E-Book, Deutsch, 220 Seiten
Wiedra So a G'schicht
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7557-9390-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Anthologie
E-Book, Deutsch, 220 Seiten
ISBN: 978-3-7557-9390-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Diese Anthologie enthält spannende Geschichten, deren Protagonisten entweder selbst die Autorinnen und Autoren sind oder Menschen aus ihrer Umgebung, aber auch fiktive Charaktere. Wir erzählen unsere Geschichten, wir schreiben, weil uns etwas dazu bewegt, weil wir anders einfach nicht können.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Eva Meloun
lebt als freischaffende Künstlerin in Wien. Farbe, Form und Sprache sind ihre Mittel, um die Welt im weitesten Sinne sichtbar zu machen. Die Auseinandersetzung mit Landschaft, abstrakten Bildinhalten und aktuellen Themen bilden den Hauptteil ihrer Arbeiten. Einzel- und Gruppenausstellungen in Europa, Asien und USA, Kinderbuch "Rosamunde". Veröffentliche Texte in Anthologien, Literaturzeitschriften Als ich den Christbaum stehlen ging Ich schrie. „Alles muss ich allein machen, an alles denken, alles organisieren, alles, alles allein machen! Und wenn Du EINMAL etwas tun sollst… ich habe Dich gebeten und immer wieder erinnert… Wenn du glaubst dass das so weiter geht...ich lass mich scheiden!“ Wütend knallte ich die Küchentüre zu. Mein Mann schrie mit überschlagender Stimme: „Weißt du eigentlich wie viel ich zu tun habe? Ich, ICH lass mich scheiden – es ist ja nicht zum Aushalten, immer diese Schreierei! Ich zieh’ aus!“ Ich schrie zurück: “Und komm niemals wieder - nicht einmal den Christbaum hast Du gekauft, nicht einmal das und das hast du mir hoch und heilig versprochen!“ Und ich schmetterte noch einmal die Küchentüre krachend zu. „Wenn hier jemand die Türe zuschmeißt, dann bin ich es“, schrie mein Mann und dann fiel auch die Türe zum Wohnzimmer zu. Putz fiel seitlich des Türrahmens herunter. Das war am 24. Dezember, ungefähr halb sechs Uhr am Weihnachtsabend. Seit Tagen lag Streit in der Luft. Sicher, ich war müde, eigentlich total erschöpft, weil ich seit Wochen für die Firma Überstunden machen musste. Neben den Anforderungen meines Chefs „ Weihnachten ist die wichtigste Zeit für die Firma“, bin ich diejenige die trotzdem immer - ich sage immer - auch bei unzumutbarer Belastung - bereit bin, friedlich zu bleiben. Aber das war zuviel: Dieser, mein Mann, war nicht bereit mir auch nur minimal zu helfen, alles soll ich allein, schnell und perfekt erledigen, die Geschenke, den Kauf des Christbaums und der Kerzen, den Karpfen für den Weihnachtsabend, den Schweinsbraten für den Christtag, das Essen für den 26. und, und und … Dieses Jahr hatte ich ihn gebeten den Kauf des Christbaumes zu übernehmen, denn ich musste noch in einer weitentfernten Zweigstelle etwas erledigen und wusste, dass ich spät nach Hause kommen würde. Mit zunehmender Lautstärke warfen wir uns jetzt alle nur möglichen Vorwürfe lautstark an den Kopf. Aus dem Zimmer meiner 14 jährigen Tochter tönte ohrenbetäubend laut Heavy Metal, so dass der Spiegel im Vorzimmer gegen die Wand schepperte. Ich schrie: „Mach die Musik leise!“ Die Türe zu ihrem Zimmer aufreißend steckte sie ihren dunklen Wuschelkopf ins Vorzimmer und schrie. „Besser ich werde taub, als eure Streitereien zu hören. Könnt ihr euch nicht vertragen, ich halte das nicht mehr aus“ und zu mir gewandt „Du hast ja noch nicht einmal gekocht ?!“ Und die Türe zuknallend verschwand sie wieder in ihrem Chaos. Ich stand wie versteinert im Vorzimmer, dann nahm ich langsam meinen Mantel, zog ihn an, nahm meine Haube und die Tasche, öffnete leise die Tür und verließ das Haus. Auf der Straße waren keine Menschen zu sehen, nur hin und wieder fuhr ein Auto eilig an mir vorbei und spritzte Schneematsch auf meinen Mantel. Ich ging, als hätte mir jemand auf den Kopf geschlagen, die Straße entlang weiter und weiter. In den hell erleuchteten Schaufenstern sah ich, wie festgefroren, glitzernde Weihnachtsdekoration, Festtagskleider und Geschenkartikel, Spielzeug, Sterne, Engel, mit und ohne Trompeten, Berge von bunten glänzenden Kugeln und Weihnachtsbäckereien. Dann kam ich an einem Kino vorbei. Ich war überrascht, dass am 24. Dezember abends noch ein Kino offen hatte. Welche Leute, dachte ich, schauen sich am Weihnachtsabend einen Film an? Aber, nach einigem Zögern ging ich hinein, löste eine Karte, ohne nach dem Programm zu schauen. Im Vorraum standen angeheitert, lautstark lachend, junge, sehr junge Burschen. Die Türe öffnete sich und ich suchte mir in dem dunklen leeren Saal einen Platz, möglich weit weg von diesen Jungen mit ihren Bierflaschen. Erschöpft und