• Neu
Wildberger | Die Philosophie der Stoa | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2972, 128 Seiten

Reihe: C.H.BECK Wissen

Wildberger Die Philosophie der Stoa


1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-406-83681-7
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 2972, 128 Seiten

Reihe: C.H.BECK Wissen

ISBN: 978-3-406-83681-7
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die zentralen Themen der stoischen Philosophie sind aktueller denn je: Was wirklich wichtig ist im Leben und was unerheblich; Freiheit und Selbstbestimmung in einer determinierten Welt; Gott als Macht der Rationalität und Liebe, der Menschen in einer globalen Gemeinschaft zusammenbringt; Pflicht und Tugend; Psychotherapie und Lebenshilfe. Anschaulich und kurzweilig erzählt Jula Wildberger die Erfolgsgeschichte der Stoa, die vor 2400 Jahren begann und bis heute unser Denken und Handeln prägt.

Jula Wildberger ist Professor Emerita of Classics an der American University of Paris und forscht seit vielen Jahren zum Stoizismus als philosophischer Theorie und sozialer Praktik.
Wildberger Die Philosophie der Stoa jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


2 Zenons neue Ideen


Was waren nun die neuen Ideen, die Zenon so viele Anhänger gewannen und bis heute weiterwirken? Es gelang ihm, die handfeste Radikalität der Kyniker mit einem einheitlichen, aber komplexen Weltbild zu verbinden. Wenn man damals Philosophen fragte, was das gute Leben sei, war die fast einhellige Meinung, dass es ein naturgemäßes (kata physin) sein müsse. Aber was heißt das denn? Grob gesagt ist eine Natur im damaligen Sinne etwas, das ein Ding zu dem macht, was es ist, und die von dem Ding selbst ausgehenden Veränderungen und Bewegungen verursacht. Das klingt jetzt sehr abstrakt. Hier ein Beispiel: Sie selbst haben auch so eine Natur und sind deswegen in der Lage, aus sich heraus bestimmte Bewegungen und Veränderungen zu starten, vom Wachsen Ihrer Fingernägel bis zum Führen hochgelehrter Gespräche. Diese Fähigkeiten sind ein Teil Ihrer Natur. Ein anderer ist, dass Sie bestimmte Motivationen und Bedürfnisse haben. Überlegen Sie mal, wie Sie Ihre Natur beschreiben würden. Was gehört dazu, was nicht? Hier schieden sich die Geister im hellenistischen Athen. Zenons Konkurrent Epikur zum Beispiel meinte, dass wir bei allem, was wir tun, letztlich immer nur auf eine einzige Sache abzielen, nämlich auf Lustempfindung. Aristoteles und die Platoniker sahen Menschennaturen als grundlegend gespalten an: in irrationale und rationale Anteile. Zenon selbst argumentierte, dass Menschen durch und durch rational seien. Pflanzen wachsen und vermehren sich; Tiere sind zu Sinneswahrnehmung und spontaner Bewegung fähig; Menschen können das alles auch, haben aber außerdem noch etwas anderes, nämlich logos, mit dem sie noch besser für sich sorgen können, und entsprechend ist für sie das naturgemäße Leben ein Leben, bei dem sie ihren logos benutzen und sich von ihm steuern lassen.

Wenn ich es mit einem einzigen deutschen Wort sagen müsste, würde ich logos mit «Sprache» übersetzen. Logos ist Sprechen und Denken (was die Stoiker als ein inneres Sprechen zu sich selbst verstanden). Wie Sprache setzt logos Begriffe voraus, die die Stoiker durch einen Prozess der Verallgemeinerung aus Sinneswahrnehmungen erklärten. Ein anderer Ausdruck für logos wäre «Vernunft». Aber logos umfasst mehr, auch das, was moderne Philosophen Verstand nennen, und eine Person mit logos kann – gerade wegen ihres logos – ausgesprochen unvernünftig sein. Eine perfekte Übersetzung gibt es nicht. Ich werde im Folgenden die Adjektive «rational» (= mit logos oder gemäß dem logos) und «irrational» (= ohne oder gegen den logos) gebrauchen und das entsprechende Substantiv «Ratio», was auch die lateinische Übersetzung für logos war.

Gut zu leben heißt für Zenon homologoumenos – in rationaler Übereinstimmung – leben. Leider gibt es keine Übereinstimmung darüber, was er damit gemeint hat, und es wird später noch einiges dazu zu sagen sein. Zwei Punkte sind aber ziemlich klar: Das griechische Wort bezeichnet die Art von Übereinstimmung im Denken und Meinen, wie sie bei Menschen vorkommt, und nur davon abgeleitet auch faktische Übereinstimmungen anderer Art. Und diese Übereinstimmung betrifft auch die eigene rationale Natur, dass eine Person nicht im Widerspruch zu ihrer eigenen Ratio steht, sondern sie gebraucht, anstatt nur zu vegetieren oder von Wahrnehmungen getriggert zu leben wie ein Tier.

