E-Book, Deutsch, 424 Seiten
Weiz / Fisch / Krause-Blassl Das Azurblaue Königreich
2. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7504-6398-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Märchen, Spuk- und Fantasiegeschichten
E-Book, Deutsch, 424 Seiten
ISBN: 978-3-7504-6398-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lesen Sie vom Palast der Bettler und Reisen zwischen Konstantinopel und Venedig. Berichtet wird von einer goldenen Quelle in der syrischen Wüste. Begegnen Sie Song-Fu, dem Klangdrachen. Ein Märchen erzählt von der kranken Haut der Erde. Mäuse versuchen das Pfefferkuchenland zu erobern. Von blauen Beeren und deren Marmelade schwärmt ein König. Sie verschaffen ihm eine gute Stimmung. Doch was geschieht, als der Vorrat aufgebraucht ist? Von Einhörnern, die beim Schönheitswettbewerb betrügen, kann man erfahren. Von ganz besonderer Kundschaft schwärmt ein Bestatter, aber langsam kommt er hinter das Geheimnis seiner reichen Auftraggeber. Wie die Singvögel mit den Krähen aneinandergeraten, lässt sich in Erfahrung bringen. Auf völlig verwegene Heiratspläne kommt Ringo, die Ringelnatter. Welches Geheimnis bergen die goldenen Schlüsselchen? In Japan fällt ein Geist beinahe durch die Geisterprüfung. Warum stellt er sich so ungeschickt an? Immer wieder im Band ist man auf prachtvollen Burgen zu Gast.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Hanna Fleiss
Der Falke des armen Hassan
Wer als Fremder durch die Gassen Venedigs schlendert, abseits vom Touristenstrom, gerät unversehens vor die Tore eines Palastes, der mit seinen Marmorsäulen an einen griechischen Tempel erinnert. Geht dann der Blick hinauf zum Giebel, wird man des Halbreliefs eines Falken gewahr, eines ruhenden Falken auf der Hand eines Mannes. Der Säulenbau wird noch heute von den Venezianern der Palast der Bettler genannt, erbaut wurde er von einem nach Venedig zugewanderten florentinischen Kaufmann, dessen Name, Del Ponte, in den Annalen der Stadt an hervorragender Stelle vermerkt ist. Ein Bettlerpalast? So reich war Venedig einst? Ich beschloss, mehr über die Geschichte des Gebäudes zu erkunden, fand aber nirgends eine Antwort auf meine Fragen. Deshalb ließ ich mir von einer venezianischen Andenkenverkäuferin gegen ein kleines Taschengeld die Geschichte des Palastes der Bettler erzählen. Sie beginnt in Konstantinopel zur Zeit der Herrschaft des Kaisers Machmud I. * * * Machmud I. liebte gutes Essen und die Bequemlichkeit seines gepolsterten Lieblingssitzes nahe dem Harem genauso wie die Gerechtigkeit auf Erden und sprach oft davon vor seinen Konstantinoplern. Ja, im Reiche verbreitete sich die Meinung, der Kaiser wisse von den Ungerechtigkeiten und der Grausamkeit des Wesirs Abu Basri nichts, aber sobald er es erführe, würde er den Verhassten den Löwen im Palastgarten zum Fraße vorwerfen. Die Menschen vertrauten dem Gerechtigkeitssinn ihres Kaisers. Das Regieren indes hatte er in seiner Schwäche dem Wesir Abu Basri überlassen, der das Land aussog bis auf den letzten Dinar, der dann in seine eigene Schatzkammer floss statt in die des Kaisers. Machmud I. hatte viele Söhne, doch seinen Sohn Hassan, der ihm einst auf dem Thron nachfolgen sollte, liebte er ganz besonders, auch wenn Hassan schon in jungen Jahren ein Tunichtgut zu werden versprach, dem nichts auf der Erde heilig war. Soll sich das Kind austoben, dachte Machmud, denn er dachte an seine eigene Jugend und hoffte, dass Hassan mit dem Alter ein ganz vernünftiger Regent werden würde. Eines