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E-Book, Deutsch, Band 2

Reihe: Paul Schwartzmüller ermittelt

Werrelmann Tödlicher Winter

Paul Schwartzmüller ermittelt. Ein Siebenbürgen-Krimi
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7517-4843-8
Verlag: Eichborn
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Paul Schwartzmüller ermittelt. Ein Siebenbürgen-Krimi

E-Book, Deutsch, Band 2

Reihe: Paul Schwartzmüller ermittelt

ISBN: 978-3-7517-4843-8
Verlag: Eichborn
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Winter in Siebenbürgen. Ein eisiger Schneesturm hat das alte Heimatdorf des Journalisten Paul Schwartzmüller fest im Griff. Im Sommer hatte er dort nicht nur einen Mordfall aufgeklärt, sondern sich auch in die mysteriöse Maia verliebt - nun steht er, bibbernd vor Kälte und Aufregung, wieder vor ihrem Hoftor. Doch Maia hat in der Zwischenzeit einen anderen Mann geheiratet. Als der kurz darauf tot im Wald gefunden wird, gerät Paul sofort in Verdacht und landet in einer Zelle der trutzigen Kirchenburg. Von dort beobachtet er in den langen Winternächten höchst Seltsames: Im Wald kriechen Menschen durch den Schnee und scheinen etwas zu suchen ... Aber was? Und: Haben sie etwas mit dem Toten zu tun?



Lioba Werrelmann, Jahrgang 1970, hat Politische Wissenschaften studiert, beim WDR volontiert und ist seit 1989 für die ARD und verschiedene Tageszeitungen tätig.Unter dem Pseudonym Lilly Bernstein veröffentlicht sie im Ullstein Verlag historische Romane, die regelmäßig zu Bestsellern werden. Ihr erster Kriminalroman HINTERHAUS wurde 2020 mit dem renommierten FRIEDRICH-GLAUSER-PREISfür das beste Debüt ausgezeichnet. Lioba Werrelmann lebt in Köln.

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EINS


Wenige Stunden zuvor …

Paul zog den Bauch ein und bemühte sich, ruhig zu atmen. Ein. Aus. Ein. Aus. Doch zu seinem Entsetzen entfuhr seinem Mund ein Schnaufen, als sei er vom Flughafen bis hierher gerannt und nicht von Sorin in dessen klapprigem Geländewagen kutschiert worden. Auf seiner Stirn bildete sich ein feuchter Film. Und das neue Hemd, das er trug, konnte den Bauch, der in den letzten Monaten ein ganzes Stück gewachsen war – die Weihnachtstage hatten das ihrige dazu getan –, kein bisschen verbergen. Schlimmer noch, er wölbte sich gut sichtbar über den Gürtel. Das war selbst im spärlichen Licht der drei einzigen Straßenlaternen, die die stille Gasse beleuchteten, gut zu erkennen.

Am liebsten hätte er auf der Stelle kehrtgemacht.

»Lass uns weiterfahren!«, hörte er Sorin in seinem Rücken jammern. »Ich habe Hunger! Ich weiß, du hast sie lange nicht gesehen. Aber kannst du das nicht auf morgen verschieben?«

Paul zwang sich, so zu tun, als habe er Sorin nicht gehört. Wie sehr hatte er diesen Augenblick herbeigesehnt! Sechs Monate und dreizehn Tage, um genau zu sein. Denn so lange war es her, dass er von Maia Abschied genommen hatte, auf der Lügenbrücke in Hermannstadt, und ihm war, als habe es kaum einen Moment gegeben, an dem er seither nicht an sie gedacht hätte. Der neue Job hatte ihm einiges abverlangt, die Chefredakteurin auch. Doch Maia aus dem Kopf zu bekommen, und sei es auch nur für ein Stündchen, das war ihm nicht gelungen.

Er hätte es auch gar nicht gewollt.

Und nun war er da, der große Augenblick. Er brauchte nur an die niedrige Tür neben dem hölzernen Tor zu klopfen und einzutreten.

Wenn er bloß nicht so schwitzen würde! Er schwitzte sonst nie. Aber die Hand, mit der er sich gerade über die Stirn gefahren war, musste er umgehend an seiner Hose abwischen, so nass war sie. Zugleich bibberte er von Kopf bis Fuß, was kein Wunder war. Die Jacke hatte er vor lauter Aufregung im Auto gelassen. Dabei hatte ihn schon bei seiner Ankunft am Flughafen ein schneidender Wind begrüßt. Und je weiter sie Hermannstadt, oder Sibiu, wie die Rumänen die Stadt nannten, hinter sich gelassen hatten, je tiefer der ARO 240 sich ins transsilvanische Hinterland gegraben hatte, desto kälter war es geworden. Das neue Jahr war erst wenige Tage alt, und offenbar bereitete sich ein sehr grimmiger Winter darauf vor, in den allernächsten Stunden über Siebenbürgen herzufallen.

