Wells Alfie kehrt heim
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7325-1485-4
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Katzenroman
E-Book, Deutsch, Band 1, 285 Seiten
Reihe: Die Abenteuer des Kater Alfie
ISBN: 978-3-7325-1485-4
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kater Alfie ist todtraurig: Seine Besitzerin ist plötzlich gestorben! Und jetzt soll er auch noch ins Tierheim abgeschoben werden. Er nimmt allen Mut zusammen und macht sich auf, ein neues Heim zu suchen. Das Leben als Streuner ist hart, trotzdem schlägt Alfie sich tapfer durch. Irgendwo muss es schließlich jemand geben, der ihn liebt! Doch dann findet er nicht nur ein Zuhause, sondern gleich ganz viele. Denn die Menschen von der Edgar Road brauchen ihn dringender, als Alfie sich das je erträumt hätte ...
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Kapitel Eins
»Das Haus auszuräumen wird nicht lange dauern«, sagte Linda.
»Du bist echt ’ne grenzenlose Optimistin. Schau dir doch nur mal den ganzen Mist an, den deine Mutter angesammelt hat«, erwiderte Jeremy.
»Jetzt bist du unfair. Sie hat wirklich schönes Porzellan, und außerdem kann man nie wissen: Einiges davon ist vielleicht sogar was wert.«
Ich tat, als würde ich schlafen, aber ich hatte die Ohren gespitzt und konnte genau hören, was sie sagten. Gleichzeitig versuchte ich, meinen Schwanz davon abzuhalten, unruhig hin und her zu peitschen. Ich hatte mich auf dem Stuhl zusammengerollt, den Margaret am liebsten mochte – oder besser gesagt: gemocht hatte –, und beobachtete ihre Tochter und ihren Schwiegersohn dabei, wie sie über das weitere Vorgehen diskutierten; und damit auch über meine Zukunft. Die vergangenen Tage waren schrecklich verwirrend gewesen, vor allem, weil ich noch gar nicht richtig begriff, was passiert war. Was ich allerdings verstand, während ich lauschte (und mich dabei bemühte, nicht in Tränen auszubrechen): Mein Leben würde nie mehr dasselbe sein.
»Sehr unwahrscheinlich. Auf jeden Fall sollten wir ein Entrümpelungsunternehmen beauftragen. Von dem Krempel wollen wir ja ganz sicher nichts aufheben.« Vorsichtig, damit sie es nicht mitbekamen, riskierte ich einen Blick. Jeremy war groß, grauhaarig und übellaunig. Ihn hatte ich nie besonders gemocht, aber die Frau, Linda, war immer nett zu mir gewesen.
»Ich würde gerne ein paar von Mums Sachen behalten. Sie wird mir fehlen.« Linda fing an, zu weinen, und am liebsten hätte ich jaulend mit eingestimmt, aber ich blieb stumm.
»Ich weiß, mein Schatz.« Jeremys Stimme wurde weicher. »Aber wir können nicht ewig hierbleiben. Jetzt, wo die Beerdigung vorbei ist, müssen wir das Haus zum Verkauf ausschreiben lassen, und, na ja, wenn wir es ausgeräumt haben, können wir in ein paar Tagen fahren.«
»Es fühlt sich nur so endgültig an. Aber du hast natürlich recht.« Sie seufzte. »Und was machen wir mit Alfie?« Ich richtete mich auf. Genau darauf hatte ich gewartet. Was würde aus mir werden?
»Wir werden ihn wohl ins Tierheim bringen müssen.« Ich konnte fühlen, wie mir die Haare zu Berge standen.
»Ins Tierheim? Aber Mum hat so an ihm gehangen. Es käme mir grausam vor, ihn jetzt einfach wegzugeben.« Ich wünschte, ich hätte meine Zustimmung äußern können – das war mehr als grausam.
»Aber du weißt doch, dass wir ihn nicht mit nach Hause nehmen können. Schatz, wir haben zwei Hunde. Eine Katze passt nicht zu uns, das muss dir doch klar sein.«
Ich war äußerst erbost. Es war ja nicht einmal so, als hätte ich unbedingt zu ihnen gewollt, aber ins Tierheim würde ich auf keinen Fall gehen.
