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E-Book, Deutsch, 368 Seiten, ePub

Washington An einem Tisch

In seinem zarten, melancholischen Roman erforscht Washington die komplizierte Natur von Trauer und Liebe
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-0369-9633-2
Verlag: Kein & Aber
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

In seinem zarten, melancholischen Roman erforscht Washington die komplizierte Natur von Trauer und Liebe

E-Book, Deutsch, 368 Seiten, ePub

ISBN: 978-3-0369-9633-2
Verlag: Kein & Aber
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Nach dem tragischen Verlust der Liebe seines Lebens hadert Cam mit allem, fühlt sich gestrandet und weiß nicht, wohin mit sich - und schottet sich gegen jegliche Hilfe, jegliche Zuneigung ab. Als er in Houston seinem alten Jugendfreund TJ über den Weg läuft, erfährt er, dass dieser immer noch im kleinen Restaurant seiner Eltern arbeitet, als Koch. Und nach und nach gelingt es dem warmherzigen und hartnäckigen TJ, Cam wieder ins Leben zurückzuholen, indem er ihn ins Familiengeschäft einbindet, ihn wieder zum Kochen bringt und ihm einen Weg zeigt, sich mit seiner Vergangenheit zu versöhnen. Wie sagt man so schön: Liebe geht durch den Magen.

Bryan Washingtons Prosatexte und Essays erschienen bisher u. a. in der New York Times, dem New York Magazine, Buzz Feed und One Story. Sein Schreiben wurde mehrfach ausgezeichnet: Für sein Debüt Lot, eine Kurzgeschichtensammlung, erhielt er den Dylan Thomas Prize, er war einer der Gewinner des National Book Award in der Kategorie '5 Under 35' und Preisträger des Ernest J. Gaines Award for Literary Excellence. Sein Romandebüt Dinge, an die wir nicht glauben ist in den USA ein Bestseller und wird als TV-Serie verfilmt. An einem Tisch ist sein zweiter Roman. Bryan Washington lebt in Houston, Texas.

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Cam

Die meisten Typen um mich herum fangen an, paarweise zu verschwinden, aber TJ sitzt einfach da und nippt an seinem Wasser. Alle anderen schleichen zu zweit, zu dritt von der Theke weg. Sie sind dicht und wackeln die Fairview runter, in die Wohnung des besten Freundes von irgendeinem Ex-Boyfriend. Oder ins Badehaus in Midtown. Oder auch nur auf die Veranda der Bar, unter die Markise, wo die Mücken bis sechs Uhr morgens ins Laternenlicht rammen. Aber heute Abend, selbst noch, nachdem wir die Musik runtergedreht, das Licht wieder angemacht und die Theke gewischt haben, rührt TJ sich nicht. Es ist, als würde mich der Wichser nicht mal erkennen.

Einen Moment lang ist er eine leere Leinwand.

Ein Gesicht ganz ohne unsere Geschichte.

Aber da ist dieses Grinsen, das ich bei ihm noch nie so gesehen habe. Sein Haar sprießt unter der Kappe hervor und streift ihm über den Nacken. Er war schon immer kleiner als ich, aber seine Wangen sind weicher geworden, immer noch voller Babyspeck, der sich nie ganz verabschiedet hat.

Ich bin ein Idiot, aber ich weiß, das ist echt selten: jemanden zu sehen, den du genauestens kennst, ohne dass er dich wahrnimmt.

Das schafft unendliche Möglichkeiten.

Aber dann blinzelt er und sieht mich direkt an.

Fuck, sagt er.

Fick dich selbst, sage ich.

Fuck, sagt TJ. Fuck.

Das hast du bereits gesagt, sage ich. Willst du was Stärkeres trinken?

TJ fasst sich unten ans Gesicht. Tut mit seinem Haar herum. Sieht in sein Glas.

Er sagt: Ich wusste nicht mal, dass du wieder in Houston bist.

Ach, sage ich.

Hast du nicht dran gedacht, es mir zu sagen?

Ist doch keine große Sache.

Verstehe, sagt TJ. Klar.

Die Lautsprecher über uns blasen einen verschwommenen Strom Popakkorde heraus, bis zur Unverständlichkeit remixed. Dolly und Jennifer und Whitney. Der Hinweis für alle, den Laden zu verlassen. Aber die Jungs lehnen noch an der Theke, in verschiedenen Stadien der Auflösung – die Wochenendbesetzung einer Schwulenbar variiert krass und stündlich, von mexikanischen Ottern in Leder über weiße, offbeat klatschende Schwule und asiatische Bären in Gucci bis zu schwarzen Twinks, die am Pooltisch zum Bass mit den Köpfen nicken.

Als es dann doch endlich weniger werden, nimmt TJ die Kappe ab und fährt sich durchs Haar. Er stöhnt.

Geh ruhig tanzen, sage ich.

