Wietersheim Immenhof Das Abenteuer eines Sommers
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-473-49143-8
Verlag: Ravensburger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, 296 Seiten
ISBN: 978-3-473-49143-8
Verlag: Ravensburger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
~ Eine wundervolle Geschichte von der Freundschaft zwischen Mensch und Tier ~
Die Schwestern Lou, Charlie und Emmie kämpfen um ihren Traum: die Rettung des Immenhofs – ihrem Zuhause! Das Gestüt steht kurz vor der Pleite und Lous Lieblingsstute Holly muss den Hof bereits verlassen. Als dann auch noch der hippe YouTuber Leon auftaucht, der auf Immenhof Sozialstunden ableisten soll, ist das Chaos perfekt!
Lou gibt alles, um ihre Stute zurückzubekommen und den Immenhof zu retten, wäre da nur nicht der gemeine Besitzer des Nachbargestüts ...
- Drei starke Schwestern kämpfen um ihren Traum
- Bietet alle großen Themen: Freundschaft, Liebe, Abenteuer
- Mit exklusiven Fotos aus dem Film!
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Kapitel 1
Tautropfen funkelten wie winzige Diamanten an den Spitzen der Grashalme. Über den weitläufigen Koppeln lag Stille, nur ab und zu zwitscherte ein Vogel. Die aufgehende Sonne tauchte die Wipfel der angrenzenden Bäume in ein weiches Licht.
Langsam erwachte der Immenhof zum Leben. Pferde streckten ihre Köpfe aus den Fenstern ihrer Boxen und wieherten erwartungsvoll, als Lou aus der Haustür trat. Mit schnellen Schritten eilte das Mädchen über den gepflasterten Innenhof. Ihr erstes Ziel war der alte Stall, das Zuhause der Islandponys.
Auf den ersten Blick wirkte der Immenhof herrschaftlich und romantisch. Neben dem riesigen Herrenhaus mit seinen Erkern und Türmchen gab es mehrere Nebengebäude, Stallungen und Scheunen, alle weiß gestrichen und rot gedeckt, teilweise mit hübschen Rundbögen und Sprossenfenstern. Der Innenhof war so groß, dass er Platz für eine kleine Koppel und einen gemauerten Brunnen bot. Die Zufahrt wurde begrenzt durch drei große alte Torbögen, vor denen Rosenbüsche wuchsen.
Erst bei genauerer Betrachtung wurde klar, dass der Hof seine besten Tage längst hinter sich hatte. Die Fensterläden des Herrenhauses waren ausgeblichen, manche hingen schief in den Angeln. Überall bröckelte der Putz, zwischen dem Pflaster spross Unkraut, auf den Dächern wuchs Moos. Ein uralter Anhänger parkte vor der Scheune, zusammen mit einem rostigen roten Pick-up. Ausrangierte Möbel und Werkzeuge waren notdürftig unter Vordächern verstaut.
All das fiel Lou schon gar nicht mehr auf. Auch der baufällige Isländerstall, an dem sich seit den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts wenig verändert hatte, störte sie nicht. Im Gegenteil, sie liebte das graue, angenagte Holz der Boxenwände, das diffuse Licht, das durch die morsche Tür und die kleinen Fenster fiel und die tanzenden Staubpartikel beleuchtete.
Die großen Boxen wurden nur mit Stangen zur Stallgasse abgetrennt. In einer Ecke schaukelte ein Traumfänger, dessen silbrige Fäden in den Sonnenstrahlen funkelten.
Lou lächelte. Diesen Moment liebte sie. Ein ganzer langer Tag auf dem Immenhof lag vor ihr.
Sie ging zu der Futtertruhe, in der ein paar halb leere Hafersäcke, Kleie und Mineralfutter lagerten. Getrocknete Kräuter hingen zu kleinen Sträußen gebündelt von der Decke. In dem Regal darunter befand sich ein Sammelsurium von Tiegeln und Bechern mit speziellen Futterzusätzen.
Lou holte Eimer hervor und begann das Futter für die 40 Pferde zuzubereiten. Eine Liste brauchte sie nicht, sie hatte genau im Kopf, wie viel und was jedes Pferd bekam.