Paul unternahm einen weiteren Versuch, den Bauch einzuziehen, und stellte sich gerader hin. Kopf hoch, Schultern zurück. Vermied es, an sich herabzublicken. Trocknete die nasse Hand noch einmal, so gut es eben ging, an der Jeans.

»Sie schläft wahrscheinlich längst«, meldete Sorin sich erneut zu Wort. »Lass uns morgen früh hingehen, wenn wir Glück haben, kocht sie uns Mamaliga. Das wird super. Jetzt aber …«

»Ach, sei doch still!«

Es kam brüsker heraus, als es gemeint war. Paul japste. Merkte, dass er den Bauch mittlerweile so sehr einzog, dass er fast keine Luft mehr bekam. Er wollte jetzt nicht an Mamaliga denken, oder Palukes, wie die Siebenbürger Sachsen den Maisbrei nannten. Dabei liebte er dieses warme, sämige Gericht. Vor allem so, wie Maia es zubereitete, mit einem Schuss frischer Milch obenauf. Und, bei aller Freundschaft, er wollte auch Sorins Genöle nicht länger ertragen.

Alles, was er wollte, war, diesen einen Moment auszukosten. Still die Luft einzusaugen, die ihm hier, in dieser Straße, vor diesem Haus, so süß und betörend schien wie nirgendwo sonst auf der Welt. Ihm war beinahe, als könne er den Schnee, der für die nächsten Tage angekündigt war, schon riechen. Der Geruch von Holzfeuern mischte sich mit dem des nahen Waldes.

Die Hunde hatten ihr abendliches Konzert bereits begonnen, das heisere Kläffen derer, die auf den Höfen an ihren Ketten zerrten, mischte sich mit dem der wild umherstreifenden Meute. Und trotz des schwindenden Lichts sah Paul die einzelnen Häuser ganz genau vor sich. Eins an das andere gebaut, die Giebel zur Straße, darunter die hohen Tore, groß genug, um während der Sommermonate das Vieh morgens und abends hindurchzulassen. An den meisten waren die Farben, in denen sie vormals gestrichen worden waren, längst verblasst, fast überall bröckelte der Putz. Und doch war noch zu erahnen, wie sie einst die schnurgerade Gasse geziert hatten, in Pastellgrün, Zitronengelb, Rosarot. Auch dieses hier, vor dem er stand, war früher bunt erstrahlt, in einem ganz sanften Violett, wie soeben erblühter Flieder. Jetzt war es vollkommen grau. Die Rose, die es geschmückt hatte, als er im Sommer zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder hierhergekommen war, und die er sogleich aus den glücklichen Tagen seiner Kindheit wiedererkannt hatte, schlängelte sich noch bis unters Dach. Doch an diesem kalten Januartag war von ihr nichts geblieben als ein dicker, knorriger Trieb, dem man kaum noch zutraute, dass Leben in ihm steckte.

Wie sehr hatte er sich hierher zurückgesehnt! Nun musste er nur genügend Mut fassen, um sich endlich bemerkbar zu machen.

Wenige Details hatten sich verändert seit seinem letzten Besuch. In das einzige Fenster, das zur Straße zeigte – im Sommer war es mit Brettern vernagelt gewesen –, hatte jemand ein neues Glas eingesetzt. Und auch das Tor hing nicht mehr so schief in den Angeln. Mehr noch. Ein recht neuer, silbern glänzender Riegel verschloss es, als sei dahinter womöglich etwas Wertvolles verborgen. Auch die schmale Tür daneben, die bei seinem letzten Besuch nur einen zarten Windstoß benötigt hatte, um aufzuschwingen, schien fest verrammelt. Dabei führten Tür und Tor doch nur in Maias Hof, wo es, wie Paul wusste, allerhand Wunderliches gab, aber doch ganz sicher nichts von Wert.

Maia.

Paul schmeckte den Namen auf seinen Lippen, spürte, wie er sich aus ihm heraus flüsterte. So lange schon trug er ihn mit sich. Er wachte mit diesem Namen auf und schlief mit ihm ein, er dachte ihn Hunderte Male am Tag. Es war sogar beinahe schon vorgekommen, dass er die Chefredakteurin so angesprochen hätte. Sie duzten sich mittlerweile, wofür es Gründe gab, aber natürlich hieß sie nicht Maia, und zum Glück hatte sie es nicht bemerkt.

