Weidemann / Henke | Die Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze von Joseph Haydn | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Reihe: Bibel und Musik

Weidemann / Henke Die Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze von Joseph Haydn

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Reihe: Bibel und Musik

ISBN: 978-3-96157-993-8
Verlag: Katholisches Bibelwerk
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mit ihrem Band über Joseph Haydns Vertonung aus dem Jahre 1785 und deren verschiedene Fassungen deuten die beiden Autoren, der Musikwissenschaftler Matthias Henke und der Neutestamentler Hans-Ulrich Weidemann, diese Ikone des musikalischen Weltkulturerbes erstmals als Gesamtkunstwerk. Sie verstehen es als eine Art Theatrum sacrum, das nur aus dem Zusammenspiel von bibeltheologischem Wissen, liturgischer Handlung und musikalischen Interaktionen verstehbar ist. Der musikalischen Analyse der Sonaten wird daher nicht nur die exegetische Analyse der biblischen Sterbeszenen Jesu mit ihren „letzten Worten" an die Seite gestellt, hinzu kommt die Geschichte der Siebenworttraktate im Kontext der Passionsfrömmigkeit. Außerdem widmen sich die Autoren ausführlich dem ursprünglichen gottesdienstlichen Kontext des Werkes: der aus dem peruanischen Lima des 17. Jahrhunderts stammenden Tres Horas-Andacht für den Karfreitag.
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II. Von den vier Evangelien zu den Sieben letzten Worten
Die Sterbeszenen in den Evangelienharmonien
Der Weg von den vier sehr unterschiedlichen neutestamentlichen Sterbeszenen zur Andacht von den Sieben Worten im 17. Jahrhundert führt über die altkirchlichen und mittelalterlichen Evangelienharmonien. Auch wenn die Definition von „Evangelienharmonie“ in Einzelheiten stark umstritten ist und insbesondere ihre Abgrenzung zu benachbarten Literaturgattungen schwerfällt, so versteht man darunter in der Regel die Zusammenstellung des Stoffes der vier neutestamentlichen Evangelien zu einem einzigen narrativen Erzählzusammenhang. Die Beschäftigung mit ihnen ist lehrreich, da sich hier die Problematik der christlichen Kanonbildung zeigt, aber ebenso ihre große Stärke. Auch wenn es historisch nicht sinnvoll ist, den Begriff der „Evangelienharmonie“ so weit zu fassen, dass die uns bekannten Sieben Worte direkt zu dieser Literatur-Gattung gehören, so wird man sie jedoch als Seitenlinie oder Abzweigung dieses Phänomens ansehen können. In jedem Fall sind sie weder in ihrer Zusammenstellung noch in ihrer letztlich durchgesetzten Reihenfolge denkbar ohne die ihnen vorausgehenden Evangelienharmonien im engeren Sinne. Die meisten Evangelienharmonien sind eine Verarbeitung der vier Evangelien zu einer einzigen fortlaufenden Erzählung, bei der ausschließlich Worte der kanonischen Evangelien verwendet werden. Die vier Evangelien sind also in der Regel mehr oder weniger vollständig in der jeweiligen Harmonie enthalten. Allerdings enthalten viele Harmonien zusätzlich auch außerevangelische, ja sogar außerkanonische, also apokryphe Überlieferungen. Das Problem, das zur Entstehung der altkirchlichen Evangelienharmonien führte, lässt sich verhältnismäßig leicht erfassen: Im Verlauf des 2. Jahrhunderts stellt sich in den innerkirchlichen Diskussionen aus folgenden Gründen als Konsens heraus, dass in den maßgeblichen Zentren der frühen Christenheit insgesamt vier (!) Evangelien als kanonisch gelten: Sie werden in den Gottesdiensten gelesen. Sie gelten als apostolisch, das heißt von Aposteln oder