Zwanzig Minuten später lief sie mit den Futtereimern zu den Großpferden im anderen Stalltrakt hinüber – und bekam prompt Gesellschaft. Krümel, das braun gescheckte ehemalige Zirkuspony, folgte ihr hungrig und stieß sie auffordernd mit der Nase an. Dicht dahinter trottete Mikro, das winzige schneeweiße Fohlen, das von Krümel adoptiert worden war.
Lou lachte und wuschelte zärtlich durch die dichten Ponymähnen. „Ihr bekommt am Schluss, das wisst ihr doch.“
Sie schlüpfte in den dämmrigen Stall und begann routiniert das Futter in die Krippen zu verteilen, begleitet vom aufgeregten Brummeln und Stampfen der Pferde.
Lou war unendlich dankbar, dass sie, Emmie und ihre große Schwester Charly nach dem Tod ihres Vaters auf dem Hof wohnen bleiben durften. Immenhof war ihr Leben! Lou liebte jedes einzelne Pferd hier, auch wenn einige alt, krank und gebrechlich waren. Ihr Vater hatte viele von ihnen vor dem Abdecker bewahrt. Auf dem Immenhof sollten sie in Ruhe und Frieden ihren Lebensabend genießen dürfen. Lou stand mit ganzem Herzen hinter der Idee ihres Vaters. Auch wenn ihr im Laufe der letzten Jahre klar geworden war: Für einen Gnadenhof brauchte man vor allem eins, und das war Geld.
Lou seufzte und schaufelte eine letzte Schippe Hafer in die Krippe von Magic, einem Ex-Rennpferd. Mittlerweile hatten die Schwestern echte Probleme, die monatlichen Rechnungen zu zahlen. Futter und Tierarzt verschlangen Unsummen. Weder Lou noch Charly oder Emmie wussten, wovon sie die nächste Heu- und Strohlieferung bezahlen sollten. In spätestens zwei Wochen musste ihnen etwas einfallen, sonst … Darüber wollte Lou gerade lieber nicht nachdenken.
Sie lief zurück und begann eine Spezialportion zuzubereiten. Konzentriert mischte sie Honig unter die Reste des Schwarzkümmelöls und gab vier Hände Hafer dazu. Kaum hatte sie sich umgedreht, kam Krümel anspaziert und tauchte ihre Nase ohne Umschweife in den Eimer.
„Du bist auf Diät, Fräulein“, schimpfte Lou und wedelte mit den Armen, um Krümel zu verscheuchen. Vergeblich. Ein ordentlicher Happen verschwand in dem gierigen Ponymaul.
Emmie bog mit zwei leeren Eimern auf die Stallgasse ein. Sie hatte ihre langen Haare zu zwei Zöpfen geflochten und eine Basecap aufgesetzt. Weil es heute wieder warm werden sollte, trug sie nur Shorts, eine kurze Bluse und dazu ihre ausgelatschten Lieblingsstiefel. Kopfschüttelnd beobachtete sie, wie Lou nacheinander die verschiedenen Dosen öffnete und mit einem Löffel Pulver und Pellets abmaß. „Was du da immer zusammenmixt!“ Sie stellte ihre Eimer ab. „Wie wär’s noch mit ein bisschen Krötenblut und Krähenfüßen?“
Seelenruhig rührte Lou in ihrer Spezialmischung. „Schwarzkümmelöl ist gut für die Atemwege.“
„Und Hafer für den Magen, ich weiß!“ Emmie inspizierte die Futtersäcke in der Kiste. „Der Hafer ist so gut wie aus. Wir müssen neuen bestellen!“
Lou erwiderte nichts.
„Eigentlich könnten wir in den Ferien doch länger schlafen, oder?“, wechselte Emmie das Thema. Schlafen war zurzeit ihr größtes Hobby. Wenn Lou sie nicht weckte, ratzte sie problemlos bis zehn oder elf.
Doch Lou hatte keine Lust, schon wieder darüber zu diskutieren. „Hast du die Isis gefüttert?“, wollte sie wissen. Es war Emmies Aufgabe, sich um die Isländerherde zu kümmern, die schon seit einer gefühlten Ewigkeit auf dem Immenhof lebte.
