E-Book, Deutsch, Band 21, 130 Seiten
Willmes / Fimm Einzelfalldiagnostik
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8444-2666-3
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 21, 130 Seiten
Reihe: Fortschritte der Neuropsychologie
ISBN: 978-3-8444-2666-3
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In diesem anwendungsbezogenen Buch wird zum ersten Mal für die neuropsychologische Praxis der Einsatz psychometrischer und inferenzstatistischer Methoden für die differenzierte Analyse der Leistungen einzelner Probanden und Patienten in gut standardisierten und normierten Testverfahren, in orientierend normierten Verfahren und experimentellen Aufgabenstellungen vermittelt. Es handelt sich um Methoden für die Analyse einmaliger diagnostisch-neuropsychologischer Untersuchungen sowie für den Vergleich zweier Anwendungen eines Verfahrens zur Beurteilung des Verlaufs oder des Effekts einer therapeutischen Intervention.
Alle Methoden werden ausführlich anhand neuropsychologischer Fallbeispiele demonstriert. Die verwendeten Programme zur statistischen Analyse von Einzelfalldaten sind frei im Internet als Download-Version oder Online-Rechner verfügbar. Die vorgestellten Verfahren eignen sich nicht nur für Leistungstests, sondern auch für Fragebogendaten.
Zielgruppe
Neuropsychologen, klinische Psychologen, psychologisch-technische Assistenten
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
|3|1 Einleitung
In diesem Band wird der Einsatz psychometrischer und inferenzstatistischer Verfahren für eine differenzierte Analyse der Leistungen individueller Patienten dargestellt, die für neuropsychologische diagnostische Fragestellungen von zentraler Bedeutung ist (Sturm, Fimm & Willmes, 2011; Willmes & Fimm, 2014). Die Leistungen können in normierten psychometrischen Testverfahren, im Vergleich mit kleinen Kontrollstichproben für spezielle diagnostische Fragestellungen oder aber bei Verwendung nicht normierter Testverfahren ohne Bezug zu Kontrollstichproben beobachtet worden sein. Aufgrund gut gestützten neuropsychologischen Wissens über spezifische Zusammenhänge zwischen fokalen oder diffusen Hirnschäden und beeinträchtigten oder gestörten psychischen Funktionen lassen sich für einen einzelnen Patienten oft gezielte diagnostische Hypothesen über erwartete Leistungsunterschiede zwischen verschiedenen Tests eines Testprofils oder einer Testbatterie ableiten. Für einen neuropsychologischen Befund ist es im Sinne einer evidenzbasierten Vorgehensweise in der neuropsychologischen Diagnostik wünschenswert, eine für Dritte überprüfbare Entscheidung bezüglich dieser Hypothesen treffen zu können. Vergleichbare Überlegungen gelten für nicht normierte Zusammenstellungen von Aufgabenstellungen, die besonders in der kognitiv-neuropsychologischen Untersuchung von Einzelfällen, oft orientiert an einem expliziten Verarbeitungsmodell, eingesetzt werden, um mehr oder weniger selektive Leistungsbeeinträchtigungen zu ermitteln. Solche Leistungsdissoziationen (Willmes, 2009a) müssen ebenfalls statistisch abgesichert werden (Willmes, 2009b). Oft ist die einmalige Statusdiagnostik oder die einmalige kognitiv-neuropsychologisch orientierte Diagnostik mit Bezug auf ein explizites Verarbeitungsmodell bei neuropsychologischen Patienten nicht ausreichend oder aussagekräftig. Die Analyse des spontanen Verlaufs und/oder eine oder mehrere Kontrolluntersuchungen nach einer Zeitspanne sind für die Beurteilung eines neuropsychologischen Patienten häufig erforderlich. So sollte beispielsweise die Diagnose einer degenerativen Hirnerkrankung nicht aufgrund einer einzelnen Untersuchung gestellt werden, sondern sich auf den Nachweis von schlechter werdenden Leistungen aus mindestens zwei Untersuchungen in geeignetem Zeitabstand stützen. Auch hier sind aus neuropsychologischer Perspektive kurze Screening-Verfahren nicht angezeigt (Willmes, 2018), sondern Untersuchungsverfahren mit hinreichend abgestufter quantitativer Leistungsbeurteilung, die erst eine differenzierte Analyse von Leistungsveränderungen zulassen, unabhängig davon ob eine oder mehrere der Untersuchungen im Verlauf im auffälligen Leistungsbereich angesiedelt sind. Weiterhin ist die Analyse von Leistungsveränderungen nach einer Phase neuropsychologischer Intervention ohne oder in Verbindung mit pharmakologischer oder elektrophysiologischer (Transkranielle Magnetstimulation, Transkranielle Gleichstromstimulation) Behandlung geeignet, um die Wirksamkeit eines Trainings oder einer |4|Therapie zu belegen. Insbesondere der Nachweis differentieller Veränderungen ist zur Stützung eines spezifischen Therapieeffektes aufgrund der Intervention von großer Bedeutung, da beim selben Patienten oft keine