E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Waterfield / Aurel Mark Aurel: Selbstbetrachtungen
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98609-041-8
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die kommentierte Edition von Robin Waterfield
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-98609-041-8
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Robin Anthony Herschel Waterfield ist ein britischer Altertumswissenschaftler, Übersetzer, Herausgeber und Autor von Kinderbüchern. Er forschte bis 1978 am King's College in Cambridge über antike griechische Philosophie und war anschließend Dozent an der Universität Newcastle und später an der Universität St. Andrews. Heute ist er selbständiger Schriftsteller. Mark Aurel wurde im Jahr 121 n. Chr. in Rom geboren und war von 161 bis zu seinem Tod 180 römischer Kaiser. Er ging in die Geschichte ein als »Philosoph auf dem Kaiserthron« und gilt neben Seneca und Epiktet als wichtigster Vertreter der späten Stoa, einer philosophischen Strömung der Antike.
Weitere Infos & Material
Erstes Buch1
[ 1 ] Von meinem Großvater Verus:2 der edle Charakter und die Ausgeglichenheit des Gemüts.
[ 2 ] Von meinem natürlichen Vater3 (aus Berichten und meiner Erinnerung): Bescheidenheit und Männlichkeit.
[ 3 ] Von meiner Mutter:4 Verehrung für die Götter, Freigebigkeit und die Fähigkeit, mich nicht nur von schlechten Taten fernzuhalten, sondern auch von den Gedanken daran. Darüber hinaus den einfachen Lebensstil, der in keiner Weise dem der Reichen glich.5
[ 4 ] Von meinem Urgroßvater:6 Nicht dort zu lernen, wo öffentlich gelehrt wurde. Von guten Lehrern zu Hause unterrichtet zu werden. Und die Erkenntnis, dass an Bildung nicht gespart werden sollte.7
[ 5 ] Von meinem Lehrer:8 Weder die Grünen noch die Blauen9 zu unterstützen, weder die Rund- noch die Langschilde.10 Mühen nicht zu scheuen, die eigenen Ansprüche herunterzuschrauben, selbst Hand anzulegen, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern und bösartigem Klatsch kein Gehör zu schenken.
[ 6 ] Von Diognetus: Sich nicht von leerer Begeisterung fortreißen zu lassen. Wundertätern und Hexern mit ihren Zaubersprüchen und Geisteraustreibungen11 mit Skepsis zu begegnen. Keine Wachteln für Kämpfe zu halten oder mich von solchen Dingen begeistern zu lassen. Offene Worte zu akzeptieren. Vor allem aber mich immer an der Philosophie zu orientieren und Vorlesungen zu hören, von Baccheius, aber auch von Tandasis und Marcianus.12 Schon als Knabe Aufsätze zu verfassen. Ein Feldbett mit Felldecke vorzuziehen und alles andere, was mit dem griechischen Lebensstil einhergeht.13
[ 7 ] Von Rusticus: die Erkenntnis, wie wichtig die Verbesserung und Änderung des eigenen Charakters ist.14 Mich nicht von Sophistereien15 ablenken zu lassen. Nicht über philosophische Theorien zu schreiben oder Predigten zu halten, um andere zu einem Wandel ihres Lebens zu veranlassen. Nicht den Asketen oder Philanthropen zu spielen, um die Leute zu beeindrucken. Klingende Rhetorik, Dichtung und hochtrabende Sprache zu vermeiden. Zu Hause nicht im edlen Gewand herumzustolzieren oder ähnliche Dinge. In Briefen einen ungekünstelten Stil zu pflegen (wie in dem Brief, den Rusticus meiner Mutter aus Sinuessa16 schrieb). Nachsichtig sein und mich mit jenen zu versöhnen, die wütend und beleidigend waren, sobald sie sich beruhigt haben. Aufmerksam zu lesen und mich nicht zufriedenzugeben mit dem oberflächlichen Verständnis eines Buches. Und oberflächlichen Sichtweisen nicht bereitwillig zuzustimmen. Und dafür, dass er Epiktets Gespräche mit mir las (ja, sogar sein persönliches Exemplar mit mir teilte).17
[ 8 ] Von Apollonius: Eigenständigkeit und unbedingte Gleichgültigkeit gegenüber den Zufälligkeiten des Schicksals.18 Die ausschließliche und unaufhörliche Konzentration auf die Vernunft. Immer derselbe zu bleiben, ob einen nun gerade schlimme Schmerzen plagen, man ein Kind verliert oder unter einer chronischen Krankheit leidet. Klar zu erkennen, am lebendigen Beispiel, dass man als ein und derselbe Mensch sowohl energiegeladen als auch fähig zur Muße sein kann. Keinen Groll zu hegen, wenn man etwas erklären muss. Einen Mann zu beobachten, der sein Wissen und sein Geschick in der Ausführung philosophischer Lehren als geringste seiner Gaben erachtete. Lernen, wie man scheinbare Gefälligkeiten19 von Freunden akzeptiert, ohne sich ihnen danach unterlegen zu fühlen oder ihre Gefühle durch Zurückweisung zu verletzen.