Ihre Schwester verdrehte die Augen. „Ja!“
„Und sind die Halfter geputzt?“
Emmie hob die Hände und schlängelte sie wie eine indische Tempeltänzerin durch die Luft. „Ich bin doch kein Oktopus!“
In der Tat. Sie war eher so was wie ein Murmeltier. Aber Lou verkniff sich eine Erwiderung.
„Du, Lou“, begann Emmie nach einer schweigsamen Minute. „Der neue Helfer … Was hat der eigentlich angestellt?“
Vor ein paar Wochen hatten sie erfahren, dass Immenhof einen neuen Stallburschen bekommen würde. Eigentlich super – nur dass der Typ kein richtiger Stallbursche war, sondern jemand, der Sozialstunden ableisten musste. Emmie wusste genau, was das hieß: Er hatte irgendein krummes Ding gedreht.
Lou nahm die beiden Eimer und lief zur Tür. „Er hat zu viel gefragt“, witzelte sie.
Emmie beeilte sich, ihrer Schwester zu folgen. „Aber was, wenn er ein Drogendealer ist – oder ein Mörder?“ Ihre Augen wurden vor Schreck kugelrund.
„Oder einer, der kleine Kinder verschleppt!“, äffte Lou sie nach.
Emmie warf ihr einen unsicheren Blick zu.
„Mir egal“, erwiderte sie schnell, „ich bin ja nicht mehr klein!“
Lou musste grinsen. Emmie versuchte immer, auf cool und erwachsen zu machen, aber die Fassade wackelte bei der kleinsten Erschütterung.
Die beiden überquerten den geschotterten Feldweg hinter dem Gut und erreichten die Koppel, die im Sommer die Heimat von Lous Stute Holly und Emmies Pony Goldie war. Auf dem Koppeltor hingen noch Sattel und Trense von Lous letztem Ausritt.
Emmie redete ohne Punkt und Komma weiter. Sie hatte nämlich im Internet recherchiert – und eine Menge interessante und ziemlich gruselige Dinge herausgefunden. „Weißt du eigentlich, dass achtzig Prozent aller Massenmörder Einzelkinder sind?“ Vor Entsetzen schüttelte sie so heftig den Kopf, dass ihre Zöpfe flogen. „Dass Charly immer solche Loser holt“, fügte sie noch hinzu, aber es klang eher erschüttert als empört.
Lou drehte sich zu ihr um. „Wir brauchen Hilfe, und er muss Sozialstunden ableisten, Zwerg.“ War doch eine ganz einfache Sache. Sie war froh, dass überhaupt jemand kam.
Emmie stemmte die Hände in die Hüften. „Nenn mich nicht Zwerg!“ Doch kaum hatte sie sich umgedreht und ihr Pony erspäht, wurde ihr Stimme zu einem hellen Flöten: „Hallo, Goldie.“ Mit beiden Händen strubbelte sie durch die Mähne und streichelte jeden Quadratzentimeter der kleinen Islandstute. Schließlich hatten sie sich die ganze Nacht nicht gesehen.
Lou rief leise nach Holly, einer schönen braunen Stute mit weißer Blesse. Doch die reagierte nicht. Statt Lou wie jeden Morgen freudig zu begrüßen, stand sie heute etwas abseits, den Blick in die Ferne gerichtet.
Seltsam, sonst war Holly morgens immer die Erste am Tor. Ohne ihr Pferd aus den Augen zu lassen, raschelte Lou mit dem Futter im Eimer, um die Stute zu locken. Doch selbst die Haferkörner konnten Holly nicht aus ihrer Erstarrung lösen. Irgendetwas dahinten beanspruchte ihre volle Aufmerksamkeit.
Goldie dagegen begrüßte ihre Reiterin mit ganzem Einsatz. Sie brummelte, tänzelte, und weil der Eimer nicht schnell genug parat stand, schnappte sie nach dem Schirm von Emmies Basecap und zog sie ihr vom Kopf.
„Hey, das gibt Punkteabzug in der Hab-dich-lieb-Wertung“, beschwerte sich Emmie, aber sie grinste dabei. Mit geübtem Griff wand sie die Mütze aus den Ponyzähnen, und kaum war Goldie das lästige Ding los, versenkte sie ihr Maul im...