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E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Weyel / Claussen / Engemann Predigtstudien 2025/2026 - 1. Halbband
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-451-84020-3
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Vom 1. Advent bis zum 5. Sonntag nach Ostern (Rogate) - Perikopenreihe II
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-451-84020-3
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Birgit Weyel, geb. 1964, in Siegen/Westfalen. Studium der Ev. Theologie in Bonn und Berlin.1991 und 1992 Vikariat in Berlin-Mitte und im Predigerseminar Wittenberg. Ordination 1992 in St. Marien, Berlin-Mitte. Seit 1993 Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Assistentin in der Praktischen Theologie in Berlin. 1997 Promotion zum Dr. theol. 2004 Habilitation. Sommersemester 2006 und Wintersemester 2006/2007 Vertretungsprofessur in München. Seit Sommersemester 2007 in Tübingen. Prof. Dr. Johann Hinrich Claussen, geboren 1964 in Hamburg. Studium der evangelischen Theologie in Tübingen, Hamburg und London. 1997 bis 2001 Gemeindepastor in Reinbek, bei Hamburg. 2004 bis 2016 Hauptpastor an der Hauptkirche St. Nikolai am Klosterstern und Propst im Kirchenkreis Hamburg-Ost. Seit 2016 Kulturbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Seit 2019 Honorarprofessor an der Humboldt Universität zu Berlin. Regelmäßige journalistische Arbeiten u.a. für die 'Süddeutsche Zeitung' und die 'Frankfurter Allgemeine Zeitung'. Zahlreiche Buchveröffentlichungen. Wilfried Engemann, geb. 1959, ist Universitätsprofessor für Praktische Theologie. Er lehrt dieses Fach seit 1986. Nach einer Assistentur am Theologischen Seminar Leipzig war er ab 1989 Privatdozent an der Uni Greifswald. 1994 wurde er als Ordinarius für Praktische Theologie an die Uni Münster berufen. Im WS 2011 wechselte er an das Institut für Praktische Theologie und Religionspsychologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Uni Wien. Dem Fachpublikum ist er auch als Mitherausgeber der Zeitschrift Wege zum Menschen sowie durch das Lehrbuch Einführung in die Homiletik (2. Aufl. 2011) bekannt. Wilhelm Gräb, Dr. theol. (1948-2023), in Bad Säckingen/Rhein; Er war zwischen 1987-1992 Pfarrer in Göttingen; 1993-1999 Professor für Praktische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Er war 1999 Professor für Praktische Theologie mit den Schwerpunkten Homiletik, Seelsorge und Kybernetik an der Humboldt-Universität zu Berlin und Leiter des Instituts für Religionssoziologie. 2001 war er Berliner Universitätsprediger. Er war ab 2011 Honorarprofessor an der Theologischen Fakultät der Universität Stellenbosch, RSA. Doris Hiller, geb. 1968, Studium der Evangelischen Theologie in Erlangen und Heidelberg. 1997 Promotion zur Dr. theol. in Jena. 1998-2000 Vikariat in der Evangelischen Landeskirche in Baden in Hemsbach mit Ordination. 2001-2007 Assistentin am Lehrstuhl Systematische Theologie/Dogmatik in Leipzig, 2011 Habilitation in Bochum. 2008-2012 Gemeindepfarrerin in Ittlingen und Richen (Kirchenbezirk Kraichgau). Seit 2013 Seminardirektorin am Predigerseminar Petersstift und Privatdozentin im Fach Systematische Theologie in Heidelberg. Christopher Spehr, geb. 1971, in Bad Oeynhausen, studierte von 1992 bis 1999 Ev. Theologie in Bethel, Tübingen und Zürich. Anschließend promovierte er zum Dr. theol. an der Universität Münster, absolvierte 2002-2005 sein Vikariat in Herne-Holsterhausen (Westfalen) und wirkte 2005-2010 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Kirchengeschichte II der Ev.-Theol. Fakultät in Münster. Nach Habilitation im Fach Kirchengeschichte 2009 und Vertretungsprofessuren in Bochum und Jena ist er seit 2011 W-3 Professor für Kirchengeschichte an der Theol. Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 2012 erfolgte die Ordination durch die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland. Er ist verheiratet und hat eine Tochter. Christian Stäblein, geboren 1967, ist seit 2019 Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Er hat in Göttingen, Berlin und Jerusalem studiert. Von 2007 bis 2014 war er Leiter des Predigerseminars Loccum und von 2015 bis 2019 Propst der EKBO.
