Welsh | Liebe Schwester | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Welsh Liebe Schwester

Roman
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-423-40334-4
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-423-40334-4
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein wunderbar humorvoller Roman über zwei Schwestern und das Leben und die Liebe im Alter Ein wunderbar humorvoller Roman über zwei Schwestern und das Leben und die Liebe im Alter - von der Schöpferin des berühmtesten kleinen Vampirs in der Literatur, genannt >Das Vamperl<. Josefa und Karla, zwei Schwestern, beide verwitwet, leben seit Jahren gemeinsam in der ehemaligen elterlichen Wohnung in Wien. Ihre Beziehung ist liebevoll bis bissig - wie mit zunehmendem Alter und unterschiedlichen Charakteren nicht anders zu erwarten. Klar, daß sie sich gelegentlich auf die Nerven gehen, wirft doch jede der anderen vor, herrschsüchtig und rechthaberisch zu sein. Während Karla mit ihren geschwollenen Beinen Fotos sortiert und in Anagrammen zu sprechen liebt, versucht Sefa den Haushalt und die Einkäufe zu erledigen. Gelegentlich gehen auch beide zum Friedhof, um die Gräber der Eltern und Ehemänner zu versorgen. Eines Tages erinnert sich die in Amerika lebende Enkelin von Karla ihrer österreichischen Wurzeln und beginnt Fragen zu stellen. So kommt Bewegung in das Leben der beiden Frauen. Nicht immer stimmen ihre Erinnerungen überein, und es kommt zum Streit. Doch je tiefer sie eintauchen in die Vergangenheit, um so unwichtiger werden die kleinen Beschwerden des Alltags und um so lebendiger wird die Gegenwart. Diesem Umstand verdanken die beiden Damen die Bekanntschaft eines älteren Herrn, der unerwartete Gefühle weckt ...

Renate Welsh, geboren 1937 in Wien, studierte Englisch, Spanisch und Staatswissenschaften und schreibt seit 1970 sowohl Kinder- und Jugendbücher als auch Bücher für Erwachsene. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Sie lebt in Wien.
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Autoren/Hrsg.


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Der Zettel mußte in ihrer Manteltasche sein. Ganz bestimmt in der Manteltasche. Im Vorzimmer hatte Karla ihr den Zettel gegeben, sie hatte ihn gefaltet und in die Tasche gesteckt, ohne ihn zu lesen. Zwei Straßenbahnfahrscheine, ein halb zerbröseltes Papiertaschentuch, drei Gummiringe, zwei davon zerrissen, eine Büroklammer, Sesamkörner. Wieso Sesamkörner?

Vor der Kasse warteten sechs Frauen und drei Männer mit hochgetürmten Wagen. Als drohe demnächst eine Hungersnot. Die Kassierin hielt die Hand auf, das taten sie alle, offenbar wurde ihnen das so beigebracht, egal, für welche Kette sie arbeiteten, es machte einen unangenehm fordernden und zugleich bettelnden Eindruck. Wollte man den Kassierinnen auf diese Weise klarmachen, daß der Bettel an Lohn, den sie bekamen, eine milde Gabe war, oder den Käuferinnen und Käufern ein schlechtes Gewissen machen? Die weißhaarige Dame vor Sefa suchte in ihrer Börse nach Kleingeld. Sefa hatte schon oft festgestellt, daß ihr selbst die Münzen angesichts dieser Geste immer wieder entglitten. Ihre Nase juckte. Sie knöpfte den Mantel auf, holte das Taschentuch aus der Jackentasche, spürte Papier. Wie war die Einkaufsliste hierhergeraten? Sefa setzte die Brille auf.

»Weil Mode bunt – tanze. Mondzeit– Weltenbau«, stand da. Langsam begann sich Sefa Sorgen um Karla zu machen. Die Schwester wurde immer seltsamer in letzter Zeit. Bei nächster Gelegenheit würde sie mit Dr.Staller sprechen. Man las und hörte so viel über Alzheimer.

Auf dem Heimweg mußte sie dreimal den Korb auf ein Mäuerchen stellen und kurz verschnaufen. Sie hatte eindeutig zuviel eingekauft. Wieder einmal dachte sie dankbar, welches Glück es war, in Hietzing zu wohnen. Hier gab es noch Vorgärten, an deren Zäunen man kurz rasten konnte. Manchmal keifte ein Hund, das war nicht weiter schlimm, wenn man nicht gerade so sehr erschrak, daß das Herz verrückt spielte.

