E-Book, Deutsch, Band 1, 132 Seiten
Wagner / Mewes Der kleine Sauerländer erzählt Untertägiges und Überirdisches
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-347-15157-4
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wissenswertes und Anekdoten aus Kindheit und Arbeitswelt rund um Schlägel und Eisen
E-Book, Deutsch, Band 1, 132 Seiten
Reihe: Der kleine Sauerländer erzählt
ISBN: 978-3-347-15157-4
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Herbert Wagner (Jahrgang 1940) begann seine Bergmannskarriere in der Mitte der 1950er Jahren nur wenige Meter von seinem Elternhaus entfernt im Meggener Erz-Bergbau. Nach seiner Lehre als Bergmann und Bergvermesser war er über und unter Tage tätig, davon Jahrzehnte "im Kalk". Seine Erfahrungen und Erinnerungen, seine private Sammlung an Utensilien aus Bergbau und Vermessung sowie ein reichhaltiger Fundus an Handskizzen und Bildmaterial sind die Grundlagen seiner Erzählungen. Wagner hat fast 45 Jahre über und unter Tage gehauen und gemessen. Nach Eintritt in den Ruhestand engagierte er sich in den letzten 15 Jahren in der ehrenamtlichen Arbeit für historische Denkmäler in Wuppertal (Kalktrichterofen von 1893) und Wülfrath (Zeittunnel von 1900). Als einer der letzten Bergmänner, die die Industriegeschichte von Erzen und Kalk der Nachkriegszeit bestens kennen, bleibt mit seinen Manuskripten der Nachwelt ein wenig von dem "Flair" dieser Jahre und ein Rundblick über Abbau, Förderung, Veredelung und Nutzung heimischer Rohstoffe erhalten. Es gibt so viel zu erzählen, was das Sauerland unter und über Tage zu bieten hat. Hunderte alter Karten und nostalgischer Fotos konnte er vor dem Reißwolf retten. Durch authentische Handskizzen schafft er es, besondere Ereignisse einzufangen und illustriert damit seine Geschichten in ganz besonderer Weise.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Die Geschichten eines kleinen Sauerländers Kinderspiele und Kinderarbeit in den Jahren 1940 - 1955
Gebiet der Stadt Lennestadt mit meinem Elternhaus
Topographische Darstellung der Ortslagen Meggen und Halberbracht
Heimat und Herkunft
Ich wurde 1940 in Meggen (heute Lennestadt im Kreis Olpe) geboren, ein kleiner Ort von ca. 4 500 Einwohnern. Mein Geburtshaus habe ich in der Karte links markiert. Der Ort selbst liegt auf einer Höhe von 266 m über dem Meeresspiegel (ü.NN). Er liegt im „Land der tausend Berge“, wie man das Sauerland treffenderweise nennt.
Meggen ist umgeben von den Bergen Kuhhelle (602 m ü.NN), Hardt (503 m ü.NN), Kahle (479 m ü.NN) und Hohe Schlade (471 m ü.NN) und geprägt durch seine Bodenschätze Schwefelkies, Zink und Schwerspat. Die Handschrift des Bergbaus war an jedem Ort des Dorfes zu erkennen. Sei es auf der Straße, in der Kirche oder in der Kneipe. Auch die Uhrzeit spielte hier keine Rolle, denn der dreimalige Schichtwechsel auf den Schachtanlagen hat den Puls des Ortes 24 Stunden, Tag für Tag schlagen lassen. Erst nach der Stilllegung der Schachtanlagen veränderte sich das Leben in meinem Heimatort, aber in diesem Büchlein soll es um die aktive Zeit des Bergbaus gehen.
Standorte der Schachtanlagen in Meggen (Ortsansicht um 1950)
Anno 1955 begann mein Berufsleben. Zu dieser Zeit waren Ausbildungsplätze knapp. Die Bemühungen meines Vaters, eine Lehrstelle als Schlosserlehrling für mich zu bekommen, gingen schief. Ja, damals war man noch Lehrling, nicht Auszubildender. Nun gut, bei Mur & Bender - eine Schlosserei in Attendorn, einem kleinen Städtchen etwa 20 km von Meggen entfernt - war auch alles belegt. Also ging ich, wie viele meiner Schulkameraden, zum Pütt (also ins Bergwerk). Hier gab es sogar eine Auswahl. Es war so, dass im kleinen Ort Meggen gleich zwei Bergbaubetriebe ansässig waren.
