E-Book, Deutsch, 252 Seiten
Widmer Achtsame Selbstentwicklung
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-347-79763-5
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Perspektiven, die alles verändern - innere Ressourcen aufbauen, um durch die herausfordernde Zeit zu navigieren in der wir heute leben
E-Book, Deutsch, 252 Seiten
ISBN: 978-3-347-79763-5
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. phil. Peter Widmer, Philosoph, Zenlehrer (Sensei) und Autor Als Zen-Lehrer, der über den Zen-Tellerrand hinweg schaut und sich auch in anderen buddhistischen Traditionen und der Achtsamkeitsbewegung beheimatet fühlt, interessiere ich mich seit vielen Jahren für Entwicklungspsychologie und die Frage: wie können wir tragfähige Brücken schlagen zwischen Meditation, Achtsamkeit im Alltag und unserer individuellen und kollektiven Entwicklung? Selbständig als Zenlehrer und Seminarleiter seit 2005, davor wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten im Fachbereich Philosophie zu Themen der Spiritualität. Diverse Weiterbildungen in verschiedensten Therapieformen, insbesondere Teilpersönlichkeitsarbeit sowie Entwicklungspychologie. Zertifizierter Auswerter und Coach mit dem integralen Satzergänzungstest und Partner von Cook-Greuter & Partner, einer international tätigen Beratungsfirma im Bereich Erwachsenen- und Führungskräfteentwicklung. www.zen-integral.com www.achtsameselbstentwicklung.org Weiterführende Übungen zu diesem Buch unter: www.zen-integral.com/ressourcen
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Persönlichkeitsanteile entwickeln sich
Was sind Persönlichkeitsanteile?
„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust.“ (Goethe, Faust)
„Jeder Mensch ist eine kleine Gesellschaft.“ (Novalis, Blütenstaub)
Anstelle von Persönlichkeitsanteilen kann man synonym von inneren Zuständen, Tendenzen, Seiten, Haltungen, Teilen oder Teilpersönlichkeiten sprechen. Persönlichkeitsanteile können auch als unterschiedliche Rollen verstanden werden, die Menschen je nach Situation und Kontext „spielen“.
Unsere inneren Zustände ändern sich laufend und es macht einen Unterschied, ob wir mit unserem Partner, unserer Chefin oder unseren Kindern zusammen sind, ob wir Sport treiben, für eine Prüfung lernen oder uns verlieben. Wer kennt die folgenden Anteile, Seiten oder eben inneren Zustände in sich nicht: z. B. den „inneren Antreiber“, der uns zu Leistung anspornt, die „innere Perfektionistin“, der nichts gut genug sein kann, den „Teil, der vor anderen gut dastehen will“ und es am liebsten allen recht machen möchte oder den „Teil, der sich verantwortlich fühlt“ für die Erledigung von Aufgaben oder für andere Menschen. Letzteren gegenüber steht oft das „Lustprinzip“, d. h. ein Teil, der nach Lust und Laune machen möchte, was er gerade will, egal, was die anderen denken, und ohne in die Zukunft zu schauen oder sich um andere zu kümmern. Solche Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen. Interessanterweise hat jede Teilpersönlichkeit…
• ihre individuelle Entwicklungsgeschichte
Wenn wir uns mit Persönlichkeitsanteilen beschäftigen, dann erkennen wir nicht bloß einen Persönlichkeitsteil, auch nicht nur „zwei Seelen in unserer Brust“, sondern „eine kleine Gesellschaft“ von Teilen in uns. Dieses System der Anteile organisiert sich in „inneren Teams“ (Schulz von Thun), deren Teammitglieder sich gegenseitig unterstützen oder miteinander zanken und in Konflikt stehen. Anstelle eines inneren Teams kann man auch von einem „inneren Familiensystem“ (Richard Schwarz) oder einem „inneren Orchester“ sprechen. In der Arbeit mit Anteilen geht es darum, dass der „Dirigent“ unseres Orchesters – mit anderen Worten, unser SELBST – immer wieder von neuem entsteht, indem wir uns von unseren Anteilen desidentifizieren.
Ein Beispiel für ein Teileteam: Eine Lehrerin benötigt für ihre Klasse einen planenden, vorausschauenden Ordnungsteil, welcher für einen strukturierten Unterricht sorgt. Sie braucht aber auch einen Teil, welcher einfühlsam, herzlich, verständnisvoll und sozialkompetent ist, welcher auch mal „Nein!“ sagen, Grenzen setzen und etwas fordern kann. Und sie benötigt vielleicht noch einen humorvollen Teil, welcher für Überraschung, Lebendigkeit und Leichtigkeit im Unterricht sorgt.
In diesem kleinen Beispiel wird deutlich, dass drei verschiedene Teile ein Team bilden und sich untereinander abwechseln, damit die Lehrerin ihrer Rolle gerecht werden kann.
Wie kann man Persönlichkeitsanteile bei sich erkennen?
Im Coaching finde ich gemeinsam mit dem Klienten passende Namen für Teilpersönlichkeiten. „Passend“ bedeutet: Die Namen müssen für den Klienten stimmen, zur Situation passen, die er genauer betrachten möchte. Sie sollten nicht abwertend oder negativ, sondern möglichst wertfrei sein, sodass der Klient den Teil wertschätzen kann. Wenn wir Persönlichkeitsanteile als „den inneren Feind in meinem Kopf“, den „Selbstsaboteur“, den „faulen Sack“ und dergl. bezeichnen, ist es schwierig, sie wertschätzen zu können. Dann wollen wir sie eher loswerden. In der Arbeit mit Teilen gehen wir jedoch davon aus, dass jede Tendenz in uns ursprünglich zu Anpassungszwecken entstanden ist, um erfolgreich mit Situationen und Menschen umgehen zu können. Jeder Teil hat daher ursprünglich ein „Geschenk“ resp. eine gute Absicht – auch wenn diese vielleicht auf den ersten Blick nicht erkennbar ist.
