E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Wenger Mein Leben in Rot und Weiß
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-641-26466-6
Verlag: Ariston
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie du Niederlagen überstehst und Siege erreichst
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-641-26466-6
Verlag: Ariston
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Arsène Wenger gehört zu den erfolgreichsten Fußballtrainern der Welt. 22 Jahre lang stand er an der Seitenlinie des FC Arsenal und gewann mehrere Meisterschaften und Pokalsiege. Erstmals gibt Wenger tiefgehende Einblicke in sein Leben - seine Kindheit in Frankreich, seine Anfänge als Fußballer bis hin zu seinem Abschied in England. Aber was heißt für ihn Erfolg? Wie führt er Teams? Oder wie geht er mit Niederlagen um? Was war früher anders, was war besser, aber vor allem: was bleibt? Arsène Wenger erzählt seine Autobiographie - und schöpft dabei aus den Erfahrungen und Erkenntnissen seiner einzigartigen Karriere: Er gibt Auskunft darüber, welche Werte und Erfolgsprinzipien ihn zu seinen Erfolgen als Trainer geführt und zu dem Menschen gemacht haben, der er heute ist. Und er zeigt, dass ein starker Wille, Leidenschaft, harte Arbeit und Spielfreude, die sich aus Selbstvertrauen und Teamerfolg speist, nach wie vor unverzichtbar sind. Im Fußball, im Sport und darüber hinaus.
Arsène Wenger wurde am 22. Oktober 1949 in Straßburg geboren. Er ist Fußballfunktionär, - trainer und ehemaliger Spieler. Über Stationen in Frankreich und Japan kam er 1996 zum englischen Erstligisten FC Arsenal, bei dem er bis 2018 als Trainer tätig war. Seit Herbst 2019 ist er als 'Direktor für globale Fußballförderung' beim Weltverband FIFA angestellt. Wenger hat eine Tochter.
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Ich habe Arsenal am 13. Mai 2018 verlassen.
22 Jahre lang war dieser Verein mein Leben: meine Leidenschaft, meine ständige Sorge. Dank Arsenal übte ich meinen Trainerberuf so aus, wie ich es mir wünschte – ich konnte das Leben der Spieler beeinflussen, einen Spielstil prägen und schöne Siege feiern. Ich hatte eine Freiheit und eine Macht, wie sie Trainer heute nicht mehr haben.
Nach diesen unglaublichen, starken, unvergesslichen Jahren war es schwer, von Arsenal wegzugehen und all das zu verlieren. Arsenal ist noch immer ein Teil von mir: Ich sage »mein Verein«, wenn ich darüber spreche, und obwohl er in anderen Händen liegt, denke ich mit Liebe an den Club, an die Fans und an die Spieler, die ich ausgewählt, ausgebildet, begleitet und angespornt habe, ihr Bestes zu geben. Mich interessieren das Spiel und die Menschen, diese Momente der Seligkeit, die der Fußball jenen schenkt, die ihn lieben und für ihn alles geben. Die gewonnenen Spiele sind kostbare Erinnerungen, und die verlorenen, die ich noch immer nicht wieder anzusehen wage, lassen mir noch Jahre später keine Ruhe: Was hätte man anders machen müssen? Was ist passiert? Mein ganzes Leben ist bestimmt von der Liebe zum Sieg und der Verachtung der Niederlage.
Fußball ist meine Leidenschaft, und diese Leidenschaft erlischt nicht.
Als ich bei Arsenal anfing, wussten die Engländer nicht, wer ich war. Die Frage »Arsène Who?« war immer wieder zu hören. Das verstand ich. Ich war der dritte ausländische Trainer in der Geschichte des englischen Fußballs. Mit den ersten beiden war es nicht gut gelaufen. Die Engländer haben den Fußball erfunden wie die Franzosen den Wein. Man holt ja auch keinen Engländer nach Bordeaux, um Wein herzustellen. 22 Jahre lang habe ich versucht, die Wahrheit des Spiels, des Platzes ans Licht zu bringen. Ich hatte schon Siege, Niederlagen, Enttäuschungen, gewaltige Wut, Abschiede und großartige Spieler kennengelernt, aber keine andere Mannschaft hat mich je so sehr eingenommen.
