E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Weidlich Liebesgedöns
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-96121-583-6
Verlag: mvg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der geile Scheiß vom Suchen und Finden
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-96121-583-6
Verlag: mvg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Andrea Weidlich ist SPIEGEL-Bestsellerautorin und lebt in Wien. Nach ihrem Wirtschaftsstudium arbeitete sie im Management namhafter internationaler Konzerne. Danach machte sie sich selbstständig als Unternehmensberaterin, entwickelte diverse Kommunikationskonzepte für die Kreativbranche und verfasste als Autorin zahlreiche Kolumnen. Bereits seit ihrer Kindheit schrieb sie Bücher und Theaterstücke und beschäftige sich intensiv mit der Frage, was Menschen antreibt, glücklich macht und wie sie ihr volles Potenzial leben können. Seit sie 2019 ihr erstes Buch, den Bestseller Der geile Scheiß vom Glücklichsein veröffentlichte, berührt sie zahlreiche Menschen. Auf die Fortsetzung Der geile Scheiß vom Glücklichsein - Mein Buch. Mein Leben. folgte ihr drittes Buch Liebesgedöns, danach die SPIEGEL-Bestseller Wie du Menschen loswirst, die dir nicht guttun, ohne sie umzubringen und Wo ein Fuck it, da ein Weg. Gemeinsam mit ihrer Cousine führt sie den Erfolgspodcast gusch, baby. Dieser ging im Februar 2018 mit seiner ersten Folge online und erreichte bereits in der ersten Woche Platz 1 in den iTunes-Charts in der Kategorie Gesellschaft & Kultur.
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REISE NACH
JERUSALEM
Jetzt sind wir beinahe komplett!«, sagte Goldbach, den ich von dem Foto auf seiner Website zwar erkannte, der aber in Wirklichkeit sehr viel besser aussah als auf dem winzig kleinen, seriösen Bild im Netz. Er trug Dreitagebart, dunkelblaue Jeans, Sneakers und einen grauen Sweater. Darunter blitzte ein weißes T-Shirt am Kragen hervor. Dazu war er noch riesengroß, hatte leicht gelockte, dunkle Haare, und als er mir die Hand zur Begrüßung reichte, sah ich zu allem Überfluss auch noch in leuchtende, türkisgrüne Augen, die der hellsten Stelle irgendeines absurd paradiesischen Meerwassers auf den Malediven glichen. Sie strahlten klar vom Grund bis zur Oberfläche. Sympathisch und verstörend zugleich. Was war er bitte? Therapeut und Freizeitmodel?
Ich fühlte mich überfordert von diesen Augen, dem Händedruck und der Tatsache, dass es hier doch um die Liebe ging. Aus ebendiesem Grund hätte ich einen soliden, leicht übergewichtigen, mittelhässlichen Durchschnittstypen in Strickweste vorgezogen und auch um einiges angebrachter gefunden. Da hätte ich mich innerlich entspannen können und es wäre ein Leichtes gewesen, mich zu öffnen. Aber so? Wie sollte man sich da bitte konzentrieren? Auf der Website war bereits zu erkennen gewesen, dass der Herr mit den sieben Schritten nicht hässlich war, aber diese Augen und seine gesamte Ausstrahlung fand ich nun wirklich ganz schön übertrieben. Für ein Date, ja, und selbst da hätte es mich vermutlich aus dem Konzept gebracht – aber für ein Liebesseminar?! Großartig, da erlaubte sich das Leben wieder einen richtig guten Scherz mit mir. Vielleicht würde ich die ganzen drei Tage kein einziges Wort herausbringen. Ich war beinahe stolz, dass ich zumindest zwei bereits gesagt hatte. Meinen Vor- und Nachnamen brachte ich – gestammelt, aber immerhin vollständig – gerade noch hervor.
