E-Book, Deutsch, 108 Seiten
Wassermann Der Mann von vierzig Jahren
1. Auflage 2016
ISBN: 978-87-11-48834-8
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 108 Seiten
ISBN: 978-87-11-48834-8
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jakob Wassermann (geboren am 10. 03. 1873 in Fürth, gestorben am 01. 01. 1934 in Altaussee/Steiermark) war ein deutscher Schriftsteller. Wassermanns Vater war ein jüdischer Spielwarenfabrikant. Nach der Schulzeit ging Wassermann bei seinem Onkel in Wien in die Lehre, die er jedoch bald abbrach. Nach dem Militärdienst arbeitete er als Versicherungsangestellter in Nürnberg. Ab 1894 arbeitete er in München und wurde dem Verleger Albert Langen als Autor empfohlen. Während seiner dreijährigen Tätigkeit als Lektor beim 'Simplicissimus' lernte er unter anderem Thomas Mann, Rainer Maria Rilke und Hugo von Hofmannsthal kennen. Später war er Theaterkorrespondent in Wien. Mit der Bücherverbrennung 1933 wurden seine Bücher in Deutschland verboten. Er schrieb unter anderem Romane ('Der Fall Maurizius', 1928) Novellen und Erzählungen ('Das Gold von Caxamalca', 1928) sowie Biografien ('Christoph Columbus', 1929) und gehörte zu den produktivsten und populärsten Erzählern seiner Zeit.
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Seine Finger glitten zerstreut über die Saiten und erzeugten ein sanft vibrierendes Geräusch, dem einer fernen Windharfe ähnlich. Gabriele nahm ihm die Laute aus der Hand, rückte sie in vertrauter Weise zurecht, und ihre Züge hatten einen versonnenen Ausdruck, als sie einige dunkle Akkorde anschlug. Dann schüttelte sie entschlossen den Kopf und legte die Laute beiseite.
»Ich liebe dich, Sylvester«, sagte sie, »du weißt es, daß ich dich liebe. Wie es gekommen ist, das kann ich nicht erklären; wozu auch, es muß nicht erklärt sein. Ich bin nur ein Weib, nicht besser und nicht schlechter als andere, und wie soll ich’s verwinden, daß du es bist, gerade du, den ich liebe. Sprich mir nicht von Glück, tröste mich nicht mit Hoffnungen, sag’ nicht, daß ich vergessen soll und daß es Stunden gibt, die ausgleichen, und daß man seine Lust aneinander haben kann, wenn auch morgen die Welt untergeht. Das ist alles nicht für mich. Sieh, Liebster, du bist wie einer, von dem ich nur eine Hand halten kann, die andere ruht in der Hand einer andern. Die andere hat ihr Leben auf dich gesetzt, sie will und kann nicht von dir lassen, und könnte sie auch, bei mir würde sie erst lebendig werden für dich, und du bist der Mann nicht, der ein lebendiges Geschöpf ins Grab wirft. Ich fühle ja, wie es um dich steht, aber ich kann nicht tun, was du verlangst. Nicht Agathes, nicht des Kindes wegen; wenn du bei mir bist und ich dich sehe, ist mir, als könnt’ ich darüber hinwegkommen; auch an dem, was man Ehre nennt, liegt mir dann nichts mehr. Aber ich will lieben, so wie man stirbt, ganz, ganz und ohne Rest. Und ich will geliebt sein so wie man untertaucht im Meer, tief ins Bodenlose. Wie soll ich das, Sylvester, bei dir, der ein böses Gewissen zu mir bringt? Widersprich mir nicht, sei wahr, in diesem Augenblick sei wahr gegen mich! Das böse Gewissen, es ist ja eigentlich das gute und edle Gewissen, dein Menschenherz, es würde dich immer zu mir treiben, aber nicht bei mir halten, und wir würden schlecht und müde. Und nun sag’ mir, was sollen wir tun?«
Sie hatte leise gesprochen und als sie geendet hatte, schaute sie ihn voll schüchterner Erwartung an. Sylvester, ohne Schmerz noch Freude, in einem schwebenden Gefühl, erwiderte ebenso leise: »Ich habe dich gespürt, als ich noch in der Heimat war. Ich habe dich mit mir herumgetragen wie eine Schwangere den Schößling trägt, bis du wesenhaft wurdest, bis du erschienen bist. Ich habe andere genossen wie man Wurzeln verzehrt, wenn keine Speise da ist. Ja, ich will wahr sein; deine Worte sind das größte Unglück meines Lebens, denn du hast recht mit allem was du sagst. Was wir aber tun sollen, das weiß ich durchaus nicht. Nur daß ich ohne dich nicht existieren kann, weiß ich. Fliehen wir, Gabriele, geh mit mir auf ein Schiff, laß uns über den Ozean fahren, versuch’ es mit mir, vielleicht zeigt es sich, daß deine Furcht unbegründet war –«
»Jetzt belügst du dich doch«, unterbrach ihn Gabriele sanft. »Es gibt keine Freiheit durch Anmaßung, es gibt kein Recht, das einer nur für sich selber schafft. Freilich, es gibt Menschen, die solches zustande bringen, aber ich bin dazu nicht robust und du, Lieber, bist nicht phantasielos genug. Wir sind Menschen und müssen tun, was menschlich ist.«
Dies sagte sie mit einer so unheimlichen Hoheit und Ruhe, daß Sylvester vor ihr erschrak.
