E-Book, Deutsch, 132 Seiten
Walther Herrgott zwo null
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7481-7683-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein haidnisches Symposion
E-Book, Deutsch, 132 Seiten
ISBN: 978-3-7481-7683-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Peter Walther, Jahrgang 1949, einst Aushilfsbriefträger, Bau-, Gartenbau- und Lagerarbeiter, zwischendurch Studium der Germanistik und Geschichte, 1. und 2. Staatsexamen, Interviews mit Zeitzeugen, schließlich in der Erwachsenenbildung gestrandet, hat jetzt im Ruhestand dem Schreiben den weitesten Raum in seinem Leben eingeräumt. Er tritt gelegentlich auf Lesebühnen und Poetry Slams auf, hat unter dem Titel "Schräge Gestalten" gesammelte autobiographische Notizen veröffentlicht, ein Jahr lang Wochenende für Wochenende seine Kolumne "Nicht verzagen - WikipeteR" fragen abgeliefert, mit "Herrgott zwo null. Ein haidnisches Symposion" eine absurde Hommage an Arno Schmidt, Charles Bukowski, Gottfried Wilhelm Leibniz, Ada Lovelace und die Norddeutsche Tiefebene vorgelegt und schreibt immer wieder an seinem Roman "Potemkinsche Hunde", der aber wohl nie fertig wird.
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DIETERS HENGSTPARADE
Einige Minuten fiel kein Wort. Draußen flatterte ein Vogel. Gott blätterte in Gedanken das durch, fand aber nichts zur Sitte, sich vor der Beerdigung zu betrinken. Dann unterbrach der älteste der Stammtischrunde, der mit dem Goldkettchen, die fast andächtige Stille: „Wo waren wir stehengeblieben?“
„Dieters Hengstparade.“ Dieter war der Tote, den sie in zwei Stunden unter die Erde bringen sollten. Bei der Beerdigung von Rixen Louis drei Wochen zuvor hatte er noch selbst zu den Sargträgern gehört und mitgetrunken, als könne er noch Jahrzehnte so durchhalten.
„Hengstparade. Richtig. Also! Als dann Fräulein Jedamski hier reinkommt, steht er auf, holt seinen Lümmel raus und legt ihn hier auf ’n Tisch.“
„As’n Hengst sien’, segg ich di, as’n Hengst sien’.“
„Ge-wal-tich!“
„Hier auf den Tisch. Neben den Teller.“
„As’n Hengst sien’! Sowas hast noch nich sehn!“
„Und sie: Verzieht keine Miene. Wird noch nich mal rot. Kuckt nur ganz kurz hin, lacht und geht weiter, als wär’ nix.“
„So wahr ich hier sitze.“
„Kein bißchen eingebildet oder etepetete. Die war in Ordnung.“
„Was ‘ne Frau. Als wär‘ sie eine von uns. Nicht so wie die Neue.“
„Und der Dieter. Ja. So war er.“
„Prost. Prost auf beide!“
Mit leeren Biergläsern. Der Wirt fing sofort an, vier neue zu zapfen. Gott prostete mit dem leeren Wasserglas zurück.
„Kuck nicht so ungläubig, du da drüben in deiner grünen Joppe. So war er, unser Dieter. Das stimmt alles. Al-les. Wort für Wort.“
Es war aber alles gelogen und gehörte zu einem Stückchen, das sie nicht zum ersten Mal aufführten. Normalerweise sah Gott, auch wenn er es besser wußte, über solche Klatschgeschichten und Aufschneidereien großzügig hinweg, an einem Tag wie diesem wollte er es den schon leicht angeheiterten Sargträgern aber auf keinen Fall durchgehen lassen.
