Vom Imbisswagen zum Drogenimperium
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-608-11990-9
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die ersten Tausend Mark verdient Olaf Kamrath mit Würstchen aus seinem Imbisswagen. Die nächsten mit Spielautomaten. Immer mehr Leute fragen nach Drogen und er wittert das große Geschäft. Zusammen mit drei Freunden aus Kindheitstagen gründet er die XY-Bande und beliefert alle zwischen Rostock und Berlin mit erstklassigem Stoff aus Amsterdam. Olaf Kamrath erzählt von einer Zeit, als man im Osten für Geld alles kaufen konnte. Und nur der jemand war, der es in großen Mengen besaß.Frank Willmann, Journalist und Experte für die ostdeutsche Untergrund-Szene, hat das Vertrauen aller Beteiligten gewonnen. Zum ersten Mal erzählen die Gangmitglieder hier, nach bestem Wissen und Gewissen, die Geschichte ihres Erfolgs und ihrer Verfolgung selbst. Eine rasante Krimi-Geschichte und ein authentisches Porträt des wilden, wilden Ostens.
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Die ersten Tausend
Olaf Kamrath • Eigentlich ging es direkt mit dem Mauerfall so richtig los. Im Herbst 1989 durfte man nicht mehr ins sozialistische Ausland reisen, alles war zu. Doch dann tat sich Mitte Oktober in der CSSR plötzlich ein Türchen auf. Das war für mich das Signal zum Aufbruch. Am Abend feierte ich mit Freunden in Gnewikow in einer Dorfdisco meinen Abschied. Am nächsten Tag zu meinen Eltern und der Oma, alle heulten, umarmten mich und wünschten mir viel Glück. Ein Kumpel wartete spontan am nächsten Morgen bei der Deutschen Bank auf mich. Ich hatte meine Kraxel mit allen wichtigen Dingen vollgepackt. Er stand im Jeansanzug vor der Bank und sagte: »Ich komme mit!« Kein Geld, keine Klamotten, nur er und sein Jeansanzug. Ich hatte dreihundert Westmark und viel DDR-Geld dabei. Wir fuhren nach Berlin, nahmen noch eine Demo mit und stiegen am Nachmittag in den Zug nach Prag. Es herrschte eine merkwürdige Stimmung, jeder Zweite ein potenzieller Flüchtling, alle schauten misstrauisch. Aber die Fahr verlief glatt. Kaum in Prag angekommen, kamen die ersten Tschechen auf uns zu: »Botschaft? Ihr zur Botschaft?« »Nein, nein, wieso? Wie kommt ihr darauf?« Wir hatten Angst, von der ostdeutschen oder der tschechischen Stasi abgegriffen zu werden. War aber nicht so. Wir sind dann mit einem Taxi zur BRD-Botschaft gefahren – die Pforte stand offen, wir sind reingestürzt und waren auf sicherem Boden. Später ließen die Tschechen keinen mehr durch, doch die Flüchtlinge kletterten einfach über den Zaun. Die Botschaft platzte aus allen Nähten. Wir fanden einen Platz im Treppenhaus, wo wir uns ausruhen konnten. Decken und Tee wurden verteilt, es gab für jeden etwas zu essen, die Leute waren nett. Nach zwei Tagen wurden wir mit Bussen abgeholt und zum Bahnhof gebracht. Und dann geschah das unendlich Geile: Wir überquerten die Grenze. Als wir die ersten bayerischen Bahnhöfe passierten, wurden wir von einer jubelnden Menschenmenge begrüßt. Es war die Phase, wo die DDR-Bürger noch willkommen geheißen wurden. Alte Omis steckten uns während des kurzen Halts vom Bahnsteig aus Schokolade und Blumen zu. Die Leute fragten uns: »Was habt ihr vor, wo wollt ihr hin?