Tages spannte Hassan ein Seil von Baum zu Baum und balancierte wie einer der reisenden Spaßmacher auf ihm. Der Kaiser stand zu Tode erschrocken dabei. Allzu gern auch neckte Hassan die ehrwürdigen Schranzen des Hofes mit seinen Streichen. Wie erschraken sie, wenn ihre kostbaren Seidenkleider über Nacht alle Perlen vermissen ließen oder sich der Knabe nachts in die Zimmer des Hofpersonals schlich, um es in allerlei Verkleidungen aus den Betten zu treiben. Auch Gäste aus fernen Ländern verschonte er nicht. Bald schon wusste die halbe Welt, dass der Thronfolger von Konstantinopel wenig Hoffnung auf eine weise Regierung versprach. Nur der Kaiser verschloss die Augen, sah er in dem ungebärdigen Knaben doch das Licht seines Alters. Zudem war es gut, dass Hassan seinen eigenen Kopf hatte. Niemals würde er sich dem Machthunger des Wesirs oder der Hofbeamten beugen, hoffte der Kaiser. Hassan wuchs heran, und es war Zeit, ihn in die Hände eines energischen Erziehers zu geben. Der Kaiser sah sich im Reiche um, und als er schon alle Hoffnung aufgeben wollte, erfuhr er von dem weisen Rachid Falun aus dem Dorfe Tell Alaf. Wegen seiner Gottesgelehrtheit und seines Wissens von den sieben Künsten ernannte der Kaiser den aus dürftigen Verhältnissen stammenden Alten auf Lebenszeit zum Lehrer des Thronfolgers. Ganz Konstantinopel verehrte bald den Lehrer des Prinzen, denn schnell hatte sich seine Weisheit unter den Konstantinoplern herumgesprochen. Rachid Falun nahm den Kaiser beim Wort, nichts liebte er mehr als die Freiheit und die Gerechtigkeit gegen jedermann, sei er ein Reicher oder ein Bettler, nichts erzürnte ihn mehr als Ungerechtigkeit gegen die Schwachen. Als er nun sah, dass in Wahrheit der Wesir Abu Basri Konstantinopel regierte, Machmud I. aber wie ein Vögelchen in den Netzen des Machthungrigen zappelte, wusste er, was er vom kaiserlichen Hof zu halten hatte, und beschloss, ihm bei nächster Gelegenheit zu entfliehen. Er kannte den Wankelmut seines schwachen Kaisers. Nun war ihm aber Hassan inzwischen so sehr ans Herz gewachsen, dass er sich wider besseres Wissen dennoch zu bleiben entschied und alle Unbill auf sich nahm. Aus dem altklugen, wilden Hassan war inzwischen ein gelehriger Schüler geworden. Ehrfürchtig lauschte er den Worten seines Lehrers, vernahm er doch von fremden Ländern, die der Weise als Matrose bereist hatte, von Kriegen, die im Namen Allahs geführt worden waren, von den Nomaden in der Wüste, von den sieben Weltwundern, verwunschenen Städten und von sagenhaften Schätzen. Besonders liebevoll verweilte Rachid Falun bei der Schilderung der wasserreichen Republik Venedig, in der alle Menschen gleich seien, weil es keinen Kaiser gab und keinen Wesir, der ihnen das letzte Hemd vom Leibe riss. Hassans Augen leuchteten bei den Erzählungen des Alten, und dann redete er davon, bald in das ferne Venedig reisen zu wollen. Und in Konstantinopel, versprach er dem alten Weisen, solle es, sobald er Kaiser sein würde, genauso gerecht zugehen wie in der Lagunenstadt der Freien. Rachid Falun hatte ihm die Augen geöffnet, er wusste, dass die Menschen des Reiches bitterarm waren und unter der Erbarmungslosigkeit des kaiserlichen Wesirs stöhnten. Doch der alte Lehrer befürchtete, dass die guten Vorsätze seines Zöglings schnell vergessen sein könnten, sobald er als Kaiser die Früchte der Macht genießen würde. Deshalb nahm der Alte sich vor, dem milchbärtigen Hassan erst einmal das Treiben des Hofes mit all seinen Falschheiten und Verblendungen