Widenmeyer | Moral ohne Gott? | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 328 Seiten

Reihe: Studium Integrale

Widenmeyer Moral ohne Gott?

Eine Verteidigung der theistischen Grundlegung objektiver Moral
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7751-7578-4
Verlag: Hänssler
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine Verteidigung der theistischen Grundlegung objektiver Moral

E-Book, Deutsch, 328 Seiten

Reihe: Studium Integrale

ISBN: 978-3-7751-7578-4
Verlag: Hänssler
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Gibt es Gott nicht, scheint Moral nur ein unverbindliches Produkt der Evolution zu sein. Viele Philosophen meinen heute aber, dass es auch ohne Gott eine wirklich objektive, von der Natur und vom Menschen unabhängige Moral geben kann. Der Autor zeigt, warum solche Ansätze scheitern und dass Moral nach wie vor ein starkes Indiz für den Theismus ist.

Dr. Markus Widenmeyer ist Jahrgang 1973, hat Chemie und Philosophie in Stuttgart studiert. Er promovierte 2001 an der TU München in Anorganischer Chemie und hat einen zusätzlichen Magisterabschluss in Philosophie.
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2. Gibt es objektive Moral?


2.1 Die Realität des Bösen


„Renaissance“ bedeutet „Wiedergeburt“. Die Renaissanceepoche steht für eine Wiedergeburt der griechisch-römischen Antike und ihrer glanzvollen Kulturleistungen, im Anschluss an das sogenannte „Mittelalter“ – ein abschätzig gemeinter Ausdruck für eine vermeintlich verlorene, dunkle Zwischenzeit. Im Grunde sind solche Begrifflichkeiten aber Propaganda. Dunkles gab es in jeder Epoche und das gilt ganz besonders für die griechisch-römische Antike. In einem 2020 erschienenen Buch stellt der Historiker und Journalist Markus Spieker dies an vielen Beispielen erschreckend realistisch dar. Greifen wir nur zwei heraus. Nach Niederschlagung des Spartakus-Sklavenaufstands wurden entlang einer wichtigen Hauptstraße auf über 300 km Strecke Tausende der Besiegten an Kreuze genagelt. Kann diese Grausamkeit noch gesteigert werden? Spieker schildert noch eine andere Massenkreuzigung, bei der die Opfer gänzlich Unbeteiligte waren und viele Kinder unter ihnen:

Im Dämmerlicht bewegt sich eine riesige Menschengruppe durch Roms verlassene Straßen. Vierhundert Männer, Frauen, kleine Jungen und Mädchen marschieren, stolpern, kriechen vorwärts, angetrieben von Knüppelschlägen und ‚Vorwärts‘-Rufen. Die Kinder kreischen. Die Erwachsenen wimmern und beißen die Zähne zusammen. Mütter tragen ihre kleinen Kinder auf dem Arm. Auch die Säuglinge werden nicht verschont […].

Die Menschen, von denen viele jünger sind als 18 Jahre, sollen hingerichtet werden für einen Mord, an dem sie erwiesenermaßen unschuldig sind. Das Opfer ist ein Präfekt von Rom, so etwas wie der Bürgermeister der Stadt. Er war steinreich und hieß Lucius Pedanius Secundus. Er wurde erstochen in seinem Schlafzimmer aufgefunden. Alles deutet auf einen Sklaven als Täter hin. Gerüchte kursieren […] Nach einem neuen Gesetz muss nicht nur der Täter hingerichtet werden, sondern zur Abschreckung auch alle anderen Sklaven, die sich während der Tat in der riesigen Villa aufgehalten haben. In diesem Fall liegt die Zahl bei vierhundert. Weit mehr, als zur Tatzeit überhaupt in der Villa gewesen sein konnten. Aber die Römer wollten ein Exempel statuieren […].