Der Verein hat sich stark verändert und ich mich mit ihm. Und der Fußball sich mit uns. Der Fußball, den ich praktizierte, die Bedingungen, unter denen ich meine Leidenschaft ausübte, die Freiheit, die ich genoss, auch diese lange Zeit an der Spitze eines Vereins, all das gibt es kaum noch. Ich bin nicht sicher, ob heute ein Spieler, der mit 14 Jahren noch keinen Verein und mit 19 Jahren noch keinen Coach hat, von der einer unteren Amateurliga in die Ligue 1 aufsteigen und so viele Spiele spielen, so viele Abenteuer erleben kann. Ich bin auch nicht sicher, ob heute ein Trainer eine Mannschaft wie Arsenal führen und Spieler auswählen kann, wie ich es getan habe, in völliger Freiheit und mit bedingungslosem Engagement. Das war ein Glück – und zudem ein gewolltes Opfer.
In den letzten Jahren hat der Fußball große Veränderungen erfahren.
Einige erscheinen mir gravierender als andere.
Die Internationalisierung der Eigentümer, das Aufkommen der sozialen Netzwerke mit ihren Anforderungen und Exzessen, mehr Einsamkeit und Druck sowohl bei den Spielern als auch beim Trainer angesichts einer immer höheren Erwartung – der Fußball hat sich vor und nach dem Spiel stark verändert, insbesondere durch eine viel ausführlichere rationale Spielanalyse. Doch eine Sache ändert sich nicht: Die 90 Minuten gehören noch immer dem Spieler als einzigem König.
Europa wird nicht mehr wie früher von den drei Vereinen Bayern, Real und Barça dominiert. Die anderen Mannschaften haben sich ihrem Niveau angepasst.
Die Spielanalyse hat einen sehr großen Platz eingenommen, und zwar schon ab der Halbzeitpause, wodurch man das Spiel besser versteht und über objektive Kriterien zur Analyse verfügt, während zuvor alles der Subjektivität des Trainers überlassen war. Dennoch bleibt der Trainer der alleinige Entscheider.
Die Statistik und die Wissenschaft sollen ein Teil der Leistungsanalyse sein, aber sie dürfen nur mit umfassender Spielkenntnis eingesetzt werden. Die neusten Studien zeigen, dass die Spieler durch eine zu starke Beachtung der Zahlen entmutigt werden, was wohl daran liegt, dass sie fürchten, dadurch ihre Individualität zu verlieren.
Der Trainer ist mehr denn je für das Ergebnis verantwortlich, obwohl er nicht immer die Möglichkeit hat, alle Entscheidungen zu beeinflussen. Und die Kommentare sind noch immer übertrieben, sowohl in die eine als auch in die andere Richtung: »Er ist genial …«, »Er ist absolut unfähig …«.
Oft begleiten einen diese Veränderungen, ohne dass man sich ihrer bewusst wird, und man konzentriert sich weiter auf seine Überzeugungen. Aber heute habe ich die Blase meines Berufs verlassen und erkenne alles viel deutlicher: die ungerechtfertigten Angriffe, die übertriebenen Kommentare, die Einsamkeit des Trainers … Ich lese täglich L’Équipe, ich sehe zwei, drei Spiele pro Tag, ich höre zu und frage mich, inwiefern das Gesagte richtig ist, warum es so kam, wie es kam, wo die Wahrheit des Spiels liegt. Und genau das kann ich auch mit meinem Leben, meiner Karriere, meiner Leidenschaft tun.
Ich beobachte diese Veränderungen, ich denke darüber nach, und zugleich erscheint mir der Fußball noch immer als das, was er ist und sein soll: ein Spiel, bei dem alles passieren kann, Spieler, 90 Minuten, großartige Spielzüge, etwas Glück, Talent, Mut, gemischt mit einer Prise Zauber und für den Zuschauer die Suche nach Emotionen, Erinnerungen, Lebensweisheiten.
Im Fußball regiert der Leistungsdruck. Man muss Abstand gewinnen und die Dinge aus der Ferne analysieren. Damit sich ein Verein entwickeln kann, sind drei Schritte nötig: Strategie, Planung und Umsetzung.