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Predigen als intertextuelle Praktik
Birgit Weyel
Wer predigt, bezieht sich in der Regel auf (biblische) Texte. Im liturgischen Ablauf eines Gottesdienstes folgt die Predigt auf die Verlesung biblischer Texte, die Schriftlesungen. Dieser Zusammenhang ist nicht nur ein zufälliger, zeitlicher, sondern ist im Protestantismus mit starken (normativen) Zuschreibungen verbunden. Auch im Evangelischen Gottesdienstbuch klingt dieser Aspekt an, wenn es heißt, dass die Predigt eine der Lesungen zur »Grundlage«2 haben soll. Eher beschreibend dagegen ist die Rede davon, dass die Predigt in der Regel auf einen biblischen Text 3 ist. Auf die Fragen der Normativität und Autorität, die sich mit dem Textbezug verbinden, soll hier nicht ausdrücklich eingegangen werden. Sie sollen an dieser Stelle einmal eingeklammert werden, um den Blick darauf zu richten, sich Predigten auf Texte und was es heißt, den Textbezug der Predigt als eine intertextuelle Praktik zu fassen.
Wenn man nicht abstrakt und generalisierend von »der Predigt«, sondern vom Predigen als einer Praktik spricht, dann rücken die Handlungen in den Blick, die zusammenfassend als Predigen angesprochen werden können. In einer ersten Annäherung bedeutet der Perspektivwechsel, das, was unter dem Begriff der Predigt firmiert, näher anzuschauen, indem man es als Handlung bzw. als eine Kette von Handlungen betrachtet. Ein komplexes Konzept (»Predigt«) wird »aufgemacht«4, indem man zu beschreiben versucht, aus welchen Handlungen es sich zusammensetzt und als solches hervorgebracht wird. Ein einmaliger Akt des Predigens macht noch nicht »die« Predigt. Zur Bildung eines Konzepts von Predigt gehört die . Praktiken können als kulturell zirkulierende Repertoires verstanden werden, auf die zurückgegriffen wird, wenn wir ein konkretes Handeln bzw. eine Kette von Handlungen als etwas, in diesem Fall als Predigen, verstehen und bezeichnen wollen. Die Intertextualität von Predigten kann im Einzelnen unterschiedlich5 durchgeführt werden, in der Regel aber sind für das, was wir Predigt nennen, stilbildend. Drei kurze Beispiele, die aus einem größeren Forschungsprojekt6 stammen, möchte ich im Folgenden gerne vorstellen und einige Beobachtungen teilen, die intertextuelle Praktiken als Handlungsvollzüge beleuchten.
(1) Ankündigung
01 hört wOrte (.) aus dem Ersten joHANnesbrief; (.)
02 im vIErten kaPItel. (4.8)
03 dort HEIßT es, (.) (Räuspern) (.)
Die Ankündigung7 des Predigttextes beginnt mit einem Imperativ (»hört«) und der Angabe der Bibelstelle. Darauf folgt eine lange Pause, die Spannung erzeugt, eine weitere Ankündigung und ein Räuspern, bevor der Predigttext gelesen wird (1Joh 4,11–19). Die meiste Zeit blickt der Pfarrer auf das vor ihm liegende Buch und blickt nur kurz auf, wenn Adhortative (Appelle zur Liebe) gelesen werden. Das Vorlesen wird durch den konstanten Blick auf die Textvorlage inszeniert und mit einem (des Liturgen) abgeschlossen. Darauf folgt mit veränderter Sprechweise, die dem alltäglichen, beiläufigen Sprechen nachempfunden ist, eine Regieanweisung: »Wir hören nun das nächste Lied [...]«
Die Ankündigung und die Verlesung des Predigttextes werden der Predigt vorangestellt. Erst durch die Bezugnahme in der Predigt auf den zuvor gelesenen Text wird dieser Text zum Predigttext. Die Aufmerksamkeit ist strikt auf die Textvorlage gerichtet: Der Prediger als Fokusperson macht in der Interaktion mit den Hörerinnen und Hörern deutlich, dass er einen schriftlich vorliegenden Bibeltext vorliest. Die Bibelstelle wird nicht nur sorgfältig genannt, so dass man unter Umständen später den Text wiederfinden und nachlesen kann, sondern sie wird auch feierlich, nach einer langen Pause von fast 5 Sekunden und nach einem Räuspern, vorgetragen. Das am Ende setzt einen Schlusspunkt und grenzt die Lesung distinkt nach hinten ab. Während Zitate und Anspielungen den Gottesdienst wie ein Gewebe durchziehen und häufig sowohl die Herkünfte als auch die Ränder der eingespielten Texte unkenntlich bleiben, wird der Predigttext (im Rahmen der Schriftlesungen) mit einer genauen Quellenangabe verbunden und dadurch hervorgehoben. Christian Walti hat in Sequenzanalysen in reformierten Gottesdiensten Stilelemente von Lesungen herausgearbeitet, etwa die deklarative Lesungsansage mit Angabe der Bibelstelle und Sprechpause. »Der Umstand, präzise angegeben wird, wo das Gelesene steht, deutet darauf hin, dass die Inszenierung […] auf ein übersituationales überzeitliches Traditionsgut zurückzuführen ist, das von allen auch in anderen Situationen im exakt gleichen Wortlaut wiedergefunden werden kann.« Es zeigt »philologische Präzision« und »Sorgfalt im Umgang mit dem Text an«.8 Dabei hat dieses Verfahren deutliche Parallelen zu wissenschaftlichen Praktiken des Vortragens. Es gehört zu den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, Zitate kenntlich zu machen und Autorschaft zu markieren, um eigenes und fremdes Gedankengut voneinander erkennbar abzugrenzen und nicht etwa ineinanderlaufen zu lassen. Praktiken des Zitierens bilden strukturell einen Zusammenhang mit Auslegungs- und Interpretationspraktiken, wie man sie auch aus akademischen oder aus juristischen Kontexten kennt.
