E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Wiedemann Fuck you, Kita!
13001. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8437-0660-5
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine unglaublich wahre Geschichte
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0660-5
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Anna Wiedemann kennt sich als Lehrerin eigentlich mit pädagogischen Herausforderungen aus. Doch keine Schule der Welt konnte sie auf die Suche nach einem Kita-Platz vorbereiten.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
3
Die unendliche Suche (Anna)
Die kleinen blauen Robben auf den weißen, großen Umzugsautos, die artistisch einen Ball auf ihrer Schnauze balancieren, prägen das Straßenbild in unserem Bezirk. Umziehen ist hier für viele ein Sport, kein notwendiges Übel wie für uns. Einige unserer Freunde sind öfter umgezogen, als sie Jahre in Berlin wohnen. Auch unsere Straße blockiert fast jeden Tag so ein weißer Kastenwagen mit artistischem Flossenfüßler als Logo. Irgendjemand zieht um, ein oder aus. Unsere beiden bisherigen Umzüge haben wir selbstredend auch mit einer »Robbe« gestaltet. Allerdings zählen wir eher zur sesshaften Gattung mit zwei läppischen Umzügen in acht Jahren. Der eine raus aus unseren WGs, rein in die erste gemeinsame Zweiraumwohnung. Vier Jahre später, nun zu dritt, in unsere jetzige Dreiraumwohnung, die noch dazu schräg gegenüber der alten liegt.
Meine Freundin Frederike, ein Urberliner Pflänzchen, hörte schon zu meiner Zeit als Noch-nicht-Berlinerin voller Begeisterung die Band 2Raumwohnung. Ich erinnere mich, dass ich mich immer über diesen eigentümlichen Bandnamen gewundert habe, schließlich kannte ich nur den Begriff Zweizimmerwohnung. Erst als ich nach Berlin zog, begriff ich, dass es sich hierbei keineswegs um einen antiquierten oder gar falschen Begriff handelt. »Suche Zweiraumwohnung, Altbau mit Balkon und Dielen …« oder ähnliche Gesuche hängen hier an jeder zweiten Fußgängerampel. Als ich einige Wochen nach Gustavs Geburt mit der Suche nach einem Kita-Platz begann, hing folgender Zettel an einem Spielplatzzaun: »Der kleine Emil ist ganz traurig, denn er sucht seinen Schmusehasen. Wenn du ihn gefunden hast, melde dich doch bitte bei mir.« Dazu gab es noch eine Telefonnummer und eine Zeichnung vom Schmusehasen des kleinen Emil. Gut, dass im Text die Tierart genannt wird, dachte ich noch. Sonst hätte der Emil kaum eine Chance auf ein Wiedersehen mit seinem kuscheligen Freund gehabt. Während ich noch so den Hasen betrachtete, fiel mein Blick auf einen bunten Zettel gleich neben dem vom kleinen Emil: »Suchen noch ein Mädchen über vier Jahre für unsere Kita Sonnenblume«. Ich hatte zwar kein vierjähriges Kind, geschweige denn ein Mädchen, aber das Thema Kita-Suche trieb mich bereits damals um.
Unsere Freunde mit Kindern hatten uns gewarnt: »Kümmert euch schon vor der Geburt um einen Platz! Besucht Infonachmittage! Lasst euch schon mal auf alle Wartelisten setzen!« Wir hatten die Ratschläge gehört, aber es fühlte sich für uns falsch an, den Namen unseres Kindes noch vor seiner Geburt auf irgendwelche Listen setzen zu lassen. Welchen Namen hätten wir denn auch angeben sollen? »XY Wiedemann«, denn zumindest das Geschlecht war uns ja bereits bekannt? Hört sich nicht nach einem lebendigen Menschen an, fanden wir. Wir wollten den kleinen Mann erst einmal selbst kennenlernen, bevor wir Kennenlern-Nachmittage in seinem Namen besuchten. So dachten nicht viele, dämmerte es mir langsam. Denn auf allen Informationsveranstaltungen nach Gustavs Geburt bekam ich Folgendes zu hören: »Sie können sich gern auf die Warteliste setzen lassen, die Aussicht auf einen Platz ist aber schlecht.«
So ging ich also vor wie all die Mütter und Väter, die noch keinen Kita-Platz ergattert hatten: Ich setzte Gustav auf diverse Wartelisten, einmal wurde er als Wartenummer 631 geführt. Hoffnungslos bescheuert!
