E-Book, Deutsch, Band 3, 592 Seiten
Reihe: Nachspiel
Wendig Star Wars™ - Nachspiel
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-20446-4
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Ende des Imperiums
E-Book, Deutsch, Band 3, 592 Seiten
Reihe: Nachspiel
ISBN: 978-3-641-20446-4
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Chuck Wendig ist Schriftsteller, Drehbuchautor und Spieleentwickler. Derzeit lebt er mit seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn in den Wäldern von Pennsyltucky.
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1. Kapitel
Dieser Teil von Taris ist eine Ödnis, und Mercurial Swift huscht hindurch wie eine Ratte durch ihre Schlupflöcher. Der Kopfgeldjäger klettert durch die Trümmer eines einstigen Wohngebäudes, dessen Räume längst zerstört sind. Durch die geborstenen Mauern kann man das Chaos der verwüsteten Stadtlandschaft sehen, eine verwüstete Welt, in der neues Leben zu wachsen versucht: dahinkriechende, dreifingrige Ranken und verwirbelte Spiralen aus schleimglänzenden Pilzen. Und auch Wesen leben hier, obwohl die Ruinen sie verbergen. Sie hausen zusammengedrängt in Frachtcontainern und zerbröckelnden Korridoren, unter den aufgerissenen Straßen und auf den Dächern von Gebäuden, die so instabil sind, dass sie schon bei der leichtesten Brise wie betrunken hin und her schwanken.
Seine Beute ist hier. Irgendwo.
Vazeen Mordraw, ein Trümmermädchen, das eine Ladung ID-Karten von der Gindar-Bande gestohlen hat – Karten, die ihrerseits Würdenträgern der Neuen Republik gestohlen wurden. Mit ihnen könnte man mühelos durch die bekannten Welten reisen, ohne Alarm auszulösen oder Verdacht zu erregen. Die Gindar wollen diese Karten zurück, und als speziellen Bonus wollen sie auch das Mädchen.
Vorzugsweise lebendig. Tot, wenn es nicht anders geht.
Mercurial hat vor, sie in ersterem Zustand abzuliefern, und sei es nur weil es leichter ist, jemanden zurückzubringen, der sich selbst bewegen kann. Eine Leiche durch die Trümmer von Taris zu zerren wäre ein sicherer Weg, sich den Knöchel zu brechen. Und das würde diesen Job unnötig erschweren.
Da. Dort vorne. Ein Schrottsammler steht im Schatten einer eingestürzten Mauer und kratzt das schwammige Moos von den Steinen, vielleicht um seine Familie zu ernähren, vielleicht um es zu verkaufen. Der Junge hat einen kahlgeschorenen Schädel, schmutzverkrustete Wangen und eine geteilte Unterlippe – die Narbe zeigt an, dass er jemandes Eigentum ist. Er zuckt zusammen und wirbelt herum, um zu fliehen, aber Swift ruft ihm hinterher.
»He! Langsam, Kleiner.« Er schüttelt den kleinen Beutel in seiner Hand, und Credits stoßen klirrend aneinander. »Ich suche jemanden.«
Der Junge sagt nichts, aber zumindest bleibt er stehen. Seine Braue wandert misstrauisch in die Höhe, was Mercurial als Zeichen des Interesses deutet. Er tippt auf den Computer an seinem Handgelenk, und ein Hologramm leuchtet unvermittelt in der Luft über seinem Arm auf. Es zeigt ein Bild des Mädchens, Vazeen.
»Hast du sie gesehen?«
»Vielleicht.«
»Das ist keine Antwort.« Wieder schüttelt er den Beutel mit den Credits. »Ja oder nein?«
Der Junge zögert. »Ja.«
»Wo?«
»Ganz in der Nähe.«
Ja. Mercurial wusste, dass sie hier sein würde. Der alte Ithorianer am Raumhafen befreite sich gerade lange genug aus seiner gewürzgeschwängerten Benommenheit, um zu erklären, dass er das Mädchen kannte und dass es sich in der Nähe ihrer Familie verstecken würde. Ihr Onkel haust hier, in den Überresten des alten Talinn-Bezirks. Mit einem Mal ist Swift froh, dass Vazeen keine Verwandten auf der anderen Seite des Planeten hat – dort, wo die Reichen sich in gewaltige Türme zurückgezogen haben und von einer ganzen Armee privater Sicherheitskräfte beschützt werden.