Ich sah zu Jana hinüber, die bereits auf Goldbach zustartete, ihm mir nichts, dir nichts die Hand schüttelte und dabei keine Miene verzog. Sie schien überhaupt nicht irritiert und auch in keinster Weise eingeschüchtert zu sein. Gut so, schließlich war sie offensichtlich da, um ihre Beziehung mit Gabriel ins Lot zu bringen, und nicht, um sich von türkisgrünen Augen ablenken zu lassen. Mit einem Gabriel an seiner Seite war das vermutlich einfacher, auch wenn es ganz generell so wirkte, als würde sich Jana von gar keinem Mann aus dem Konzept bringen lassen. Nachdem auch Gabriel und Paul sich die Hand geschüttelt hatten, ging Jana weiter und stellte sich bei allen im Raum vor. Ich zog es vor, kurz mit den anderen im Raum Blickkontakt aufzunehmen, eine kleine Winkbewegung mit meiner rechten Hand anzudeuten und dabei zu lächeln. Dann kramte ich schüchtern in meiner Tasche und suchte nach meinem Handy. In unangenehmen Situationen, die man ganz alleine zu bestreiten hat, hilft einem sein vielseitig einsetzbares Mobilfunkgerät verlässlich weiter. Da hat man etwas in der Hand, kann sich daran festhalten und scrollt einfach ein wenig auf Instagram, um aus dem eigenen, anstrengenden Leben zu flüchten. Oder aber man schreibt seinem besten Freund.
»Hilfe! Das ist eine Nachricht in Not. Paul Goldbach sieht aus wie der junge Patrick Dempsey, nur besser!«
Selten erhielt ich so schnell eine Antwort. Whatsapp-Nachrichten beantwortet der Herr aus der Schweiz ansonsten in Abständen von drei bis fünf Stunden, gern auch mal erst am nächsten Tag. Wie es aussah, nicht, wenn es sich um Nachrichten über die Attraktivität aus dem anatomischen Notfallraum handelte.
»Uhhh Dr. Shepherd in the house! Neurochirurg, Neurologe, neue Liebe! Alles sehr stimmig. Mach ein Foto!«
»Er ist nicht Neurologe, sondern Therapeut! Und na klar, ich mache gleich ein Foto. Wie möchtest du es denn? Hoch- oder Querformat fürs Familienalbum?! Ich könnte mich auch wie ein Groupie einfach neben ihn stellen, und wir machen ein Selfie für dich … Wahnsinn, wozu habe ich mich hier nur überreden lassen?«
»Ein gut aussehender Mann eröffnet dir das Geheimnis der Liebe. Du Arme! Das hört sich wirklich schrecklich an. Muss weiter!«
Als ich von meinem Handy hochblickte, schnappte sich Gabriel gerade zwei Kekse von einem Silbertablett in der Mitte auf dem schweren Steintisch neben uns. Dass es Kekse gab, fand ich fair. Bei all dem Stress, der hier lauerte, gab es zumindest ein Erste-Hilfe-Angebot. Sie sahen selbst gebacken aus. Sollte Paul Goldbach so aussehen und auch noch gebacken haben, hätte ich es nicht wissen wollen. Ich war ohnehin schon heillos überfordert mit der Gesamtsituation.
Im nächsten Moment betraten noch zwei Männer die Bibliothek. »Oh mein Gott, dieser Typ hat aber viel gelesen!«, rief einer von ihnen etwas zu laut, als sein Blick auf die riesigen Bücherregale fiel. »Entzückend, diese Wiener!«, fügte er noch hinzu und stand auch schon vor mir. »Auch aus Wien, Liebes?«, fragte er mich, und mit nur vier Worten wurden zwei Dinge klar: Die beiden kamen selbst nicht aus Wien und waren offensichtlich ein Paar.
»Ihr anscheinend nicht«, antwortete ich.
»Nein, leider! Aus Hamburg.« Er lächelte. »Viel Regen, dafür die Sonne im Herzen! Ich bin Benno. Ich liebe Wien … Tiiiiiiiim!!«, rief er laut und bemerkte bereits im nächsten Moment, dass Tim nur wenige Zentimeter hinter ihm stand. Wo hätte Tim auch groß sein sollen? Der Raum hatte gefühlte fünf Quadratmeter, wenn es hochkam, vielleicht zehn.