In diesem Zusammenhang könnte Zenon den Terminus kathekon eingeführt haben, den ich ganz wörtlich mit «das Zukommende» übersetzen möchte. Bei Menschen ist es etwas, das «auf bestimmte Leute zukommt» (SVF I 230), also eben genau diese oder jene Person betrifft, zu ihr passt und für sie angemessen ist. Die Wahrnehmung von etwas als zukommend ist dasjenige, was Menschen und Tiere zu ihren Bewegungen motiviert. Bei rationalen Lebewesen ist das Zukommende etwas, «für das es, nachdem es getan wurde, eine gute rationale (eulogos)», also wohlbegründete, «Rechtfertigung gibt» (SVF I 230). Erst spätere Quellen sagen uns, wie Handeln genau funktioniert, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich das schon Zenon ungefähr so gedacht hat. Bevor ein rationales Lebewesen handelt, muss es erst einmal den entsprechenden Gedanken fassen. Es sagt zu sich selbst: «Es kommt mir zu, dies hier jetzt zu tun.» Die Handlung findet statt, wenn und solange die Person diesem Gedanken zustimmt. Auch diese Zustimmung (synkatathesis genannt) ist eine theoretische Neuerung, die auf Zenon zurückgehen muss und für die Stoa von größter Bedeutung ist. Denn in der Zustimmung liegt die uneingeschränkte Handlungsmacht des rationalen Lebewesens. Schon die Tatsache, dass aus Sinneswahrnehmungen ausformulierte rationale Gedanken werden, bereichert die Möglichkeiten zur Selbstbehauptung und Selbstgestaltung. Aber erst dadurch, dass das rationale Lebewesen seinen eigenen Gedanken auch manchmal nicht zustimmen kann, wird es autonom und für sich selbst voll verantwortlich.

Ein gutes Leben in rationaler Übereinstimmung, soll Zenon weiter erklärt haben, «ist ein Leben gemäß der Tugend (arete), denn zu ihr führt uns die Natur hin» (SVF I 179). Was immer sonst arete für Zenon war – wie für alle anderen Griechen bedeutete das Wort so etwas wie «optimale Beschaffenheit», beschreibt also bei einem Menschen, was ihn herausragend und vollkommen macht. Und hier sind wir wieder bei der Natur. Alles, was naturgemäß ist, ist ein Kandidat für Optimierung und somit für eine Tugend. Und die Optimierung konnte unterschiedliche Formen annehmen. Aristoteles kannte sogenannte «Gewohnheitstugenden» (ethikai aretai), die darin bestanden, dass die irrationalen Antriebe der Seele durch Erziehung und eine Art Selbstdressur nach rationalen Kriterien auf ein vernünftiges Maß reguliert sind: nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Die Gewohnheitstugend Tapferkeit zum Beispiel ist dann die Mitte zwischen den Extremen der Feigheit und der Tollkühnheit. Anders bei Zenon (SVF I 199, 202): Da die Natur von Menschen durch und durch rational ist, sind es auch ihre Tugenden. Sie sind Dispositionen zum vollkommenen Gebrauch der Ratio und befähigen zum richtigen Handeln durch richtiges Entscheiden darüber, ob dies hier, das zu tun der tugendhaften Person vorschwebt, tatsächlich zukommend für sie ist.

Genau dazu befähigt sie praktische Vernunft (phronesis), das Wissen darüber, was zu tun und was zu lassen ist. Für Zenon ist sie die grundlegendste aller Tugenden. Wie schon Platon unterschied er vier sogenannte Kardinaltugenden: neben praktischer Vernunft noch Tapferkeit (andreia), Selbstbeherrschung (sophrosyne) und Gerechtigkeit (dikaiosyne). Alle diese Tugenden sind Formen von Wissen (episteme), z.B. Tapferkeit das Wissen darüber, wem standzuhalten ist und wem nicht. Um aber zu wissen, welchen Dingen ich standhalten soll, muss ich erst einmal wissen, was überhaupt zu tun ist und was nicht. Deswegen konnte Zenon auch sagen, dass Tapferkeit praktische Vernunft in Bezug auf dasjenige sei, dem man standhalten soll. Und das ist eine weitere Eigenschaft von Zenons Tugenden, die wieder zeigt, dass er jeden Menschen als Einheit aufgefasst hat. Wer eine Tugend besitzt, hat alle. Nach Zenon kann es nicht sein, dass dieselbe Person selbstbeherrscht, aber zugleich ungerecht ist, eben weil alle Tugenden auf demselben Wissen beruhen.

Aber wer weiß denn schon immer, was zu tun ist und was nicht? Gibt es dieses wundersame Tugendwissen überhaupt? Zenon meinte, ja. Dazu führte er eine weitere theoretische Neuerung ein, das Erfassen (katalepsis). Philosophen seiner Zeit stellten sich Erkenntnis so vor, dass durch irgendeinen Stimulus, etwa einen Sinnesreiz, im Geist zunächst eine Erscheinung (phantasia) entsteht. Der Stimulus wirkt also nicht direkt, sondern wird verarbeitet, wobei auch mehrere Stimuli zu einer Erscheinung zusammengeführt werden können (wenn Sie zum Beispiel aufgrund des köstlichen Dufts, der goldenen Farbe, der runden Form und der ausströmenden Wärme die Erscheinung eines Bratapfels haben). Bei rationalen Lebewesen sind diese Erscheinungen rational, d.h. in Sprache und Begriffen ausgeformt (auch wenn ihnen das nicht immer...


Jula Wildberger ist Professor Emerita of Classics an der American University of Paris und forscht seit vielen Jahren zum Stoizismus als philosophischer Theorie und sozialer Praktik.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.