[ 9 ] Von Sextus: Güte. Das Beispiel eines von väterlicher Autorität gelenkten Haushalts. Was es wirklich heißt, im Einklang mit der Natur zu leben.20 Unverstellte Würde. Dass man Freunden seine ungeteilte Aufmerksamkeit widmet. Toleranz gegenüber einfachen Menschen und solchen, die sich nicht von philosophischen Lehren leiten lassen. Sich auf jeden Menschen einzustellen. (Dies war eine Eigenheit, die das Gespräch mit ihm wohltuender machte als jede Schmeichelei. Und doch behandelten seine Freunde ihn mit dem höchsten Respekt.) Die überzeugende und methodische Erklärung und Systematisierung aller wesentlichen Lebensgrundsätze. Sich nie wütend zeigen oder im Würgegriff einer anderen Leidenschaft, sondern gleichzeitig leidenschaftslos und voller Zuneigung zu sein.21 Lob auszusprechen, ohne daraus eine große Sache zu machen. Und das eigene Wissen nicht zur Schau zu stellen.22
[ 10 ] Von Alexander, dem Sprachlehrer: Auf Kritik zu verzichten. Nicht auf einen Menschen loszugehen und ihn zu maßregeln, wenn er einen Fehler macht beim Gebrauch eines Wortes, in der Aussprache oder im Satzbau. Stattdessen die korrekte Form, die er hätte anwenden sollen, in der Antwort zu gebrauchen oder in der Bestätigung seiner Aussage. Oder wenn man die Angelegenheit weiter mit ihm bespricht – die Sachlage, nicht seinen Ausdruck. Oder einen anderen taktvollen Weg zu finden, um ihn daran zu erinnern.
[ 11 ] Von Fronto:23 Die Natur despotischer Bosheit zu verstehen, Doppelzüngigkeit und Heuchelei. Und die Erkenntnis, dass es unseren sogenannten Patriziern im Großen und Ganzen an Zuneigung fehlt.24
[ 12 ] Von Alexander, dem Platoniker: Dass man es grundsätzlich vermeiden sollte, jemandem zu sagen oder zu schreiben: »Ich bin zu beschäftigt«, außer es ist absolut nötig. Und sich nicht ständig mit dem Verweis auf den »Druck der Umstände« den Verpflichtungen zu entziehen, die aus der Beziehung zu den Mitmenschen erwachsen.
[ 13 ] Von Catull: Die Kritik eines Freundes niemals zu missachten, auch wenn sie unvernünftig ist, sondern lieber zu versuchen, mit ihm wieder eine normale Beziehung herzustellen. Die eigenen Lehrer aus ganzem Herzen zu loben, so wie es uns von Domitius und Athenodotus überliefert ist. Und die aufrichtige Liebe zu den eigenen Kindern.
[ 14 ] Von Severus: Liebe zur Familie. Liebe zur Wahrheit. Liebe zur Gerechtigkeit. Und dass ich dank ihm von Thrasea, Helvidius, Cato, Dion und Brutus erfahren habe.25 Dass ich ein politisches System verstanden habe, in dem die Gesetze für alle gleichermaßen gelten, weil es auf den Prinzipien persönlicher und politischer Gleichheit beruht. Und dass ich von einer Monarchie erfahren habe, die die Freiheit ihrer Untertanen über alles stellt.26 Des Weiteren von ihm: Das beständige und konsequente Lob der Philosophie. Die Bereitschaft, anderen Gutes zu tun und mit Großzügigkeit freigebig zu sein. Optimismus und das Vertrauen, dass man von seinen Freunden geliebt wird. Seine Aufrichtigkeit, wenn er jemandem eine Ermahnung erteilte. Und seine Art, Freunde nie im Ungewissen zu lassen, was er mochte oder nicht, da er dies nicht verbarg.
[ 15 ] Von Maximus: Selbstbeherrschung und das Gefeitsein gegen vorübergehende Launen. Unter allen Umständen ein frohes Gemüt zu bewahren, auch in Zeiten der Krankheit. Ein ausgeglichener Charakter, sowohl sanft als auch würdevoll. Ohne Klagen zu tun, was zu tun ist. Dass jeder darauf vertrauen konnte, dass er meinte, was er sagte, und dass er alles, was er tat, in bester Absicht machte. Nie überrascht oder beunruhigt zu sein.27 Nichts zu übereilen oder zu verzögern oder sich als hilflos zu erweisen. Nie eine verdrossene Miene zu zeigen oder ein kriecherisches Grinsen – oder anders ausgedrückt: nie mürrisch oder misstrauisch zu sein, sondern großzügig, ehrlich und bereit zur Vergebung. Er machte deutlich, dass er unabänderlich rechtschaffen war und von anderen nicht dazu angehalten werden musste.28 Wie sich niemand von ihm je verachtet fühlen musste, aber gleichzeitig nie hätte glauben können, ihm überlegen zu sein. Sein guter Sinn für Humor.
[ 16 ] Von meinem Vater:29 Ruhe und das unerschütterliche Festhalten an wohlüberlegt getroffenen Entscheidungen. Gleichgültigkeit gegenüber dem leeren Ruhm der sogenannten Ehren. Fleiß und Beständigkeit. Die Bereitschaft, jeden Vorschlag anzuhören, der im Interesse des Staates ist. Unparteilichkeit und das Bestreben, jedem das Angemessene zukommen zu lassen.30 Aus Erfahrung wissen, wann man die Zügel anziehen und wann sie lockern muss. Dass er homosexuelle Beziehungen mit Jugendlichen verboten hat.31 Wie er rücksichtsvoll seinen Freunden nicht aufzwang, ständig mit ihm essen zu müssen oder ihn auf Reisen außerhalb der Stadt zu begleiten. Und wie er sich ihnen gegenüber stets gleich verhielt, auch wenn sie aus dem ein oder anderen Grund abwesend waren. Eifer und Geduld in Angelegenheiten, die aus Ratsgeschäften entstanden.32 Niemand konnte ihm daher vorwerfen, dass er die Untersuchung zu früh eingestellt oder sich mit oberflächlichen Eindrücken zufriedengegeben hätte. Die Fähigkeit, sich seine Freunde zu erhalten. Sich nie wankelmütig zu zeigen oder einem den Vorzug zu geben. Unabhängigkeit und Heiterkeit in allen Lebenslagen. Die Fähigkeit,...