Da war zum einen die Fa. Sachtleben AG. Hier wurde überwiegend Schwefelkies (Pyrit) gefördert, aber auch Schwerspat (Baryt) abgebaut. In diesem Unternehmen habe ich später meine beiden Ausbildungen absolviert.
Das zweite Unternehmen hieß Kali Chemie AG, mit Sitz der Verwaltung in Hannover. Bei dieser Firma war mein Vater Otto beschäftigt. Auf diesem Zechengelände bewohnten meine Eltern eine Werkswohnung. Die Firma Kali Chemie (im weiteren Verlauf kurz „Kali“ genannt) baute ausschließlich Schwerspat ab. Abgebaut wurde hier im Einschichtbetrieb.
Das Verwaltungsgebäude der Kali Chemie AG und Wohnhaus der Familie um 1905 (am linken Bildrand). In diesem Fachwerkhaus wohnte Herbert Wagner von 1940-1959. Oberhalb der große Obsthof, darunter die Stallungen für unsere Selbstversorgung. Rechts daneben das Stollenmundloch zur Grube Rhenania. Im Vordergrund das Seilbahngebäude mit einem Teil der ca. 4 km langen Seilbahn, welche den abgebauten Schwerspat zur Mühle nach Meggen transportierte. Am rechten Bildrand ist die Ladestation zu sehen, in der das Gestein vom Gleiskörper auf die Seilbahn geladen wurde.
(Gerahmtes Foto aus unserem Wohnzimmer an der Wolbecke in Meggen)
Ich muss aber jetzt schon dazu sagen: Letztendlich war die Arbeit im Pütt doch irgendwie schon vorbestimmt. Wenn man schon auf einem Zechengelände das Licht der Welt erblickt, hat man auch eine Verpflichtung. Ich war die vierte Generation „Bergmann“, die in unserer Familie herangewachsen ist.
Es war schon ein Generationenprojekt in unserer Familie. Auch im Bereich der großen Verwandtschaft tauchten immer wieder Bergleute in der Chronik auf. Ein Bruder meiner Mutter, und zwar Onkel Josef, sowie vier weitere Verwandte, waren im Bergbau tätig. Hier existiert noch ein Bildchen mit mir auf dem Arm meiner Mutter im ersten Geschoss des Verwaltungsgebäudes, welches gleichzeitig unsere Wohnung beherbergte.
Klein Herbert schaut in die noch unbekannte Welt (1941)
Opa Franz als Grubensteiger auf der Zeche Rhenania mit Karbidlampe, aber ohne Helm. (1930)
Mein Opa mütterlicherseits wurde am 12. Januar 1874 geboren. Opa Franz war schon als Grubensteiger auf der Zeche Rhenania der Kali tätig. Opa Franz Dickel war sehr fleißig und hatte neun Kinder. Er zeugte sieben Mädels und zwei Knaben. Einer der Jungen, er hatte den Namen seines Vaters, starb leider schon in jungen Jahren. Die anderen Kinder waren Maria, Agnes, Elisabeth, Anna, Paula, Martha, der kleine Josef und meine Mutter Josefa.
Der Bergbau diktierte das Geschehen in unserem Ort. Hier wurde Geld verdient und hier war der sichere Arbeitsplatz. Außerdem war ich sozusagen erblich belastet und somit war es schon fast ein Muss, dem Bergbau treu zu bleiben. Schon als Bursche verlebte ich die meiste Zeit auf dem Zechengelände. Das Unternehmen erwarb um 1906 die Schwerspatgrube mit einer kleinen Stammbesetzung. Mein Großvater Franz war mit bei den ersten Bergleuten. Er war ja Steiger hier auf der Zeche und beförderte nach der Schicht mit seinen zwei Pferden den Schwerspat von der Zeche bis zur Aufbereitung oder auch zum Bahnhof in Meggen, wo der Schwerspat als Stückgut verladen wurde. Die Entfernung zwischen Schachtanlage in der Wolbecke bis zur Aufbereitungsanlage im Dorf Meggen betrug ungefähr 3,5 km über die Straße. Am 3.8.1937 erhielt er dann die Ehrenurkunde zum 25-jährigen Dienstjubiläum.
