Westerbeck | Aftershowparty | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Westerbeck Aftershowparty

Roman
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-641-12620-9
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-641-12620-9
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine gute Geschichte muss nicht unbedingt wahr sein …

Die Wahrheit nervt. Sie ist so verbindlich. Die Lüge dagegen ist wundervoll. Sie erfüllt unsere Sehnsüchte. Sie befreit uns. Aber sie fordert auch Opfer: Der Fernsehmoderator John-Bob Corner soll fertiggemacht werden. Mit einer einzigen Schlagzeile alles verlieren. Es kommt zum Showdown im Scheinwerferlicht. Doch was ist wahr, und was ist gelogen? Zum Schluss müssen wir selbst entscheiden.

Es ist die Geschichte seines Lebens. Manfred Dörner, genannt Story, ist Boulevardreporter bei Deutschlands größter Tageszeitung, dem BLATT, und einem Skandal auf der Spur, bizarrer als alles, was bisher veröffentlicht wurde. Es ist der Fehler seines Lebens. Fernsehmoderator John-Bob Corner hat die prestigeträchtige Talkshow am Sonntag um 21.45 Uhr gleich nach dem Tatort übernommen. Sein Privatleben steht auf einmal im Fokus der Öffentlichkeit. Es ist die Chance ihres Lebens. Franziska Steil hat mit Mitte zwanzig die Mehrheit an der Steil Media AG geerbt und ist über Nacht eine mächtige Verlegerin geworden. Ihr Talkshowauftritt soll das Land erschüttern. Drei Menschen auf der Suche nach sich selbst und einem Sextape ...

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Neue City West

Geografisch nicht weit weg, vom Verständnis, wie eine Zeitung gemacht wird, aber Lichtjahre entfernt, verstummt das Tuscheln schlagartig, als die Steil wieder ins Büro tritt. Zwölf Augenpaare gucken sie fragend an. Benno erhebt sich schwanzwedelnd und bellt. Doch anstatt ihre Abwesenheit zu erklären, nimmt sie seine Leine und ihren Mantel von der Garderobe, lässt sich Laptop und Handtasche bringen und verabschiedet ihre Leute mit dem Hinweis, dass man bitte weiter an der Strategie arbeiten solle, sie werde später wieder dazukommen.

Es ist ihr vollkommen egal, ob ihre Anweisung befolgt wird und die Ansammlung von Idioten weiterhin ihre eigene Unfähigkeit in die Computer hackt. Diese Führungsetage ist ein Relikt aus der Zeit ihres Vaters, der dachte, es sei revolutionär, Menschen mit Facebook-Profilen in den Vorstand zu berufen. Die Steil plant auf Dauer den Austausch des kompletten Vorstandes. Facebook-Profile sind ihr zu 2010, die nächste Generation von Führungskräften trifft sich in den Quellcodes frei programmierbarer Betriebssysteme im Bereich des Mobile Computing und spricht verhandlungssicher Chinesisch. Es ist ihr bereits gelungen, drei solcher Hyper Potentials zu rekrutieren. Der Älteste ist neunzehn Jahre alt und lutscht öffentlich am Daumen. Der Jüngste ist ein verhaltensauffälliger Zwangsonanierer. Angeblich aber nicht in der Öffentlichkeit. Der Mittlere läuft bis auf die üblichen ADS-Erscheinungen und Ritalindepots in der Kieferhöhle unter Normal. Sie kommen aus allen Teilen der Welt. Die Steil verspricht sich von der extremen Verjüngung des Vorstands und dem Abbau des alten ein fünfzehnprozentiges Kursplus innerhalb der nächsten drei Monate auf ihre Aktien. Das soll jedoch nur der Anfang sein. Im nächsten Quartalsbericht, gleich zu Beginn der Berichtsaison, wird sie eine Restrukturierung des Konzernportfolios ankündigen. Als Erstes werden vier regionale Tageszeitungen geschlossen, die seit Jahren Verluste einfahren. Eine überregionale Wirtschaftszeitung wird komplett auf digital umgestellt werden, sodass man deren Inhalte nur noch kostenpflichtig im Internet oder als E-Paper im Abo auf entsprechenden Lesegeräten konsumieren kann. Damit einhergehend wird die alte Offsetdruckerei am Standort der früheren Firmenzentrale dichtgemacht. Auf dieser Druckerei baute ihr Vater das Imperium einst auf, seiner Tochter ist sie nur noch ein Klotz am Bein. Traditionen und Emotionen sind ihr gänzlich fremd. Auch alle Wochen- oder Monatspublikationen werden einer strengen Revision unterzogen. Sollte sich daraus nicht mindestens eine Umsatzrentabilität von 12,5 Prozent binnen Zweijahresfrist ergeben, erfolgt die sofortige Schließung. Ausgenommen davon sind nur Auto- und Motorradmagazine. Ein seit Langem Ärger bereitender Buchverlag wird der ehemaligen Eigentümerfamilie zum Rückkauf angeboten. Die daraus entstehenden Verluste wurden bereits zurückgestellt und beeinträchtigen das Ergebnis nicht mehr sonderlich. Mittels einer Kapitalerhöhung soll frisches Geld für eine noch nie da gewesene Expansion im E-Commerce eingetrieben werden: Dating, Search, Bet, Social & Sex – von jedem Typus wird es im Konzern binnen Jahresfrist mindestens drei Mehrheitsbeteiligungen und eine selbst betriebene Seite geben. Der absolute Coup aber ist ein sich selbst befruchtendes Werbesystem, das als erstes funktionierendes Perpetuum mobile die Branche auf den Kopf stellen soll. Jede Publikation, ob digital oder analog, bewirbt nur noch Produkte aus dem Reich der Steil Media AG. Bezahlt wird intern mit Vorzugsaktien, die die jeweiligen Proficenter dann bei Bankhäusern beleihen und so zu Bargeld machen. Im Klartext: An jeder Zeitung, an jedem Magazin, an jedem E-Paper, an jedem Datingportal, an jedem Wettanbieter und an jedem Internethändler, der für Steil-Produkte wirbt, ist Steil Media entweder mehrheitlich beteiligt oder betreibt ihn selbst. Externe Umsatzerlöse, wie sie zum Beispiel durch Dritte an Kiosken oder im Internet erzielt werden, dienen nur noch dazu, sie direkt an die Muttergesellschaft abzuführen, die dann den Banken die Aktien im Paket und damit auch zu niedrigeren Kursen abkauft. Mit Journalismus hat das nicht mehr viel zu tun, aber es rechnet sich.

