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E-Book

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Weiß Die Buchdruckerin

Historischer Roman

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-547-92006-2
Verlag: Econ
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Straßburg um 1520. Margarethe Prüß hat gegen den Willen der Zunft eine Druckerei geerbt. Als die Reformation die Stadt erreicht, heiratet sie den ehemaligen Mönch Johannes. Doch ihr Mann sieht den Platz einer Frau im Haus. Allen Widerständen zum Trotz kämpft Margarethe für ihr großes Ziel: Jeder soll Bücher lesen dürfen.
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KAPITEL 2 Jemand hatte ihrem Vater Augen und Mund geschlossen. Kaum erinnerte sich Margarethe daran, wie der Leichnam des Vaters und sie selbst in die Helenengasse gekommen waren. Sie war ins Bett gegangen und in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen. Schmerzen an der Hand hatten sie aufgeweckt, matt war sie aufgestanden. War der Brand der Bude tatsächlich ein übles Vorzeichen für den Tod des Vaters gewesen? Hatte sie sich den Zorn Gottes zugezogen und musste um Vergebung bitten? Auf dem Flur hatte sie Reinhard getroffen, der ihr sein Beileid aussprach. Am liebsten hätte Margarethe ihn umarmt, hätte an seiner breiten Brust Trost gesucht, aber die Tante war gekommen und hatte sie als pflichtvergessenes Ding beschimpft. Margarethe verteidigte sich gar nicht erst, sondern folgte ihr zur Leichenwäsche. Es war die Aufgabe der Frauen der Familie, den Toten für die Aufbahrung vorzubereiten, die Männer würden die Nachtwachen halten. Sie wuschen die Leiche, schlugen sie in ein weißes Tuch ein und hoben sie auf Bretter zur Aufbahrung. Es war ein schwerer Körper, eine Last für die Frauen. Die Tante murmelte unablässig Gebete, weil die Seele des Verstorbenen umherirrte, bevor sie vor den Richterstuhl Gottes trat. Anschließend ging Margarethe in den kleinen Hof, um sich zu waschen. Es war ungewohnt still, kein Geräusch drang ins Freie. Solange der Tote im Haus aufgebahrt war, hatte jede Arbeit zu ruhen. Nur aus der Küche war Klappern zu hören, alles wurde für die Totenwache vorbereitet, während der die Trauernden mit Bier, Branntwein und Essen bewirtet wurden. An diesen Tagen durfte an nichts gespart werden. Ihr Vater hatte etwas auf sich gehalten, war in der Zunft geschätzt worden und würde nicht wollen, dass sein Ansehen im Tode litt. Im Eingang des Stalls sah sie nun den Zunftbruder, der als Letzter in die Zunft Zur Steltz eingetreten war und dem daher die Pflicht oblag, allen die Todesnachricht zu übermitteln. Sie hörte, wie er mit den Worten »Euer Herr ist tot! Euer Herr ist gestorben!« dem Vieh den Tod des Hausherrn ansagte. Sie fragte sich, ob die Hühner und Gänse wohl verstanden hatten, was das bedeutete, aber es musste eben alles seine Ordnung haben. Aus einem Winkel des Hofes war ein Schniefen zu hören. Margarethe blickte sich um und entdeckte ihren Bruder. Er sah aus wie ein Häufchen Elend, nicht wie der feine, gutgekleidete Herr, den er sonst gerne gab. Mitleid überfiel sie, aber auch Wut. Es war typisch, dass er hier kauerte und litt, während sie ihrer Pflicht nachkam. »Schau mich nicht so abfällig an. Ich hab es nicht ausgehalten, ihn so liegen zu sehen. Ich hab es versucht, aber ich konnte es einfach nicht«, jammerte er. »Du hast es versucht? Wie lange? Für einen Lidschlag?