Walter Sherlock Holmes und der Golem von Prag
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95441-301-0
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 290 Seiten
Reihe: Sherlock Holmes
ISBN: 978-3-95441-301-0
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sherlock Holmes meets Franz Kafka
Ein burleskes Abenteuer, in dem Klaus-Peter Walter den Leser in augenzwinkernder Manier mitten hinein in die Literatur- und Weltgeschichte entführt.
Sherlock Holmes plant überraschend eine Reise nach Prag. Lockt ihn etwa die Nachricht des Versicherungs-Concipisten und Schriftstellers Dr. Franz Kafka? Der nämlich glaubt, einem leibhaftigen Golem, jener furchterregenden Gestalt aus der jüdischen Legende, begegnet zu sein.
In Wahrheit schickt sein Bruder Mycroft, der ein hohes inoffizielles Amt in Whitehall bekleidet, ihn auf geheime Mission. Jemand verkauft militärische Geheimnisse – auch solche aus Großbritannien – nach Russland.
Und so geraten der Detektiv und sein treuer Begleiter Dr. Watson kurz vor dem Ersten Weltkrieg im winterlichen Böhmen in ein lebensgefährliches Komplott voller geheimnisvoller Erfindungen, finsterer politisch-militärischer Planspiele und Verrat. Ihre Ermittlungen führen sie zu der russischen Kriminalschriftstellerin Marietta Schaginjan und zu dem zwielichtigen Oberst Redl vom k.u.k.-Geheimdienst. Und schließlich sogar zu einem Golem – aber diese Begegnung verläuft gänzlich anders als erwartet ...
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Der landarme Idiot
Es ist möglich, dass einige Menschen mit Hans Wanka Mitleid empfunden hätten, hätten sie von seinem Schicksal erfahren. Das ist jedoch wenig wahrscheinlich. Hans arbeitete als Maschinist in einer der Spinnereien der hageren Baronin. Er hatte deren Missfallen erregt, als sie ihm entschieden zu nahe trat – und damit war sein Schicksal besiegelt. Nicht zu Unrecht argwöhnte die Baronin, dass Hansens offen zutage getretene Abscheu beim Anblick ihres halb entblößten Leibes, und das anschließende Versagen seiner Männlichkeit, als sie ihn wie eine Spinne ihre Beute zu packen versuchte, an ihrem Alter liege. Sie hatte bereits vor einigen Jahren ihren siebzigsten Geburtstag begangen, und das waren sicherlich fünfzig Jahre zu viel für den verzagten Jüngling. Hans war noch ein Knabe gewesen, als seine Mutter starb. Sein Vater Hermann, der als Einbeiniger aus einem Krieg in einem fernen Land zurückgekehrt war, nahm daraufhin das Waisenmädchen Fanny in seine Dienste, das sich um das Wohlergehen des Sohnes zu kümmern hatte. Gleichermaßen kümmerte sich Fanny auch um das leibliche Wohlergehen des Vaters. Hans wusste das, denn er hatte das blonde, bei aller Schönheit aber einfältige Mädchen schon mehrfach heimlich beim Waschen durch die beschlagenen Scheiben ihrer Kammer beobachtet und gesehen, wie sie hernach in das Schlafgemach des Vaters geschlichen war. Obwohl sie sich dabei immer sorgfältig im Flur umzublicken pflegte, ob jemand anwesend sei, der sie hätte sehen können, hatte sie Hans nie bemerkt. Eines Nachts belauschte er einen Streit zwischen dem Vater und Fanny. Ohne einzelne Worte zu verstehen, hörte er Fanny schluchzen und die barsche Stimme des Vaters. Kurz darauf kam Fanny in Hanses Kammer, sagte »Pscht« und legte sich zu ihm unter die Bettdecke. Mit heißen Fingern umfasste sie seinen klammen Körper. Hans wusste nicht, wie ihm geschah. So schnell, wie Fanny von