frustriert saß ich nun in diesem herunter gekommenen Kino und lies den Film und die ordinären Kommentare dieser Jugendlichen über mich ergehen. Es war der schrecklichste Film den ich jemals gesehen habe. Ein schlechter grauslicher Trickfilm, aber ich war so erschöpft, dass ich bis zum Ende sitzen blieb. Beim Weggehen sah ich die Burschen noch vor dem Kino auf der Straße herumstehen. Sie balgten sich aggressiv, lachten laut grölend über jeden ihrer ordinären Sprüche und überlegten lautstark wohin sie jetzt gehen könnten. „Hoffentlich haut mir keiner auf den Kopf und nimmt mir die Tasche weg“, dachte ich, denn außer mir konnte ich jetzt keinen Erwachsenen sehen. Die Straße war wie leergefegt. Plötzlich aber taten mir diese jungen, dünnen Gestalten in ihren schäbigen Hosen und Jacken furchtbar leid. Sollten sie nicht zuhause sein? In einer warmen Wohnung, um Weihnachten zu feiern? Ich rede nicht vom gemeinsamen Weihnachtslieder singen, aber von Karpfen oder Würstchen essen, von Geschenken und dem Geruch der abgebrannten Kerzen am Christbaum? Ich schaute auf die Uhr - es war 15 Minuten nach 22 Uhr - Weihnachtsabend! Ich dachte an meinen Mann und meine Tochter zu Hause und die Sehnsucht nach einem schönen, gemütlichen Weihnachtsabend, mit Christbaum und Kerzen überkam mich mit plötzlicher Heftigkeit. Entschlossen ging ich die Straße zurück, dann bog ich rechts in die nächste Gasse ein. Da, neben der Tankstelle war seit Jahren immer ein Christbaumstandplatz. Ich ging schnell und zuversichtlich, aber angekommen musste ich sehen, dass niemand mehr anwesend war. Die Christbäume waren auf einen Haufen geworfen und rundherum war der Platz mit einem Maschenzaun gesichert. Dann erinnerte ich mich – drei Straßen weiter, bei dem kleinen Park gab es jedes Jahr auch Christbäume. Jetzt rannte ich fast. Außer Atem stand ich aber dann wieder vor einem aufgetürmten Berg von Bäumen, die ebenfalls mit grünem Nylonmaschenzaun eingezäunt waren. Sinnloser weise rief ich „Hallo, ist da jemand?“ Stille. – weit und breit niemand. Lange stand ich zutiefst frustriert vor dem Zaun. Weihnachten ohne Christbaum? Ich weiß, es gibt Menschen, die legen zu Weihnachten einen Tannenzweig und eine Kerze auf den Tisch und das genügt ihnen. Aber ich bin ein Weihnachtsfan und ich will einen Christbaum haben! So wie ich das seit meiner Kindheit jedes Jahr erlebe! Wir wissen, gute Menschen - und zähle mich dazu - sind nicht NUR gut und anständig. Sonst wären sie Heilige. Da ich also keine Heilige bin, zog ich jetzt die Maschen des Zaunes etwas auseinander, griff nach dem Stamm eines kleinen Christbaumes, den ich gerade erreichen konnte und versuchte ihn durch diese winzige Öffnung heraus zu ziehen. Bei diesem Gewaltakt verlor der Baum den Großteil seiner Äste. Als ich ihn dann vor mir sah, musste ich an ein halb gerupftes Huhn denken. Ich fischte also noch nach ein paar losen Ästen, legte alles auf den Boden, kramte in meiner Handtasche nach einem Zettel und einem Kuli und schrieb auf den Zettel mit großen Buchstaben: Leider habe ich am 24, in der Nacht noch einen kleinen Christbaum stehlen müssen. Es war dringend notwendig. Bitte rufen Sie mich an, ich werde ihn bezahlen. Dazu schrieb ich meine Telefonnummer dick unterstrichen. Diesen Zettel steckte ich sorgsam in das Maschengitter und ging mit schlechtem Gewissen aber beschwingt samt meiner Beute nach Hause. Mit einem beklommenen Gefühl läutete ich schließlich ankündigend an unserer Wohnungstür. Mein Mann öffnete: „Gut dass Du da bist, wir haben auf dich gewartet“ sagte er sehr lieb - ich betone – sehr lieb - und zugleich stieg mir der Geruch von gebratenem Karpfen in die Nase. Ihr werdet es nicht glauben, aber meine Tochter hatte den Fisch entgrätet, paniert und ins Rohr geschoben. Sofort machten wir drei uns daran aus dem zerflederten Bäumchen einen Christbaum zu zaubern, steckten ihn in die Halterung und befestigten mit Drähten und Nägeln die losen Zweige am Stamm, so dass er dann wirklich wie ein dichter, strammer kleiner Baum aussah. Wir schmückten ihn mit den halb abgebrannten Kerzen vom Vorjahr, bunten Kugeln und glitzernden goldenen Girlanden, so dass er schließlich dem Bild eines absolut perfekten Weihnachtsbaumes entsprach. Und so wurden es doch noch wunderschöne und vor allem friedliche Weihnachten. Wir stießen mit unseren Gläsern an, wünschten uns alles Gute, aßen den Karpfen mit Salat und hörten nebenbei Weihnachtslieder. Nein, gesungen haben wir nicht. Das hätten wir uns gegenseitig nicht zugemutet. Um halb fünf Uhr früh gingen wir dann glücklich ins Bett. Im Halbschlaf dachte ich noch an den Zettel im Maschenzaun und an die jungen Burschen. Ich wünschte ihnen von...