«, fragte sie. Aus rotgeweinten Augen starrte er sie an. Sein Kummer schien echt zu sein. Sie hockte sich zu ihm. Die Kälte stieg von der Erde und von den Wänden auf. Der Winter nahte mit Macht, Schnee lag in der Luft. »Du bist stark. Du kannst das. Schon als wir noch Kinder waren, konntest du zusehen, wenn unsere Kaninchen geschlachtet wurden. Mir wurde es dabei nur schlecht.« Damals hatte er ihr leidgetan, denn die Mutter hatte ihn stets aufs Neue gezwungen, dabei mitzuhelfen. Für sie selbst hatten das Leben des flauschigen Wesens und sein Tod zusammengehört. Ihre Mutter hatte es ihr erklärt: ohne Schlachten kein Fleisch und kein Kaninchenfell gegen die Winterkälte. Auch ihr Bruder fand sich damit ab. Später hatte er gerne das Messer in die Hand genommen und den Kaninchen eigenhändig den Tod gebracht; so empfindsam, wie er damals gewesen war, so kaltblütig war er geworden. Immer hatte er das Risiko gesucht, und eines Nachts war er plötzlich verschwunden. »Dabei bist du es doch gewesen, der in den Krieg wollte. Noch ein halbes Kind warst du, als du losgezogen bist«, erinnerte Margarethe sich. Tagelang hatten sie den Bruder gesucht. Die Mutter war verzweifelt gewesen, als die Nachricht eintraf, dass er während des Krieges in der Pfalz in Feindeshand gefallen war. Der Vater hatte den Rat der Stadt bitten müssen, sich für den Jungen einzusetzen. Glücklicherweise erklärte man sich bereit, ihn gegen ein Lösegeld freizulassen. Teuer war dieser Jugendstreich gewesen, und Hans hatte sich damit für die nächsten Jahre ein hartes Regiment eingehandelt. Jetzt zog er die Nase hoch. »Danach war es vorbei zwischen mir und Vater. Zucht und Ordnung hieß es. Büffeln und Arbeiten«, erinnerte er sich. »Konnte es ihm nicht begreiflich machen, was mich dorthin gezogen hat. Möchte die Zeit trotzdem nicht missen. Nachts abhauen, als Letzter im Geheimen durch das Stadttor ziehen. Über die Wiesen fliehen. Die Landsknechte haben vielleicht geschaut, als sie mich gesehen haben! Einen Zwerg in ihren Augen! Vater dagegen, ein gesetzter Bürger. Sein Harnisch verrostet im Schrank! Welche Abenteuer können hier schon auf einen warten?« Der Spott war in seine Stimme zurückgekehrt, er wurde wieder der Alte. Margarethe war der andere Bruder lieber, der, der über den Tod des Vaters oder sogar eines Kaninchens weinen konnte. »Mir scheint, beim Erinnern vergisst du die Hälfte. Oft bist du nach diesem Abenteuer schreiend aus dem Schlaf geschreckt. Und außerdem: Vaters Rüstung ist wie neu. Die könnte man sofort anlegen«, sagte Margarethe. Sie selbst hatte ihrem Vater geholfen, Rüstung und Waffen zu polieren. Jeder Straßburger Bürger musste kampfbereit sein, um im Falle eines Angriffs die Stadt verteidigen zu können. Das wollte Hans nicht hören. Er stand auf und wischte sich mit dem Ärmel den Rotz ab. »Den Harnisch brauchen wir jetzt nicht. Nur Branntwein. Will mal schauen, ob der Knecht auch genügend Fässer aus dem Keller geholt hat.« Margarethe blieb allein im Hof zurück. Etwas kitzelte ihre Nase, die ersten Schneeflocken. War ihr Vater im Himmel angekommen und schickte ihr den Schnee herunter? Für diesen Gedanken würde die Tante sie als abergläubisch schelten. Dabei war sie es doch, die keinen Kirchgang ausließ und sich trotzdem am Freitag die Haare nicht kämmte, aus Angst, sie könnte dann noch mehr Läuse bekommen. Margarethe reckte das Kinn nach oben und ließ die Flocken auf ihr Gesicht tupfen, wie Liebkosungen aus dem Himmel. Es wäre besser, sie ginge hinein, die nächsten Tage würden sie viel Kraft kosten. Vaters Rüstung, was würde jetzt mit ihr geschehen, fragte sie sich noch. Sie würde vermutlich an den Bruder übergehen, wie die Druckerei. Zwei Tage lang schon gaben sich die Trauernden die Klinke in die Hand. Ratsmitglieder, Zunftbrüder, Gesellen und