Die Vierhundert werden gekreuzigt. Vielleicht haben die Henker Mitleid mit einigen der Kinder und stechen sie vorher ab. Die Schreie der Gequälten gellen den ganzen Tag durch das Stadtviertel.12

Sehr wahrscheinlich werden Sie mir zustimmen: Eine solche Tat ist eindeutig moralisch falsch, sie ist böse. Und diese Tat war kein einsamer Ausnahmefall im alten Rom. Grausamkeit diente damals zur Unterhaltung der Massen und war Teil des Systems. Ebenso war Rom kein Ausnahmefall der Menschheitsgeschichte. Denken wir nur an einige der Grausamkeiten seit dem 20. Jahrhundert. An den Völkermord an den Armeniern. Die Gulags der Sowjetunion. Die Konzentrationslager der Nationalsozialisten. Die Grausamkeiten roter Kulturrevolutionäre auf den Killing Fields. Die des „Islamischen Staates“ und anderer radikalislamischer Gruppen, oft noch auf Videoclips verbreitet. Nordkorea. Und diese Liste wird wohl leider fortzusetzen sein, solange die Menschheit, wie wir sie kennen, bestehen wird. Zwar mag es auch Taten geben, die gewisse Ähnlichkeit zu einigen der genannten haben, deren moralischer Status aber nicht ganz so leicht zu beurteilen ist. Diskutiert wird bis heute, ob die Atombombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki moralisch verwerfliche Massenmorde waren oder aber dadurch gerechtfertigt, dass durch sie, zumindest nach der damals bestmöglichen Einschätzung der Verantwortlichen, der Krieg beendet und ein noch größeres Ausmaß an Leid verhindert wurde.13 Aber in jedem Fall gibt es genug Beispiele, die uns eigentlich deutlich genug zeigen, dass das Böse real ist und damit auch überhaupt das Moralische. Dennoch gibt es darüber keinen Konsens.

2.2 Wer hat recht?


Markus Spieker beschreibt ebenso den Umgang mit unerwünschten Kindern im alten Rom. Pränatal und postnatal. Dort waren nicht nur Abtreibungen gang und gäbe, sondern auch das Töten oder Aussetzen von Babys:

Wenn diese unerwünschten Kinder Glück hatten, wurden sie von Bordellbesitzern aufgegriffen und aufgezogen, bis sie auf den Strich gehen konnten. Wenn sie Pech hatten, wurden sie von Hunden gefressen. In den Müllhalden und an den Straßenrändern lagen abgenagte Babyknochen herum.

Zur römischen Praxis gehörte übrigens auch die nachgeburtliche Tötung von behinderten Kindern. Selbst der um Tugendhaftigkeit bemühte Philosoph Seneca fand darin nichts Schändliches: , Wir knüppeln tolle Hunde nieder, wir schlachten durchgedrehte Ochsen, wir schlachten kranke Schafe, bevor sie die Herde anstecken, wir eliminieren Missgeburten und ertränken unsere Kinder, wenn sie allzu schwächlich oder missgestaltet sind.‘“14

Einen deutlichen Kontrast dazu setzte das damals im römischen Weltreich neu aufkommende Christentum. Die Christen kümmerten sich um Kranke, Arme und ausgesetzte Kinder, denn sie waren davon überzeugt, dass jeder Mensch im Bilde Gottes geschaffen ist und damit auch Sklaven, Kinder oder Schwache. Christus hat geboten: „Lasst die Kinder zu mir kommen, denn solchen gehört das Himmelreich“. Und der Verfasser des Psalms 139 nimmt auf sich selbst Bezug, wo er sich noch als Klümpchen im Leib seiner Mutter beschreibt, was voraussetzt, dass dieses Klümpchen in seinem Wesenskern dasselbe „Ich“ und damit dieselbe vollwertige Person ist wie der Psalmist zur Zeit der Abfassung des Psalms.

In frühchristlichen Zeugnissen werden daher Abtreibungen und das Aussetzen von Säuglingen in einer Liste mit anderen schweren Sünden aufgeführt: „Du sollst nicht töten, nicht ehebrechen, nicht Knaben schänden, nicht huren, nicht stehlen, nicht Zauberei treiben, nicht Gift mischen, nicht abtreiben noch ein Neugeborenes töten.“15 Und der christliche Autor Minucius Felix tadelt die Römer: „Ich sehe vielmehr, dass ihr selbst eure eigenen neugeborenen Kinder bald wilden Tieren und Vögeln aussetzt, bald durch Erwürgen einen elenden Tod sterben lasst. Und es gibt Frauen, die im eigenen Leib den Keim des künftigen Menschen mit Gifttränken zum Abstreben bringen; sie begehen Kindsmord, noch ehe sie gebären.“16

