Weitbrecht | Leere Augen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Weitbrecht Leere Augen

Stuttgart-Krimi
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7650-2107-7
Verlag: Lauinger Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Stuttgart-Krimi

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-7650-2107-7
Verlag: Lauinger Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Eine mysteriöse Mordserie schreckt die Bewohner von Stuttgart auf und stellt die Kommissarin Arabella Herzog und ihr Team vor ein Rätsel. Doch was haben ein Unternehmer, ein Fotograf und die anderen Mordopfer gemeinsam, außer, dass ihre Leichen nummeriert sind? Gekonnt verwebt Gudrun Weitbrecht die Schicksale einer Vielzahl an Figuren, ermöglicht tiefe Einblicke in die Psyche der Protagonisten und legt menschliche Abgründe offen. Ein Krimi, in dem Täter zu Opfern werden und Opfer zu Tätern.

Gudrun Weitbrecht (*1947) ist gebürtige Hessin, im Rheinland aufgewachsen und lebt seit vierzig Jahren in Stuttgart. Sie schreibt Kriminalromane, darunter der 2012 erschienene Band 'Eiskaltes Versprechen', sowie zahlreiche Kurzkrimis. Gudrun Weitbrecht ist Mitglied der 'Mörderischen Schwestern' und im 'Syndikat'.
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eins


Als Eric gegen 22 Uhr den Fernseher ausschaltete und seinen Jogginganzug gegen Jeans und T-Shirt tauschte, ahnte er noch nicht, dass er sich heute ein letztes Mal für die Arbeit fertig machen würde.

Irgendetwas beunruhigte ihn. Woher dieses Gefühl kam, wusste er nicht. Es war nicht seine gewohnte Unruhe, ein Kribbeln am ganzen Körper, die Wut, die ihn bisher getrieben hatte, sondern eine neue Empfindlichkeit – so als ob etwas Unbekanntes, nicht Fassbares auf ihn lauerte.

Auf dem Firmenparkplatz lag eine dünne Schneedecke, die nur von seinen Reifenspuren und Fußabdrücken gezeichnet war. Niemand sonst parkte hier, das Unternehmen ordnete über den Jahreswechsel Kurzarbeit an. Die Nachtschicht fiel schon länger aus. Während des Aufschwungs bis nach der Jahrtausendwende hatte das Unternehmen drei Schichten gefahren. Die Konjunktur in der Autobranche lief zwar im Augenblick gut, was sich auch auf die Zulieferer auswirkte. In den letzten Jahren hatte es dennoch Entlassungen gegeben. Vielleicht war es nur eine Frage der Zeit, bis er dran war, falls sie seinen Lebenslauf näher unter die Lupe nahmen. Daran würde auch sein Vater nichts ändern können. Eric mochte nicht daran denken.

Er stieg aus seinem 3er BMW und nahm den Rucksack aus dem Koff erraum. Darin waren sein Vesper und zwei Flaschen Bier.

Als er die 200 Meter zu Fuß zum Fabrikgebäude ging, übermannte ihn wieder das Gefühl verfolgt zu werden. Nachdem er die Straße mit den Industriegleisen überquert hatte, erreichte er die Schranke. Rasch schlüpfte er an ihr vorbei und schaute in die Pförtnerloge. Sie war unbesetzt. Während er die Stechuhr bediente, sah er sich um. Niemand war zu sehen. Er überlegte, seit wann er sich so verhielt. Alles hing miteinander zusammen. Dass seine Ankunft und das Verlassen des Firmengeländes penibel erfasst wurden, machte ihn nicht zum ersten Mal wütend. Wie er es hasste beobachtet zu werden. Mit Grausen erinnerte er sich daran, als die in Oliv gekleideten Männer das Guckloch öffneten, um einen Blick auf ihn und den Raum zu werfen. Aber die Zeiten waren Gottseidank vorüber.

Schon bei seinen ersten Rundgängen auf dem Firmengelände hatte er eine lockere Zaunstelle hinter dem Fabrikgebäude entdeckt. Wenn er sie hochschob, war sie gerade groß genug für eine Person. So konnte er unbemerkt das Grundstück betreten und verlassen, zumal es dort keine Überwachungskameras gab.

Von da waren es nur ein paar Schritte bis zum Hintereingang des Haupthauses. Ganz easy war es gewesen, den dazugehörigen Schlüssel nachmachen zu lassen. So konnte er nicht nur unbemerkt von außen das Haus betreten, sondern es auch während seiner Tour verlassen, damit er seine nächtlichen Bierchen trinken und dabei rauchen konnte. Alkohol und Zigaretten verbot die Unternehmensleitung während der Arbeitszeit und in den Hallen strikt.

Nur ein paar Sekunden lang erlag er der Versuchung, den kürzeren Weg durch den Zaun und den Hintereingang zu nehmen. Aber die blöde Zeituhr stand wie ein warnendes Mahnmal da, und so wenig er sich in der Vergangenheit an Regeln gehalten hatte, bemühte er sich jetzt umso mehr, ein normales, unauffälliges Leben zu führen. Nichts sollte seine neue Freiheit stören. Solange er sich im Griff hatte, würde alles so bleiben.

Freigesprochen! Beim Gedanken an das Urteil musste er grinsen. Das sollte ihm mal jemand nachmachen!

„Ich helfe dir ein letztes Mal“, hatte ihm der Alte eingebläut, nachdem er mit ihm das Gerichtsgebäude nach dem Richterspruch verlassen hatte. „Versau es nicht wieder!“

Allerdings konnte Eric die Strafpredigt des Alten nicht ganz ernst nehmen. Bereits nach Abbruch von Schule und Lehre hatte er das Gleiche gebrüllt und ihn dabei verdroschen. Eric hasste ihn. Aber wenigstens ließ der Alte als Betriebsrat seine Kontakte spielen und hatte ihm den Job als Werksschutz besorgt.