vorzuführen, prägte sich doch die eigene Anschauung einem jungen Herzen tiefer ein als die reinsten Worte aller Weisen der Welt. Nun war zu jener Zeit ein reicher und angesehener Kaufmann aus Konstantinopel gestorben, der seiner Witwe und den beiden halberwachsenen Söhnen ein beträchtliches Vermögen an Waren, Kamelen und Goldstücken hinterließ. Bald jedoch geriet die Witwe mit dem Bruder des Toten wegen des Erbes aneinander, und es blieb der gekränkten Frau nichts weiter übrig, als am Hofe des Kaisers ihr Recht zu suchen. Hier geriet sie vor das Angesicht des Wesirs Abu Basri, der die Witwe und ihre Söhne entgegen allen Erwartungen keinesfalls im Recht befand, sondern kurzerhand im Namen Allahs und des Kaisers von Konstantinopel folgendermaßen entschied: Das Vermögen an Waren und Kamelen stehe dem leiblichen Bruder des Toten zu, die ansehnliche Menge Goldes jedoch falle zu gleichen Teilen der Kasse des Kaisers und dem Hause des Wesirs zu. Die Witwe aber solle sich glücklich preisen, sich straflos mit den Söhnen zu ihrer Familie zu begeben, die sie in das Haus aufnehmen müsse. „Allah ist groß“, beschloss er seine Rede, von der die Witwe, eine verwöhnte und einfältige Frau, sehr wenig verstanden hatte. Ihre um den Lebensunterhalt betrogenen Söhne jedoch brachen in Wehklagen aus, als sie das Urteil vernommen hatten. Abu Basri ließ sie und ihre Mutter von der kaiserlichen Wache aus dem Palast jagen. Der Lehrer und sein Zögling hatten ohne Wissen des Wesirs, hinter einem Wandteppich verborgen, der Verhandlung gegen die unglückliche Witwe beigewohnt. Hassan ballte die Fäuste, als er Abu Basris Urteil vernahm, aber der Alte hielt ihn zurück. „Vergiss es nie, was hier geschah“, flüsterte er seinem Schüler ins Ohr. Und damit sprang er hinter dem Teppich hervor und redete dem anmaßenden Wesir ins Gewissen: „Du, edler Abu Basri, bist die Hand und die Leuchte unseres erhabenen Kaisers, du erhellst ihm die Nacht, Allah möge dich segnen. Doch wisse, Abu Basri, deine Worte verurteilen die Witwe und ihre mittellosen Söhne zu einem Leben auf Gnade und Ungnade bei missgünstigen Verwandten, die sich ebenfalls ein Scherflein vom Erbe des Verstorbenen erhofft hatten. Nun aber dürfen sie statt auf Nehmen auf nichts als Geben hoffen. Bedenke die Worte eines alten Mannes, Abu Basri, noch kann aus Unrecht gütiges Recht werden. Rufe die Klägerin und den Beklagten zurück in den Palast, sprich ihnen zu, was ihnen zusteht, und fülle mit dem Rest auch die Schatzkammer des Kaisers. Dir aber, edler Abu Basri, möge das Herz vor Freude schlagen beim Anblick der strahlenden Gesichter ob deines gerechten Urteils. Allah möge es dir einst vergüten, und dies sei dir Lohn genug, hochmögender Wesir.“ Prinz Hassan zitterte um seinen Lehrer, aber es fehlte nicht viel und auch er wäre hinter dem Wandteppich hervorgesprungen und hätte Abu Basri seine Wahrheiten ins Gesicht geschrien. Der Wesir aber war ergrimmt aufgesprungen und rief mit klirrender Stimme nach der Palastwache. „Wahnsinniger Alter“, herrschte er Rachid Falun an, „du wirst im Verlies verfaulen!“ Noch immer war er fassungslos über die Kühnheit des armseligen Prinzenlehrers. Angelockt von dem Geschrei in seinem Palast, war der Kaiser in den Thronsaal geeilt. „Der alte Narr“, gab ihm Abu Basri Auskunft, „ist nicht würdig, der Lehrer des Prinzen und Thronfolgers des Reiches von Konstantinopel zu sein. Er verhöhnt Eure Majestät. Er gehört ins Verlies. So habe ich in Eurem Namen entschieden, erhabener Kaiser.“ „Wie...