E-Book, Deutsch, 242 Seiten
Wallace Das Verrätertor
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-1064-7
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 242 Seiten
ISBN: 978-3-8496-1064-7
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Fürst von Kishlastan ist gewohnt, alles zu besitzen, was er begehrt. Diesmal hat es ihm der britische Kronschatz angetan. Aber diese kostbaren Juwelen liegen - streng bewacht - im Londoner Tower! Dennoch: Eines Tages ist die Schatzkammer leer. (Zitat aus www.krimi-couch.de)
Weitere Infos & Material
6
Seine Hoheit, der Fürst von Kishlastan, saß mit untergeschlagenen Beinen auf einem Diwan in seinem Privatzimmer. Seine glänzenden dunklen Augen schauten ins Leere. Die dünnen, braunen Hände spielten mit einer Smaragdkette, die um seinen Hals hing. Von Zeit zu Zeit zog er eine kleine goldene Dose aus seiner Tasche, nahm mit seinen Fingerspitzen etwas von dem gelben Pulver, mit dem sie halb gefüllt war, und brachte es auf seine Zunge.
Neben ihm lag eine Anzahl Zeitungsausschnitte. Nach einer Weile nahm er sie unzufrieden auf und las einen nach dem andern.
Rikisivi, Prinz von Kishlastan, war auf einer berühmten Schule in England erzogen worden. Er beherrschte das Englische vorzüglich. Seine Abneigung gegen seine Oberherren aber war so groß, daß er alle offiziellen Unterredungen durch einen Übersetzer führen ließ. Er war der Nachkomme einer Königsfamilie, die seit vielen Generationen regierte und schon in Indien herrschte, ehe noch die John Company dorthin kam. Seine Vorfahren waren Herren über Leben und Tod und hatten manchmal weise, häufiger aber ungerecht über ein entrechtetes Volk regiert, das seine Herrscher gleich Göttern verehrte. Und nun munkelte man von Absetzung. Man wollte einen Herrscher absetzen und einen anderen einsetzen. Es war möglich, daß man ihn aufforderte, abzudanken und in Paris von einer Regierungspension zu leben, während sein Nachfolger in den Besitz der ungeheuren Reichtümer käme, die während des tausendjährigen Bestehens der Dynastie angehäuft worden waren.
Das Vergehen, das ihn vor den Gouverneur von Pondichéry gebracht hatte, braucht nicht eingehend beschrieben zu werden. Es handelte sich um einen Mord, eine kaltblütige Abschlachtung, die Folterung einer Frau und das Verschwinden einer anderen. Die schöne Eurasierin, die mitten in den Säulengängen seines Palastes verschwand, war die Hauptursache seiner politischen Schwierigkeiten. Hätte man sie gefunden und verhört, so hätte das für ihn das Ende seiner Herrschaft bedeutet. Aber sie war nicht gefunden worden und würde auch nicht gefunden werden, bis die Erde ihre Toten wiedergab und man einen gewissen lieblichen Garten mit Spaten durchwühlte.
Daß er diese schlauen politischen Beamten hinters Licht geführt hatte, erheiterte ihn immer noch, und was er einmal fertiggebracht hatte, würde er auch wieder können, ohne daß mehr herauskam. Aber als seine dunklen, schwarzen Augen unbeweglich ins Leere starrten, kam ihm doch der Gedanke, daß es etwas ganz anderes sei, ein halb willfähriges Mädchen heimlich vom Basar in Kishlastan in seinen weißen Marmorpalast zu locken, als eine Europäerin als Opfer seiner Leidenschaft gegen ihren Willen viele tausend Meilen zur See und zu Land dorthin zu bringen. Wenn er sie allerdings einmal in Kishlastan hatte, würde kein Auge etwas sehen, kein Ohr etwas hören und keine Zunge etwas darüber erzählen, denn sein Volk war ihm in fanatischer Unterwürfigkeit ergeben. Das wäre eine wunderbare Rache an diesen Weißen gewesen, die ihn so geringschätzig behandelten und ihn, den rechtmäßigen Fürsten, nicht anerkannten...
Aber wie konnte man das ausführen? Er hatte schon ein Dutzend, ja Hunderte von Plänen ersonnen, um sie doch alle wieder zu verwerfen.
An der Tür, die mit einem dichten Vorhang verdeckt war, hörte er ein leises Klopfen. Der Dolmetscher kam herein und sprach leise mit seinem Herrn.
"Laß ihn näher treten", nickte der Fürst. Colley Warrington wurde unter großen Zeremonien in den ruhigen Raum gebracht. Ob er endlich die Lösung bringen würde? Rikisivi beobachtete ihn gespannt durch halbgeschlossene Augenlider.
Mr. Warrington war einer der wenigen Günstlinge, die er zu jeder Zeit in Audienz empfing. Er hatte sich dem Inder in recht eigenartiger Weise brauchbar erwiesen, so daß Rikisivi mit ihm seine Absichten hätte frei besprechen können. Aber es wurden erst viele andere Dinge verhandelt, ehe sie auf ihr Hauptthema kamen, nämlich auf Hope Joyner.
