Wallace | Hüter des Friedens | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 204 Seiten

Wallace Hüter des Friedens


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-1048-7
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 204 Seiten

ISBN: 978-3-8496-1048-7
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Hüter des Friedens' gehört zu den Afrikaromanen des großen Schriftstellers und bietet ein neues spannendes Abenteuer des englischen Distriktbeamten Sanders alias 'Bones'.

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Der mächtige Ju-ju



Jedermann weiß, daß das Wasser des Stromes schlecht ist, denn die Flüsse sind die Wege des Todes in den Nächten. Wenn der schmale, silberklare Neumond am Himmel steht und mit zwei hellen Sternen ein Dreieck bildet, dessen Spitze auf die Erde zeigt, kommen die Toten aus ihren Gräbern hervor, singen Totengesänge und steigen zu dem unteren Stern auf, der die Quelle aller Wasser ist. Wenn du – was Gott verhüten möge – auf einer dieser einsamen Inseln, auf denen die Eingeborenen ihre Toten begraben, in einer solchen Nacht weilst, dann wirst du dort seltsame Dinge sehen.

Die zerbrochenen Kochtöpfe, die verstreut auf den Grabhügeln liegen, und die zerrissenen Leinen, die über die Gräber flattern, werden wieder ganz und neu. Die Töpfe werden rot und heiß, als ob sie gerade vom Feuer kämen, und die armseligen Kleider bekommen ein frisches Aussehen und falten sich von selbst als Gewänder um unsichtbare Körper. Denn niemand kann die Toten erblicken, obwohl man sagt, daß die kleinen Kinder zu sehen seien.

Weise Leute haben die Kleinen beobachtet, die am Ufer saßen, in ihrer Art miteinander sprachen und sich unterhielten und mit unsicheren Schritten und ausgebreiteten Armen auf dem abschüssigen Ufer einherschritten, um das Gleichgewicht zu bewahren. In solchen Nächten, wenn M'sa die Toten zu der Quelle der Wasser ruft, sind die Inseln im Strom von kleinen Kindern belebt – den Kindern, die seit Tausenden von Jahren gestorben sind. Ihre Geister steigen aus den unergründlichen Tiefen des großen Stromes und beklagen ihren frühen Tod.

"Wie kann man nur die Wasser des Stromes trinken?" fragten die zitternden N'gombi-Mütter.

Deshalb sammeln die N'gombi auch das Regenwasser in merkwürdigen großen Behältern, die aus Weidenruten und Zweigen geflochten sind und die innen mit den undurchlässigen Blättern einer bestimmten Pflanze abgedichtet werden. Ja, sie nehmen sogar ihr Trinkwasser in Bambusröhren mit sich, wenn sie zum Fluß hinuntersteigen.

An einen gewissen Monat in jenem Jahre werden sich alle erinnern, die den Kasai-Wald durchqueren wollten, um in den Süden des N'gombi-Landes zu gelangen. Denn die Teiche und kleinen Bäche trockneten plötzlich aus – so plötzlich, daß sogar die Krokodile, die einen feinen Instinkt für kommende Wassernot haben, unerwartet auf dem Trockenen saßen. Die Sonne stieg an einem wolkenlosen Himmel auf, und nachts strahlte der Sternenhimmel so leuchtend und in so drohend klarer und beängstigender Nähe, daß die Menschen verrückt wurden.

Am Ende dieses Monats, als der Vollmond klar und weiß schien und anzeigte, daß die Trockenheit und Dürre anhalten würden, rief der Häuptling Muchini einen Rat seiner alten Männer zusammen. Sie schlichen sich herbei mit ausgetrockneten Kehlen und mit Todesfurcht im Herzen.

"Alle wissen", sagte Muchini, "welcher Kummer über uns gekommen ist. Es ist ein mächtiger Ju-ju im Lande, der stärker ist als irgendeiner, auf den ich mich besinnen kann. Er hat M'shimba-M'shamba in Furcht versetzt, so daß er das Land verlassen hat und nicht mehr mit seinen furchtbaren Blitzen durch den Wald wandert. Ebenso ist K'li, der Vater der Teiche, mit seinen vielen kleinen Kindern in der Erde verschwunden, und wir werden sterben, es wird keiner von uns übrigbleiben."

Ein alter, runzeliger Mann, dessen Haut wie vertrocknetes Ziegenleder aussah, erhob sich. "O Muchini", erwiderte er, "als ich jung war, gab es ein Mittel, um M'shimba-M'shamba, den Wundervollen, wieder ins Land zu bringen. Damals nahmen wir ein junges Mädchen und hängten es an einen Baum."

"Ja, das war ein guter und wirksamer Brauch", unterbrach ihn Muchini, "aber, M'bonio, das können wir nicht mehr tun. Wir dürfen M'shimba-M'shamba nicht mehr in der alten Weise versöhnen, seit Sandi hergekommen ist. Er ist ein grausamer Mann, er hat den Bruder meiner eigenen Mutter erhängt, weil er diese lobenswerte Sitte befolgte. Aber wir können nicht hier sitzen und sterben, weil der Steinbrecher (gemeint ist die Regierung des Kongo-Staates) einen Zauber gegen uns gemacht hat."