Mit dem Zettel in der Hand ging sie ins Wohnzimmer. »Sag einmal, was soll das?«

Karla zog die Brauen hoch, lächelte. »Bist du nicht draufgekommen?«

Sefa stützte sich auf den Tisch, so mußte die Schwester zu ihr aufblicken. Ihre Fußsohlen brannten. Gehen war nicht das Problem, das lange Anstellen an der Kasse machte ihr Schwierigkeiten. Die Zufriedenheit in Karlas Gesicht war schwer zu ertragen.

»Du hast es wirklich nicht erraten?« Sie reichte ihr ein vollgeschriebenes Blatt. »Da ist noch mehr. Setz dich doch, du mußt müde sein.«

»Das bin ich allerdings. Die Warterei zermürbt einen. Warum die nicht eine zweite Kasse aufmachen können, verstehe ich nicht.«

»Sparmaßnahmen«, sagte Karla. »Brauchst du meine Brille?«

Sefa nahm ihre eigene Brille aus dem Etui und las halblaut:

»Mann wob Zeile. Duett?

Zimtnadeln – wo? Beute!

O Lenz, Mut! Wabe dient.

Maid zu nobel. Wetten?

Ob mein Wadel zu nett?

Wien malzt bunte Ode.

Taube weint. Zen, Dolm!

Tanze, weil Mode bunt!

Walze, du Mottenbein!

Eule motzt: Wein, Band...«

»Was zum Kuckuck soll das?« fragte Sefa.

Karla kicherte. »Anagramme, wenn du weißt, was das ist.«

Sefa machte eine wegwerfende Geste. »Reiner Blödsinn!«

»Du verstehst eben nichts von Literatur. Schau doch die Buchstaben an!«

»Also ich habe wirklich Besseres zu tun.«

»Du läßt dir ja nicht helfen. Ich wollte, ich könnte mehr tun. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schlimm es ist, zuschauen zu müssen...« Karla senkte den Kopf, als erwarte sie einen Schlag, nahm Sefa den Wind aus den Segeln, machte sie hilflos wütend.

»Also was bedeuten diese Ana...«

»Gramme«, ergänzte Karla. »Anagramme auf Zwiebel und Tomaten! Ich glaube, ich finde noch einige, das ist erst der Anfang!« Wie sie triumphierte.

»Der Plural von Zwiebel ist «, sagte Sefa.

Karla zuckte mit den Schultern. Sie wandte sich dem ›Standard‹ zu. Sefa war fast überzeugt, daß sie ihn nur wegen des Kreuzworträtsels abonniert hatte. Sie las zwar die Nachrichten, suchte auch die Länder im Atlas, die plötzlich durch irgendwelche Katastrophen auf die Titelseite geraten waren und früher ganz anders geheißen hatten, manchmal schien es, als hielte sie die Katastrophen für eine zwar traurige, aber nicht weiter verwunderliche Folge der Namensänderung, sie las auch sämtliche Rezensionen und sonstigen Artikel auf den Kulturseiten, nicht ohne dazu zu bemerken, daß sie sowieso nirgends mehr hinkäme, was auch offenbar kein großer Verlust sei, sie habe keine Lust, Figaro im Sexshop oder Aida im Cockpit zu sehen, außerdem wolle sie die kostbaren Erinnerungen an George London als Don Giovanni, an Giulietta Simionato als Carmen, an Anton Dermota als Octavio nicht verwässern, die Callas habe sie ja leider nicht auf der Bühne erleben dürfen, weil Sefa ausgerechnet an dem Tag, an dem sie nach Milano – sie sagte nie Mailand – fahren wollte, ins Krankenhaus eingeliefert wurde, woraus sie ihr natürlich keinen Vorwurf mache. Sobald sie dann die Seite mit dem Rätsel aufblätterte, begannen ihre Augen zu leuchten, gab sie auch keine Kommentare mehr ab. Das Rätsel war die Belohnung für eifriges Studium der Zeitung. Der Pudding nach dem Gemüseeintopf.

»Blutwanze, meide Not!« rief Karla begeistert.

Sefa zog sich in ihr Zimmer zurück.