ihm Besitz nahm, so schnell hatte sich das Mädchen seines Leibes bedient und war wieder verschwunden. Einige Tage später war der Vater wieder sehr zornig. Er schrie Hans an, der nicht verstand, was geschehen war. Welche Schande meinte der Vater? Nach und nach wurde aber sogar ihm klar, dass Fanny ein Kind erwartete. Der Vater beschuldigte Hans, dieses Kind gezeugt zu haben. Obwohl Hans genau wusste, dass Fanny schon vor dem kurzen Besuch bei ihm im verwaisten Bett der Mutter neben dem Vater gelegen hatte, wagte er keinen Widerspruch zu erheben und verteidigte sich nicht. Selbst dann noch schwieg er mit fest zusammengekniffenen Lippen, als Fanny weinend mit dem Finger auf ihn wies. »Er war so wild, ich konnte mich nicht wehren!«, rief sie. Hans ahnte in seiner Arglosigkeit gar nicht, dass Fanny und der Vater sich abgesprochen hatten, um ihn ins Verderben zu führen. Der Vater schimpfte von Unmoral und kündigte strengste Bestrafung an. Wiederum ein paar Tage später eröffnete er Hans, dass dieser in die Dienste der Baronin gegeben würde, die, seit Langem Witwe, wegen ihrer Härte von jedermann halb ehrfürchtig, halb hasserfüllt »die eiserne Baronin« genannt wurde. »Du bist deiner Herrin Gehorsam schuldig, so wie du mir Gehorsam schuldig bist!« Das war der Leitspruch, den der Vater seinem Sohn mit auf den Weg gab. Auf eine herzliche Umarmung verzichtete er zur Erleichterung des Sohnes. Zwei Jahre mochten ins Land gezogen sein, als Hans einmal überraschend seine Heimatstadt besuchte. Vom Bahnhof aus ging er durch die Straßen, die zu seinem Elternhaus führten. Als er dort den Klingelzug betätigte und dem vertrauten Klang der Hausglocke lauschte, öffnete zu seiner großen Verwunderung niemand anderes als Fanny die Haustür, ihren Sohn, den kleinen Gebhart, auf dem Arm. »Gu- guten Tag, Fanny«, stotterte Hans. »Ich heiße jetzt Frau Hermann Wanka, junger Mann, und mein Gatte Hermann ist nicht zu Hause. Ich darf Sie nicht einlassen. Danke für Ihren Besuch und auf Wiedersehen!« Dann schlug sie energisch die Tür vor Hans zu. Stumm, ohne Widerspruch kehrte Hans an seinen Arbeitsplatz zurück. Weitere zwei Jahre später erhielt er einen Brief Fannys, der ihn vom Tod seines einbeinigen Vaters unterrichtete. In einem Jahr, so die junge Witwe, wolle sie ihren Cousin heiraten, der Gebhart ein guter Vater zu sein versprochen habe. Nun war Hans, der keinerlei Trauer über den Verlust des Vaters verspürte, allein auf der Welt, doch er hatte ein knappes Auskommen. Was er freilich konnte und tat, tat er, ohne es erlernt zu haben. In den altertümlichen, hochempfindlichen Selfaktor-Spinnmaschinen, die nur von den geschicktesten Arbeitern fehlerfrei bedient werden konnten, fand er jenen mechanischen Takt und jene automatische Regelmäßigkeit vor, die er im wirklichen Leben so sehr vermisste. Auf Anhieb vermochte er den Grund zu erkennen, aus dem die Rädchen, Hebel, Getriebe und Spindeln einer Spinnmaschine den Dienst versagten. Mit geschickten Fingern behob er dann rasch den Schaden. Niemandem jedoch hätte er erklären können, was er da gerade gemacht hatte. Er war wie ein seiner selbst nicht bewusster Bestandteil der Maschine, ein Zahnrädchen ohne eigenen Willen. Das kalte Auge der Baronin fiel eines Tages bei einer Inspektion auf den wohl gebauten, jungen Mechaniker, und sie schickte ihren Diener in die Spinnerei, ihn nach der Arbeit abzuholen. Hans wurde von einer kessen, blonden