Willeford Schwarze Messe
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-927734-85-2
Verlag: PULP MASTER
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 20, 270 Seiten
Reihe: Pulp Master
ISBN: 978-3-927734-85-2
Verlag: PULP MASTER
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Merita war eine Göttin der Liebe, ein Luder, heilig und profan zugleich. Eine exotische Königin von goldbrauner Farbe, verführerisch wie ein Espresso macchiato aus edelsten Arabica Bohnen. Doch wer war ihr weißer Begleiter, der mit ihr im Anderson Hotel in Harlem eincheckte? War es wirklich Reverend Deuteronomy Springer? Der Pfarrer aus Jacksonville, Florida, der eigenartige Messen zelebrierte, sich in der Bürgerrechtsbewegung engagierte und seine schwarze Gemeinde zum Busboykott aufgerufen hatte? Wie auch immer, an der Rezeption trug sich Meritas Begleiter als William Johnson ein, und das wiederum war wohl eher eine Erfindung des erfolglosen Schriftstellers Sam Springer aus Miami. Aber Merita war keine Erfindung. Ihr war egal, wer er war, sie wollte ihn wirklich...
Charles Ray Willeford wurde 1919 in Little Rock, Arkansas, geboren. Als Vollwaise wuchs er bei seiner Großmutter auf, bis die Depression das Überleben nahezu unmöglich machte und er sich den Tausenden von »Road Kids' anschließen musste, die im Südwesten der USA von einem Obdachlosencamp zum anderen trampten. 1935 schummelte er bei der Altersangabe und heuerte bei der US-Army an, wo er es bis zum mehrfach ausgezeichneten Panzerkommandanten brachte. Nach dem Militärdienst begann er zu schreiben und veröffentlichte zahlreiche Pulp Originals. Der endgültige Durchbruch gelang ihm in den späten Achtzigern mit der Tetralogie um Hoke Moseley. Charles Willeford verstarb im März 1988.
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3 In den Vereinigten Staaten verlassen jährlich dreißig Prozent der Ehemänner ihre Frauen und gehen irgendwohin. Ein hoher Prozentsatz dieser flüchtigen Ehemänner kehrt zurück, zumeist jene, die Kinder haben. Sie vermissen ihre Kinder. Andere werden, wenn man sie aufgespürt hat, zwangsweise, per Gerichtsbeschluss, in den Schoß der Familie zurückbeordert. Nicht wenige besinnen sich, weil sie ihre Frauen entbehren oder erkennen, welche Fron es bedeutet, sich selbst um Wäsche, Mahlzeiten, Sex und so weiter kümmern zu müssen, während man allein in einem Zimmer hockt. Einige der abtrünnigen Ehemänner werden von Verwandten, Pfarrern und reuigen Ehefrauen überredet zurückzukehren. Viele jedoch verschwinden für immer. Für einen zu allem entschlossenen Mann ist es eine leichte Übung, in den Vereinigten Staaten unterzutauchen. Den ersten Schritt macht man, indem man sich in einen anderen Bundesstaat absetzt, vorzugsweise in eine größere Stadt. Der zweite Schritt besteht darin, sich einen neuen Namen zuzulegen und diese neue Identität offiziell bestätigen zu lassen. Hierfür lässt man sich am besten bei einem Sozialamt registrieren, um sich für den neuen Namen eine entsprechende Sozialversicherungsnummer zu verschaffen. Seitens des Sozialamtes werden keine Fragen gestellt und binnen weniger Tage hält man die neue Sozialversicherungskarte in den Händen. Nun ist der Führerschein an der Reihe. Obwohl unten auf der Sozialversicherungskarte ausdrücklich vermerkt ist, dass sie nicht der Legitimation dient, wird das Kraftfahrzeugamt die Karte in jedem Fall als Legitimation akzeptieren, sofern man dort überhaupt danach fragt. Mit der neu erworbenen Identität ist der Ehemann jetzt in der Lage, einen Job anzunehmen und zu arbeiten. Innerhalb weniger Monate ist sein Status in der neuen Stadt gefestigt und er kann eine ganze Tasche voller Karten haben: Persönliche Visitenkarten, Mitgliedskarten