« »Uns egal. Wir wollen dahin, wo es Arbeit gibt.« »Dann fahrt mal nach Bamberg. Dort gibt es viel Arbeit.« »Bamberg? Okay, alles klar.« Als wir im Aufnahmelager ankamen, erledigten wir fix den Papierkram und meldeten uns ein paar Tage später beim Arbeitsamt in Nürnberg. Als Begrüßungsgeld erhielten wir einen Hunderter und etwas Geld vom Amt. Zu meinen Verwandten wollte ich nicht als Bittsteller, ich hatte sie bereits angerufen und am Telefon gemerkt, dass sie Angst vorm mittellosen Ossi hatten, den man womöglich durchfüttern musste. Sie luden uns nicht ein, sondern sagten: »Ja, ach so, ihr seid da. Ist gut, macht euch das mal schön.« Mein Kumpel war Dachdecker, ich Blitzschutzmonteur. In Schweinfurt wurde ich gleich beim ersten Anruf fündig. »Ja mei, bei uns könnt ihr anständig Geld verdienen.« Später kam etwas in der lokalen Zeitung über uns, die ersten beiden Ossis im Ort, mit Foto. Sie kamen nicht, um dem Sozialstaat auf der Tasche zu liegen, sie kamen, um zu arbeiten, ihr Brot mit den eigenen Händen zu verdienen, den Traum von Freiheit und Wohlstand zu verwirklichen … Die Firma stellte uns einen kleinen Mitsubishi-Bus, damit sind wir von Knetzgau nach Schweinfurt zur Arbeit gefahren. In Knetzgau lebten wir in einem Doppelzimmer im Gasthof Mainhof. War schön, der Wirt, ein ehemaliger Polizist, schmiss den Laden mit Frau und Töchtern. Als wir ankamen, spendeten sie uns bergeweise Klamotten, und mein Kumpel konnte endlich seine Hose wechseln. Wir haben rund um die Uhr gearbeitet und Geld verdient, doch das Heimweh war groß. Wir düsten am Wochenende häufig nach Neuruppin, um unsere Freunde und die Familie zu sehen. Für mich war klar, ich gehe nach Neuruppin zurück und helfe beim Aufbau der blühenden Landschaften, die Kohl uns zur Wahl 1990 versprach und damit den Erdrutschsieg der CDU im Osten klarmachte. Die CDU gelobte das Blaue vom Himmel, diese Partei musste ich mir merken. Ich war wegen der politischen und wirtschaftlichen Einschränkungen aus der DDR abgehauen. Als es die nicht mehr gab, sah ich keinen Grund, noch länger in Bayern zu bleiben. Der Kapitalismus hatte gesiegt, und ich wollte einer der Ersten sein, die in Neuruppin etwas aufbauen, also fragte ich in meinem bayerischen Umfeld: »Was würdet ihr für ein Geschäft im Osten eröffnen? Womit verdient man am schnellsten viel Geld?« Ein Kollege zählte drei Punkte auf. Und was er sagte, veränderte alles, denn ich würde mich mein Leben lang daran halten: Automaten, Immobilien, Gastronomie. Ich dachte, okay, was kostet so ein Automat? 6000 D-Mark. Boah. Immobilien? Vergiss es. Gastronomie? Eine Imbissbude, das wäre doch was. Vater Kneipe, Sohn Imbiss. Zu der Zeit verkaufte in Hannover jemand einen komplett eingerichteten Imbisswagen für 12 000 D-Mark. Scheiße, 12 000 D-Mark, woher nehmen? Da meinte ein bayerischer Arbeitskollege, er bürge für mich bei der Sparkasse Knetzgau, ich solle mir das Teil holen. Nach einem Monat zahlte ich bereits das ganze Geld zurück. Zwei Wochen vor der Währungsunion am 1. Juli 1990 war ich wieder Neuruppiner, die Genehmigung lief reibungslos, und einen Tag vor