Willeford Ketzerei in Orange
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-927734-86-9
Verlag: PULP MASTER
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 19, 270 Seiten
Reihe: Pulp Master
ISBN: 978-3-927734-86-9
Verlag: PULP MASTER
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Einbruch, Diebstahl, Brandstiftung: Dem selbstgefälligen Kunstkritiker James Figueras ist schier jedes Mittel recht, um seinen Namen als Koryphäe des Kunstbe triebes verewigen zu können. Als ihm der wohlhabende amerikanische Kunstsammler Cassidy ein Interview mit dem verscholle- nen, weltberühmten französischen Künstler Jacques Debierue in Aussicht stellt, der plötzlich im sumpfigen Süden Floridas wieder aufgetaucht sein soll, kann er der Versuchung nicht widerstehen, mit einem Handstreich zu unsterblichem Ruhm zu gelangen. Doch Cassidy vermittelt ihm diese Gelegenheit nicht aus reiner Nächstenliebe. Als Gegenleistung will er ein Gemälde von Debierue für seine Sammlung, und James Figueras soll es für ihn stehlen ... und wenn er dafür über Leichen gehen muss!
Charles Ray Willeford wurde 1919 in Little Rock, Arkansas, geboren. Als Vollwaise wuchs er bei seiner Großmutter auf, bis die Depression das Überleben nahezu unmöglich machte und er sich den Tausenden von »Road Kids' anschließen musste, die im Südwesten der USA von einem Obdachlosencamp zum anderen trampten. 1935 schummelte er bei der Altersangabe und heuerte bei der US-Army an, wo er es bis zum mehrfach ausgezeichneten Panzerkommandanten brachte. Nach dem Militärdienst begann er zu schreiben und veröffentlichte zahlreiche Pulp Originals. Der endgültige Durchbruch gelang ihm in den späten Achtzigern mit der Tetralogie um Hoke Moseley. Charles Willeford verstarb im März 1988.
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I Kapitel Zwei Gloria Bentham hatte nicht die blasseste Ahnung von Malerei, was sie aber nicht daran gehindert hatte, eine erfolgreiche Kunsthändlerin und Galeristin in Palm Beach zu werden. Sich zu behaupten und darüber hinaus noch ein wenig mehr als das zu schaffen, wenn während der Saison mehr als dreißig gewerbliche Galerien von morgens bis abends geöffnet waren, war keine schlechte Leistung, auch wenn die aufblühende Kunstbewegung der letzten Jahre es möglich gemacht hatte, beinahe jedes Kunstobjekt zu einem fast beliebigen Preis an den Mann zu bringen. Dennoch — Menschenkenntnis ist für einen Händler wichtiger als Kunstverständnis, und Gloria zeigte in ihrer feinfühligen, zurückhaltenden, unscheinbaren Art die Gabe, den Leuten geduldig zuzuhören — einen Wesenszug, der oft für Verständnis gehalten wird. Als ich auf der A1A Richtung Norden fuhr, von Miami nach Palm Beach, dachte ich an Gloria, um nicht an andere Dinge denken zu müssen, aber es befriedigte mich nicht sonderlich. Ich hatte mich für die längere, langsamere Strecke und gegen den Sunshine Parkway entschieden, um eine zusätzliche Stunde zu nutzen und meine Gedanken zu ordnen hinsichtlich dessen, was ich über die Malerei von Miami schreiben wollte, und ich wollte eine Stunde länger einem Problem — falls es noch ein Problem war — namens Berenice Hollis aus dem Weg gehen. Nichts ist einfach, und ich bin nur deshalb ein guter Kritiker, weil ich hinter das tiefe, dunkle Geheimnis der Kritik gekommen bin. Das Denken, der Prozess des Denkens und der Mensch, der denkt, sind ein und dasselbe. Und wenn das so ist — und ich führe mein Leben, als sei es so —, dann sind auch der Mensch, der malt, die Malerei und der Prozess des Malens ein und dasselbe. Nichts und niemand ist jemals einfach, und Gloria war geradezu versessen darauf, dass ich nach Palm Beach kam, um bei der Vernissage ihrer neuen Ausstellung dabei zu sein. Die Ausstellung war nicht