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E-Book

E-Book, Deutsch, 576 Seiten

Wilkerson Kaste

Die Ursprünge unseres Unbehagens. »Eine wirkungsmächtige neue Betrachtungsweise, um Identität und Ungerechtigkeit auf der Welt zu verstehen.« Time
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-910372-05-4
Verlag: Kjona Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Ursprünge unseres Unbehagens. »Eine wirkungsmächtige neue Betrachtungsweise, um Identität und Ungerechtigkeit auf der Welt zu verstehen.« Time

E-Book, Deutsch, 576 Seiten

ISBN: 978-3-910372-05-4
Verlag: Kjona Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



DAS Buch zur US-Wahl im November 2024: Rassismus, Sexismus, Klassismus sind Sprachen der Unterdrückung. Die Grammatik, die ihnen unsichtbar zugrunde liegt, ist das System der Kaste. In ihrer augenöffnenden Analyse legt die Historikerin und Journalistin Isabel Wilkerson den Blick frei auf eben dieses Regelwerk, nach dem wir entscheiden, wem in einer Gesellschaft Ressourcen und Respekt zugestanden werden - und wem nicht. Wilkerson betrachtet neben den USA die Kastensysteme Indiens und des Dritten Reichs. Sie zeigt, inwiefern selbst die privilegiertesten Menschen der westlichen Welt irgendwann einer benachteiligten Kaste angehören werden: der Kaste der Alten. Und sie erzählt eindrücklich aus dem eigenen Leben. Profund recherchiert, brillant geschrieben.

Isabel Wilkerson wurde als erste Schwarze Frau mit einem Pulitzer-Preis für Journalismus ausgezeichnet und leitete viele Jahre das Büro der New York Times in Chicago. Sie hat in Harvard und Princeton gelehrt und unterrichtet zurzeit an der Boston University.