»Wie nahe?«
Der Blick des Jungen huscht nach links und rechts, als wäre er nicht sicher, wie er darauf antworten soll. Was Mercurial zu der Vermutung führt, dass der Knabe sie tatsächlich kennt. »Ich …«
»Kleiner. Entweder ich gebe dir diese Credits, oder ich werfe dich durch das Loch in der Wand da. Du hast die Wahl: Willst du mit einer Tasche voll Geld nach Hause gehen oder mit zwei gebrochenen Beinen? Vielleicht auch zwei gebrochenen Armen.« Er entblößt seine Zähne zu einem scharfen Grinsen. »Es geht ziemlich tief runter.«
Und noch immer zögert der Junge. Er wägt seine Optionen ab, während der nach Sumpf stinkende Wind durch den zerstörten Korridor peitscht und pfeift.
»Ich werde ihr nicht wehtun«, versichert Mercurial dem Schrottsammler, und es ist nur teilweise gelogen. Er hat die Erfahrung gemacht, dass die meisten Leute egoistisch sein wollen, aber sie brauchen das Gefühl, als wären sie dabei selbstlos – sie brauchen eine Ausrede. Er hilft dem Jungen nur, sich gut zu fühlen, während er etwas Schlechtes tat. »Besser, ich finde sie als jemand anderes. Vertrau mir.«
Da ist es. Der Moment der Zustimmung. Der Junge schließt langsam die Augen; er hat seine Entscheidung getroffen, und endlich sagt er: »Sie ist ein Haus weiter. Die alte Palmyra-Gießerei. Vazeen hat da ein kleines Versteck.«
»Glückwunsch«, ruft Mercurial und wirft ihm den Beutel in die offene Hand. Gierig starrt der Junge darauf hinab. Wenn er nur wüsste, dass diese Credits kaum ihr Metall wert sind. Die imperiale Währung hat einen steilen Sinkflug hinter sich und ist zwischenzeitlich mit der Wucht eines Meteors am absoluten Tiefpunkt aufgeschlagen. Jeder sieht, dass das Imperium bald nur noch Sternenstaub sein wird. Was danach kommt?
Nun, das ist eine Sorge für einen anderen Tag.
Der Junge rennt davon.
Und Mercurial geht wieder auf die Jagd.
Stunden später liegt der Kopfgeldjäger flach ausgestreckt auf dem Bauch und hebt seinen Vierfachfeldstecher vor die Augen. Er starrt hindurch, holt die Gießerei Klick um Klick näher heran, bis er Details erkennen kann. Das Dach des Gebäudes ist flach und – wie alle hier – zerstört. Ein Ventilationsturm ist von der benachbarten Fabrik auf die Gießerei gestürzt und verbindet die beiden verfallenden Gebäude – das, so entscheidet Mercurial, wird sein Fluchtweg, falls alle Stricke reißen. Obwohl er sich nicht vorstellen kann, dass bei einer so einfachen Beute etwas schiefgehen könnte …
Plötzlich registriert er eine Bewegung auf dem Dach. Er rückt die Stelle in den Fokus und sieht, wie sich eine kleine Blechplatte zur Seite bewegt. Im sterbenden Licht des Tages kommt darunter ein Schopf pinkfarbenen Haares zum Vorschein.
Ziel entdeckt.