Wir meinten damals, wir hätten noch genügend Zeit und dass sich sicherlich rechtzeitig etwas ergeben würde. Es ergab sich aber nichts. Und die Zeit lief uns auch davon.
Vielleicht ergab sich auch deshalb nichts, weil wir nach diesen ersten Anmeldungen nur selten nachgehakt oder uns wirklich noch bemüht hatten. Stattdessen wollten wir ein halbes Jahr bevor Gustav eine Kita besuchen sollte, die Suche wieder aufnehmen. Damals ahnten wir ja noch nichts von meinem plötzlichen Wiedereinstieg in die Schule. Vier Monate früher als gedacht! Unsere Ignoranz rächte sich, nämlich genau jetzt. Nach meiner Jobzusage reichen uns keine Wartelisteneinträge mehr, ein tatsächlicher Platz in der Kita muss her. Und zwar schnell.
So finde ich mich mit einer langen Excel-Liste am Küchentisch wieder und telefoniere die Kitas ab, auf deren Wartelisten wir uns vor gut einem Jahr eingetragen hatten. Da stehen Waldorf- und Waldkindergärten, Kitas mit Bewegungs- und/oder Musikschwerpunkt, sportbetonte Kindergärten, private sowie staatliche. Der Mensch neigt dazu, für gut Empfundenes verlängern oder wiederholen zu wollen. So wünsche ich mir für Gustav eine ebenso glückliche Kindergartenzeit wie meine eigene. Das Schöne an kleinen Kindern ist ja: Man darf noch allerlei Dinge für sie entscheiden. Das hört allerdings schneller auf, als einem lieb ist. Gustav wusste zum Beispiel schon nach wenigen Tagen, dass er nicht in seinem eigenen Bett schlafen will. Tagsüber nicht. Und nachts schon gar nicht. Schläfchen für Schläfchen schlich er sich in unser Bett – und ist geblieben. Anfangs haben wir noch versucht, ihn davon abzubringen, indem wir ihn stundenlang herumgeschleppt haben, damit er wieder einschläft. Wir haben schnell kapituliert. Unsere Müdigkeit war einfach zu groß. So hat er gewonnen. Aber es fühlt sich gar nicht wie eine verlorene Schlacht an. Und ich kann schließlich auch am besten schlafen, wenn ich Daniels Atem neben mir höre und seine Wärme spüre.
Zehn erfolglose Telefongespräche bringen mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Von Gespräch zu Gespräch schwinden meine Hoffnungen, überhaupt jemals einen Kita-Platz für Gustav zu finden. Manche Kitas konnten nicht einmal unseren Eintrag auf der Warteliste wiederfinden.
»Ich sehe Ihren Namen hier nirgends. Sind Sie sich denn wirklich sicher, dass Sie sich bei uns angemeldet haben?«
»Ja, selbstverständlich, das ist jetzt etwas über ein Jahr her. Mein Sohn war damals erst wenige Wochen alt.«
»Ach so, so lange ist das her! Wir haben jetzt schon wieder eine neue Liste. Die haben wir angefangen, als die alte Liste voll war. Wir hätten sowieso nicht alle unterbringen können.«
Welchen Sinn erfüllt so eine Warteliste dann eigentlich? Nach weiteren fünfzehn Telefonaten stehe ich auf neuen Wartelisten und bin zu Rundgängen durch diverse Kitas eingeladen, doch von einem Kita-Platz so weit entfernt wie nie zuvor. Ich blicke in das Bettchen neben mir. Darin liegt der kleine Gustav, und von dem Gedanken, ihn in wenigen Wochen in eine dieser Wartelisten-Kitas zu geben, bin ich gefühlsmäßig so weit entfernt wie der Mond von der Erde.
