E-Book, Deutsch, 224 Seiten
West Der Botschafter
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-95530-240-5
Verlag: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-95530-240-5
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Morris Langlo West wurde 1916 in St. Kilda, Australien geboren. Mit 14 Jahren trat er in den Orden der Christian Brothers ein, der Katholizismus beeinflusste West nachhaltig. 1937 schloss er sein Studium an der University of Melbourne ab und unterrichtete anschließend moderne Sprachen und Mathematik an den Klosterschulen des Ordens in New South Wales. 1942 verließ er den Orden und kämpfte etwa zu dieser Zeit auch im Zweiten Weltkrieg, bis er 1943 Sekretät des früheren australischen Premierministers, Billy Hughes, wurde. Während seiner Zeit bei der Armee schrieb er ein Buch über sein Leben im Kloster, das er 1945 unter dem Pseudonym Julian Morris veröffentlichte. Etwa zur Zeit des Kriegsendes arbeitete er für den australischen Rundfunk, nachdem er jedoch wegen eines Zusammenbruchs ein Jahr im Krankenhaus gelegen hatte, verkaufte er sein Unternehmen und arbeitete fortan ausschließlich als Schriftsteller. Sein erster Gedichtband erschien 1955, gefolgt von den erfolgreichen Romanen 'Gallows on the Sand' im selben Jahr und 'Kundu' ein Jahr später. Mit dem Geld, das er mit den Romanen verdiente, reiste er ins Ausland und lebte einige Zeit in Österreich, Italien, England und den USA. Viele seiner Bücher sind von seiner Zeit in Italien inspiriert. Erst 1980 kehrte er nach Australien zurück. Wests Bekanntheit wurde durch einige Verfilmungen seiner Bücher noch gesteigert. Viele seiner Werke behandeln ethisch-religiöse Konflikte oder haben politische Brisanz. Am 9. Oktober 1999 starb Morris West in Sydney.
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Erstes Kapitel
Meine Fähigkeiten als Diplomat sind anerkannt. In seinem Abschiedsschreiben bezeichnete der Präsident meine Karriere als glänzend und verdienstvoll, meine Arbeit als einen Gewinn für die Vereinigten Staaten von Amerika. Ich habe dieses Kompliment nicht ohne Ironie entgegengenommen, dennoch war ich mir bewußt, es verdient zu haben.
Fünfunddreißig Jahre lang war ich im Auswärtigen Dienst, zehn Jahre davon als Botschafter. Ich habe meinen Anteil an schwierigen Missionen geleistet und genug Kastanien aus dem Feuer geholt. Nicht einmal meine Gegner können mich offenkundiger Fehler zeihen. Ein oder zwei spektakuläre Erfolge sprechen für sich selbst.
Einige meiner Freunde halten meinen Entschluß, den Dienst mitten in einer aufsteigenden Karriere zu quittieren, für mein diplomatisches Meisterstück. Sie weisen darauf hin, daß der Präsident, dessen Wohlwollen ich in hohem Maße besitze, mich jederzeit zur Übernahme von Sonderaufträgen zurückrufen könne, andererseits hätte ich nun endlich die Hände frei, meine ehrgeizigen politischen Ziele zu verfolgen.
Meine Freunde setzen voraus, daß ich politischen Ehrgeiz besitze. Man kennt mich als einen kühlen Rechner und hartgesottenen Verhandlungspartner – ein Ruf, der einer diplomatischen Karriere nur förderlich sein kann. Sollte ich mich geändert haben, so hatten meine Freunde bisher wenig Zeit und Gelegenheit, es wahrzunehmen. Das Gewissen, das Maxwell Gordon Amberley – wie sollten sie davon wissen, da doch Maxwell Gordon Amberley selbst es erst vor kurzem entdeckt hat? Ich habe mich, was meinen Abschied betrifft, peinlich genau an die Gepflogenheiten des Staatsdienstes gehalten. Nach Phung Van Cungs Tod blieb ich noch volle zwölf Monate im Dienst – mehr als genug, um die Regierung von jeglicher Verantwortung für diesen Tod und seine Folgen zu entbinden. Dann fuhr ich zu einem Routinebesuch nach Washington, gab Handküsse und absolvierte Besprechungen über den nächsten Auftrag. In einer New Yorker Klinik unterzog ich mich einer Generaluntersuchung. Drei Wochen später reichte ich mein Rücktrittsgesuch ein – aus Gesundheitsrücksichten.