Ein kleiner Teil von ihm ist aufgeregt, weil er sie gefunden hat, aber gleichzeitig empfindet er Bedauern. Vor seinem geistigen Auge sieht er, wie es ablaufen wird, und alles endet mit einem wertlosen Kopfgeld. Er wird sie schnappen. Er wird sie zu den arroganten Gindars bringen. Sie werden ihm seine magere Belohnung geben – keine imperialen Credits, die benutzt niemand mehr; sondern Gutscheine, die er bei bestimmten Händlern auf bestimmten Welten gegen Ausrüstung oder Munition einlösen kann. Aber natürlich akzeptiert sie nicht jeder, und was ein solcher Gutschein wert ist, hängt ganz davon ab, wem diese Währung gehört. In diesem Fall also den Gindars. Die gehören zur frillianischen Konföderation. Die Frillianer wiederum gehören zur Schwarzen Sonne. Und die Schwarze Sonne ist ihr eigener Herr. Zumindest noch. Aber wer weiß, wie lange das so bleibt – das Imperium zerfällt, die Neue Republik befindet sich im Aufwind, und die Syndikate wissen, dass diese Zeiten des Umbruchs eine riesige Gelegenheit darstellen, wenn man nur bereit ist, sie zu ergreifen. Die Frage ist also: Wer kann diese Chance beim Schopfe packen? Es gibt bereits Spannungen zwischen den Syndikaten; sie versuchen einander zu übertrumpfen, eine Vormachtstellung zu erringen. Ein Schattenkrieg braut sich zusammen. Denn sie wollen nicht nur den Geldstrom kontrollieren, sondern über das kriminelle Schicksal der gesamten Galaxis entscheiden. Die Schwarze Sonne. Das Schattensyndikat. Die Hutten. Der Rote Schlüssel. Die Crymorah. Die Souveräne Freiheit von Maracavanya. Was für ein Chaos.
Früher oder später, das weiß Mercurial, wird auch jemand versuchen, ihn zu kontrollieren. Aber er hat nicht vor, jemandes Eigentum zu werden.
Der Kopfgeldjäger erhebt sich und steigt aus der verbogenen, zerdellten Hülle eines alten Frachters, der vor Urzeiten auf dem Dach des Wohnblocks abgestürzt sein muss und nun kaum mehr ist als eine Skulptur aus verrosteten Metallträgern. Nachdem er seine Schlagstöcke gezogen hat, geht alles ganz schnell: Er rennt los, springt vom Rand des Daches und zündet zweimal kurz nacheinander sein Jetpack. Das Knistern der Energie erfüllt die Luft hinter ihm, und er wird nach vorne katapultiert, sodass die Gießerei ihm förmlich entgegenzuspringen scheint. Swift landet, rollt sich ab, und als er wieder auf die Füße kommt, eilt er mit wirbelnden Schlagstöcken auf den behelfsmäßigen Unterstand zu, in dem Vazeen sich versteckt hat.
Sie tritt darunter hervor, sieht ihn – er kann erkennen, dass sie ihn sieht –, und doch bleibt sie reglos stehen. Im ersten Moment denkt er: Sie weiß, dass das Spiel vorbei ist, aber das ergibt keinen Sinn. Dieses Mädchen ist auf der Flucht, und das hier ist ihr Planet; sie sollte erschrecken. Sie sollte wegrennen. Jeder rennt weg.
Aber sie bleibt, wo sie ist, und starrt ihn direkt an.
Die Erkenntnis trifft Mercurial wie ein Knüppel:
Sie rennt nicht weg, weil sie ein Köder ist.
Verdammt!
Er hechtet in eine weitere Rolle, und das verzerrte Jaulen eines Betäubungsstrahls zerreißt die Luft über seinem Kopf. Als er wieder auf die Beine springt, erwartet er, einen alten Bekannten zu sehen: einen alten Feind, einen betrogenen Kumpan, eine Exfreundin mit gebrochenem Herz und geladenem Blaster. Die Frau, die stattdessen auf ihn zukommt, ist älter, mit silbernem Haar, das sich im Wind bewegt. Wer immer sie ist, sie kommt ihm vage vertraut vor, aber er hat keine Zeit, alle Gesichter durchzugehen, denen er je begegnet ist, denn...