E-Book, Deutsch, 448 Seiten
Webber Einfach. Wir zwei.
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-18912-9
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 448 Seiten
ISBN: 978-3-641-18912-9
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Boyce Wynn hatte es niemals ganz leicht. Nach dem Tod seines verhassten Vaters scheint endlich ein wenig Licht in sein Leben zu kommen, doch noch ahnt er nicht, dass das Schicksal bald noch etwas viel Größeres für ihn bereithalten wird. Pearl Frank steht vor der schwierigsten Entscheidung ihres Lebens. Soll sie wie immer das tun, was alle von ihr erwarten, oder sich für das entscheiden, für das ihr Herz wirklich schlägt? Auch sie weiß nicht, wie sehr sich bald wirklich alles verändern wird. Denn nach langer Zeit treffen Boyce und Pearl wieder aufeinander - eine Begegnung, die alles auf den Kopf stellt ...
Tammara Webber liebt Kaffee und Ohrringe - weil sie auch dann passen, wenn man mal eine Kleidergröße mehr braucht. Vor allem aber liebt sie Happy Ends, von denen es im wahren Leben einfach nie genug gibt. Die Publikationsgeschichte ihres New-York-Times-Bestsellers Einfach. Liebe. hat allerdings ein Happy End: Tammara Webber veröffentlichte den Roman zunächst selbst im Internet. Zehntausende begeisterter Leser machten Verlage in den USA und anderen Ländern darauf aufmerksam, die sich prompt die Rechte sicherten.
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1
BOYCE
Bud Wynn ist heute Morgen gestorben. Dem behandelnden Arzt zufolge war die Todeszeit 5.23 Uhr. Er starb an einer Lebererkrankung, an Zirrhose, an Komplikationen eines Aszites, die zu einem Herzversagen führten – alles davon wahrscheinlich sicher zutreffend.
Ich sage, er starb am Suff, denn das ist zutreffender als alles andere.
Unter dem Neonlicht des Flurs sahen alle in diesem Krankenhaus so aus, als wären sie dem Tod einen Schritt näher, als sie es vermutlich waren. Ich selbst war da sicher keine Ausnahme – nicht dass ich in absehbarer Zeit vorhatte zu sterben. Vielleicht machte es mich ja zu einem kaltblütigen Dreckskerl, aber jetzt war ich endlich frei – da wollte ich ganz bestimmt nicht abtreten. Frei von diesem feigen, gemeinen alten Mann. Frei von dem Arschloch, das erst meine Mutter und dann meinen Bruder vertrieben hatte – die eine verschwand im Dunkeln wie ein schwereloser Schatten, und der andere lag in einem Grab auf dem Nationalfriedhof Arlington. Frei von der Verantwortung, die ich für seine letzten Tage übernommen hatte, da niemand sonst sie übernehmen wollte.
Zwei Minuten nachdem der Arzt mir etwas Zeit allein mit dem Leichnam gelassen hatte, um Abschied zu nehmen, kam ich ohne Tränen in den Augen wieder heraus und unterzeichnete die Unterlagen, die das Krematorium bevollmächtigten, ihn zu übernehmen. Sie würden ihn in ein Kühlfach in der Wand schieben, wo er die vorgeschriebenen achtundvierzig Stunden abwarten würde, bevor er wieder in Staub verwandelt werden konnte. Es war das, was er wollte.
»Keine verdammte Beerdigung«, hatte er von seinem schäbigen alten Sessel aus gekeucht, als ich eines Abends vor etwa einem halben Jahr zur Tür hereinkam, als wären wir mitten im Gespräch gewesen. Ich blieb im Türrahmen stehen, gab aber keine Antwort. »Keinen gottverdammten Sarg. Und zum Teufel, keine beschissene Trauerfeier. Wirf meine Asche einfach ins Meer.« Irgendetwas an meiner Miene musste ihm verraten haben, dass ich seine sterblichen Überreste nicht in irgendeiner geheuchelten Zeremonie bei Sonnenuntergang ans Wasser schleppen würde. »Oder ins Klo. Ist mir scheißegal.«
Das war unser einziges Gespräch über seinen bevorstehenden Tod.