für den YMCA, den örtlichen Toastmasters Club, für Kiwanis, Boosters und das Fitness-Studio und — sollte er bei irgendeiner Bank über ein Sparkonto verfügen — auch eine Kreditkarte des Diner’s Club. Der Schlüssel zur erfolgreichen Flucht ist Entschlossenheit. Ein Ehemann auf Abwegen muss seine Frau, seine Kinder, seine Verwandten, seine Freunde, seine alten Kriegskameraden und sein früheres Leben wirklich hinter sich lassen wollen. Das ist nicht so leicht, und obwohl Statistiken besagen, dass jedes Jahr dreißig Prozent den Versuch unternehmen abzuhauen, schaffen es lediglich fünf Prozent auf Dauer. Zieht man jedoch die Zahl von fünfzig Millionen verheirateter Männer in den Vereinigten Staaten in Betracht, so sind fünf Prozent Ehemänner auf freiem Fuß eine ganze Menge. Aber meine Gedanken galten nicht den anderen, sondern ausschließlich mir. Und auf meiner Reise durch die dunkle Nacht Floridas analysierte ich meine Motive. Ganz sicher hatte es nicht in meiner Absicht gelegen, meine Frau zu verlassen, als ich eine einfache Fahrkarte nach Orangeville kaufte. Der Erwerb des Tickets war ein unbewusster Akt. »Geben Sie mir ein Ticket nach Orangeville«, hatte ich gesagt. Mehr nicht. Dennoch gab mir mein gesunder Menschenverstand zu verstehen, dass mein Lebensstil in Gefahr sei. Meine Entscheidung, Schriftsteller zu werden, hatte es mir ermöglicht, dem langweiligen, wenig einträglichen Job als Buchhalter in Columbus zu entkommen, der einem noch dazu das Leben vergällte. Umgeben von der friedlichen Atmosphäre meines Arbeitszimmers an jenem Morgen — um mich herum die Bücher aus der Leihbücherei, Magazine, Schreibblöcke und sorgfältig angespitzte Bleistifte —, hatte ich mich gezwungen gesehen, meine Gedanken darauf zu konzentrieren, Wege zu finden, um an Geld zu kommen, und der einzige mir bekannte Weg war der, als Buchhalter zu arbeiten. Was hatte ich in diesem Bus verloren, der Kurs nahm auf ein verschlafenes Nest in Florida, und was glaubte ich in einem kurz vor dem Ruin stehenden Kloster zu finden, das es wert sein könnte, dass ich darüber schrieb? Na was schon? Meiner Frau konnte ich etwas vormachen, aber wie hätte ich mir etwas vormachen können? Im Grunde verschwendete ich das bisschen Geld, das mir geblieben war, was mich wiederum der Notwendigkeit eines Vollzeitjobs so viel näher brachte. Ein ganzes Jahr lang hatte ich die Früchte meines Romandebüts genießen können. In der friedlichen Stille der Ocean Pine Terraces hatte ich die Ehemänner der Nachbarschaft beobachtet — am Morgen, wenn sie zur Arbeit fuhren, und am Abend, wenn sie heimkehrten. Ein kläglicher Haufen. Am frühen Abend, beim Sprengen meines Rasens, hatte ich verfolgt, wie sie ihre Autos abstellten, und ihnen freundlich zugewinkt. Sie taten mir Leid; obwohl ich mir der Missgunst und des Hasses der meisten von ihnen bewusst war, verstand ich ihre Empfindungen. Gefühle zu zeigen, darüber war ich als Schriftsteller erhaben, und ganz allmählich, als die Tage zu Wochen wurden und diese zu Monaten, verlor ich die Fähigkeit, überhaupt etwas zu empfinden. Besagtes Jahr hatte mich gelehrt, das zu erleben, zu sehen, zu genießen, glasklar zu erkennen, was in meinem Leben mir entgangen war, während ich mehr als zehn Jahre über Hauptbücher gebeugt bei der Tanfair Milk Company gearbeitet hatte. Anfänglich war mein Herz voller Mitgefühl für alles und jeden. Ich liebte sie alle. Wie hätte ich auch anders empfinden können? Doch ich sah keine Möglichkeit, Gefühle zu äußern, also zwang ich mich auch nicht dazu. Wie hätte ich meinem Nachbarn von nebenan, einem Vermögensverwalter der Citizen’s Bank, auch sagen sollen, wie sehr ich ihn bedauerte? Wenn ich sah, wie er auf seinen Stellplatz fuhr und mit einer