Apostelschülern verfasst. Man hält sie für frei von Irrtümern und Irrlehren. Damit werden sie zum Kanon, zur Richtschnur und Norm für Lehre wie Praxis der Kirchen. Der Vierevangelienkanon bildet sich im 2. Jahrhundert – bis auf kleinere Ausnahmen – als weitgehender Konsens heraus. Dass sich damit ein Folgeproblem ergibt, liegt auf der Hand, schließlich unterscheiden sich die vier Evangelien zum Teil erheblich voneinander. Parallel zur altkirchlichen Kanonfindung wurde also die Vierzahl der Evangelien zum Problem. Konfrontiert mit vier in Einzelheiten höchst unterschiedlichen Darstellungen des Lebens Jesu und seiner Passion, stellten sich ab dem 2. Jahrhundert einige altkirchliche Autoren der Aufgabe, diese Darstellungen zu vereinheitlichen, eben zu harmonisieren. Das Problem wurde nicht zuletzt bei den letzten Worten Jesu virulent, zeigen sich doch gerade hier massive Unterschiede in den vier Erzählungen. So setzte zum Beispiel der neuplatonische Philosoph Porphyrios (ca. 234–304 n. Chr.), einer der scharfzüngigsten Kritiker des Christentums, mit seiner Bestreitung der Zuverlässigkeit der Evangelien gerade bei den widersprüchlichen ultima verba der neutestamentlichen Sterbeszenen an. Da er als antiker Autor mit den literarischen Konventionen seiner Zeit vertraut war, drängte sich ihm angesichts der unterschiedlichen letzten Worte Jesu der Eindruck auf, „dass nicht einer, sondern eine Mehrzahl gelitten habe“. Für Porphyrios gibt es daher nur zwei Möglichkeiten: Entweder handelt es sich in den Evangelien, wie gesagt, um eine Mehrzahl von Gekreuzigten – oder aber nur um einen einzigen, der aber, mit dem Tode ringend, „den Umstehenden kein klares Bild von seinem Leiden vermitteln konnte“12, was wiederum gegen ihn spreche. Angesichts solcher Angriffe und da inzwischen alle vier Evangelien kanonisch geworden waren, blieb aufseiten der sich formierenden christlichen Kirche nur die Möglichkeit, die Unterschiede nicht als Widersprüche, sondern als einander ergänzende, komplementäre Perspektiven zu behaupten. Unter dieser für die nächsten Jahrhunderte unhinterfragten Prämisse entstanden die altkirchlichen Evangelienharmonien. Die meisten Evangelienharmonien wollten also eine vollständige Darstellung des Lebens Jesu erreichen und dies ohne die Hypothek von Unterschieden, Widersprüchen und Unvereinbarkeiten. Deswegen haben Evangelienharmonien seit der Neuzeit eine zunehmend schlechte Presse, stehen sie doch von vornherein im Verdacht, Unterschiede und Widersprüche zwischen den vier kanonischen Evangelien einzuebnen und damit die Vielfalt und Pluralität des altkirchlichen Evangelienkanons, der ja auch den Konsens verschiedener Ortskirchen mit ihren jeweiligen Traditionen abbildet, in ein uniformes ‚Leben Jesu‘ zu planieren. Es ist aber daran zu erinnern, dass auch die kanonischen Evangelien in gewisser Hinsicht bereits Harmonien darstellen, denn nach allem, was wir noch erkennen können, haben auch die Evangelisten das ihnen vorliegende, teilweise disparate und widersprüchliche Material jeweils in eine kohärente (und zum Teil fiktive) Geschichte überführt. Eine allzu scharfe Entgegensetzung von „Evangelien“ und „Evangelienharmonien“ ist also problematisch. Laut Ulrich Schmid stellen sowohl die Evangelien als auch die sogenannten Harmonien unterschiedliche und eigentümliche „Aggregatzustände des ‚Evangelischen Stoffes‘ dar“13. In der neueren Diskussion wird daher der oft abwertende Sprachgebrauch „Evangelienharmonie“ zunehmend angefragt. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass die kanonischen Evangelien die maßgebliche und normative Quelle der Harmonien darstellten und die allermeisten Harmonien keineswegs die kanonischen Evangelien ersetzen wollten. Ob dies auch für die wohl älteste Evangelienharmonie gilt, ist allerdings umstritten. Die letzten Worte Jesu im Diatessaron des Tatian