Als die Sonne über dem Golf aufging, kam ich nach Hause zu einem Ort, der irgendwie anders war als der beschissene kleine Wohnwagen, den ich Stunden zuvor verlassen hatte, denn diesmal würde Bud nie mehr wiederkommen. Ich hatte diesen Ort seit Jahren nach und nach immer mehr für mich in Besitz genommen – hart erkämpftes Gebiet, jeder Zoll davon –, der Wohnwagen und der kleine Backsteinbau, gegen den er sich lehnte: Wynns Autowerkstatt. Aber keines von beidem hatte mir gehört. Nicht bis heute.
Ich ließ die Eingangstür offen und ging schnurstracks zu dem fleckigen Sessel, tiefseeblau in einem früheren Leben, jetzt verblichen und von Klebeband und losen Schrauben notdürftig zusammengehalten. Ich zerrte ihn aus der Ecke und über den schmuddeligen Teppich, wuchtete ihn durch die Eingangstür und die rissigen Betonstufen hinunter in den Hof. Ich starrte auf die Stelle, wo er harmlos und hässlich auf dem abgestorbenen Gras stand.
Dann hob ich ihn hoch und trug ihn in die Mitte der Asphaltauffahrt, die sich der Wohnwagen mit der Werkstatt teilte. Ich nahm mein Feuerzeug und meine Kippen aus der vorderen Hosentasche, während ich auf den Sessel starrte. Erinnerungen an meinen Vater stiegen in mir auf, eine nach der anderen, bis sie alle zu der einen verschmolzen, wie ich ins Zimmer trat und er von diesem Sessel aus sagte: »Hol mir ein Bier, bevor du zu dieser Tür hinaus verschwindest, du nichtsnutziger Schwachkopf.« Dann holte ich ihm jedes Mal eine Dose aus der 24er-Packung im Kühlschrank und reichte sie ihm mit ausgestrecktem Arm, damit er nicht so leicht mein Handgelenk packen und verdrehen oder mich näher zu sich heranzerren und mir eine Faust in die Schulter, die Seite, den Bauch rammen konnte.
Meistens nahm er einfach das Bier entgegen, den Blick auf den flackernden Fernseher geheftet. Ungefähr jedes fünfte Mal versuchte er mich zu fassen zu kriegen. Mein Herzschlag beschleunigte sich bei der Erinnerung. Ich wusste nie, wann er sich auf mich stürzen und wann er mir einfach die Dose aus der Hand reißen und mich ignorieren würde.
Ich steckte mir eine Camel Crush an und genoss den Rauch und die beruhigende Wirkung des Nikotins.
Einmal, als ich siebzehn war, schlug er mich so hart mit der Faust, dass ich fast eine Minute lang keine Luft mehr bekam. Ich dachte, ich würde sterben. Als ich stolperte und stürzte und dabei den Couchtisch umstieß, rastete er erst recht aus. Er holte aus und schwang wieder die Faust, aber ich duckte mich, und er verfehlte mich. Das hatte es noch nie gegeben. Es machte ihn rasend, und er ging auf mich los, als ich auf dem Boden aufschlug und meine Lunge beschloss, wieder ihren Dienst zu tun und mich am Leben zu lassen. Er trat mich einmal, bevor ich mich auf die Füße hochrollte und erkannte, dass ich in den letzten paar Monaten genauso groß geworden war wie er. Er war noch immer schwerer als ich, aber der Gedanke kam mir gar nicht in den Sinn. Ich war verzweifelt und wütend und höllisch verängstigt.
Ich rammte ihm die Faust genau ins Gesicht, und seine Nase knirschte, wie es jede andere auch getan hätte. Warum mich diese Tatsache verblüffte, weiß ich nicht. Aber in diesem Augenblick war das Ende seiner gottgleichen Herrschaft über mich gekommen. Ich sah diese Erkenntnis in seinen Augen dämmern, als er schwankend die Faust schwang und mich wieder verfehlte. Zum ersten Mal trat ich vor, anstatt nach hinten zu taumeln. Ich teilte aus, anstatt einzustecken. Ich schlug, anstatt geschlagen zu werden.
Blutverschmiert schnappte er nach Luft, während ich rückwärts zur Tür ging – er atmete schwer keuchend ein und aus, aber er war am Leben und unverletzt, abgesehen von den Folgen meiner blutigen Fäuste. Ich zeigte auf ihn wie der Sensenmann. »Wag. Es. Nie. Wieder. Mich. Zu. Schlagen.«
»Verpiss dich aus meinem Haus!«, brüllte er mit dem schwachen Krächzen eines alten Mannes.