der Währungsunion eröffneten wir unseren Imbisswagen auf dem Marktplatz. Ich holte meinen Kumpel Joschi mit an Bord, damit der Wagen in Doppelschichten laufen konnte. Am Vortag fuhren wir zur Metro nach Westberlin und packten die Autos voll mit Wurstwaren, Pommes, Süßkram, Zigaretten, Überraschungseiern, Getränken. In Vaters Kneipe brieten wir morgens um sechs die Buletten an, dann legten wir los. Wir dachten, hoffentlich kommt überhaupt jemand. Doch dann machten wir die Luke auf, und sofort rannten sie uns die Bude ein. Um zwei waren wir ausverkauft. Also gleich wieder los zur Metro und weiter. So haben wir von Anfang an ordentlich Umsatz gemacht. Pro Tag fünfhundert D-Mark Gewinn. Wir waren günstig, ein zweiter Imbisswagen um die Ecke wurde von uns unterboten. Die lokale Presse feierte uns als schlaue Jungunternehmer. Unsere Philosophie lautete: auf alles im Einkauf hundert Prozent. Ein Paar Wiener 1,50, ein Hamburger 2,80. Humane Preise. Große Büchsenbierdosen für zwei D-Mark. Wir waren die Ersten, die das legendäre Büchsenbier verkauften. Die Läden in Neuruppin waren noch voller DDR-Waren, die keiner mehr wollte, alle waren über Nacht dank der D-Mark zu Westlern geworden, was sollte man da noch mit dem ollen DDR-Zeug? Zu Imbisszeiten hatte ich zur Sicherheit im Flur eine Schrotflinte stehen, irgendwo gekauft. Munition war kein Problem, die Russen hatten bei ihrem Abzug viel verscheuert, später gab es über unsere Jugos eine Waffenschwemme, Bürgerkriegskram vom Balkan. Unser Imbiss hatte bis Mitternacht auf. Und dann wieder ab acht Uhr. Wir machten richtig Kohle und haben den Gewinn frühzeitig in Spielautomaten investiert. Die stellten wir in Kneipen auf und ließen das Automatengeschäft parallel wachsen. Jeder im Osten wollte schnell an richtig viel D-Mark kommen, wir versuchten es mit Glücksspiel. Pro Tag fünfhundert D-Mark Gewinn am Imbiss, mit einem alten Wartburg als Firmenwagen fingen wir an. Nach kurzer Zeit kauften wir einen kleinen VW-Bus 68er-Baujahr. Schnell fuhr dessen Motor fest, nach der Wende schwappte allerhand Schrott des Westens in den Osten, nicht nur im Automobilbereich. Komisch war, die Neuruppiner aßen nach wie vor am liebsten die bekannten Produkte wie Hackeklops oder Bockwurst. Sie tasteten sich nur langsam an den Westkram ran, der Neuruppiner war forschend. Unsere Hamburger Marke Eigenkreation waren aus richtig Fleisch vom Fleischer. In der Mikrowelle warmgemacht, Ketchup und Zwiebeln drauf, fertig – bloß nicht zu viel Gemüse, lieber mehr Fleisch! In den nächsten Monaten sind überall Imbisse entstanden. Man bekam im Sommer 1990 keinen Imbisswagen mehr zu kaufen, weil so viele auf dem Trip waren. Wir dagegen hatten unser Augenmerk auf Automaten gerichtet, weil damit mit weniger Aufwand gutes Geld zu verdienen war. Automat kaufen, Automat aufstellen, Strom einschalten, jeden Tag zum Abkassieren kommen. Wir lebten sehr sparsam. Aus Bayern hatte ich mir einen uralten Audi 80 mitgebracht, das war mein einziger Luxus. 1990, nachdem ich zum Urlauben nach Griechenland geflogen bin, konnte ich den Audi wegschmeißen, ein Kumpel hatte ihn sich ausgeliehen. Ich sagte: »Mann, ist ja an...