Die wahren Gründe? Sie zu suchen, bin ich hier, in dem alten Zen-Heiligtum von Tenryu-ji: dem Tempel des Himmlischen Drachen bei Kioto in Japan.
Es ist Herbst. Der heilige Ahorn am Tor flammt rot vor der dunklen Mauer der Pinien. Der Himmel hat den heimlichen Glanz von Perlen. Still liegen die abgefallenen Blätter auf den Teichen und den geharkten Sandwegen, auf den Steinen und dem lebendigen Grün der Moosflecken. Auf meinen Spaziergängen sehe ich den Mönchen bei der Pflege ihres Gartens zu. Sie arbeiten stetig, mit Geduld und Hingabe für das einzelne; aus jeder Pflanze, jedem Grashalm lassen sie einen Goldenen Buddha erstehen.
Mit gekreuzten Beinen sitze ich auf der Strohmatte in Muso Sosekis Haus und trinke Tee, den er mir nach den vorgeschriebenen Zeremonien bereitet hat. Von Muso Soseki lasse ich mich durch einen der meditativen Dialoge führen, die Mondo genannt werden.
»Warum kommst du hierher?«
»Ich suche Erleuchtung.«
»Warum hast du sie nicht gefunden?«
»Weil ich sie suche.«
»Wie wirst du sie finden?«
»Indem ich nicht suche.«
»Wo wirst du sie finden?«
»Nirgendwo.«
»Wann wirst du sie finden?«
»Niemals.«
Der Dialog gleicht der Anlage des Tempels, des Gartens, des Hauses. Hier ist alles sparsam und karg, voller Bedeutung, ins Unendliche weisend. Die Matte, auf der ich sitze, scheint sich über den Sand der Pfade und die vom Flossenschlag der Karpfen gekräuselten Teiche fortzusetzen.
Muso Soseki ist ein Mönch des Zen-Kultes. Er ist auch Wächter, Gärtner, Meister der Kalligraphie und der Kunst des Drückens mit Holzblöcken. Die Pinselstriche seines Namens bedeuten: Fenster, das sich auf einen Traum öffnet. Er ist fünfundsiebzig Jahre alt, stämmig, braun, verwittert wie altes Gestein. Sein Gesicht hat die Stille der Güte und einen Schimmer von Humor. Er hat eingewilligt, mein Lehrer zu sein, und bedient sich der Methoden des Zen, um mich dem Augenblick der Einsicht und Erleuchtung entgegenzuführen, der Satori heißt.
Ich bedarf der Erleuchtung. Vor drei Jahren schon hätte ich bleiben und sie erwarten sollen, damals, kurz nach dem Tode meiner Frau, als George Groton mich zum erstenmal hierherbrachte.
Zu dieser Zeit war ich amerikanischer Botschafter in Japan, eine wichtige Figur auf der politischen Bühne Ostasiens. Ich glaube, ich spielte meine Rolle nicht schlecht. Ich habe eine Begabung für Sprachen, viel Geschmack an exotischen Gebräuchen und ein feines Ohr für Zwischentöne. Alles andere war nicht mein Verdienst, sondern Zufall – mir zugefallen als Geschenk von Gabriele, meiner Frau.
Sie hatte Charme, Taktgefühl, Humor und eine mühelose Harmonie, die sich, solange sie bei mir war, auch meinem Leben mitteilte. Als sie starb, zersprang die Harmonie mit einem Mißklang. Jeder Bruch in meinem Wesen öffnete sich, und die alten Fehler traten von neuem hervor.
Ich habe nie die Fähigkeit des Glaubens besessen und sie auch nicht vermißt. Die Liebe meiner Frau war mir genug. Gewiß hatte ich das, was man religiöse Gefühle nennt. Ich besuchte Gottesdienste, wenn das Protokoll es erforderte, und es gelang mir sogar, Gefallen daran zu finden. Im übrigen genügte mir der Trost meiner Hausgötter und der Priesterin, die ihnen und mir diente.
