Wesenberg / Bieker | Tiere in der Sozialen Arbeit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Wesenberg / Bieker Tiere in der Sozialen Arbeit

Mensch-Tier-Beziehungen und tiergestützte Interventionen
2. aktualisierte Auflage 2024
ISBN: 978-3-17-044801-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Mensch-Tier-Beziehungen und tiergestützte Interventionen

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-17-044801-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Tiere als therapeutische und pädagogische Helfer einzusetzen, ist heute fächerübergreifend üblich geworden. Die Forschung hat die förderlichen physiologischen, psychologischen und sozialen Effekte der Mensch-Tier-Interaktion umfassend bestätigt.
Das Lehrbuch geht von diesen positiven Befunden der bio-psycho-sozialen Wirkungen von Mensch-Tier-Interaktionen aus. Im Mittelpunkt stehen einerseits Grundlagen und Formen eines gezielten Einsatzes von Tieren in verschiedenen Arbeitsfeldern Sozialer Arbeit. Andererseits werden persönliche Beziehungen zwischen Menschen und Haustieren mit ihren positiven wie auch negativen Facetten betrachtet und die Frage beantwortet, wie Fachkräfte der Sozialen Arbeit die Tiere ihrer Klientinnen und Klienten in der Praxis berücksichtigen können.