prall gefüllten Aktentasche unter dem Arm aus seinem neuen Wagen stieg, quoll mein Herz über vor Mitleid mit diesem armen Burschen. Bis weit in die Nacht würde das Licht bei ihm brennen, während er über seinen Bankunterlagen brütete. Hätte ich ihm von dem leuchtend roten Kardinal berichten können, der jeden Morgen auf meinem Fensterbrett saß, erzählen sollen, wie schön der kleine Vogel war und wie sehr ich den putzigen Kerl vermisste, wenn er es einmal versäumte, mit Anwesenheit zu glänzen? Natürlich nicht. Das Einzige, was mein Bankernachbar und ich gemein hatten, waren die Bodenwanzen im Grün unseres Rasens! Ich kannte diese berufstätigen Männer. Schließlich war ich einer von ihnen gewesen und wusste nur zu gut, dass es reine Augenwischerei war, wenn sie glaubten, ihre Tätigkeiten seien von Belang. Im Laufe der Zeit blendete ich alle Überlegungen über meine Nachbarn aus und lebte ausschließlich in mir selbst. Ich brachte meine streunenden Gedanken zu Papier, Fetzen imaginärer Dialoge, ein paar Kurzgeschichten — und das Essay über D.H. Lawrence. Pro Woche las ich drei bis fünf Bücher aus der Stadtbücherei, Bücher, die ich zwar immer hatte lesen wollen, bisher aber nicht hatte lesen können, und ich las nochmals viele meiner Lieblingsbücher. Ein- oder zweimal die Woche fuhr ich an den Strand, lag entspannt im heißen Sand und genoss die subtropischen Strahlen einer hellen, liebenswürdigen Sonne. Allein schwamm ich hinaus, hinter die donnernde Brandung, trieb auf dem Rücken liegend dahin und fing die changierenden Töne des Himmels mit meinen Augen ein. Ich war angefüllt mit lebendiger Energie und mir der Schönheit jener Welt voll bewusst, die mir lange verschlossen geblieben war angesichts des unbeständigen Klimas in Columbus, das mir dicke, wollene Kleidung aufgezwungen hatte, ganz zu schweigen von den verdammten Krawatten und quälenden Kragen. Und zur Bestürzung meiner Frau war ich auch noch enthaltsam geworden. Wie viele Monate waren es gewesen? Ich zählte es an den Fingern ab — fünf Monate, eine lange Zeit ohne Sex. Aber es kümmerte mich nicht, der Gedanke an Sex ließ mich kalt — es war alles derart profan und obendrein unrein. Als Schriftsteller spielte sich mein Leben im Kopfe ab. Das genügte. Ich stieß einen Seufzer aus, ein qualvolles Geräusch aus den Tiefen meiner Brust. Dieser Ton weckte meinen Nebenmann, einen älteren Herrn in einem grauen bügelfreien Dacron-Anzug, und er starrte mich an. »Was ist los, Kumpel? Ist Ihnen schlecht?«, fragte er. »Nein«, antwortete ich wütend. »Ihnen etwa?« »Wenigstens mach ich keine Geräusche, als würde ich gleich das Zeitliche segnen.« Der alte Mann wandte den Kopf zur Seite und schlief weiter. Orangeville mit seinen 603 Einwohnern war keine reguläre Station auf der Strecke von Miami nach Jax, und bevor ich überhaupt realisierte, dass ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, war der Fahrer mit seinem großen Bus in die Gänge gekommen und bereits auf dem Highway. Meine Timex zeigte vier Uhr, und kein Anzeichen von Licht in dem Städtchen. Meine kleine Reisetasche zwischen den Beinen, blinzelte ich in die Dunkelheit und fragte mich, wo das Kloster liegen möge und wie ich es in dieser Finsternis finden solle. An einer dunklen Tankstelle bis zum Morgen zu warten, danach stand mir nun wirklich nicht der Sinn, außerdem brauchte ich dringend einen Kaffee. Etwa eine Meile entfernt waren wir an einer Save!-Tankstelle vorbeigefahren und ich machte mich auf den Weg zu dieser von Neonlicht erleuchteten Oase. Zumindest gäbe es dort einen Cola-Automaten und Licht und nicht zuletzt auch einen Angestellten, mit dem man quatschen konnte. Mit Blick auf den schwachen Verkehr wanderte ich am Rande des Highways...