Du weißt, das ist nicht mein Ding, sagt TJ.

Dann hast du dich wirklich nicht verändert. Aber ich bin in einer Minute fertig, sage ich. Wenn du so lange warten willst.

Okay, sagt TJ.

Gut, sage ich und mache mich wieder an die Arbeit, schließe die Kasse, fülle Bacardi auf und kehre ihm erneut den Rücken zu.

Ich habe seit Jahren nicht von TJ gehört.

Gesehen haben wir uns schon seit mehr als zehn Jahren nicht mehr.

Als wir klein waren, stand sein Haus neben meinem. Meine Eltern waren kaum da, also hatte TJ ein Auge auf mich. Ich habe neben Jin und Mae mit an seinem Esstisch gesessen. Mir seine Pullover ausgeborgt. Bei ihm im Bett geschlafen und seinen Atem auf meinem Gesicht gespürt. Als meine Eltern umkamen – bei einem Verkehrsunfall, von einem Betrunkenen gerammt, der auf die I-45 einfädelte, ich war gerade fünfzehn geworden, große Emotionen –, haben mich seine Eltern in ihr Leben aufgenommen, mir Zeit und Raum und ein Zuhause geschenkt, und wann immer ich später das Wort Zuhause gehört habe, ploppten ihre Gesichter wie verdammte Hologramme vor mir auf.

Nicht, dass das jetzt eine Rolle spielt. Es hat am Ende einen Scheiß für mich geändert.

Als ich den Boden wischen will, winken Minh und Fern ab. Ich frage, was sie haben, und Fern sagt, man lässt Freier nicht warten.

Er scheint ziemlich spitz auf dich zu sein, sagt Minh.

Ist er nicht, sage ich.

Der Typ schlägt aus der Art, sagt Fern. Ich hab noch nie gesehen, dass du auf Cubs stehst.

Ich entwickle mich ständig weiter, sage ich, aber wir vögeln nicht.

Redest wie eine echte Hure, sagt Minh.

Fern gehört die Bar. Minh ist sein einziger anderer Angestellter. Ich zeig ihnen den Finger, gehe raus, und es fängt an zu nieseln. TJ steht noch an der Straße, zieht an seinem Vaper, tippt auf seinem Handy herum und bläst eine Wolke Gras in die Luft, als er mich sieht. Der Regen sticht Löcher durch den Dampf.

Du hast ein paar Kilos weniger, sagt TJ.

Und du mehr, sage ich.

Nice.

Kein Einwand. Endlich siehst du wie ein Bäcker aus.

Aber es ist anders. Du –

Darüber willst du reden?

War nur so eine Beobachtung, sagt TJ. Ich habe Augen.

Parkst du in der Nähe, frage ich.

Nee.

Dann bringe ich dich wie ein Gentleman hin.

Ha, sagt TJ, und wir treiben den Gehweg hinunter, tauchen unter herabhängenden Baumwedeln ins Viertel ein.

Die Mitte von Montrose besteht aus kaputtem Beton, ungeheurem Grün und Reihenhausgruppen. Hier und da perlt Lachen die sich dahinschlängelnden Straßen entlang, selbst noch so spät in der Nacht. Flaschen zerschellen, Motoren fauchen. Aber TJ geht ruhig, und so werde auch ich langsamer. Manchmal sieht er in meine Richtung, doch sein Mund bleibt verschlossen.

Ungeheuer anregende Unterhaltung, sage ich.

Ich glaube nicht, dass du so mit mir reden musst, sagt TJ.

Echt? Nach all den Jahren?

Ich hatte nicht vor, dich heute Abend zu treffen, sagt TJ. Das ist kein Date.

Du datest jetzt also, sage ich, statt Heterojungs zu ficken?

Halt’s Maul, sagt TJ. Wie lange bist du schon in Houston. Und lüg jetzt nicht.

Entspann dich, sage ich. Erst ein paar Monate.

Was heißt, ein paar?

Die paar, seit Kai gestorben ist.

Oh, sagt TJ.

Er bleibt mitten vor einer Einfahrt stehen. Eine Schar aufgedonnerter Schwuchteln auf der Suche nach ihrem Lyft schwirrt um uns herum und pfeift ziellos nach irgendwas.

Scheiße, sagt TJ. Sorry.

Muss dir nicht leidtun, sage ich.

Nein, sagt TJ. Nicht deswegen. Oder nicht ganz. Aber ich hab’s nach dem Ganzen nicht mehr geschafft, mit dir zu sprechen.

Nach dem Ganzen, sage ich.

Nach dem Ganzen, sagt TJ. Du weißt schon.

Er hält den Blick auf den Beton gerichtet. Er ballt eine Hand zur Faust.

Die Reaktion ist total menschlich. Aber mir reicht es noch nicht.

Ich trete näher an TJ heran.

Du hast ihn nicht umgebracht, sage ich.