»Es war mein Plan, morgen nach Bangor zu gehen«, fuhr sie fort; »du hast geglaubt, daß wir in Bangor beisammen sein könnten. Es darf aber nicht sein. Ich will ja nicht, daß wir uns nie wiedersehen sollen, wie könnt’ ich das, aber wir müssen uns die Möglichkeit zur Besinnung geben, du mir und ich dir. Wenn dir also am Aufenthalt in Bangor etwas liegt, so werde ich anderswohin gehen. Antworte mir, Sylvester. Zürnst du? Wie schwer ist es doch, das Richtige zu tun!«
»Ich werde nicht nach Bangor gehen«, sagte Sylvester stockend. Unwillkürlich streckte Gabriele die Arme aus, und mit einem dumpfen Laut stürzte er zu ihr. In ungeheurer Bewegung ergriff sie seinen Kopf und drückte sein Gesicht in ihren Schoß. Sie beugte sich über ihn und stammelte: »Lieb’ ich dich denn? Ich liebe dich ja gar nicht. Ich liebe ja einen andern, der nicht da ist und den ich nicht kenne. Jetzt mußt du gehen, Sylvester. Geh jetzt, laß mich allein, geh jetzt, leb’ wohl.«
Zwei Stunden nach Mitternacht fand sich Sylvester am Tisch seines Schlafzimmers sitzend. Vor ihm lag eine Pistole, die er unverwandt betrachtete. Da war es ihm, als höre er die Türe knarren und als trete Agathe herein und als lege sie den Arm um seine Schulter und die Wange an seine Stirn und seufze tief. Sein Kopf fiel auf die Tischplatte, und er weinte wie ein Kind.
Die Oktobertage und -nächte vergingen, ohne daß Sylvester ihre Folge wahrnahm. Wie ein aus dem Schlaf häufig Erwachender lebte er sie zerstückt. Bisweilen saß er plaudernd bei Frau von Rhynow; er zeigte sich besonnen und gelassen, doch insgeheim machte er sich über jedes Wort lustig, das er gebrauchte. Eine bestimmte Behauptung aufzustellen, dünkte ihn vollkommen sinnlos, und wäre es die flachste und beweisbarste gewesen. Er ging in den Klub und redete mit dem und jenem; meistens verfuhr er so, daß er mechanisch ungefähr das Gegenteil von dem sagte, was der andere gesagt hatte. Zu seinem Erstaunen wurde ein Gespräch daraus. Er aß und trank und wunderte sich, daß ihn ein Bedürfnis trieb. Er suchte einen Schneider auf und besichtigte Stoffe für einen Anzug; während er es tat, wunderte er sich, daß er es tat. Das Leben, welches er führte, kostete viel Geld, und da er mit seinem Vorrat zu Ende war, unterschrieb er einen Wechsel, war sich aber keiner Verantwortung dabei bewußt. Seine Beobachtungsgabe war trotzdem dieselbe geblieben. So fiel es ihm auf, daß sich Adam ungewöhnlich viel mit Briefschreiben beschäftigte. Er stellte ihn zur Rede, und Adam gestand, daß er mit Anna Ewel korrespondierte. Bei der Erwähnung dieses Namens drückte Sylvester den Zeigefinger auf das rechte und den Mittelfinger auf das linke Auge und sein Gesicht bekam den Ausdruck verstörten Nachdenkens.