Der Steil fehlt einzig und allein noch die Unbedenklichkeitsbescheinigung aus dem Finanzministerium. Sie ist das letzte Puzzlestück. Dann hätte sie in einer unglaublichen Aktion ihr Erbe fit für die Zukunft gemacht und als erste Frau einen Medienkonzern so signifikant umgebaut, dass ihr ein Platz in den Geschichtsbüchern sicher wäre. Sie steht ganz kurz vorm letzten Schritt.

Benno interessieren Frauchens Pläne nicht. Er hockt auf der winzigen Grünfläche vorm Eingang des Towers und kackt. Im Hintergrund steht eine Langversion der Mercedes S-Klasse in Schwarz, und ein uniformierter Chauffeur mit weißen Handschuhen hält die Tür zum Fond auf. Nach Vollrichtung seines Geschäfts steigen Benno und die Steil ein. Vor der Abfahrt entfernt der Fahrer mittels einer Plastiktüte den Haufen. Dabei wird er von seiner Chefin kritisch beobachtet. Der Gedanke daran, dass Hundekot an die weißen Handschuhe kommen könnte, lässt sie schaudern.

Die Limousine beschleunigt mit Vollgas durch die halbovale Ausfahrt Richtung Straße des 17. Juni. Die Chefin mag es, wenn sich ihr Wagen wie in einem Sondereinsatz der Polizei bewegt. Anfahren mit quietschenden Reifen, das Schneiden von Kurven und dichtes Auffahren sind genau nach ihrem Geschmack. Benno schließt die Augen. Neben Autos sind Hunde ihre zweite große Leidenschaft. Mit ihm teilt sie einfach alles. Er darf neben ihr im Auto sitzen, in ihrem Bett schlafen, und beim Fitnesstraining teilen sie sich ein Laufband. Nur eine Sache ist ihr Benno gegenüber peinlich: Er darf nicht sehen, wie sie auf der Toilette sitzt. Das Bad ist für ihn tabu.