Eine Bekannte aus dem Geburtsvorbereitungskurs ist nach dem Motto verfahren »Weniger, dafür besser«. Auf ihrer Liste standen nur fünf Kitas in ihrem direkten Wohnumfeld, die sie gezielt nach deren pädagogischem Konzept ausgesucht hatte. Diese fünf Kitas hat sie dann wöchentlich kontaktiert, Sommerfeste, Informations- und Kennenlern-Nachmittage besucht – sie war also genauso oft in der Kita anwesend wie die Eltern, deren Kinder bereits dort betreut wurden. Für den Waldorfkindergarten, der auf ihrer kurzen Liste ganz oben stand, hat sie sogar ein Daumenkino gebastelt mit niedlichen Bildern ihrer Tochter. Sie hat eine Absage bekommen. Vielleicht hätte sie lieber ein Schaf gehäkelt. Oder noch besser: ihre kleine Tochter häkeln lassen.
Verzweiflung, Sarkasmus und Verlust der eigenen Persönlichkeit liegen häufig nah beieinander. Eine lockere Authentizität weicht angespannter Selbstdarstellung. Anstelle selbstbewusst genug zu sein, mit einem schlechtgelaunten, schreienden Kind eine potentielle Kita zu betreten, bin ich den ganzen Morgen über mit Vorbereitungen beschäftigt, damit der Termin um zwölf Uhr gut über die Bühne geht. Wie eine Wilde schiebe ich meinen Sohn rechtzeitig im Kinderwagen um die Häuser, damit er seinen Mittagsschlaf früher hält als sonst und während des Gesprächs entweder schläft oder als kleines Engelchen auf meinem Schoß sitzt.
Der Termin in der Kita liegt eher ungünstig in unserem mittlerweile getakteten Tagesablauf. Schläfchen am Morgen, Spielen und Kuscheln, Mittagessen, danach wieder ein Schläfchen, Spaziergang oder Treffen mit Freunden, Abendessen, Nachtschlaf – mit fünf Unterbrechungen. Dann schließt sich der Kreis und alles beginnt von vorne. An manchen Tagen ist das sehr schön, an anderen eher monoton, langweilig und ich möchte am liebsten ausbrechen. Einfach mal ausschlafen, lesen, alleine spazieren gehen, mit Daniel Zeit verbringen, ohne dass einer den Knirps auf dem Schoß hat, mit Freundinnen in Ruhe Kaffee trinken und quatschen. Nicht über Brei, Schlafen, Rotznase nachdenken.
Natürlich ist Gustav nicht eingeschlafen. Er ist wirklich schlau, der kleine Kerl. Je größer mein Wunsch, dass er pünktlich einschläft, desto schlechter klappt es. Er hat ein Antennchen für meine Stimmung. Heute stehen alle Zeichen auf Anspannung, nicht nur bei mir. Also erscheine ich mit einem völlig übermüdeten Gustav zum Termin. Noch brüllt er Gott sei Dank nicht. Ich habe ihn unter den einen Arm geklemmt und versuche einhändig den Kinderwagen die drei Stufen bis zum Eingang hinaufzubugsieren. Sich um die eigene Achse drehende Vorderräder sind nicht in allen Situationen sinnvoll. Wenigstens die Leute im Café nebenan haben etwas zu gucken. Oben angekommen, fallen mir fast die Arme ab und der kleine Mann hängt schief eingekeilt zwischen Arm und Oberkörper. Jetzt nur noch den Termin rumkriegen. Im Moment hält sich meine Lust aufs Präsentieren stark in Grenzen. Ich atme ein paar Mal tief ein und aus und spreche mir Mut zu.
Und dann: Augen zu und durch. Ich öffne die Eingangstür. Dabei rede ich mir ein, dass die Erzieher schließlich am allerbesten wissen...