Ich war erleichtert, als uns Goldbach bat, nach nebenan zu wechseln, wo das Seminar dann tatsächlich stattfinden sollte. Der Saal war erheblich größer und die Luft schien weniger dünn zu sein. Da gab es wenigstens Raum für Emotionen und persönliche Freiheit, wenn man sich mal nicht millimeternah sein wollte. Erst jetzt entdeckte ich eine etwas ältere Frau in der Gruppe, die sehr im Reinen mit sich und der Welt zu sein schien. Sie war mir auf Anhieb sympathisch. Mit ihrem gewinnenden Lächeln, das echt und natürlich auf mich wirkte, strahlte sie eine gewisse Zufriedenheit aus, die wir doch alle gut gebrauchen konnten, fand ich. Alle anderen wirkten nämlich ebenso angespannt wie ich. Bis auf Paul Goldbach, der nicht nur gut, sondern auch völlig entspannt aussah.
»Ein ziemliches Prachtstück, dieser Goldbach«, flüsterte mir Benno von der Seite aus zu. »Also wenn ich Single wäre – den würde ich glatt als Trophäe mitnehmen …«
»Einen Oscar für Paul?«
»Oder einen Paul für Benno – einen Goldbach sozusagen!« Er zwinkerte mir mit einem Auge zu, während Tim mit beiden rollte. Ich lachte laut und wusste, dass ich die beiden bereits mochte. Paradoxerweise lächelte uns Goldbach von der Ferne zu, obwohl er so weit weg stand, dass er den Scherz unmöglich hatte hören können. Vermutlich freute er sich nur, dass wir uns amüsierten. Das schien wohl auf Liebesseminaren nicht so oft vorzukommen.
Der größere Saal wirkte viel freundlicher, was an den riesigen Fenstern zur Straße hin und den weit geöffneten Flügeltüren lag. Ich empfand die Stimmung gleich viel besser – vermutlich auch wegen Tim und Benno und dem vielen Licht, das mit ihnen gemeinsam den Raum erhellte.
Es befanden sich darin zehn Stühle in einem Kreis aufgestellt, was mich augenblicklich an Reise-nach-Jerusalem-Stuhltänze zu Schulskikurszeiten erinnerte, die schon damals nie gut endeten. Sie hätten auch die Möglichkeit für eine Waldorf-Gruppenübung geboten, bei der sich alle die Hände reichen und die Energie fließen lassen. Grundsätzlich beides nichts Schlechtes, aber man musste dafür in der Stimmung sein. Und wer war das schon an einem ganz normalen Freitagnachmittag? Vor allem Jana konnte ich mir schlecht dabei vorstellen, wie sie sich tiefenentspannt auf den Energiefluss in einem Kreis voller feuchter Hände einließ. Aber man weiß ja nie. Am oberen Ende des Raumes befand sich ein Flipchart mit einem aufgerollten, weißen Blatt, auf dem rein gar nichts stand. Eine Blankoseite für die Liebe. Goldbach war wohl nicht der große Maler, denn ich hätte mir eine Sonne als O in »Willkommen« in diesem Szenario durchaus vorstellen können. Ich vermisste außerdem die Punkte eins bis sieben für die Schrittkombination, die uns zielsicher zur Liebe führen sollte. Aber ich wollte nicht vorschnell urteilen und mich für alles öffnen, was hier auf mich zukam. In etwa diese Worte hatte Lukas verwendet, als er mich bat, meine skeptische Art doch bitte an der Garderobe abzulegen. Ich hängte sie also innerlich an die Wandverkleidung neben Freuds Hut und setzte mich auf einen Stuhl im Kreis neben Benno und Tim, in deren Gegenwart mir die Aufgeschlossenheit irgendwie leichter fiel.
Als ich aufgeschlossen auf meinem Stuhl saß und mich in Achtsamkeit und Offenheit übte, bemerkte ich ein weiteres Paar, das mir...