„Schämen Sie sich nicht?“, entgegnete er: „Sie tragen heute Ihren Freund zu Grabe und statt an einem solchen Tag einmal innezuhalten und in sich zu gehen und nachzudenken über die Vergänglichkeit des Seins, über sich und die Welt, über den Sinn Ihres Lebens oder auch nur darüber, wie lange Ihre Lebern noch durchhalten bei Ihrem Alkoholkonsum, statt also den Tod Ihres Freundes zum Anlaß zu nehmen, wenigstens ein einziges Mal nachzudenken über Ihr Leben“, beinahe hätte Gott ‚über Ihr beschissenes Leben‘ gesagt, konnte sich aber gerade noch bremsen. „Was machen Sie stattdessen? Sie tischen mir eine solche Geschichte auf, die Ihren toten Freund beleidigt und auch Ihre alte Lehrerin. Wenn sie wenigstens noch wahr wäre und eine echte Erinnerung an den Toten. Aber nein.“
„Willst du etwa behaupten, wir lügen?“, unterbrach ihn der mit dem Goldkettchen.
„Genau“, antwortete Gott, „und zwar gleich doppelt. Sie haben es erfaßt.“ Er stützte seine Ellbogen auf den Tisch, faltete seine Hände in Kinnhöhe und blickte die Stammtischrunde herausfordernd an.
„Woher willst Du das wissen?“ Das Goldkettchen war rot angelaufen und aufgestanden: „Du bist doch nicht von hier. Und Dieter kennst du auch nicht. Gib es zu!“
Wie ein Zuhälter auf einer Ludenbeerdigung auf St. Pauli, dachte Gott, aber das paßt, das ist er ja auch, nur weit vom Schuß auf dem Dorf, drei Nummern kleiner und ganz und gar erfolglos. Anlageberatung, Partnervermittlung, Strukturvertriebe, ein halbes Dutzend betrügerische Schneeballsysteme, alle Geschäftsideen, die das schnelle und mühelose Geld versprachen, hatte er schon versucht, war aber stets daran gescheitert, daß nie jemand anderes als seine Saufkumpane auf seine großspurigen Versprechungen hereinfiel. Den Lebensunterhalt mußte seine Frau mit ihrer Heißmangel verdienen. Geld, um neue Verlustgeschäfte einzufädeln, rückte sie schon seit Jahren nicht mehr heraus.
„Herr Prahlemann“, versuchte Gott das Goldkettchen, das eigentlich Hans-Joachim Bruns hieß, zu verunsichern: „Richtig, ich komme nicht von hier, aber, wie Sie sehen, kenne ich sogar Ihren Spitznamen. Und ich weiß noch viel mehr über Sie. Ich weiß, wieviel Sie auf dem Konto haben, ich weiß, mit wie vielen Firmen Sie schon bankrottgegangen sind, ich weiß, daß diese Geschichte über Ihren Freund frei erfunden ist, schlecht erfunden noch dazu. Sein Schwengel mißt normale dreizehn Zentimeter und er hat ihn auch nie auf irgendeinen Tisch gelegt. Ich weiß eben alles. Damit müssen Sie sich abfinden. Aber“, er gluckste innerlich bei dem Gedanken an seinen guten Einfall, „wenn Sie den Mut aufbringen, gebe ich Ihnen gern Gelegenheit, mir auf der Stelle das Gegenteil zu beweisen. Noch ist der Sarg nicht zugenagelt. Wir gehen zusammen zur Friedhofskapelle und messen nach. Und wenn wir dann feststellen, daß Ihre Behauptungen stimmen, verschwinde ich auf der Stelle und belästige Sie nicht länger.“ Gott hielt Prahlemann seine Rechte hin: „Schlagen Sie ein!“
Der sprang empört auf, beugte seinen Oberkörper ein Stück zurück, nahm seine Hände auf Brusthöhe und hielt Gott die Handinnenflächen abwehrend entgegen: „Störung der Totenruhe wäre das, Störung der Totenruhe. Du weißt genau, daß wir das unserem Dieter niemals antun würden. Deshalb schlägst du das auch vor. Wir haben dich durchschaut.“
„Papperlapapp.“ Gott wischte die hilflose Entgegnung mit einem Wort weg. Diese Wichte wollten ihn durchschaut haben? Diese lächerlichen Kreaturen? Ihn?! Das einzige Wesen im Universum, das alles weiß?! Pah!!