Die älteste uns bekannte Evangelienharmonie stammt aus der Feder des Syrers Tatian. Ob sie auf eine ältere Vorlage seines Lehrers Justin des Märtyrers zurückgeht, ist umstritten, aber möglich. Das sogenannte Diatessaron des Tatian dürfte um 172 nach Christus in syrischer, vielleicht in griechischer Sprache entstanden sein. Damit entstand es faktisch parallel zu jenem kanonischen Prozess, in dem sich der Vierevangelienkanon herausbildete. Das Diatessaron hatte vor allem in der syrischen Kirche jahrhundertelang faktisch kanonischen Rang, es wurde in der Liturgie verwendet und von Kirchenvätern wie Ephraem dem Syrer als Heilige Schrift kommentiert. Leider ist der Text des Diatessaron nicht erhalten, da er den Säuberungsaktionen bei der Durchsetzung des Vierevangelienkanons in der syrischen Kirche im 5.Jahrhundert zum Opfer fiel. Aus diesem Grund ist auch seine Sterbeszene mit den letzten Worten Jesu nur noch indirekt aus Äußerungen von Kirchenschriftstellern, insbesondere aus Kommentaren zu diesem Werk, zu rekonstruieren. Der wichtigste Diatessaron-Kommentar ist zweifellos der aus der Feder Ephraems des Syrers (4. Jahrhundert). Ephraem kommentiert die letzten Worte Jesu in einer bestimmten Reihenfolge, aus der man – ohne letztliche Sicherheit zu gewinnen – auf ihre Anordnung durch Tatian schließen kann. Auffällig ist, dass Ephraem die Vergebungsbitte aus dem Lukasevangelium, später das erste der Sieben Worte, erst am Ende kommentiert. Am Anfang steht die Verheißung an den guten Schächer, er werde heute noch mit Jesus im Paradies sein. Im Folgenden spielt Ephraem auf das johanneische Wort an die Mutter und den Lieblingsjünger an (Kommentar zum Diatessaron 20,27), dieses dürfte also bereits im Diatessaron auf das Wort an den Schächer gefolgt sein. Danach zitiert er den markinisch-matthäischen Verlassenheitsruf (20,30), es folgt das lukanische Sterbegebet (21,1), danach, wie gesagt, die Vergebungsbitte (21,3). Die beiden letzten Worte aus dem Johannesevangelium, der Durstruf und der Vollendungsruf, fehlen bei Ephraem, der Grund dafür ist unbekannt. Die letzten Worte Jesu in der Schrift De consensu Evangelistarum des Augustinus
Die im lateinischen Westen im Laufe des Mittelalters durchgesetzte Reihenfolge dürfte aber maßgeblich auf Augustinus zurückgehen. Der Bischof von Hippo verfasste nämlich um das Jahr 400 eine Schrift mit dem Titel „De consensu (!) Evangelistarum“, ein Werk, das nachweislich auf einige der späteren Harmonien (zum Beispiel Johannes Gersons Monotessaron aus dem frühen 15. Jahrhundert) einwirkte. Der Titel ist Programm: „Die Ideologie des Konsenses ist die Voraussetzung dafür, dass das Evangelium in einer vereinheitlichenden Weise erzählt werden kann.“14 Auch wenn Augustinus seine Gegner nicht mit Namen nennt, wendet er sich vermutlich gegen Angriffe aus dem Milieu der Manichäer (I 7), deren Kritik an den...


Matthias Henke, (geb. 1953) ist seit 2008 Professor für Historische Musikwissenschaft an der Universität Siegen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die Musik der (österreichischen) Moderne; in jüngerer Zeit auch die Musik der Wiener Klassik (Joseph Haydn, Ludwig van Beethoven).


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