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TEIL EINS TOXINE IM PERMAFROST UND RINGSUM STEIGENDE HITZE 1 Das Nachleben von Krankheitserregern Im gespenstischen Sommer von 2016 rollte eine ungewöhnliche Hitzewelle über die sibirische Tundra hinweg, gerade an den Grenzen dessen, was man einst »das Ende der Welt« nannte. Oberhalb des Polarkreises und weit entfernt von den tektonischen Platten, die in der amerikanischen Politik aufeinanderprallten, stieg die Temperatur unter der Erdoberfläche an, zusätzlich drückte die Hitze von oben auf die Erde, wobei die Luft auf der russischen Jamal-Halbinsel unvorstellbare 35 Grad Celsius erreichte. Waldbrände brachen aus und Methanblasen gurgelten unter dem gewöhnlich gefrorenen Boden der Polarregion. Bald erkrankten die Kinder der einheimischen Hirten an einer ihnen unbekannten Krankheit, die viele der Menschen sich nicht erklären konnten. Ein zwölfjähriger Junge bekam hohes Fieber und Magenschmerzen, dann verstarb er. Die russischen Behörden riefen den Notstand aus und begannen, Hunderte von erkrankten Kindern des Hirtenvolks der Nenzen in das nächstgelegene Krankenhaus in Salechard auszufliegen. Wissenschaftler fanden schließlich heraus, was die sibirischen Siedlungen befallen hatte. Die abnorme Hitze hatte sich viel tiefer als sonst in den russischen Permafrost hineingefressen und ein Giftgas freigesetzt, das seit 1941, während des letzten Weltkriegs, eingeschlossen gewesen war. Es handelte sich um einen Milzbranderreger, der vor Jahrzehnten ganze Rentierherden niedergerafft hatte und in den Tierkadavern verborgen lag, die tief im Permafrost schlummerten. In jenem Sommer war einer dieser verseuchten Kadaver an die Oberfläche gekommen, aufgetaut, und der Erreger war erwacht, geradeso intakt und kraftvoll wie eh und je.3 Die Sporen des Bakteriums verstreuten sich rasch über das Weideland, infizierten die Rentiere und sprangen auf die Hirten über, die die Tiere züchteten und von ihnen lebten. Der Milzbrand – wie die Reaktivierung der menschlichen Krankheitserreger des Hasses und des Tribalismus in diesem sich entspinnenden Jahrhundert – war niemals ausgestorben. Er hatte auf der Lauer gelegen, schlummernd, bis extreme Umstände ihn an die Oberfläche und zurück ins Leben beförderten. Am anderen Ende der Erde war die älteste und mächtigste Demokratie der Menschheit in Aufruhr wegen einer Wahl, die die westliche Welt lähmen und zu einem psychischen Bruch in der Geschichte der USA führen würde, der wahrscheinlich über Generationen hinweg analysiert und seziert werden wird. In jenem Sommer und bis in den Herbst hinein sowie in den darauffolgenden Jahren waren inmitten des Geredes über Einreisebeschränkungen für muslimische Menschen, über nasty women, Grenzmauern und über die Bezeichnung von Ländern als »Dreckslöcher« immer wieder dieselben ungläubigen Rufe zu vernehmen: »Das sind nicht die Vereinigten Staaten«, »Ich erkenne mein Land nicht wieder« oder »Das ist nicht, wer wir sind.« Allein, dies war und ist unser Land, und das war und ist, wer wir sind, ob wir es nun wussten und begriffen oder nicht. Die Temperatur stieg an – in der Arktis wie auch bei zufälligen Begegnungen in den USA. Im Spätsommer dieses Jahres war ein weißer Mann, ein Künstler in New York City, einem demokratischen Hafen in einem verlässlich blauen Bundesstaat, einer weißen Frau mittleren Alters in Brooklyn dabei behilflich, ihre Einkäufe in eine U-Bahn Richtung Coney Island zu tragen. Damals war es unmöglich, Gesprächen über Politik aus dem Weg zu gehen. Es war ein Wahlkampf, wie es ihn noch nie zuvor gegeben hatte. Zum ersten Mal in der Geschichte kandidierte eine Frau für das Amt der Präsidentin der Vereinigten Staaten. Die Kandidatin war weitläufig bekannt, eine nüchterne und nach Einschätzung einiger Kommentatoren überqualifizierte nationale Persönlichkeit, konventionell und besonnen, wenn auch für ihre Kritiker wenig inspirierend, mit einem sicheren Gespür für jede Politik und jede Krise, mit der sie sich würde befassen müssen. Ihr Gegenkandidat war ein ungestümer Milliardär, ein Reality-TV-Star, der dazu neigte, jeden zu beleidigen, der sich von ihm selbst unterschied, ein Mann, der nie ein öffentliches Amt bekleidet hatte und dem Experten nicht den Hauch einer Chance einräumten, die Vorwahlen seiner Partei zu gewinnen, geschweige denn die Wahl zur Präsidentschaft. Bevor der Wahlkampf beendet war, stellte der Kandidat der Kandidatin während einer Fernsehdebatte, die in alle Welt übertragen wurde, wie ein Stalker nach. Er prahlte damit, Frauen an den Genitalien zu berühren, machte sich über Menschen mit Behinderung lustig und rief zu Gewalt gegen die Presse und all diejenigen auf, die nicht seiner Meinung waren. Seine Anhängerinnen und Anhänger verhöhnten die Kandidatin und skandierten bei Massenkundgebungen, die der Milliardär anführte, sie solle verhaftet werden: »Lock her up!« Seine Äußerungen und Aktivitäten wurden als so derb empfunden, dass einigen Nachrichtenreportagen ein Warnhinweis für Erziehungsberechtigte vorangestellt wurde.4 Es handelte sich hier um einen Kandidaten, der »so offensichtlich nicht für den Job qualifiziert war«, schrieb der Guardian 2016, »dass seine Kandidatur eher wie ein böser Streich wirkte als eine ernsthafte Bewerbung um das Weiße Haus.