„Was ist denn schon dabei? Wenn Ihr Freund sein Ding hier wirklich auf den Tisch gelegt hätte vor den Augen Fräulein Jedamskis, wie Sie behaupten, hat er zwar nicht, aber nehmen wir es mal für einen Augenblick an, wenn das seine Art gewesen wäre, dann hätte er wohl auch nichts dagegen, wenn wir jetzt einmal kurz nachschauen unterm Totenhemd, und, wenn es stimmt, wenn, ich sage ausdrücklich: wenn, denn es stimmt ja nicht, das wissen wir alle, es sind nun einmal nur dreizehn Zentimeter und nicht vierundvierzig oder fünfzig, wenn es also trotzdem stimmt, dann rufen wir im Chor ‚Habet! Habet! Habet!‘ und lobpreisen vor der ganzen Welt die Größe seines Gemächts.“
Weder einer der vier Sargträger noch der Enzianwirt hatten verstanden, worauf Gott anspielte. „Habet ist Latein und heißt: er hat“, half Kriemelmeyer ein: „Früher wurde bei jedem Papst überprüft, ob er auch Eier hat, bevor er sein Amt antreten durfte. Ein Kardinal mußte unter der Soutane nachfühlen und das dann dreimal rufen, wenn er erfolgreich war.“
„Leichenschändung wäre das“, regte sich Prahlemann auf, „die perverse Sau will nur an Dieter rumgrabbeln. Leichenschändung. Üble Nachrede. Gut, daß unser Dieter sich diesen Mist nicht mehr anhören muß. Die Ohren würden ihm klingeln. Beide Ohren. Kommt der da einfach reingeplatzt in unsere Trauer und weiß gleich alles besser als wir, Dieters Freunde. Unser Dieter ist das immer noch. Unser Freund. Und du weißt nichts, gar nichts. Unser armer Dieter.“
Die anderen drei nickten bedächtig. „Die besten sterben zuerst.“
„Unser Dieter. Armer Dieter. Unser Freund.“ Gott ahmte die Stimme des Goldkettchens so gut nach, daß die Sargträger, Kriemelmeyer und der Enzianwirt zusammenzuckten. „Was sind Sie nur für Heuchler. Unser Dieter, oho! Letzten Mittwoch, als sein Stuhl hier leergeblieben war, weil er im Sterben lag, gut, Sie wußten nicht, wie es um ihn stand, aber das entschuldigt Sie nicht, letzten Mittwoch war er niemandes Freund hier, das größte Arschloch weit und breit war er, da waren Sie sich alle einig …“
„Woher willst Du das wieder wissen“, unterbrach ihn Goldkettchen Bruns, „du warst doch gar nicht dabei.“ Vielleicht hatten sie einen Verräter unter sich. Seine Augen wanderten von einem Sargträger zum anderen, vom Stammtisch an die Theke zu Kriemelmeyer und dem Enzianwirt und von dort wieder zurück, fanden aber nichts als die suchenden Augen der anderen, die den gleichen Verdacht hatten.
Gott ignorierte das Goldkettchen und die suchenden Blicke. „Armer Dieter: Ja, das stimmt, ein armer Tropf war er. Schauen Sie sich nur seinen Lebenslauf an, meine Herren. Nichts, was er je angefaßt hat, ist ihm zu einem guten Ende gelungen. Als er vier war, konnte er den Struwwelpeter auswendig, seine Eltern hatten ihm den Text vollständig eingebleut und zu jeder Gelegenheit aufsagen lassen, einige von ihnen können sich bestimmt noch erinnern …“
Bernd Thieme konnte, zog es aber vor zu schweigen, um von den anderen nicht für den Verräter gehalten zu werden.
„…...