In jenen Tagen war Bula Matadi (der Steinbrecher) der Todfeind der N'gombi. Ihm schrieben sie all ihr Unglück zu. Bula Matadi war ihrer Meinung nach dauernd bemüht, irgend etwas Böses gegen sie zu unternehmen. Bula Matadi hatte die Leoparden dazu angestachelt, einsame Wanderer zu überfallen, ja man glaubte sogar, daß Bula Matadi die Jahreszeiten ändern könne, damit die N'gombi-Gärten vertrockneten.

"Es ist von dem einen Ende der Erde bis zum andern bekannt, daß ich ein sehr kluger Mann bin", fuhr Muchini fort. Er schlug auf die Muskeln seiner Arme und war mit sich selbst sehr zufrieden. "Während sogar die Alten schliefen, bin ich, Muchini, der Sohn des schrecklichen G'sombo und der Bruder des Eleni-N'gombi, mit meinen weisen Männern und meinen Spähern außer Landes gegangen, um Teufel und Geister an Orten aufzusuchen, wo selbst die tapfersten Leute noch nie gewesen sind." Er sprach jetzt ganz leise in einem heiseren Flüsterton. "Ich ging zu Ewa-Ewa-Mongo, dem Wohnsitz des Todes."

Er war befriedigt, als er die Furcht sah, die in den Blicken seiner Zuhörer lag. Jetzt schien ihm der Augenblick gekommen; sein Geheimnis preiszugeben, um ihre Ehrfurcht vor ihm noch mehr zu steigern.

"Seht her!" schrie er.

An seiner Seite stand ein Gegenstand, der mit einem Stück Eingeborenentuch bedeckt war. Mit blitzenden Augen riß er die Hülle fort, unter der sich ein kleiner gelber Kasten zeigte.

Es war keine einheimische Arbeit, denn die Ecken waren mit Messingblech eingefaßt, und das Holz war schön und glänzend poliert.

Die Ratgeber saßen im Kreis und beobachteten ihren Häuptling, als er den Deckel öffnete.

In dem Kasten waren zwanzig kleine Fächer, und jedes Fach enthielt ein dünnes Glasröhrchen, das verkorkt, wohlversiegelt und mit einem kleinen weißen Etikett versehen war, auf dem Teufelszeichen standen.

Muchini wartete stolz, bis diese Sensation ihre volle Wirkung erreicht hatte.

"Am großen Strome, der nach Allamdani  fließt", sagte er langsam und gewichtig, "waren weiße Männer, die von Bula Matadi ausgeschickt wurden, um Geister zu fangen, denn ich und meine klugen Leute haben sie gesehen in den Nächten, wenn der Mond die Geister der Toten ruft. Sie saßen am Fluß beisammen mit kleinen Netzen und Flaschen und haben das Wasser gefangen. Auch haben sie kleine Fliegen und andere närrische Dinge gesammelt und in ihre Zelte gebracht. Dann habe ich mit meinen Männern gewartet, und als alle fort waren, gingen wir zu ihren Zelten und fanden diesen Zauberkasten, darin sind viele Teufel von großer Gewalt – Ro!"

Er sprang auf, und seine Augen glänzten, denn hinten am Horizont leuchtete ein Blitz auf.

Die Blätter zitterten unruhig, und es ging ein Flüstern durch den Wald, als ob die Natur plötzlich aus dem Schlaf erwache.

Dann kam ein eisigkalter Windhauch, und als sie aufwärts schauten, sahen sie, wie sich die Sterne am westlichen Himmel verdunkelten und hinter großen, schweren Wolkenmassen verschwanden.

"M'shimba-M'shamba lebt!" brüllte der Häuptling, und das Krachen der Donner im Walde antwortete ihm.

Bosambo, der Häuptling der Ochori, befand sich in der äußersten Ecke dieses großen Waldes, denn er folgte einer Neigung seiner einfachen Natur und jagte im Lande, in dem er kein Recht hatte, sich aufzuhalten. Er fluchte auf diesen Sturm, der mit aller Macht über sein Lager hereinbrach, denn er hatte keine Furcht vor Flüssen und Wasser und glaubte nicht an Geister. Zwei Abende später saß er vor der roten Hütte, die seine Leute für ihn gebaut hatten und unterhielt sich mit ihnen über die Eigentümlichkeit der Antilope und ihre Lebensart, als er plötzlich mitten im Sprechen anhielt und lauschte. Dann neigte er den Kopf, bis sein Ohr beinahe den Erdboden berührte.

Er konnte deutlich das Rasseln der entfernten Lokoli hören (Trommeln, mit denen Botschaften von Dorf zu Dorf und von Stamm zu Stamm gesandt wurden).

"O Secundi", sagte Bosambo ernst, "ich habe diesen Ruf seit vielen Monden nicht gehört – es ist der Kriegsruf der N'gombi."

"O Herr, das ist nicht der Kriegsruf", erwiderte der alte Mann und streckte seine Füße bequem und faul aus, "aber es ist ein Ruf, der leicht Krieg bedeuten kann, denn er ruft die Speerleute zu einem Tanz. Und das ist merkwürdig, denn die N'gombi haben keine Feinde."

...



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