Zofe, die sich mit dem Namen Marie vorstellte, ihn aber auf fatale Weise an die verräterische Fanny erinnerte, in die gräfliche Wohnung und dort sogleich ins Badezimmer geführt, das bis hoch über seinen Kopf mit blau-weißen Kacheln ausgeschlagen war. Die Familie Wanka hatte über kein Badezimmer verfügt. Hier wurde samstags immer in der Küche gebadet. Zuerst der Vater, dann die Mutter und schließlich der Sohn. In einem hölzernen Badezuber, den der Vater schimpfend und fluchend aus dem Keller heraufzuschleppen pflegte. »Na, was ist?«, fragte Marie. »Hast du noch nie eine Badewanne gesehen? Du musst ordentlich gewaschen sein, bevor du zur Baronin vorgelassen wirst. Nun zieh dich schon aus!« »Ganz?«, fragte Hans, unsicher was zu tun sei. Vor einem Fräulein oder auch nur einer Bediensteten die Kleider abzulegen, das war ihm so unvorstellbar wie eine Reise an den Nordpol. »Ja, alles! Nun mach schon! Ich habe nicht stundenlang Zeit. Die Baronin wartet schon.« Langsam drehte er sich um und begann, seine Weste und die schmutzigen Arbeitshosen auszuziehen. »Leg deine Kleider auf den Schemel«, befahl Marie. »Mein Gott, bist du genant! Da!« Sie warf ihm ein weiches, weißes Handtuch über die Schulter, das er sich sofort vor den Unterleib presste. »Na, was ist?«, fragte Marie. »Nun steig schon in die Wanne.« Immer bemüht, der Zofe den Rücken zuzuwenden, tat Hans wie Marie ihm geheißen. Weil ihn, von seiner Mutter abgesehen, noch keine Frau je ohne Kleider gesehen hatte, setzte er sich rasch in die Wanne, sprang aber sofort wieder auf und hielt sich wieder das Handtuch vor den Leib. »Au« zu rufen, wagte er nicht. »Ist es zu heiß?«, fragte Marie mit einem spöttischen Grinsen. Hans nickte, ohne ihr ins Gesicht zu sehen. »Aus dem Hahn mit dem blauen Punkt kann man kaltes Wasser zufließen lassen, aus dem Hahn mit dem roten Punkt heißes. Versuch es selbst.« Weil Hans, ratlos, keine Anstalten machte, die Wassertemperatur selbst einzustellen, drehte Marie an dem Porzellanstern mit dem blauen Punkt in der Mitte. »Wird es besser?«, fragte sie. Hans nickte, einen scheuen Blick in ihre Richtung werfend. Aus einer Kristallkaraffe mit silbernem Stopfen goss Marie nun eine blumig duftende, blaue Flüssigkeit in die Wanne. Ohne Scheu vor dem noch immer starr im Wasser stehenden Hans begann sie, mit der Hand im Wasser zu rühren. Sofort bildete sich ein dicker, weißer Schaum auf der Wasseroberfläche. Marie drehte den Hahn wieder zu. »Jetzt kannst du dich setzen, du genanter, junger Mann!« Das Handtuch noch immer an sich gepresst, ließ sich Hans zurück ins Wasser fallen. »Na, na, du kleiner Spritzer!«, lachte Marie, deren schwarzes Kleid bei Hansens hastigem Hinsetzen einige Tropfen abbekommen hatte. »Seife liegt in der Muschel.« Als sich Hans suchend umsah, deutete sie mit dem Finger auf eine muschelförmige Porzellanschale, die an den blau-weißen Kacheln der Wand befestigt war. »Vergiss die Haare nicht. Wenn du fertig bist, zieh die Pantoffeln und den Morgenmantel an. Sonst nichts. Hier hängt er. An der Tür, du Dummerjan! Ich bin in einer Viertelstunde wieder da und bringe dich dann zur Baronin.« Als Marie wiederkam, hatte sich Hans schon abgetrocknet und den Morgenmantel angelegt. Seine nackten Beine waren ihm ebenso peinlich wie die Tatsache, dass er keinen Kamm gefunden hatte. »Na, prachtvoll!«, begrüßte ihn Marie, nachdem sie ihn kritisch in Augenschein genommen hatte. »Komm...