wichtig, noch war die Idee einzigartig. Das Ganze war nur vernünftig. Sie veranstaltete eine Doppelausstellung: naive haitianische Malerei und die Arbeiten eines jungen Malers aus Cleveland namens Herb Westcott, der zwei Monate in Pétionville, Haiti, verbracht und die lokale Szenerie gemalt hatte. Der Kontrast würde Westcott schlecht und die Primitiven gut aussehen lassen, weil er Profi war und sie auf naive Weise unprofessionell waren. Gloria würde die Primitiven mit 600 Prozent Aufschlag auf den Einkaufspreis verkaufen, und selbst wenn die meisten Käufer die Bilder nach einer Woche zurückbrächten (nicht viele Leute können mit haitianischen Primitiven leben), würde sie immer noch einen Gewinn machen. Und in den Augen der Sammler, die naive Malerei nicht ausstehen konnten, würde Westcotts Handwerk gegenüber den Haitianern derart überlegen wirken, dass er in einer solchen Tandemausstellung zweifellos einige Bilder mehr verkaufen würde als in einer One-Man-Show ohne den Vorteil des Vergleichs. Indem ich an Gloria dachte, hatte ich für kurze Zeit vermieden, meine Gedanken Berenice Hollis zuzuwenden. Meine Lösung für das Problem Berenice war eine Art sanfter Overkill; einerseits hatte ich gehofft, es werde funktionieren, andererseits nicht. Sie war Englischlehrerin an einer High School (elfte Klasse) und kam aus Duluth, Minnesota. Sie war nach Palm Beach geflogen, um sich ein paar Wochen in der Sonne zu erholen, nachdem sie sich eine Zyste aus dem Kreuz hatte operieren lassen — keine ernste Operation, aber sie war für einige Zeit krankgeschrieben, und die nutzte sie. Ihre helle Haut war nach und nach safrangelb und dann golden wie Ahornsirup geworden. Die Narbe am Steißbein hatte sich von ihrer anfänglich wütend roten Farbe gräulich eingefärbt, um schließlich im Grau in Grau einer leicht runzligen Grisaille zu verblassen. Unsere Romanze hatte ähnliche Schattierungen und Nuancen angenommen. Ich hatte Berenice in der Four Arts Gallery kennen gelernt, wo ich über eine Toulouse-Lautrec-Wanderausstellung berichtet hatte, und sie wollte nicht wieder nach Duluth zurück. Das wäre für mich so weit in Ordnung gewesen (ich hätte niemanden in aller Aufrichtigkeit zur Rückkehr nach Duluth ermuntern können), aber ich hatte den Fehler begangen, sie bei mir einziehen zu lassen, eine törichte Entscheidung, die mir damals wie eine großartige Idee vorgekommen war. Sie war ein kräftiges Mädchen vom Lande — drall ist ein besseres Wort —, mit üppigreifen Formen, kornblumenblauen Augen und einer wilden, dunkelblonden Mähne, die sich über ihren Rücken ergoss. Abgesehen von der heftzweckengroßen Narbe über ihrem Steißbein, die man kaum bemerkte, war ihre sonnenwarme, süß duftende Haut makellos. Ihre blauen Augen hatten dank ihrer Kontaktlinsen einen samtigen Blick. Aber sie war nicht wirklich gutmütig, wie ich zuerst gedacht hatte, sondern nur faul. In meinem kleinen Apartment war kaum Platz für eine Person, geschweige denn für eine weitere, und Berenice breitete sich in alle Richtungen aus. Wer sie zum Ausgehen oder für eine Party angezogen sah, hätte nicht geglaubt, dass das Zusammenleben mit ihr ein derartiges Tohuwabohu bedeutete — Kleider verstreut über alle Sitzgelegenheiten, nasse Badetücher, Bikinis auf dem Fußboden, im Bad stank es nach Badesalz, Puder, Parfüm und Salben, eine kräftige Mischung, die so überwältigend war, dass ich mir beim Rasieren die Nase zuhalten musste. Der Zustand der Kochnische war noch schrecklicher. Niemals spülte sie Tassen, Töpfe, Teller oder Pfannen, und einmal erwischte ich sie dabei, wie sie das zerlassene Fett von Speck in den Abfluss schüttete. Mit der Schlamperei konnte ich leben. Doch das Hauptproblem bestand darin, dass Berenice ständig anwesend war