Diese Sicht sollte noch lange, bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, vorherrschend sein. Ein prominenter Zeuge ist der Theologe Dietrich Bonhoeffer. Er kam zum Schluss, dass Abtreibung „nichts anderes als Mord“ sei, auch wenn „die Schuld oft mehr auf die Gemeinschaft als auf den einzelnen fällt.“17 Und diese Auffassung herrschte nicht nur in der Moraltheologie vor. Auch die Gesetze orientierten sich an dieser Einschätzung. Im 18. Jahrhundert schrieb der Philosoph Immanuel Kant, es sei eine „notwendige Idee, den Act der Zeugung als einen solchen anzusehen, wodurch wir eine Person ohne ihre Einwilligung auf die Welt gesetzt […] haben“.18 Schon eine befruchtete Eizelle sei als eine Person anzusehen und habe nach dem kategorischen Imperativ behandelt zu werden. Die Eltern dürfen es insbesondere nicht „als ihr Eigenthum zerstören“. Was Christen von Anfang an aus den Offenbarungsschriften und den Lehren ihres Herrn heraus erkannt haben, ließ sich auch durch rationale, philosophische Überlegungen nachvollziehen.

Aber dann kam alles anders. Protagonistinnen führten machtvolle Kampagnen durch unter Slogans wie „mein Bauch gehört mir“ oder „ich habe abgetrieben“. Abtreibung wurde bald in zunehmenden Teilen der Bevölkerung als ein zentraler Bestandteil eines Freiheitskampfes der Frau angesehen. War im römischen Reich der Hausvater, der „pater familias“, Herr über Leben und Tod seiner Sklaven, seiner Kinder und seiner Frau, soll von nun an die emanzipierte, selbstbestimmte Frau Herrin über Leben und Tod ihres noch nicht geborenen Kindes sein. Millionen von Lebendgeburten wurden so verhindert, auch mit erheblichem Einfluss auf die Demographien moderner westlicher Staaten.

Manchen geht dies noch nicht weit genug. Etliche Zeitgenossen fordern, auch Säuglinge und kleine Kinder vom absoluten Tötungsverbot auszunehmen.19 Ein prominenter Vertreter ist hier der Philosoph Peter Singer: „Das Postulat, dass alles menschliche Leben heilig ist, gilt nicht mehr […] wir fällen Entscheidungen darüber, welche Art von Leben wir fortsetzen wollen und welche nicht.“20 Im Grunde spreche auch nichts dagegen, mit Babys Versuche anzustellen und sie anschließend zu töten. „Es wäre lediglich schwierig, ihnen [den Eltern] zu erklären, dass völlig normale Kinder zu Experimenten gebraucht und dann umgebracht würden.“ Es ist kein Zufall, dass Singer die antike vorchristliche griechisch-römische Kultur zum Vorbild erklärt.

Dies ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie sehr sich zentrale moralische Überzeugungen in der Geschichte ändern und genauso wieder zurückentwickeln können. Natürlich ist jede Seite davon überzeugt, recht zu haben. Aber welche Seite hat recht? Oder hat hier überhaupt jemand recht?

2.3 Objektive Moral als Illusion?


Ein durchaus nachvollziehbarer Schritt könnte sein, die zuletzt gestellte Frage negativ zu beantworten: Es gibt keine objektive Wahrheit in moralischen Fragen. Dies ist der moralische Nihilismus oder Skeptizismus.21 Unsere üblichen Vorstellungen, dass menschliche Handlungen objektiv gut oder böse sind, wären dann...


Widenmeyer, Markus
Dr. Markus Widenmeyer ist Jahrgang 1973, hat Chemie und Philosophie in Stuttgart studiert. Er promovierte 2001 an der TU München in Anorganischer Chemie und hat einen zusätzlichen Magisterabschluss in Philosophie.

Dr. Markus Widenmeyer ist Jahrgang 1973, hat Chemie und Philosophie in Stuttgart studiert. Er promovierte 2001 an der TU München in Anorganischer Chemie und hat einen zusätzlichen Magisterabschluss in Philosophie.



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