geeignete Kontrollbedingung einführbar ist. So sollten diejenigen (Unter-)Testleistungen eines Testprofils nach Beendigung der Therapie deutlich stärkere Verbesserungen aufweisen, die als Indikatoren für die spezifisch trainierte psychische Funktion gelten. Diese Analyse individueller Leistungsmuster und ihr Vergleich ist nicht beschränkt auf die wissenschaftliche Erprobung neuer Therapieansätze oder -methoden, sondern sollte auch Bestandteil ,kontrollierter klinischer Praxis‘ (Petermann, 1992, 1996) oder – moderner ausgedrückt – einer evidenzbasierten Vorgehensweise in der neuropsychologischen Diagnostik und Therapieevaluation sein. Gerade unter dem Gesichtspunkt einer zunehmenden Forderung nach Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle im gesamten Gesundheitswesen haben Fragen der Überprüfbarkeit diagnostischer Aussagen und Entscheidungen sowie des Nachweises der Wirksamkeit neuropsychologischer Therapie an Bedeutung gewonnen (vgl. Diener et?al., 2012). Aussagen über Patienten anhand von normierten Testverfahren bilden in aller Regel den Schwerpunkt diagnostischer Tätigkeiten klinisch arbeitender Neuropsychologen. Unter Umständen liegen aber für eine spezifische Fragestellung keine geeigneten, etablierten Verfahren vor. Dennoch ist eine diagnostische Aussage erwünscht, die sich dann nur auf bei kleineren Stichproben verwendetes Untersuchungsmaterial stützen kann. Gerade der Vergleich der Leistungen eines Einzelfalles mit einer möglichst gut vergleichbaren kleineren Kontrollgruppe gesunder Personen ist in einer stärker modellorientierten neuropsychologischen Diagnostik sehr relevant. Die Arbeitsgruppe um John Crawford hat sich in vielen Publikationen mit der Entwicklung geeigneter statistischer Testverfahren für den Fall keiner Kontrollgruppen beschäftigt und allgemein zugängliche Software auf einer Internetseite bereitgestellt1. Die Analyse der Leistungen einzelner Patienten mit einer adäquaten Kontrollgruppe in nicht normierten Testverfahren ist auch für einzelne neuropsychologische Störungsbilder oder Beeinträchtigungsmuster, die generell selten anzutreffen sind, unabdingbar. Die Analyse von Leistungsdefiziten und Leistungsdissoziationen im Einzelfall ist jedoch nicht unbedingt an die Verwendung normierter Testverfahren oder den Vergleich mit adäquaten Kontrollgruppen gebunden. Vielmehr lassen sich auch mit nicht normierten oder experimentellen Verfahren erhobene Testwerte ohne Rückgriff auf eine Kontrollgruppe inferenzstatistisch auswerten. In diesem Band wird die Analyse der Leistungsmuster einzelner Patienten unter vier generellen Gesichtspunkten einschließlich ausführlich erläuterter Beispiele anwendungsorientiert dargestellt: (1) Inferenzstatistische Analyse von individuellen Leistungsprofilen in normierten psychologischen Testverfahren mit Methoden der psychometrischen Einzelfalldiagnostik (2) Inferenzstatistische Analyse von individuellen Leistungsdefiziten und Leistungsdissoziationen im Vergleich mit einer kleineren Kontrollgruppe (3) |5|Inferenzstatistische Analyse von Leistungsdissoziationen mit nicht normierten Testverfahren ohne Vergleichsdaten einer Kontrollgruppe (4) Evaluation von Therapieeffekten im Einzelfall mit inferenzstatistischen Methoden für normierte Kontrolltestverfahren, für Leistungstestverfahren erhoben an kleineren Stichproben und für nicht normierte Testverfahren ohne Vergleichsdaten. Die Methoden der psychometrischen Einzelfalldiagnostik werden mittels des frei erhältlichen Programms CASE123 für verschiedene in der neuropsychologischen Diagnostik häufig verwendete Testverfahren u.?a. mittels Screenshots demonstriert2. Für die Analyse von Defiziten und Dissoziationen wird die Verwendung von der allgemein im Netz zugänglichen Software der Arbeitsgruppe um Crawford ebenfalls an Beispielen erläutert. Die Analyse ohne Kontrollgruppe wird ebenfalls kurz mit Beispielen demonstriert. Alle vorgestellten Verfahren sind nicht nur für die Analyse von Daten aus Leistungstests von einzelnen Probanden verwendbar, sondern auch für die Analyse von Fragebogendaten – beispielsweise zu Persönlichkeitseigenschaften, Lebensqualität oder Beschwerden – sowie Einschätzungen auf Analogskalen, etc. Wichtig ist immer darauf zu achten, dass die Skalen, bezüglich derer Daten verglichen werden sollen, gleichsinnig gepolt sind oder falls nicht, vorab eine Umpolung zu erfolgen hat (vgl. Hartje, 1987). Ansonsten sind eventuell scheinbar gefundene Unterschiede trivial auf unterschiedliche Polung zurückzuführen. Hinweise auf weiterführende Software und Webseiten mit interaktiven statistischen Analyseprogrammen sind auf der Homepage des Hogrefe Verlags unter dem Link hgf.io/einzelfalldiagnostik zu finden. ...