Nachbarn wollten Abschied von Johann Prüß dem Älteren nehmen. Papierhändler und andere Handwerker sprachen ihr Beileid aus, auch fahrende Buchhändler machten Halt, ihnen ging es aber wohl eher um Speis und Trank, denn es wurde reichlich aufgetischt. Margarethe ging am frühen Morgen zur Bahre, betete und betrachtete das Gesicht des Vaters, das Gelassenheit und Ruhe auszustrahlen schien. Um diese Zeit waren die meisten Besucher schon fort oder noch nicht da, andere schliefen auf den Stühlen ihren Rausch aus. Ihr Bruder war seit der ersten Totenwache durchgehend angetrunken. Er und sein Freund Eckard hatten am ersten Abend die Würfel ausgepackt und die Trauerrunde durch Spiele abgelenkt. Hoch ging es dabei her. Margarethe hatte ihren Bruder noch nie so erlebt, sie fand sein Verhalten unpassend. Sie zog sich meist in eine Ecke zurück und schaute still zu, auch wenn ihr Bruder sie eine Spielverderberin nannte. Jetzt verkündete er, dass die Tanzleiche gekürt werden sollte, und stellte sich auffordernd in die Mitte des Raumes. Die Besucher, einige schienen Wirtshausbekanntschaften zu sein, die ihr fröhliches Zechen kurzerhand hierher verlegt hatten, fanden sich zu Paaren zusammen und tanzten jauchzend um ihn herum. Sogar Ursula ließ sich von der Fröhlichkeit anstecken und machte mit. Sie versuchte, Reinhard zum Tanz zu bewegen, er wollte aber nicht, und so schnappte sie sich Jacop. Das Jubeln verstummte plötzlich, Hans fiel um und stellte sich tot. Die Paare stimmten nun einen Totengesang an, der ihn wieder zum Leben erwecken sollte. Ursula wollte ihn wachküssen, doch Eckard hielt sie auf, zwinkerte ihr zu und küsste seinen Freund, woraufhin dieser lachend und laut schreiend aufstand, sich Ursula schnappte und den Ringtanz wieder eröffnete. Margarethe schlich hinaus und ging zur Kathedrale. Sie würde von nun an ein Jahr lang täglich abends in die Vesper gehen und für ihren Vater beten. Unzählige Gebete, Almosen und dreißig Messen, die man lesen lassen musste, waren nötig, um die Seele des Vaters aus dem Fegefeuer in den Himmel zu bringen. Als sie ihr Gebet beendet hatte, sah sie, dass auch Reinhard den Tanz bei der Totenwache gegen die Stille der Kirche getauscht hatte. Die Zunftbrüder hatten den Körper in das kostbare Leichentuch der Zunft gehüllt und trugen ihn nun, die Füße voran, aus dem Zimmer. Bevor sie auf die Straße traten, setzten sie die Bahre dreimal auf der Türschwelle ab, damit sich der Tote von seinem Haus verabschieden konnte. Margarethe hielt sich am Türrahmen fest, ihr Gesicht war wie versteinert. Nie wieder würde ihr Vater über diese Schwelle treten. Sie selbst war von nun an Waise. Der einzige Mensch, den sie noch auf der Welt hatte, war ihr Bruder. Heute erfüllte er seine Pflicht als Sohn, wenn auch graugesichtig und verkatert. In der Gasse hatten sich weitere Trauergäste versammelt. Meister Knipp nickte ihr zu, sein Sohn Eckard stand mit einem abwesenden Gesichtsausdruck neben ihm. Die ganze Nacht über hatte es geschneit. Langsam, begleitet vom Totengeläut, trugen die Männer den Sarg zur Kirche. Margarethe wischte sich die gefrorenen Tränen ab und hängte sich bei ihrer Tante...


Weiß, Sabine
Sabine Weiß studierte in Hamburg Geschichte. Heute lebt sie mit ihrer Familie in der Nordheide. Ihre beiden Romane über Madame Tussaud waren große Erfolge. Mehr unter: www.sabineweiss.com

Sabine Weiß studierte in Hamburg Geschichte. Heute lebt sie mit ihrer Familie in der Nordheide. Ihre beiden Romane über Madame Tussaud waren große Erfolge. Mehr unter: www.sabineweiss.com


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