"Die Sache wird sehr leicht gehen", sagte Colley zuversichtlich. "Ob es allerdings möglich ist, sie durch ganz Indien nach Kishlastan zu bringen, müssen Sie besser wissen als ich. Ich kenne die Beschaffenheit der Küste nicht. Kann man an irgendeiner einsamen Stelle landen?"
Der Fürst nickte.
"Das ist sehr einfach", sagte er. "Viel einfacher als hier in England. Eine Frau reist immer purdah, das heißt hinter verschlossenen Vorhängen, und es würde niemand ohne weiteres wagen, einen Wagen zu durchsuchen. Aber hier –" "Es wird mit Gefahren verknüpft sein", sagte Colley, "aber es ist nicht unmöglich. In Wirklichkeit ist es nur eine Geldfrage, Hoheit. Wie werden Sie nach dem Osten zurückreisen?"
"Mit einem P. & O.-Dampfer", sagte der Fürst. Colley rieb sich das Kinn.
"Dann müßten wir eine Jacht chartern, und auch das wäre gefährlich. Man ist dabei zu sehr auf die Ergebenheit der Schiffsbesatzung angewiesen. Aber man könnte es wagen."
Er nannte eine Summe – ein großes Vermögen –, aber Riki überging die Geldfrage mit einer ungeduldigen Geste.
"Geld ist – nichts. Sie brauchen Hilfe. Dieser Mr. Trayne –"
"Nein, nicht Trayne", sagte Colley entschieden. "Ich weiß, daß Sie gewisse Geschäfte mit ihm machen, und ich kümmere mich auch gar nicht darum, was es ist. Aber Trayne würde die ganze Sache sofort hintertreiben. Er ist besonders bedenklich, wenn es sich um Frauen handelt."
Er erzählte eine Geschichte über Traynes Empfindlichkeit in diesem Punkt, die sehr glaubwürdig schien, wenn man Tiger Trayne kannte. Er erwähnte auch etwas von Seeräuberei auf offenem Meer, denn Mr. Trayne hatte viel Interessen, und seine Unternehmungen zogen sich über die halbe Welt.
"Nein, ich kenne sie nicht", sagte er, indem er eine Frage des Fürsten beantwortete. "Einige meiner Freunde kennen sie. Sie ist sehr schön... Ich glaube nicht, daß sie freiwillig mitgeht."
Der Inder schaute ihn verwundert an.
"Halten Sie mich denn für einen solchen Narren, daß ich sie erst fragen würde? Nein, ich werde sie jetzt nicht wiedersehen. Ich habe einen Entschuldigungsbrief geschrieben wegen meines Mißgriffs mit den Perlen. Das ist das Ende unserer Bekanntschaft. Miss Martyn kennt die junge Dame. Würde die Ihnen nicht helfen können?"
Colley zögerte. Er selbst war sich der Nichtswürdigkeit des Planes, den er so kaltblütig ausführen wollte, nicht bewußt. Er hatte sein ganzes Leben in solchem Schlamm und Schmutz zugebracht, daß alles Rechts- und Anstandsgefühl in ihm erstorben war. Er handelte schon lange mit sehr delikater Ware. Ehre, Selbstachtung, Anstand und alle diese großen, reinen Tugenden waren für ihn Begriffe und Eigenschaften, die für ihn nicht galten. Er hatte einen eigenen Maßstab für die Bewertung menschlicher Handlungen, trotzdem hatte auch er seine Ideale – Colley rühmte sich, daß er keinem Mann einen Penny schuldete und eine Frau noch nie eine Sekunde habe warten lassen, wenn er sich mit ihr verabredet hatte.
Er fuhr mit seinem Wagen zu Diana. Als er ankam, sah er sie mit Graham in den Torweg des Hauses verschwinden. Er fand, daß die beiden äußerst schweigsam und mit sich selbst beschäftigt waren.
"Was wollte Trayne?" fragte er gleich, als er ins Zimmer trat.
"Nicht viel", sagte Diana vorsichtig.
"Ein merkwürdiger Kerl, der Alte. Man sagt, daß er alle europäischen Sprachen mit Ausnahme des Ungarischen beherrscht. Nebenbei bemerkt, Diana, haben Sie die kleine Joyner vor kurzem gesehen?"
Sie schaute ihn argwöhnisch an.
"Mit ›kleine Joyner‹ meinen Sie doch das merkwürdige junge Mädchen, das in Devonshire House wohnt? Nein, wir besuchen einander nicht. Warum wollen Sie das wissen?"
"Ich dachte, ich hätte sie gesehen, als ich hierherfuhr", sagte er. Dann fragte er wieder: "Was wollte Trayne?"
Diana war gewandter im Lügen als Graham.
"Er will einen neuen Spielklub aufmachen", sagte sie. "Aber ich sagte ihm, daß ich kein Interesse dafür habe."
Er beobachtete sie mit durchdringenden Blicken, und sie wußte schon, ehe er sprach, daß er an ihren Worten zweifelte.
"Das sieht Trayne aber nicht ähnlich – für gewöhnlich fragt er keinen Outsider, wenn er etwas unternimmt", sagte er.
...