Ihr Tod stürzte alle meine Heiligtümer. Ich vergrub sie, versteckte ihre Trümmer vor dem Tageslicht. Jedes Mitgefühl stieß ich zurück, wurde abweisend, arbeitswütig, kleinlich: ein unerträglicher Chef meiner Mitarbeiter, die sich mehr und mehr von mir zurückzogen. Nur die Japaner, dieses schizophrene Volk, schienen mein Bedürfnis nach einer Periode heilsamer Raserei zu akzeptieren, von meinen Landsleuten lediglich George Groton, ein junger Botschaftssekretär. Er begriff offenbar, was in mir vorging, und ließ sich weder durch meine Zornausbrüche noch durch Arroganz brüskieren. Nach wie vor war er fleißig, gut gelaunt und furchtlos: ein langer gutgewachsener Kerl, Brillenträger, mit abfallenden Schultern und einem Schopf sandfarbenen Haares. In schwachen Stunden ertappte ich mich bei dem Wunsch, einen Sohn zu haben wie ihn.
Eines Nachts – er versah Spätdienst am Funkgerät – holte er mich aus dem Bett, um mir die letzten Code-Telegramme auszuhändigen. Ich hatte vor dem Schlafengehen getrunken, meine Laune war entsprechend, und ich ließ es ihn spüren. Als ich fertig war, holte er tief Luft, baute sich breit vor mir auf und sagte: »Sir, Sie machen sich und uns kaputt. Wenn Sie nicht wollen, daß wir Ihnen helfen, dann lassen Sie uns wenigstens unsere Arbeit tun, so gut es geht.«
Sprachlos starrte ich ihn an. Er zuckte die Schultern und bedachte mich mit einem entwaffnenden Grinsen.
»Wenn Sie wollen, Sir, können Sie mich nach Hause schicken, aber einer mußte es Ihnen sagen.«
»Warum ausgerechnet Sie, Groton?«
»Mrs. Amberley war sehr freundlich zu mir. Vor ihrem Tode mußte ich ihr versprechen, auf Sie aufzupassen.«
Ich schämte mich. Schweigend nahm ich die Telegramme an mich, schloß mich in mein Zimmer ein und weinte wie ein Kind.
Am nächsten Morgen sandte ich Groton eine förmliche Notiz, in der ich mich entschuldigte und bedankte. Eine Woche später lud er mich zu einem Ausflug des Botschaftspersonals ein. Es ging nach Kurama, zum jährlichen Feuerfest, und da Kurama nicht weit von Kioto entfernt liegt, schien es die natürlichste Sache der Welt, den Tempel des Himmlischen Drachens in Kioto zu besichtigen. Dort traf ich Muso Soseki.
Wenn Groton Zeit gehabt hätte, wäre er ein großer Diplomat geworden. Er war ein Mann von einfachem, klarem Denken, das unmittelbar zum Kern eines Problems vorstieß. Dabei besaß er genug Feinfühligkeit und guten Willen, sich den Denkvorgängen seines Gegenübers anzupassen. Nach seinem gewaltsamen Tod in Saigon habe ich noch einmal geweint. Dann nie wieder.
Muso Soseki empfing mich mit der selbstverständlichen Höflichkeit eines Menschen, der mit sich, seiner Vergangenheit und seiner Welt in Einklang steht. Während er mich durch den Tempelgarten führte, erklärte er mir seine Anlage in der Weise des Zen: nicht als zufällige Ansammlung von Schönheit, sondern als ein sinnvolles Kunstwerk aus harmonischen Verbindungen und enthüllenden Kontrasten – eine Stätte spiritueller Ereignisse, ein Mittel der Erleuchtung, wirksamer als Bücher und Diskussionen.
Er hielt mir keinen Vortrag; er sprach über diese Dinge in einer natürlichen, intimen Weise, liebevoll, mit tiefer Anteilnahme, wie ein Freund zum Freunde. Große Mühe gab er sich, mir den Begriff Satori klarzumachen. Ein Satz ist mir im Gedächtnis geblieben:
»Die Wurzel aller menschlichen Verzweiflung, Amberley-san, ist das Gefühl der Entfremdung von der natürlichen Ordnung des Weltalls. Satori bewirkt eine Erleuchtung des Geistes, in der das Wesen des Ichs und des Universums in Klarheit erscheint und das Gefühl für die Verwandtschaft und Einheit aller Dinge sich enthüllt.«
Meine eigene Verzweiflung war noch so jung und schmerzhaft, daß ich bei diesen Worten aufhorchte und ihn bat, sie deutlicher auszulegen. Lächelnd lehnte er ab.
»Kommen Sie wieder, dann trinken wir Tee und sprechen in Ruhe.«
Ich kehrte nach Tokio zurück, befangen in diesem Erlebnis wie im Nachklang eines schönen stillen Traumes. In einem Brief dankte ich Muso Soseki für seine Freundlichkeit und bat ihn um ein...