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2 Thesen und Theorien zum Verständnis der Mensch-Tier-Beziehung und ihrer Wirkungen
T Was Sie in diesem Kapitel lernen können Ganz verschiedene theoretische Modellvorstellungen werden herangezogen und entwickelt, um die persönlichen Beziehungen zwischen Menschen und Tieren in ihren förderlichen Potenzialen zu verstehen und zu erklären. Lange Zeit erfolgte die Theoriebildung dabei eher ›konkurrierend‹, wobei sich gegenwärtig auch immer häufiger ›integrative‹ Konzepte entwickeln. In der folgenden Auswahl werden einige der meistbemühten Erklärungsversuche kurz vorgestellt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit (die Darstellung basiert wesentlich auf einer Überarbeitung und Ergänzung früherer Ausführungen der Autorin: Wesenberg, Nestmann 2012, Wesenberg 2015 und Nestmann, Wesenberg, Beckmann 2016). 2.1 Die Biophilie-Hypothese
»The object of the reflection can be summarized by a single word, biophilia, which I will be so bold as to define as the innate tendency to focus on life and lifelike processes.« Edward O. Wilson 1984: Biophilia, S. 1 Einen zentralen und oft genannten Ansatz zur Erklärung der Mensch-Tier-Beziehung und ihrer Effekte stellt die Biophiliehypothese dar, die der Evolutions- und Soziobiologe Edward O. Wilson in den 1980er Jahren entwickelte. In seinem 1984 veröffentlichten Werk »Biophilia: The Human Bond with other Species« beschreibt er Biophilie als angeborene Neigung des Menschen, sich Leben und lebensähnlichen Prozessen zuzuwenden. Demnach fühlen sich Menschen von frühester Kindheit an von allem Lebendigen angezogen und erleben die Beschäftigung mit ihrer belebten Umgebung als wesentlich interessanter als die Bezugnahme zu ihrer unbelebten Umwelt. Diese menschliche Affinität zu Leben und lebensähnlichen Prozessen hat sich nach Wilson (1993) über Millionen Jahre hinweg entwickelt, da der Mensch während seiner ganzen Evolutionsgeschichte immer eng verbunden mit anderen Lebewesen gelebt hat. Der Biophiliebegriff nach Wilson umfasst dabei alle Arten der Bezugnahme zur Natur. Biophilie schließt demnach sowohl Attraktion als auch Aversion, Wertschätzung und Ehrfurcht ebenso wie Angst und Abneigung ein. Die evolutionäre Verbundenheit von Mensch und Tier »mag auf Verwandtschaft, auf Neugierde oder auch auf Beachtung des anderen Lebens aufgrund von Furcht zurückgehen; sie kann auf Ausnutzung der anderen Lebewesen oder auf Gemeinsamkeit im Sinne von Bindung oder von Kumpanei zielen; sie kann die Qualität des Erlebens von Schönheit, des Verspürens von Empathie oder von geistiger Einheit haben« (Olbrich 2003a, S. 70). Stephen Kellert (1993) entwickelte die Biophiliehypothese weiter und unterscheidet insgesamt neun verschiedene Perspektiven der Biophilie: utilitaristisch, naturalistisch, ökologisch-wissenschaftlich, ästhetisch, symbolisch, humanistisch, moralistisch, dominierend und negativistisch. Jede dieser Perspektiven bedeutet eine spezifische Form der Bezugnahme zu anderen Lebewesen und lebensähnlichen Prozessen, die mit einer je eigenen Wahrnehmung und Bewertung von Natur einhergeht. Nach Kellert beinhaltet jede Perspektive dabei bestimmte Vorteile, die dem Menschen während seiner Evolution das Überleben ermöglicht bzw. erleichtert haben. In den verschiedenen Perspektiven sind die vielfältigen emotionalen Facetten, die Biophilie beinhalten kann, in unterschiedlichen Ausprägungen vorhanden. Die humanistische Perspektive betont beispielsweise das Gefühl einer tiefen Verbundenheit mit der Natur. Die Einnahme dieser Perspektive kann demnach zu einer erhöhten Fürsorge oder einer engen Bindung an einzelne andere Lebewesen führen. Demgegenüber ist eine negativistische Perspektive durch Gefühle wie Angst, Aversion oder Abneigung gegenüber bestimmten Elementen der Natur gekennzeichnet. Eine gelungene Zusammenfassung der Perspektiven und Wirkungen der Biophilie nach Kellert findet sich im »Handbuch der Tiergestützten Intervention« von Monika Vernooij und Silke Schneider (2008) (? Tab. 1). Tab. 1:Perspektiven von Biophilie nach Kellert (1993) Perspektive Beschreibung Wirkung Utilitaristische Perspektive Nutzenbezogene Verbundenheit zwischen Mensch und Natur: Tiere als Nahrungs- und Bekleidungslieferanten lebenswichtige Mikroorganismen im menschlichen Körper Erhalt und Sicherung des Überlebens Schutz vor Gefahren Befriedigung physischer und materieller Bedürfnisse Naturalistische Perspektive Natürliche Verbundenheit zwischen Mensch und Natur Zufriedenheit und Entspannung durch den Kontakt mit Natur Neugierde, Faszination und Bewunderung für deren Vielfalt und Komplexität Förderung der physischen und kognitiven Entwicklung Ausübung sportlicher Aktivitäten im Freien Ökologisch-wissenschaftliche Perspektive Systematische Analyse der Strukturen, Funktionen und Beziehungen in der belebten wie unbelebten Natur: ökologischer Schwerpunkt: Wechselbeziehungen, Verbundenheit, Ganzheitlichkeit wissenschaftlicher Schwerpunkt: Reduktion von Komplexität, Analyse, Aufbau neuer Strukturen Wissenserwerb Verstehen der Zusammenhänge Förderung der Beobachtungsfähigkeiten Erkennen von Kontrollmöglichkeiten Ästhetische Perspektive Anziehungskraft von und Bewunderung für die physische Harmonie und Schönheit der Natur Inspiration Harmoniegefühl Zufriedenheit Sicherheit Symbolische Perspektive Kategorien/?Schemata (Codes) in der Natur als Orientierung für menschlichen Ausdruck, das Denken, in der Interaktion und Kommunikation (Sprache) Förderung der Interaktions- und Kommunikationsfähigkeit sowie der kognitiven Möglichkeiten Anreize für Identifikationsprozesse Humanistische Perspektive Tief erlebte, emotionale Verbundenheit mit der Natur bzw. mit spezifischen, in der Regel empfindungsfähigen Elementen in der Natur, z.?B. einem Tier Gruppenzugehörigkeit Gemeinschaftsgefühl Aufbau von Beziehungen Bindung und Fürsorge Bereitschaft, zu kooperieren und zu teilen Empathie Moralische Perspektive Starke Affinität zu, spirituelle Ehrfurcht vor, ethische Verantwortung für die Natur Ordnung und Sinn des Lebens (Seelen-)?Verwandtschaft Zugehörigkeit zu einem übergeordneten Ganzen Dominierende Perspektive Kontrolle und Beherrschung der Natur durch den Menschen kontrollierendes Handeln Basis für die Entwicklung menschlicher Techniken und Fertigkeiten Negativistische Perspektive Angst, Aversion und Antipathie des Menschen bezogen auf unterschiedliche Aspekte der ihn umgebenden Natur Impuls bzw. Motivation für die Erarbeitung und Einrichtung von Schutz- und Sicherheitsvorrichtungen für den eigenen persönlichen Lebensbereich Dabei bestimmen mehrere Perspektiven gemeinsam bzw. parallel die individuelle Form der Bezugnahme zur Natur oder zu einzelnen Lebensbereichen. Nach Kellert (1993) umfasst der Nutzen der Tiere für den Menschen ganz eindeutig nicht nur ihren instrumentellen Wert, sondern auch die Erfüllung vielfältiger emotionaler und kognitiver Bedürfnisse. Die Erhaltung der natürlichen Vielfalt des Lebens erscheint entsprechend umso wichtiger, als dass sie nach Kellert die beste Möglichkeit für den Menschen bedeutet, ein erfülltes und zufriedenstellendes Leben zu führen. Menschen brauchen demnach den Kontakt zu anderen Lebewesen, um sich gesund zu entwickeln. Die von Wilson begründete Annahme einer dem Menschen inhärenten Affinität zu allem Lebendigen wird von vielen Autor_innen als theoretische Grundlage zur Begründung der Mensch-Tier-Beziehung...


Prof. Dr. phil. Sandra Wesenberg ist Gastprofessorin für Klinische Psychologie mit den Schwerpunkten Beratung und Therapie an der ASH Berlin.



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