Israels Architektur der Besatzung
Buch, Deutsch, 384 Seiten, PB, Format (B × H): 160 mm x 244 mm, Gewicht: 713 g
ISBN: 978-3-89401-605-0
Verlag: Edition Nautilus
Von den unterirdischen Räumen des Westjordanlands und Gazastreifens bis zu den militarisierten Lufträumen zeigt Eyal Weizman Israels Kontrollmechanismen auf. Alle natürlichen und gebauten Elemente funktionieren hier entsprechend den Waffen und der Munition, mit denen der Konflikt geführt wird. Die vielfältigen Versuche, das Land zu besetzen, zu zerschneiden, zu teilen, auszuweiden, wieder zusammenzufügen und wieder zu bombardieren, hinterlassen ein zerstörtes und unbewohnbares Land.
Weizman verfolgt die Entwicklung dieser Ideen in Israel zurück: von den baurechtlichen Maßnahmen zum Erhalt des demografischen Verhältnisses zwischen der arabischen und jüdischen Bevölkerung, der Planung und dem Bau der Siedlungen bis zur urbanen Kriegsführung mit gezielten, luftgestützten Tötungen. Er untersucht Israels Methoden, die Landschaft und die gebaute Umgebung in Werkzeuge von Herrschaft und Kontrolle umzuwandeln.
Weitere Infos & Material
Beim historischen Belagerungskrieg signalisierte der Durchbruch durch die äußere Stadtmauer, dass die Souveränität des Stadtstaates gebrochen worden war. Dementsprechend befasste sich die 'Kunst' des Belagerungskriegs mit den geometrischen Gegebenheiten von Stadtmauern und mit der Entwicklung von gleichermaßen komplexen Technologien, um sich den Mauern zu nähern und einen Durchbruch zu bewerkstelligen. Heutige urbane Kriegführung hingegen betont zunehmend Methoden der Überwindung von Einschränkungen, wie sie die Hauswand darstellt.
Ergänzend zu militärischen Taktiken, Wände physisch zu durchbrechen und zu 'durchschreiten', sind neue Methoden erdacht worden, die es den Soldaten nicht nur erlauben, durch feste Mauern hindurchzusehen, sondern auch durch sie hindurch zu schießen und zu töten. Die israelische Forschungs- und Produkt-Entwicklungsfirma Camero hat ein tragbares Gerät entwickelt, das Bilder produziert, wobei Wärmebilder mit Ultrabreitband-Radar kombiniert werden. Auf diese Weise ist das Gerät in der Lage, ähnlich wie das Ultraschallverfahren, das heute bei der Schwangerschaftsvorsorge angewandt wird, dreidimensionale Darstellungen von biologischem Leben zu geben, das sich hinter Barrieren verbirgt. Menschliche Körper erscheinen als ausgefranste Hitzemarkierungen, die (wie ein Fötus) in einem abstrakten, verschwommenen Medium treiben, in dem alles Feste – Wände, Möbel, Gegenstände – auf dem digitalen Bildschirm ineinanderfließt. Waffen, die die NATO-Standard-Munition von 5.56mm nutzen, werden zusätzlich mit 7.62mm-Munition geladen, die Backstein, Holz und sonnengetrocknete Lehmziegel durchschlagen können, ohne dass die Kugel stark von ihrer Flugbahn abgelenkt wird. Diese Praktiken und Technologien werden das Verhältnis zwischen Militär und Architektur und allgemein der gebauten Umwelt radikal verändern.
Instrumente zur 'tatsächlichen Sichtbarmachung' sind die wichtigsten Komponenten auf dem Weg zu einer militärischen Phantasiewelt grenzenloser Verflüssigung, in der der Raum der Stadt so navigierbar wird wie ein Ozean (oder wie ein Computerspiel).
Indem das Militär danach strebt zu sehen, was sich hinter Mauern verbirgt, und durch sie hindurch zu schießen, scheint es die zeitgenössische Technologie auf die Höhe der Metaphysik zu heben, das Hier und Jetzt der physischen Realität überwinden und Zeit und Raum kollabieren lassen zu wollen. Dieses Bestreben, die Mauer oder Wand zu 'ent-mauern' und 'über sie hinauszugehen', könnte eine Erklärung für das Interesse des Militärs an transgressiven Theorien und einer entsprechenden Kunst der 1960er und 1970er Jahre sein. Ganz wörtlich kommen einem bei den Techniken des Wände-Durchschreitens die Äußerungen des amerikanischen Künstlers Gordon Matta-Clark in den Sinn, der vom 'Ent-Mauern der Mauer' sprach. Von 1971 bis zu seinem Tod 1978 beschäftigte sich Matta-Clark mit der Verwandlung und dem virtuellen Abbau verlassener Häuser. Bei seiner anarchitecture (anarchischen Architektur) kamen Hämmer, Meißel und Motorsägen zum Einsatz; in der building cuts genannten Serie von Arbeiten schnitt er Gebäude durch oder durchlöcherte häusliche oder Industrie-Innenräume. Dies könnte als sein Versuch verstanden werden, die repressive Ordnung des häuslichen Raums und die Macht und Hierarchie, die er verkörpert, subversiv zu unterlaufen. Die building cuts von Matta-Clark gehörten zu OTRI-Materialien bei Präsentationen – und wurden den Löchern gegenübergestellt, die die IDF in palästinensische Hauswände geschnitten hatte.
Andere Grundlagenwerke der Stadttheorie, auf die sich OTRI bezog, waren die Situationisten und ihre Praxis des dérive (eine Methode, durch die unterschiedlichen Sphären einer Stadt umherzuschweifen, von der die Situationisten als 'Psychogeografie' sprachen) und des détournement (die Zweckentfremdung von Gebäuden). Diese Ideen wurden von Guy Debord und anderen Mitgliedern der Situationistischen Internationale als Aspekte eines umfassenderen Projekts entwickelt, das die gebaute Hierarchie der kapitalistischen Stadt in Frage stellte. Sie wollten die Unterscheidung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen einreißen, zwischen dem Drinnen und dem Draußen, zwischen Gebrauch und Funktion.