nach Brot und nach Leben. Als schöbe die zierliche Frau, die mir entgegenkommt, im Kinderwagen den Ersehnten. Und der Himmel überträfe schon morgen die absurdesten Träume. (siehe: EG 7, Strophe 2) Wunschzettel
In den Wochen vor Weihnachten hat das Postamt in Himmelsthür bei Hildesheim alle Hände voll zu tun. Zigtausend Briefe gehen dort jährlich ein, adressiert an den Weihnachtsmann, der, wie die Kinder glauben, dort hinter der Himmelstür wohnt. Aus aller Welt kommen sie: die Wunschzettel mit den großen und kleinen Kinderwünschen. Ich kann mir vorstellen, wie sie aussehen. Ich erinnere mich selbst noch gut daran, wie ich als Kind meinen Wunschzettel geschrieben...