(2) Relationierung
Mehrfach spricht der Prediger von »unserem Predigttext«. In einer praxistheoretischen Perspektive verstehe ich die Rede von Text als Verweis auf gemeinsame, geteilte Wissensbestände, einen . Eine wird konstituiert, ganz unabhängig davon, ob alle Angesprochenen über ein entsprechendes Wissen verfügen oder die impliziten Überzeugungen teilen. Das Lesen und Auslegen von Texten ist ein kommunikatives Handeln, das wesentlich über die Textbezüge moderiert wird. Dabei handelt es sich teilweise um Praktiken der Relationierung, die zugleich als Hervorhebung der Texte beschrieben werden können. In den von mir untersuchten Trauerfeiern wird beispielsweise darauf hingewiesen, dass der Ehemann der Verstorbenen den Predigttext ausgesucht habe oder dass der Predigttext zugleich der Hochzeitsspruch des Verstorbenen und seiner Frau war. Der Predigttext wird besonders gemacht, indem er in eine Beziehung zu den vom Kasus betroffenen Personen gerückt wird. Die Semantiken unterstreichen die Besonderheit: Das Aussuchen kann verstanden werden als ein Prozess, der mit Sorgfalt und Mühe verbunden ist. Das Ehepaar hat den Hochzeitsspruch bekommen, so wie man Geschenke bekommt. Im Unterschied zu einem Sonntagsgottesdienst gehört es stilbildend zu Kasualien dazu, dass hier einzelne Personen im Mittelpunkt stehen. In den Predigten werden aber auch Beziehungen durch die Texte konstituiert, wie sie in nicht-kasuellen Gottesdiensten vorkommen. »Der erste Johannesbrief erinnert daran, dass wir die Liebe nicht aus uns selbst heraus produzieren können.« Durch die Erinnerung werden der zitierte Brief, zeitgenössische Leser und »wir« zueinander in Beziehung gesetzt. Der Text enthält ein Wissen, das mit dem Anspruch kollektiver Orientierung aufgerufen wird.
(3) Textvernetzung
Die Predigt wird man in literaturtheoretischer Perspektive als eine kommunikative Gattung bezeichnen können, weil ihre Intertextualität den Autor:innen und den Rezipient:innen bewusst und durch den institutionellen Rahmen explizit gemacht wird. Predigen kann als eine Praktik der Textvernetzung bezeichnet werden, weil sie sich nicht nur (interpretierend und kommentierend) zu einem Text verhält, sondern viele Texte miteinander verweben kann. Der Situationsbezug der Predigt wird wesentlich über Texte hergestellt. Das gilt nicht nur für den B-Teil der Predigtstudien, wie Albrecht Grözinger beschreibt: »Und in nicht seltenen Fällen betreten in dem Text-Stück Predigt neben ihrem Bezug auf den biblischen Text noch weitere Texte die Bühne der Kanzel: Gedichte, die zitiert werden; Geschichten, die erzählt werden; Zeitungsberichte, die in Erinnerung gerufen werden.«9 In diesem Zusammenhang können viele produktive Fragen gestellt werden, die man sich selbst oder auch an Predigten anderer stellen kann. Welche Texte treten neben den (biblischen) Text, auf welche Kontexte spielen sie an, wie werden sie eingerahmt und in einen neuen Text eingepasst? Nach meiner...