Die Fabrik bestand aus mehreren Gebäudekomplexen und befand sich am Rande eines Wohngebiets in Feuerbach mit umliegenden Parkplätzen für Mitarbeiter und Besucher. Die zahlreichen Werksanlagen deckten einen Teil des nordöstlichen Stadtgebiets ab. In den angrenzenden Grundstücken hatten sich früher Betriebe niedergelassen, die inzwischen pleite waren oder aufgehört und die Grundstücke verkauft hatten. In einer ehemaligen Maschinenfabrik residierte neuerdings ein Sozialkaufhaus. Ein anderes Areal besetzten zahlreiche undefinierbare Kleinbetriebe, unter deren Müllbergen sich Ratten heimisch fühlten. Ein Abbruchunternehmen lieferte Schutt an. Eric hörte dort die ganze Nacht Hunde bellen.

Eigentlich war sein neuer Job kinderleicht: Alle halbe Stunde eine Runde durch diesen Teil der Firma laufen. Fenster und Türen überprüfen. Auf die Bildschirme schauen, ob alle Kameras funktionieren oder ob sich etwas Ungewöhnliches ereignet hat. Neue Videokassetten am Ende seiner Schicht einlegen. Die vorherigen archivieren. Am Morgen das Übergabeprotokoll abhaken.

Eric genoss es, allein zu sein. Es machte ihm nichts aus. Im Gegenteil, es gab ihm das Gefühl, sein eigener Herr zu sein.

Schon bald hatte er herausbekommen, wie man die Überwachungskamera vor der Tür zum Aufenthaltsraum ausschalten konnte. Drinnen gab es keine, dafür aber ein Sofa. Ab ein Uhr würde er es sich darauf gemütlich machen und die restliche Nacht pennen. Für den Hungerlohn riss er sich jedenfalls nicht den Arsch auf. Verbittert dachte er daran, dass er am zwanzigsten des Monats regelmäßig pleite war. Gut, dass ihm seine Mutter dann immer Scheine zusteckte. Heimlich, damit der Alte nichts merkte.

Bei dem Gedanken an seine Mutter kam so etwas wie Dankbarkeit auf, obwohl er sie für einfältig hielt. Aber auf sie konnte er sich verlassen, schließlich hatte sie ihm in der Vergangenheit immer wieder aus der Patsche geholfen. So auch bei der letzten Sache, die dann glimpflich vor Gericht ausging. Nur blöd, dass sie ihm nun dauernd mit ihrer Nörgelei auf den Wecker ging, seitdem er wieder in sein altes Kinderzimmer eingezogen war.

Ansonsten lief zurzeit alles easy. Seinen Klotz am Bein, Sandy, die Bitch mit dem Kind, war er losgeworden. Aufgrund des Bratens in ihrer Röhre hatte er sie heiraten müssen. Nur wegen ihr und dem Unterhalt für das Kind war er jetzt ständig klamm. Trotzdem entspannte sich sein engelhaftes, unschuldig wirkendes Gesicht zu einem Lächeln, wenn er an seinen Sohn dachte. Obwohl … Seit dieser blöden Sache hatte er ihn nicht mehr gesehen.

Bei dem Gedanken an Sandy stieg in ihm die Wut hoch. Immer wieder hatte er ihr gesagt, dass sie in der Schwangerschaft nicht rauchen und trinken solle. Aber sie hatte nur an sich gedacht, sich einen Deut darum geschert und ihn ausgelacht. Wie gerne hätte er damals eine kleine Familie gehabt. Sandy hatte alles versaut.

Das Kribbeln, die Unruhe kam wieder, er fühlte seine angestaute Wut. Am liebsten hätte er mit seinen Fäusten etwas zertrümmert oder mit den Füßen zertreten. Hier ging das nicht. Sie würden ihm auf die Schliche kommen, falls er Firmeneigentum zerschlug. Schließlich konnte er nicht alle Kameras ausschalten; das würde auffallen. So musste er bis morgen früh warten. Vielleicht kam ihm irgendein Assi in die Quere, an dem er seinen angestauten Zorn loswerden konnte.

An der Hauswand des Hauptgebäudes stand ein verbeultes Fahrrad. Es gehörte Josef. Josef war die Tagesschicht und ein Ehemaliger, der sich ein Zubrot zur Rente verdiente. Das war das Einzige, was Eric von ihm wusste. Und dass der Penner bei Wind und Wetter sein Fahrrad nahm und es nicht wie vorgeschrieben in den Ständer schob, sondern an die Hauswand lehnte. Fahrradfahrer hielten sich sowieso nie an Regeln und meinten, sie dürften sich im Straßenverkehr alles erlauben. Eric hasste sie.

Er schob seine Chipkarte in den Schlitz neben dem Eingang. Abrupt wurde die Tür von innen geöffnet. Der Flur lag in absolutem Schwarz, denn Josef schaltete jedes Mal beim Gehen sämtliche Lichter aus. Schon fertig angezogen, stand sein Kollege bereit und befestigte gerade seine Hosenklammern, die im Dunklen leuchteten. Eric fand es lächerlich. Der Freak konnte sich...


Gudrun Weitbrecht (*1947) ist gebürtige Hessin, im Rheinland aufgewachsen und lebt seit vierzig Jahren in Stuttgart. Sie schreibt Kriminalromane, darunter der 2012 erschienene Band "Eiskaltes Versprechen", sowie zahlreiche Kurzkrimis. Gudrun Weitbrecht ist Mitglied der "Mörderischen Schwestern" und im "Syndikat".



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