Sie legte sich auf ihr Bett, starrte die Zimmerdecke an. Schon wieder zog ein neuer Riß mit feinen Verästelungen in Richtung Fenster. Sie sollten wirklich neu ausmalen lassen. Dann müßte sie allerdings sämtliche Schränke, Regale und Kommoden ausräumen. Bei der bloßen Vorstellung wurden ihre Arme und Beine schwer. Autogenes Training sollte sie wieder machen. Meine Arme und Beine sind schwer. Angeblich würde das gegen den hohen Blutdruck helfen. Ihre Arme und Beine wurden auch so schwer genug.

Friedrich blickte düster aus dem silbernen Rahmen auf dem Nachttisch. Natürlich würde sie sich hüten, irgend jemandem ein Wort davon zu sagen, an der Tatsache zweifelte sie schon lange nicht mehr: an manchen Tagen blinzelte Friedrich recht vergnügt unter den buschigen Brauen, zeigte sogar ein Schmunzeln im linken Mundwinkel, dann wieder schaute er so streng, daß sie das Foto am liebsten zur Wand gedreht hätte. Es gab genug andere Bilder von ihm, freundlichere, meist Schnappschüsse von einer Reise, einem Ausflug. Kurz nach seinem Tod hatte sie dieses Foto ausgesucht und rahmen lassen, wenn sie jetzt immer wieder mit dem Gedanken spielte, es gegen ein anderes auszutauschen, erschien ihr das wie Untreue. Schau nicht so bös, Friedrich, was hab ich denn getan?

Karla macht mir eben Sorgen. Man wird sich doch noch um die eigene Schwester sorgen dürfen, oder? Schließlich betrifft es mich, das mußt du wohl zugeben! Du hast gut reden, du kennst das alles nicht, aber ich habe es erlebt mit Mama, und damals war ich jünger und gesünder. Ich an ihrer Stelle würde selbstverständlich in ein Heim gehen, aus Rücksicht auf sie. Aber der Vorschlag muß von ihr kommen, nicht von mir. Ich werde mich hüten! Manchmal denke ich, sie läßt sich einfach gehen. Ist ja auch sehr bequem für sie. Man merkt immer noch, daß sie Mamas verwöhnter Liebling war, so etwas schüttelt man nicht so leicht ab. Dich hat sie übrigens auch herumgekriegt, Friedrich, da mußt du gar nicht so strafend herabblicken auf mich, ich habe ja gesehen, wie du sie mit den Augen betatscht hast.

Und weißt du was? Ich bin ziemlich sicher, daß du mir nur treu warst – falls du mir treu warst–, weil du zu träge warst, um dich zur Untreue aufzuraffen. Hast dich das eine oder andere Mal tief in ihre Augen oder ins Dekolleté verirrt, vergessen, ihre Hand loszulassen beim Abschied, und Julius stand daneben und erklärte mir, welche katastrophale Fehleinschätzungen sich der Außenminister wieder geleistet hatte. Oh, ich hab genau gesehen, wie feucht und offen ihre Lippen waren, wenn du in der Nähe warst, aber ihr habt uns ja für blind und taub gehalten und euch selbst womöglich noch für tugendhaft, wenn ihr es nie bis ins Bett geschafft habt. Entschuldige, Friedrich, das wollte ich wirklich nicht sagen. Verzeih.

Entschlossen stand sie auf, ging in die Küche, schälte und schnitt Zwiebeln und Tomaten, machte mehr Lärm beim Kochen als nötig war.

»Köstlich«, sagte Karla beim ersten Bissen. »Reichst du mir bitte das Salz?«

»Du weißt doch, daß zu viel Salz für dich sehr ungesund ist.«

»Weiß ich.« Karla griff über den Tisch nach dem Salz. Schweigend...


Welsh, Renate
Renate Welsh, geboren 1937 in Wien, studierte Englisch, Spanisch und Staatswissenschaften und schreibt seit 1970 sowohl Kinder- und Jugendbücher als auch Bücher für Erwachsene. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Sie lebt in Wien.

Renate Welsh, geboren 1937 in Wien, studierte Englisch, Spanisch und Staatswissenschaften und schreibt seit 1970 sowohl Kinder- und Jugendbücher als auch Bücher für Erwachsene. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Sie lebt in Wien.



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