Maia. Paul spürte immer noch ihre Hand an seiner Wange an jenem Tag, an dem sie voneinander Abschied genommen hatten. Eine Geste, so flüchtig, dass man hätte meinen können, sie hätte keinerlei Erinnerung hinterlassen. Doch das Versprechen, das darin lag, raubte ihm seit Monaten den Schlaf.

Kommst du wieder?, hatte sie ihn gefragt.

Und er hatte es bejaht.

»Ich fahr dann mal vor.« Paul hörte, wie Sorin seinen ARO 240 anließ. Der Geländewagen aus Ceausescu-Zeiten klang, als würde ein altersschwacher Generator gestartet. »Kannst ja hinterherkommen«, brüllte Sorin über den Lärm hinweg. »Carry wartet bestimmt schon mit dem Essen. Du weißt ja, wie sie ist!«

Der ARO machte jetzt einen solchen Krach, dass ein Dutzend Vögel, das sich auf der über die Straße gespannten Stromleitung zum Schlafen niedergelassen hatte, krächzend davonflog.

»Nun komm!« Aus den Augenwinkeln sah Paul, wie Sorin sich weit aus dem Autofenster lehnte. »Es reicht, wenn du sie morgen siehst! Das ist früh genug für«, er unterbrach sich, fluchte, der ARO war stotternd ausgegangen, startete den Wagen neu. »Das ist früh genug für alles!«

Paul schnaufte ein letztes Mal. Sollte Sorin ruhig schon mal vorfahren. Keine Minute länger wollte er mehr warten und schon gar nicht bis morgen früh. Er musste sich nur endlich durchringen, an die niedrige Tür zu klopfen. Das konnte doch nicht so schwer sein!

Und ehe er sichs versah, hatte er fest dagegengepocht. So laut, dass die Hunde auf einen Schlag verstummten. Der ARO ging, als habe auch er sich erschrocken, gleich wieder aus, kurz röchelte er noch, dann wurde es vollkommen still.

Paul kam es so vor, als schlage sein Herz ihm nun zum Halse hinaus. Verdammt, er war beinahe fünfzig Jahre alt. Ein gestandener Mann, einer, der schon bei einer ganzen Reihe von Frauen an die Tür geklopft hatte. Kein Grund, wie ein Siebtklässler von einem Bein aufs andere zu treten! Wobei, den Bauch würde er jetzt doch gern noch ein bisschen mehr einziehen. Vielleicht, wenn er das eine Bein vor das andere schob und sich ein wenig zur Seite lehnte … Da hörte er es. Schritte. Auf der anderen Seite der niedrigen Tür näherte sich jemand.

Paul wusste mit einem Mal nicht mehr, wohin mit seinen Händen. Wo waren die Pralinen, die er extra aus Köln mitgebracht hatte? Lagen die etwa noch im Auto? Er konnte Maia doch unmöglich ohne Gastgeschenk gegenübertreten. Wenn er ganz schnell die wenigen Meter zurücklief …

Ein Zittern, als hätte jemand auf der anderen Seite mit dem Fuß gegen die Tür getreten. Das Klimpern eines Schlüssels. Die Tür schwang auf.

Doch es war nicht Maia, die ihm öffnete. Es war ein junger Mann. Halb bekleidet und sehr mürrisch dreinblickend.

»Da?«, fragte er, was so viel bedeutete wie »ja?«, und beugte sich ein wenig vor, als wolle er schauen, ob hinter Paul noch weitere Besucher standen.

»Ich bin Paul«, beeilte Paul sich zu sagen, wechselte kurz ins Rumänische, »eu sunt Paul«, um vor lauter Verwirrung gleich wieder auf Deutsch weiterzusprechen. »Ich bin ein Freund von Maia. Und ich, ähm, ich komme zu Besuch.«

Der Fremde schien kein Wort zu verstehen. Nicht besonders groß war er, einen ganzen Kopf...


Werrelmann, Lioba
Lioba Werrelmann, Jahrgang 1970, hat Politische Wissenschaften studiert, beim WDR volontiert und ist seit 1989 für die ARD und verschiedene Tageszeitungen tätig. Unter dem Pseudonym Lilly Bernstein veröffentlicht sie im Ullstein Verlag historische Romane, die regelmäßig zu Bestsellern werden. Ihr erster Kriminalroman HINTERHAUS wurde 2020 mit dem renommierten FRIEDRICH-GLAUSER-PREIS für das beste Debüt ausgezeichnet. Lioba Werrelmann lebt in Köln.



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