Die Steil befiehlt ihrem Chauffeur, sie direkt zu dem dicken Engländer zu bringen, der heute Abend diese neue Talkshow moderiert. Als der nicht sofort weiß, wo Corner genau wohnt, erkundigt sich die Chefin, ob seine Erstqualifikation das Wegmachen von Hundescheiße oder das Chauffieren der Vorstandsvorsitzenden von Deutschlands erfolgreichster Medien-AG sei. Hektisch versucht der Fahrer, unter Beobachtung aus dem Fond, die Adresse im Navigationssystem zu finden, und verlangsamt dabei ungewollt die Fahrt. Diese männliche Schwäche, zwei Dinge auf einmal nicht gleich gut zu machen, bringt ihm weitere Kritik ein. Schließlich müssen das Lufthansa-Piloten bereits im Eignungstest können. In der nächsten Kurve müssen wieder die Reifen quietschen, sonst kann er ab Montag S-Bahn fahren. Der arme Kerl hat in dem Moment die gesamte Medienmacht der Hauptstadt im Kreuz. Und einen Entlebucher Sennenhund.

Zufrieden guckt die Steil die Siegessäule hoch. Ihr Chauffeur nimmt den Kreisverkehr zügig, und die Reifen quietschen unter der Last der schweren Limousine auf. Die Adresse ist gefunden, und der Fahrer fühlt sich seines Jobs wieder sicherer. Auf besonderen Wunsch wählt er die Route über Hofjägerallee und Ku’damm, da sich Franziska im Vorbeifahren das am Bahnhof Zoo neu eröffnete Waldorf Astoria anschauen möchte. Berlin hat die höchste Fünf-Sterne-Hotel-Dichte Europas. Internationale Namen wie The Regent, Rocco Forte oder Hyatt stehen für Gastlichkeit auf höchstem Niveau. Das geht aber genau in dem Moment schief, wenn örtliches Personal eingestellt wird. Dann landet man automatisch wieder bei einem Stern. Berliner sind mit latenter Körperspannung versehene Vollversager. Das ist das Drama der Hauptstadt. Dicke Fresse, aber nichts dahinter.

Das in den Köpfen bundesweit immer noch unter »Drogen« abgelegte Viertel am Bahnhof Zoo wird aktuell einer Rosskur unterzogen, die weitreichende Veränderungen mit sich bringen soll. So versprechen es sich zumindest die Stadtplaner der City West. Zeitgleich mit der Errichtung des imposanten neuen 5-Sterne-Hotels wurde das Bikini-Gebäude kernsaniert und damit rund um die Gedächtniskirche ein Bild wiederhergestellt, welches ursprünglich für das Westberlin von Eberhard Diepgen stand: Männer mit goldenen Brillen, deren Gläser blau verliefen, stiegen aus Limousinen und trafen sich in samtbehangenen Hinterzimmern. Es waren genau diese angenehm korrupten Hinterzimmer, in denen Franziskas Vater die Steil Media AG zu dem machte, was sie heute ist. Vormittags besuchte man das KaDeWe, nachmittags den Zoo, und abends bat Dieter Thomas Heck seine Schlagerfuzzis an die Bar des Schweizer Hofs zum Komasaufen. Komischerweise findet die junge Generation diese Örtlichkeiten wieder hipp, fotografiert sie in Instagram-Optik und imitiert so ihre Videokamera schwenkenden Eltern.

Befeuert durch Geld von zweifelhafter Herkunft, etabliert sich hier, ungeachtet des vollkommen überschuldeten Stadthaushalts, wieder eine Mischpoke aus Luxusboutiquen, repräsentativen Stadtwohnungen und Ballhäusern – ein Kosmos, zu dem immer weniger Leute Zugang finden. Nicht nur materiell, sondern in erster Linie vom Verständnis. Aber so war es schon immer in Berlin. Alles war schon mal da, alles war schon mal weg. Adlon, Stadtschloss, Ku’damm – gekommen, um zu gehen; wiedergekommen, um zu nerven. Wen interessieren heute noch die ehemaligen Toplocations in der Friedrichstraße oder am Gendarmenmarkt? Ist es die schiere Größe der Stadt, oder die schiere Unfähigkeit ihrer Bewohner, den Place to be länger als die Debatte darüber aufrechtzuerhalten? Düsseldorfs Königsallee, Münchens...


Westerbeck, Jens
Jens Westerbeck wurde 1977 in Bünde, Ostwestfalen geboren. Nach seiner Ausbildung zum Kaufmann machte er sich 2000 als Unternehmer selbstständig und arbeitete von 2005 bis 2010 als Yachtbroker. Seit 2010 ist er freier Autor (u.a. für Atze Schröder) und Schriftsteller. »Boatpeople« war sein erster Roman.



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