Ich weiß, aber –

Kein aber. Mach dich jetzt verdammt noch mal nicht runter.

TJ sagt darauf nichts. Er zieht wieder an seinem Vaper. Und hält ihn mir hin, lässt ihn runterbaumeln, und ich nehme ihn und pumpe mir was von seinem Gras rein.

Wir gehen ein paar Straßen weiter, hopsen die Gehwege der Hopkins runter, Richtung Whitney und Morgan, und die Schwulen hupen in Mini Coopers hinter uns. Wir kommen an einem Vietnamesen-Paar vorbei, das sich an den Schultern hält, komplett hinüber nach einer durchgemachten Nacht. Sie versuchen, auf keinen Riss zu treten. Ein wirrer Haufen betrunkener Bros hält an der Ecke vor einer Taquería Hof, wedelt mit den Handys herum und lacht viel zu laut. Als einer von ihnen fragt, ob wir Party machen wollen, spüre ich, wie sich TJ versteift, und ich sage, alles bestens, vielleicht das nächste Mal, und lege dabei etwas Extra-Bass in meine Stimme. Aber die Typen winken nur ab. TJ und ich ducken uns unter weiteren Ästen durch, und dann sind wir allein auf der Straße, wieder, außerhalb des Einzugsbereichs der Schwulenkneipen, wo es still ist wie in jedem anderen Spießervorort in Texas.

Hey, sage ich. Dass du in die Bar gekommen bist, heißt das, du bist out?

War ich immer, sagt TJ.

Klar, sage ich, aber bist du –

Da steht mein Auto, sagt TJ und nickt zu einem winzigen Hyundai hin, der an der Kreuzung parkt.

Er lehnt sich gegen die Tür, während ich in meinen Taschen herumtue. Es ergibt überhaupt keinen Sinn, dass ich so nervös bin. Aber als TJ fragt, ob er mich bei mir absetzen soll, schüttele ich den Kopf und zeige aufs Viertel.

Ich wohne hier, sage ich.

Natürlich tust du das, sagt TJ.

Bei einem Freund. Einem anderen Freund.

Einem, der wusste, dass du in dieser verfickten Stadt bist.

TJ klingt nüchtern, als redete er übers Wetter.

Was zum Teufel hättest du getan, wenn ich es dir gesagt hätte, sage ich.

Ich nehme an, das werden wir nie erfahren, sagt TJ.

Er zieht eine Grimasse. Noch eine, die ich noch nie gesehen habe. So was wie ein Grinsen.

Ich überlege, was ich darauf sagen soll, mache den Mund auf, um es auszusprechen … und entscheide mich dagegen.

Weil TJ zumindest so viel verdient hat.

Stattdessen greife ich nach seinem Vaper und ziehe noch mal daran. Ich blase ihm den Dampf ins Gesicht. Als TJ ihn wegwedelt, mach ich’s noch einmal.

Hör zu, sagt er. Ernsthaft jetzt. Ist wirklich alles okay?

Sind nur ein paar Schritte, sage...


Washington, Bryan
Bryan Washingtons Prosatexte und Essays erschienen bisher u. a. in der New York Times, dem New York Magazine, Buzz Feed und One Story. Sein Schreiben wurde mehrfach ausgezeichnet: Für sein Debüt Lot, eine Kurzgeschichtensammlung, erhielt er den Dylan Thomas Prize, er war einer der Gewinner des National Book Award in der Kategorie »5 Under 35« und Preisträger des Ernest J. Gaines Award for Literary Excellence. Sein Romandebüt Dinge, an die wir nicht glauben ist in den USA ein Bestseller und wird als TV-Serie verfilmt. An einem Tisch ist sein zweiter Roman. Bryan Washington lebt in Houston, Texas.

Löcher-Lawrence, Werner
Werner Löcher-Lawrence ist u. a. der Übersetzer von John Boyne und Hilary Mantel und übersetzte für Kein & Aber Gabriel Krauze und Lisa McInerney.

Bryan Washingtons Prosatexte und Essays erschienen bisher u. a. in der New York Times, dem New York Magazine, Buzz Feed und One Story. Sein Schreiben wurde mehrfach ausgezeichnet: Für sein Debüt Lot, eine Kurzgeschichtensammlung, erhielt er den Dylan Thomas Prize, er war einer der Gewinner des National Book Award in der Kategorie »5 Under 35« und Preisträger des Ernest J. Gaines Award for Literary Excellence. Sein Romandebüt Dinge, an die wir nicht glauben ist in den USA ein Bestseller und wird als TV-Serie verfilmt. An einem Tisch ist sein zweiter Roman. Bryan Washington lebt in Houston, Texas.Werner Löcher-Lawrence ist u. a. der Übersetzer von John Boyne und Hilary Mantel und übersetzte für Kein & Aber Gabriel Krauze und Lisa McInerney.



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