«5 Oberflächlich betrachtet ging es nicht um das, was man in den USA gemeinhin als »race« bezeichnet. Sowohl die Kandidatin als auch der Kandidat waren weiß und gehörten der historisch dominanten Mehrheit des Landes an. Doch die Kandidatin vertrat die liberalere Partei, die sich aus einem Flickenteppich von Koalitionen zusammensetzte, die, grob gesagt, aus humanistisch gesinnten sowie marginalisierten Menschen bestanden. Der Kandidat vertrat die konservative Partei, die in den letzten Jahrzehnten als Behüterin einer alten Gesellschaftsordnung angesehen worden war und die vor allem die Interessen der weißen Wählenden vertrat. Die beiden waren so unterschiedlich wie zwei Himmelspole, und sie wurden von den Anhängern des jeweils anderen Lagers gleichermaßen verabscheut. Die Extreme dieses Wahlkampfes zwangen die US-amerikanische Bevölkerung, sich für eine Seite zu entscheiden und entweder ihre Loyalität zu erklären oder einen Weg zu finden, um sie herumzutänzeln. Als der Künstler aus Brooklyn an einem ganz gewöhnlichen Tag der älteren Frau beim Einkaufen zur Hand ging, wandte sie sich unaufgefordert an ihn, um zu erfahren, wem er seine Stimme geben werde. Der Künstler, der progressiv gesinnt war, sagte, er habe vor, die Demokratin zu wählen, die erfahrenere Kandidatin. Die ältere Frau mit den Lebensmitteln muss dies bereits geahnt haben, und seine Antwort passte ihr nicht. Wie Millionen anderer US-Amerikanerinnen und -Amerikaner, die zur historisch dominanten Mehrheit gehören, hatte sie sich von den unverblümten Appellen des nativistischen Milliardärs bezirzen lassen. Nur wenige Wochen zuvor hatte dieser gesagt, er könne jemanden auf der Fifth Avenue erschießen, und seine Anhänger würden ihn trotzdem wählen, derart ergeben seien sie ihm.6 Die mit Lebensmitteln überladene Frau war eine von ihnen. Im blauesten aller Blue States hatte sie seinen Ruf erhört und seine Botschaften verstanden. Sie nahm es auf sich, den Künstler auf den Irrtum seines Denkens hinzuweisen und ihn zu belehren, warum es dringend notwendig sei, dem Richtigen die Stimme zu geben. »Ja, ich weiß, dass er manchmal eine große Klappe hat«, räumte sie ein und näherte sich ihrem potenziellen Konvertiten. »Aber er wird uns wieder mächtig machen in der Welt.« Damals, noch vor den Debatten und den sich überschlagenden Enthüllungen, wurde dem Mann aus Brooklyn klar, dass ein Reality-TV-Star mit der geringsten Erfahrung von allen, die je für das Präsidentenamt kandidiert hatten, aller historischer Widrigkeiten und Schreckensbeispiele zum Trotz, der Führer der freien Welt werden könnte. Der Wahlkampf war zu mehr als einer politischen Rivalität geworden – es war ein existenzielles Ringen um die Vorherrschaft in einem Land, dessen demografische Strukturen sich gewandelt hatten. Menschen, die wie der Künstler aus Brooklyn und die Dame auf dem Weg nach Coney Island aussahen, deren Vorfahren aus Europa stammten, gehörten seit der Gründung der Republik zur historischen Mehrheit, zur dominierenden ethnischen Kaste in einer unausgesprochenen Hierarchie. Doch in den Jahren, die diesem Moment vorausgegangen waren, hatte sich im Radio und im Kabelfernsehen herumgesprochen, dass der Anteil der weißen Bevölkerung schrumpft. Im Sommer 2008, hatte das U. S. Census Bureau, das Volkszählungsamt, die Prognose ausgegeben, dass ab 2042 erstmals in der Geschichte der USA die Weißen nicht mehr die Mehrheit in einem Land bilden würden, das nie eine andere Konstellation gekannt hatte.7 Anschließend war im Herbst desselben Jahres, inmitten einer verheerend anmutenden Finanzkrise und wie um einen möglichen Niedergang der lange Zeit dominanten Kaste anzukündigen, ein Schwarzer, ein Mann aus der historisch untersten Kaste, zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden. Sein Aufstieg löste sowohl verfrühte Verkündungen einer Welt ohne Segregation als auch eine ganze Protestbewegung aus, die ihren einzigen Zweck darin sah, zu beweisen, dass der Präsident nicht in den USA geboren worden war, eine Kampagne, die von ebenjenem Milliardär angeführt wurde, der 2016 selbst für das Präsidentenamt kandidierte. Unter der Oberfläche war also ein leises Grollen zu vernehmen, Neuronen, die erregt waren durch die Aussicht auf einen gerechten Kämpfer für die dominante Kaste, ein Sprachrohr für ihre Ängste. Einige Leute sahen sich dadurch ermutigt. Ein...


Wilkerson, Isabel
Isabel Wilkerson wurde als erste Schwarze Frau mit einem Pulitzer-Preis für Journalismus ausgezeichnet und leitete viele Jahre das Büro der New York Times in Chicago. Sie hat in Harvard und Princeton gelehrt und unterrichtet zurzeit an der Boston University.

Wilm, Jan
Jan Wilm lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Frankfurt am Main. 2019 erschien sein Roman Winterjahrbuch, 2022 sein Freundschaftsbuch Ror.Wolf.Lesen. Zuletzt hat er Maggie Nelson, Arundhati Roy und Frank B. Wilderson III. ins Deutsche übertragen.

»Da ich mich selbst als lebendes Kastenexperiment in der Welt bewege, wollte ich die Hierarchien verstehen, die ich und viele Millionen anderer Menschen überwinden mussten und müssen, um unsere Arbeit und unsere Träume zu verwirklichen.« Isabel Wilkerson



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