Tierheim. Allein das Wort ließ mich am ganzen Leib erzittern; welch unpassender Name für etwas, das wir in der Katzengemeinschaft als »Todeszelle«, bezeichneten. Einige Katzen mochten ja Glück haben und in ein neues Zuhause vermittelt werden, aber wer wusste schon, wie es dort mit ihnen weiterging. Wer sagte, dass die neue Familie sie anständig behandelte? Die Katzen, die ich kannte, waren sich alle einig, dass ein Tierheim kein schöner Ort war. Und wir wussten nur zu gut, dass auf diejenigen, die kein neues Zuhause fanden, der Tod wartete.
Um nichts auf der Welt würde ich dieses Risiko eingehen, auch wenn ich mich durchaus für einen gut aussehenden Kater mit gewissem Charme hielt.
»Du hast ja recht, die Hunde würden ihn bei lebendigem Leibe auffressen. Und im Tierheim sind sie heutzutage ja sehr auf Zack, bestimmt finden sie schnell ein neues Zuhause für ihn.« Sie schwieg kurz, als ließe sie sich das Ganze noch einmal durch den Kopf gehen. »Nein, es geht nicht anders. Morgen früh rufe ich beim Tierheim an, und ein Entrümpelungsunternehmen suche ich auch raus. Ich denke, dann können wir auch einen Makler beauftragen.« Jetzt klang sie schon viel selbstsicherer, und ich wusste, dass damit mein Schicksal besiegelt war. Es sei denn, ich unternahm etwas dagegen.
»Jetzt denkst du wieder klar. Ich weiß, es ist schwer, aber deine Mum war alt, Linda, und um ehrlich zu sein, kam es ja nicht gerade überraschend.«
»Das macht es aber auch nicht leichter.«
Mit den Pfoten hielt ich mir die Ohren zu. Mir schwirrte der Kopf. In den vergangenen zwei Wochen hatte ich meine Besitzerin verloren, den einzigen Menschen, den ich je richtig gekannt hatte. Mein Leben war völlig auf den Kopf gestellt worden, und ich war todunglücklich, einsam und – wie es aussah – auch obdachlos. Was um alles in der Welt sollte ein Kater wie ich jetzt tun?
Ich war das, was man wohl als »Schoßkatze«, bezeichnen würde. Ich hatte nicht das Bedürfnis, die ganze Nacht draußen zu sein und zu jagen, herumzustreunen oder mich mit anderen Katzen zu treffen. Warum auch, schließlich hatte ich immer einen warmen Schoß, Futter und jede Menge anderer Annehmlichkeiten gehabt. Außerdem war ich nie allein gewesen: Ich hatte eine Familie gehabt. Doch dann war mir all das genommen worden, und nur mein gebrochenes Katerherz war übrig geblieben. Zum ersten Mal war ich vollkommen allein.
Fast mein ganzes Leben lang hatte ich in dem kleinen Reihenhaus gewohnt, bei Margaret, meiner Besitzerin. Ich hatte sogar eine Schwester namens Agnes gehabt, wobei: Eigentlich war sie mehr wie eine Tante gewesen, schließlich war sie wesentlich älter als ich. Als Agnes vor einem Jahr in den Katzenhimmel gegangen war, hatte ich einen Schmerz empfunden, den ich nie für möglich gehalten hätte. Aber ich hatte ja noch Margaret, die mich sehr liebte, und in unserer Trauer gaben wir uns gegenseitig Trost. Wir hatten beide sehr an Agnes gehangen und vermissten sie schrecklich, unser Kummer schweißte uns zusammen.
Erst vor Kurzem hatte ich allerdings erfahren, wie grausam das Leben wirklich sein konnte. Einige Wochen zuvor war Margaret eines Tages morgens nicht mehr aufgestanden. Ich hatte keine Ahnung gehabt, was mit ihr los war und was ich tun sollte – ich war ja schließlich nur ein Kater –, daher hatte ich mich einfach neben sie gelegt und gejault, so laut ich konnte. Zum Glück sollte an diesem Tag eine Krankenpflegerin kommen, die einmal in der Woche nach Margaret schaute. Beim Klang der Türklingel hatte ich schweren Herzens meinen Platz an Margarets Seite verlassen und war durch die Katzenklappe nach draußen geschlüpft.