»Du wirst nicht ewig leben«, sagte ich, aber er hörte mich gar nicht.
Ich warf die noch brennende Kippe auf die Sitzfläche des Sessels, wo sie schwelte und einsank wie eine Krabbe, die sich in den Sand gräbt, und nur ein schwarz umrandetes Loch hinterließ. Ich wollte gerade erneut mein Feuerzeug zücken, als der Sessel auf einmal mit einem befriedigenden Zischen in Flammen aufging.
Ich trat einen Schritt zurück und nahm noch eine Zigarette aus der Packung, steckte sie mir an und sah dann zu, wie sich der Sessel in eine fast quadratische Feuersäule verwandelte, die bald zu Asche zerfallen sein würde.
»Tschüs, Dad«, sagte ich.
PEARL
Meine Hände umklammerten das Lenkrad, und ich holte einmal langsam Luft, als würde ich mich seelisch darauf vorbereiten, ein schweres Gewicht zu heben oder von einer Klippe zu springen. Der Highway 181 nach Süden blieb ein vertrautes, verschwommenes Etwas aus struppigem Gras, knorrigen Mesquitebäumen und Meilen über Meilen mit verwittertem Drahtzaun. Der monotone Anblick war im Allgemeinen tröstlich für mich, denn jeder Meilenanzeiger brachte mich meinem Zuhause näher. Aber heute hatte ich, je näher ich kam, nur umso deutlicher die Konfrontation vor Augen, der ich monatelang aus dem Weg gegangen war, und die Tatsache, dass ich mich nicht länger davor drücken konnte.
Ein ganzes Leben in Tarnung brach weg, und mir blieb nichts anderes als die Wahrheit darüber, wer ich war, und die Tatsache, dass alle anderen es bald wissen würden. Ich schluckte schwer, während die Wirklichkeit ihren Würgegriff um meine Luftröhre verstärkte.
»Mama. Ich werde nicht Medizin studieren.« Ich presste die Worte heraus, testete ihre Wirkung auf meine eigenen Ohren.
Ich kannte meine Mutter gut, und auch wenn ich sie mit Sicherheit schon früher enttäuscht hatte – zum Beispiel durch meine Schüchternheit, die sich in einem zwangsläufigen Mangel an Führungsqualitäten äußerte –, war das hier eine Enttäuschung noch nie dagewesenen Ausmaßes. Das Medizinstudium war mein Leben lang ihr Ziel für mich gewesen. Unser Ziel für mich. Bis ich mit erschreckender Klarheit mitten in einem Harvard-Vorstellungsgespräch im letzten Herbst erkannte, dass die medizinische Laufbahn nicht das war, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen wollte.
In Harvard landete ich letztendlich auf der Warteliste. Mein hervorragender Notendurchschnitt auf dem College und mein überdurchschnittliches Abschneiden bei der medizinischen Aufnahmeprüfung waren nicht der Grund, weshalb ich keine bedingungslose Zulassung bekommen hatte. Die vorklinischen Vereinigungen, denen ich beigetreten war, die Praktika, die ich absolviert hatte, meine Mitgliedschaft in einer Studentinnenverbindung und meine mustergültigen Referenzen – an alledem gab es nichts auszusetzen.
Der ausschlaggebende Faktor war mein Mund, der wie bei einem Fisch immer wieder auf- und zuklappte, anstatt eine zusammenhängende Antwort auf eine absolute Standardfrage der Fakultätsangehörigen zu geben, die das Vorstellungsgespräch leitete.
»Miss Frank«, begann sie, während sie den Blick von den Unterlagen auf dem Tisch vor ihr hob und mich mit einem konzentrierten Lächeln festnagelte, »sagen Sie uns doch bitte – welche Vorbehalte könnten Sie dagegen haben, die medizinische Laufbahn einzuschlagen?«
In ihrem Tonfall lag nichts Vorwurfsvolles. Sie hatte diese Frage zweifellos schon früher gestellt und erwartete im Gegenzug eine kompetente, wohlüberlegte Antwort. Hier...