Adam Hund hatte zahlreiche Gelegenheiten gehabt, mit Anna Ewel zusammenzutreffen und sie die Überlegenheit fühlen zu lassen, die er sich im Weltgetriebe angeeignet. Er hatte in der schwarzen Böhmin eine gläubige Zuhörerin gefunden, und weil der Selbstliebe eines Mannes nichts so sehr schmeichelt, als wenn eine junge Dame seinen moralischen Urteilen wie auch den Erzählungen seiner Abenteuer bewundernd lauscht, so hatte sich die Abrede einer brieflichen Verbindung, die den fruchtbaren mündlichen Verkehr gedeihlich fortspinnen sollte, bald ergeben. Adam belehrte seine Schülerin vornehmlich über den Weg, den sie einschlagen müsse, um einen Gatten zu bekommen. »Zuvörderst ist es geraten, daß man sich eines möglichst geheimnisvollen Benehmens befleißige«, schrieb er; »wenn sich zum Beispiel ein Strumpfband gelockert hat und es steigen einem darüber peinliche Gedanken auf, weil man notabene in guter Gesellschaft ist und nicht wagen darf, den Fehler zu beheben, so empfiehlt es sich, eine melancholische Miene zur Schau zu tragen oder mit tiefsinnigem Schmachten von einem gereimten Gedicht zu sprechen. Es empfiehlt sich überhaupt, wenn ein Frauenzimmer von Sachen spricht, die sie nicht versteht, dann glauben die Männer, sie verstünden noch weniger davon und sagen untereinander: das Weib hat einen ungewöhnlichen Geist. Natürlich genügt solches nicht. Sie müssen auch, teure Anna, trefflich gewaschen und gekämmt sein, gewisse Lücken in der äußern Person geschickt zu stopfen wissen, Salben und Wohlgerüche ohne Zudringlichkeit anwenden, im Beisein anderer wenig essen, auch wenn Sie noch so großen Hunger haben, und ist dann der Gimpel einmal gefangen, so hat’s weiter keine Not. Das ist ja das Merkwürdige, daß so selten einer loskommt, und ich will Ihnen auch den Grund mitteilen, warum es so ist. Nämlich wir Männer, wir nehmen die Weiber ernst, wir wollen ihnen etwas beweisen, wir wollen sie widerlegen, wir streiten mit ihnen wie mit unseresgleichen und das, verehrenswerte Anna, ist das Dümmste, was wir tun können. Dadurch haken sie sich an uns fest wie die Schnecke am Bein eines Ochsen, und während wir glauben, daß sie mit uns auf dem Lebenswege wandeln, tun sie nichts anderes als faul an unserem Fleisch schmarotzen.«
Bei einem sonderbaren Anlaß entdeckte Sylvester, daß Adam auch Nachrichten von Erfft erhielt. Seit kurzem kochte Adam seine Mahlzeiten selbst und tischte zuweilen seinem Herrn Klöße in saurer Brühe oder nach fränkischer Art gebratene Kartoffeln auf. Er wich nicht vom Fleck, bis Sylvester seine Kunst belobt hatte, fühlte sich dadurch ermuntert, über die englische Küche zu räsonieren und endete mit einem Preis der heimatlichen Dinge. Sogar sein böses Weib erschien ihm in freundlicherem Licht, und eines Tages verteidigte er sie gegen Sylvester mit einem Eifer, als ob dieser sie der größten Schandtaten bezichtigt hätte. »Das mit den Prinzipien und der männlichen Würde ist ja ganz schön«, redete er auf den immerfort schweigenden Sylvester ein, »aber sie weiß einen Apfelkuchen zu backen, da geht einem das Herz im Leibe auf. Neulich war der Inspektor Marquardt bei ihr und konnte sich nicht daran satt essen. Er hat mir geschrieben, daß sie in Dudsloch musterhafte Ordnung hält, während in Erfft alles drunter und drüber geht. Die gnädige Frau, die doch gewiß eine Ausnahme ihres Geschlechts ist, kümmert sich nur noch wenig um die Wirtschaft und um die Leute und läßt sieben gerade sein. Manchmal kommt der Herr Major herüber, befiehlt, daß man ihm die Haushaltungsbücher zeigt, schimpft über den Verbrauch und verhandelt dann stundenlang mit der gnädigen Frau hinter...