»Oje, was hast du denn?«, hatte die Pflegerin gefragt, während ich aus vollem Halse gejault hatte. Erneut hatte sie auf die Klingel gedrückt, und ich hatte sie mit der Pfote am Bein gestupst – in dem sanften, aber bestimmten Versuch, ihr klarzumachen, dass etwas nicht stimmte. Schließlich hatte sie den Zweitschlüssel benutzt und Margarets leblosen Körper gefunden. Während die Pflegerin einige Anrufe gemacht hatte, war ich bei Margaret geblieben und hatte gewusst, dass sie für immer von mir gegangen war. Nach einer Weile waren dann ein paar Männer gekommen, um sie fortzutragen, und ich hatte nicht aufhören können, zu jaulen. Als sie mich nicht mit Margaret hatten mitgehen lassen, war mir klar geworden, dass mein Leben, so wie ich es kannte, vorbei war, und ich hatte gejault, bis ich heiser war.
Während Jeremy und Linda ihr Gespräch fortsetzten, sprang ich leise vom Stuhl und verließ das Haus. Auf der Suche nach den anderen Katzen der Nachbarschaft streunte ich durch die Gegend. Ich wollte sie um Rat fragen, aber da es fast Abendbrotzeit war, hatte ich Mühe, jemanden zu finden. Schließlich suchte ich eine liebe ältere Katze namens Mavis auf, die am anderen Ende der Straße wohnte. Laut miauend setzte ich mich vor ihre Katzenklappe. Sie wusste, dass Margaret gestorben war; sie hatte gesehen, wie man sie abgeholt hatte, und mich wenig später in meinem trauernden Zustand vorgefunden. Sie war eine mütterliche Katze – ein bisschen so wie Agnes – und hatte sich um mich gekümmert, mich jaulen lassen, bis ich keine Stimme mehr hatte. Geduldig war sie bei mir geblieben und hatte ihr Futter und ihre Milch mit mir geteilt, bis Linda und Jeremy gekommen waren.
Als sie mich rufen hörte, kam sie durch die Katzenklappe gesprungen, und ich erzählte ihr von meiner misslichen Lage.
»Sie können dich nicht mitnehmen?«, fragte sie und schaute mich dabei aus traurigen Augen an.
»Nein. Sie meinten, sie hätten Hunde, und, na ja, mit Hunden will ich sowieso nicht zusammenwohnen.« Bei dem Gedanken schüttelte es uns beide.
»Wer will das schon?«, bemerkte Mavis.
»Ich weiß nicht, was ich machen soll«, jammerte ich und bemühte mich, nicht schon wieder in Tränen auszubrechen. Mavis schmiegte sich an mich. Vor jenen Ereignissen waren wir uns nicht so nah gewesen, aber sie war eine sehr einfühlsame Katze, und ich war dankbar, sie zur Freundin zu haben.
»Alfie, du darfst nicht zulassen, dass sie dich ins Tierheim bringen«, warnte sie mich. »Ich würde mich ja um dich kümmern, aber ich fürchte, das geht nicht. Ich bin alt und müde, und meine Besitzerin ist nicht viel jünger, als deine Margaret es war. Du musst jetzt ein tapferer kleiner Kater sein und dir eine neue Familie suchen.« Liebevoll rieb sie ihren Hals an meinem.
»Aber wie mache ich das?«, fragte ich. Noch nie hatte ich mich so verloren und ängstlich gefühlt.
»Ich wünschte, ich hätte eine Antwort darauf. Sei einfach stark, und denk immer an das, was du gerade gelernt hast: Es gibt keine Sicherheit im Leben.«
Wir rieben unsere Nasen aneinander, und ich wusste, dass es nun Zeit war, zu gehen. Ein letztes Mal lief ich zurück zu Margarets Haus, um es mir einzuprägen, bevor ich wegging. Ich wollte, dass dieses Bild sich für immer in mein Gedächtnis einbrannte,...