und ich gleichzeitig in meinem Apartment schreiben musste. Es hatte meiner gesamten Überzeugungskraft bedurft, Tom Russel dazu zu überreden, dass ich während der Saison über die Gold Coast berichten durfte. (Die offizielle Saison in Palm Beach beginnt an Silvester mit einem langweiligen Dinnerball im Everglades Club und findet irgendwann um den 15. April herum ihr Ende.) Tom willigte schließlich ein, lehnte es jedoch ab, mir zusätzlich zu meinem Gehalt Spesen zu zahlen. Also musste ich in Palm Beach nicht nur mit meinem monatlichen Honorar auskommen, ich musste von meinen kargen Ersparnissen auch noch den Flug bezahlen (von den restlichen 250 Dollar kaufte ich mir ein Auto). Nur weil ich meine mietgebundene Bude im Village für das Doppelte vermieten konnte, kam ich zurecht. Gerade mal so. Ich arbeitete zweimal so hart und schrieb viel bessere Artikel als in New York, um Tom Russel davon zu überzeugen, dass die Gold Coast ein prosperierendes Zentrum amerikanischer Malerei war, das von den seriösen Kunstzeitschriften viel zu lange vernachlässigt worden war. Um ehrlich zu sein, war dem noch nicht so, doch es fanden sich stellenweise Anzeichen dafür, dass sich etwas bewegte. Floridas einheimische Maler reproduzierten immer noch das Klischee impressionistischer Palmen und Meerespanoramen, dennoch hatten genug angesehene Maler aus New York und Europa Florida inzwischen für sich entdeckt und stellten in Galerien von Jupiter Beach bis Miami aus. Somit gab es während der Saison hinreichend neue Ausstellungen, um meine Kolumne zu füllen, und mindestens ein bedeutender Maler zeigte seine Bilder lange genug, dass ich ihn mit einer meiner umfassenden Abhandlungen würdigen konnte. Während der Saison ist in Florida eine Menge Geld im Umlauf, und Maler stellen natürlich überall dort aus, wo das Geld bei potentiellen Käufern locker sitzt. Solange ich Berenice die ganze Zeit in dem winzigen Apartment um mich hatte, konnte ich nicht schreiben. Sie tappte barfuß umher, leise und verstohlen, wie es nur ein fast siebzig Kilogramm schweres Mäuschen zustande bringt — bis ich mich beschwerte. Dann setzte sie sich stillvergnügt irgendwohin, las nichts, tat nichts, sondern starrte mich nur liebevoll von hinten an, während ich vor meiner Hermes-Schreibmaschine saß. Ich hielt das nicht aus. »Worüber denkst du nach, Berenice?« »Über nichts.« »Doch, du denkst über mich nach.« »Nein, tu ich nicht. Los, schreib weiter. Ich stör dich nicht.« Aber sie störte mich doch, und ich konnte nicht schreiben. Ich hörte sie nicht einmal atmen, so leise war sie, aber ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich die Ohren spitzte, ob ich sie nicht doch hören konnte. Es bedurfte einiger Mühe, mich mental zu wappnen (denn im Grunde bin ich ein freundlicher Mistkerl), und schließlich bat ich Berenice in netter Form, sie möge verschwinden. Sie wollte nicht. Ein wenig später wurde ich garstig und mein Ton schroffer. Sie stritt nicht mit mir, aber sie war auch nicht bereit zu gehen. Bei solchen Gelegenheiten gab es ihrerseits nicht mal Widerspruch. Sie sah mich nur ernst an, mit weit geöffneten kornblumenblauen Augen, in denen die Kontaktlinsen ins Schwimmen gerieten, bis die unterdrückten Tränen flossen, während sie sich gleichzeitig bemühte, ihre mächtigen, atemlosen Schluchzer zurückzuhalten — und damit machte sie mich fertig. Für gewöhnlich verließ ich dann unwiderruflich die Wohnung, um ein paar Stunden später zur rituellen Versöhnung und einer wilden Nummer im Bett zurückzukehren. Aber ich schaffte meine Arbeit nicht. Arbeit ist wichtig für einen Mann. Nicht einmal die schöne Helena könnte mit einer Hermes-Schreibmaschine konkurrieren. So schön sie auch sein mag, eine Frau ist eben nur eine Frau, aber...