Teilpersönlichkeiten sind Konstrukte, die uns über uns selbst Klarheit verschaffen und uns neue Möglichkeiten, Ressourcen und Lösungen für einen gelingenden Alltag und unser persönliches Wachstum aufzeigen können. Die Zahl von Persönlichkeitsanteilen ist daher grundsätzlich unbegrenzt.
Wenn wir ein Stück weit mit den in unserem Leben häufig vorkommenden Anteilen vertraut sind, so fällt es uns immer leichter, sie während des Meditierens selbständig zu erkennen. Ausgangspunkt zur Identifikation unserer Teile sind die während der Meditation aufsteigenden Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen. Von Interesse ist dabei weniger der Inhalt, also was uns auf dem Meditationskissen beschäftigt, sondern die Frage: Wer spricht da gerade in uns? Welche Seite? Ist es der innere Perfektionist, der uns sagt, was wir noch hätten besser machen können? Ist es die innere Problemlöserin, die gerade nach Lösungen sucht? Sind es Katastrophenfantasien, die uns die schlimmstmögliche Wendung einer Situation vor Augen führen? Oder ist es die innere Terminplanerin, die die kommenden Tage strukturiert und To-Do-Listen erstellt?
Die Beschreibungen von Persönlichkeitsanteilen in den einzelnen Kapiteln dieses Buches dienen dazu, Persönlichkeitsanteile bei sich selbst erkennen zu können.
Wie wir uns „Teile-weise“ entwickeln
Für die Dinge und Themen, mit denen wir uns beschäftigen, entwickeln wir ein sprachliches oder nicht-sprachliches Vokabular- oder „Symbolsystem“1. Nicht-sprachlich sind beispielsweise mathematische Zeichensysteme, Programmiersprachen, Geld, Klaviernoten, Träume, künstlerischer Ausdruck, wie z. B. Tanz, Malerei, Film, religiöse Rituale, Sportarten, und dergleichen. Diese Fähigkeit, sprachliche und nicht-sprachliche Symbole zu verwenden, macht das Wesen unserer kulturellen und individuellen Entwicklung aus. Je intensiver und länger wir uns mit etwas beschäftigen, desto differenzierter wird unser entsprechendes Vokabularresp. Symbolsystem in Bezug auf diese Sache, diesen Lebensbereich, diese Art von Erfahrung. Entsprechend nimmt auch die Komplexität der Verbindungen zwischen den Nervenzellen in unserem Gehirn zu, die diesen Fähigkeiten entsprechen.
Wenn wir beispielsweise Klavierspielen lernen, dann lernen wir, Noten den Tasten zuzuordnen, Notenwerte (Achtel, Viertel etc.), Tonarten, Pausenwerte und den Ausdruck einer Melodie wahrzunehmen und diesen Ausdruck aktiv zu gestalten, indem wir zusammen mit einer Klavierlehrerin, im Selbststudium oder elektronisch angeleitet das Instrument zu spielen lernen. Die Differenziertheit unseres Verständnisses, unseres Spielens, unserer Motorik in den Fingern und unserer Sprache für den Ausdruck unseres Spiels nimmt im Laufe der Zeit beständig zu. Demensprechend bilden sich unser Hören und unser Musikverständnis aus, auch durch die Auseinandersetzung mit anderen Pianisten, die bereits in früheren Zeiten dieselben Stücke interpretiert haben. Dies ist ein Beispiel für die musikalische Seite eines Menschen, die sich im Laufe der Zeit durch zunehmende Differenziertheit und Nuanciertheit entwickelt.
Analog dazu können wir die Entwicklung aller Persönlichkeitsanteile als Herausbildung zunehmender Differenziertheit unseres sprachlichen und nicht-sprachlichen Repertoires verstehen. Entsprechend nimmt auch die Nuanciertheit unseres emotionalen, motorischen und körperlichen Ausdrucks zu. Dies gilt für unsere mathematische ebenso wie für unsere psychosoziale Entwicklung, die Entwicklung der Empathie und unserer Fähigkeiten, andere zu verstehen, der kritischen, hinterfragenden Fähigkeiten in uns, des wissenschaftlichen Denkens und Argumentierens, des ästhetischen Geschmacks, des Humors, der tänzerischen Orientierung im Raum, des ethischen Argumentierens oder der Spiritualität.
Das alltägliche, sprachliche Repertoire, das uns zur Verfügung steht, ist wie ein „Netz“, das sich über unsere Teilpersönlichkeiten ausbreitet. Dieses sprachliche Netz verbindet die Teile miteinander und macht ihre Entwicklung vergleichbar, wechselseitig aufeinander beziehbar, sodass wir den Entwicklungsschwerpunkt eines Menschen und seiner Teilpersönlichkeiten erkennen können.
Einmal entstandene Teilpersönlichkeiten haben die Tendenz, in bestimmten Situationen immer wieder aufzutreten und sich in neuen Situationen weiterzuentwickeln. Sie sind als Gewohnheiten verankert und verfügen über ihr jeweils eigenes autobiographisches Gedächtnis. Teilweise bauen Teilpersönlichkeiten in ihrer Entstehung aufeinander auf und sind wechselseitig voneinander abhängig. Damit beispielsweise ein sorgenfrei spielendes Kind entstehen kann, ist vorweg die Entwicklung von Urvertrauen notwendig. Urmisstrauen bringt in der Regel...