Familienfoto aus den ersten Ehejahren meiner Großeltern mit ihren damals fünf Kindern (1910)
Ehrenurkunde zum 25-jährigen Dienstjubiläum von Großvater Franz anno 1937
In den Kriegsjahren stieg die Förderung, und damit auch die Belegschaft, sprunghaft an. Viele der damaligen Bergleute waren Kriegsgefangene, vor allem polnischer und russischer Herkunft, oder Dienstverpflichtete, welche wegen der Notwendigkeit der Förderung nicht zum Wehrdienst eingezogen wurden.
Erinnerungen aus Kriegszeiten
Nur schwach bekam ich damals mit, ich muss gerade einmal vier oder fünf Jahre altgewesen sein, wie einige Gefangene von deutschen Vorarbeitern recht grob behandelt wurden. Erst später, nach Kriegsende erfuhr ich auch von schlimmen, menschlichen Versagen. Zum Beispiel wurde einige Tage nach Kriegsende ein Mann aus unserer Nachbarschaft an einem Baum tot aufgefunden. Hier hatte man wohl, wie im Dorf gemunkelt wurde, Vergeltung für vergangenes, menschenunwürdiges Verhalten genommen. Leider war auch dieser Krieg für die Menschheit keine Warnung. Wenn man die Zeit ab 1945 einmal betrachtet, was in den letzten Jahrzehnten an Gräueltaten auf der Welt geschehen ist, - ich kann es nicht begreifen…
Seitenansicht des Wohnhauses mit der Holztreppe zum Gruben eingang um 1950
Ich persönlich habe nur die letzten Monate der Kriegsjahre noch in Erinnerung, habe aber noch vieles recht klar vor Augen. So z.B. weiß ich noch, wie schnell alles gehen musste, wenn Fliegeralarm war. Der erste Ton der Sirenen ließ alle aufschrecken. Am Abend, wenn die Dunkelheit eintrat, wurden alle Fenster verdunkelt, bevor das spärliche Licht angezündet wurde. Alles, was in jener Zeit an tragbaren Textilien vorhanden war und wichtig erschien, wurde schnell übereinander angezogen. Zum Schluss kamen noch die sogenannten guten Schuhe in meinen kleinen Rucksack, wenn sie nicht noch vom letzten Alarm darin lagen. Dann schnell die Holztreppe neben dem Haus hinunter und ab in den doch so sicher erscheinenden Förderstollen der Kali. Ich denke mal, der Stollen ging mit einer Länge von ca. 100 m in den Berg hinein. Da der Stollen am inneren Ende, also im Blindschachtbereich, ein Rollloch für die Belüftung nach über Tage hatte, entstand ein ganz schöner Luftzug im Stollen. Sicher für die Gesundheit nicht gerade förderlich, oftmals für längere Zeit im Durchzug zu stehen, zu liegen oder zu schlafen, bis Entwarnung des Fliegeralarms kam. Aber die Angst vor einer Fliegerbombe ließ keine Alternative offen.
Das war ein Grund für die Schreiner Toni Ewers und Jupp Hardebusch auf der halben Stollenseite kleine Bretterverschläge anzubringen. Diese gezimmerten Wände bremsten den Luftzug gewaltig ab und es entstanden gleichzeitig abgetrennte Räumlichkeiten. Also selbst in dieser Notsituation gab es doch ein klein wenig Privatsphäre. Es waren oftmals 10 - 15 Familien bei einem Bombenalarm in diesem Förderstollen.
Holzwände im Stollen als kleine Notunterkünfte zum Aufenthalt bei Sirenenalarm
Für uns Kleinen hatte man sich, aus der Not heraus, eine neue Bettform ausgedacht. Es wurden die Förderwagen halb mit Spat (Erzbrocken) beladen und dann mit Brettern ausgelegt. Mit Decken und Kissen wurde dann unsere Schlafstelle, die auch gleichzeitig windgeschützt war, einigermaßen gesund hergerichtet. Allerdings zog über eine längere Zeit doch auch die Erdfeuchtigkeit in das Bettzeug. Man bedenke, wir waren ja 100 Meter tief in der Erde.
Ja, ich muss sagen, dass der Bergbau sicherlich einen großen Anteil daran hat, dass wir den 2. Weltkrieg...