Ich spiele, seit ich ein Kind war. Ich habe Amateurvereine mit Spielern und Trainern kennengelernt, die einen wunderbaren Fußball spielten, allen Spielen entgegenfieberten, über nichts als Fußball sprachen. Sie fuhren im Schlafwagen zweiter Klasse durch ganz Frankreich, um zu spielen, und kehrten in den frühen Morgenstunden nach Straßburg zurück, wo sie gleich darauf in einer Fabrik arbeiten gingen, ohne sich zu beklagen und ohne etwas anderes zu hoffen, als wieder auf dem Platz zu stehen und das nächste Spiel zu gewinnen. Dabei entstehen Freundschaften fürs Leben, und die Trainer jener Mannschaften waren meine Mentoren. Sie waren voller Begeisterung, aber auch realistisch, und sie konnten ihre Liebe zum Spiel weitergeben.
Das Spielen macht mich noch heute glücklich. Dabei leben in mir meine kindlichen Gefühle wieder auf, wie in allen, die auf welchem Niveau auch immer Fußball spielen.
Ein Tag ohne ein Fußballspiel erscheint mir wie ein leerer Tag. Seit ein paar Monaten passiert es mir ab und zu, dass ich im Fernsehen ein Spiel meiner Lieblingsmannschaften oder ein anderes Spiel, das mich interessiert, verpasse. Ich sehe mir diese Spiele zwar sehr gern an, weil ich weiter lerne, nachdenke und versuche, das Spiel zu verstehen. Doch manchmal verbringe ich einen Abend statt mit einem heiligen Fußballspiel lieber mit meiner Tochter oder mit Freunden. Früher wäre das unmöglich gewesen. Nun erlebe ich ruhigere Momente, in denen mir die Schönheit um mich herum bewusst wird: die Schönheit einer Landschaft oder einer Stadt wie London oder Paris, wo ich mich immer öfter aufhalte.
35 Jahre lang lebte ich wie ein Hochleistungssportler, besessen von meiner Leidenschaft. Ich ging nicht ins Theater, nicht ins Kino, vernachlässigte die Menschen in meinem Umfeld. 35 Jahre lang verpasste ich kein Spiel, keinen Pokal, keine Meisterschaft, was eine eiserne Disziplin erforderte – und so lebe ich weiterhin: Ich stehe um 5:30 Uhr auf, mache meine Fitnessübungen, trainiere, esse und trinke wie meine ehemaligen Spieler. Ich weiß nicht mehr, ob ich das freiwillig tue oder in der Gewohnheit gefangen bin. Aber ich kann nur so leben. Ich glaube, sonst wäre ich unglücklich. Wenn Glück bedeutet, das Leben, das man führt, zu lieben, kann ich sagen, dass ich glücklich war und bin.
In all diesen Jahren zählte für mich nichts als das nächste Spiel und sein Ergebnis. In all diesen Jahren wollte ich nichts als gewinnen. Meine Zeit und meine Gedanken waren ganz auf dieses eine Ziel ausgerichtet. Nur auf dem Platz war ich wirklich da. Wenn ich mit anderen zusammen war, auch mit den Menschen, die ich liebe, war ich oft abwesend. Ich sah nichts, oder ich sah alles in Rot-Weiß, den Farben aller Mannschaften, die ich trainierte: Nancy, Monaco, Nagoya, Arsenal. Für mich gab es weder Schönheit noch Vergnügen oder Entspannung. Urlaub zu nehmen, es mir gut gehen zu lassen, kam mir nicht in den Sinn, oder nur sehr selten. Sogar nachts träumte ich von Fußball. Ich träumte von zukünftigen Spielen, von Ratschlägen, die ich erteilen konnte, von den zwei, drei Spielern, bei denen ich mir nie sicher war: Sollte ich sie von Anfang an spielen lassen, sie nicht zurückhalten, den Frust besänftigen, sie weiter motivieren? Sie waren meine Gespenster.
Mit meinen Freunden scherze ich, dass Gras – jenes Gras eines Stadionrasens, über das so viele Füße laufen, das den Ausgang eines Spiels beeinflussen kann, dessen Pflege ich bei Arsenal peinlich genau überwachte und über das ich jeden Morgen mit dem Vereinsgärtner diskutierte – meine einzige Droge ist. Sie lachen darüber, aber es ist wahr. Es ist meine Droge. Seit meinem Abschied von Arsenal habe ich Vereinen abgesagt, bei denen ich glaubte, nicht die gleiche Freiheit, die gleiche Macht zu haben. Das Angebot der FIFA nahm ich an, weil es eine neue Herausforderung und eine vielversprechende Möglichkeit ist, über meinen Sport nachzudenken und im Team zu arbeiten. Möglicherweise bis ich wieder in das...