Wagenaar / Bieker / Engel | Kollegiale Beratung in der Sozialen Arbeit | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 111 Seiten

Wagenaar / Bieker / Engel Kollegiale Beratung in der Sozialen Arbeit

E-Book, Deutsch, 111 Seiten

ISBN: 978-3-17-042184-4
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Kollegiale Beratung spielt in der Sozialen Arbeit eine bedeutsame Rolle. Sie ermöglicht eine strukturierte Reflexion beruflich erlebter Situationen, die die Beteiligten als herausfordernd oder lange nachwirkend erleben. Dabei berücksichtigt sie die Zusammenhänge von Person, Rolle und Organisation. Das Buch stellt Kollegiale Beratung sozialwissenschaftlich fundiert und praxisorientiert vor. Es bereitet die Grundlagen systematisch auf und zeigt, wann und wie Kollegiale Beratung eingesetzt wird. Zudem beschäftigt sich das Buch mit dem Verhältnis zu den benachbarten Formaten Supervision und Coaching sowie der Frage, wie Kollegiale Beratung online funktioniert. Studierenden und Fachkräften wird auf diese Weise ermöglicht, die Chancen Kollegialer Beratung im Arbeitsalltag zu nutzen.
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2 Warum und wozu Kollegiale Beratung?
T Überblick In diesem Kapitel erfahren Sie, dass Kollegiale Beratung vielfältige Ziele bedienen kann und in sehr verschiedenen Anwendungsfeldern genutzt wird. Das erste Unterkapitel beschreibt die allgemeinen, von den Anwendungsfeldern unabhängigen Ziele. Das dann folgende Kapitel zeigt anhand von zwei Anwendungsfeldern auf, wie Kollegiale Beratung in der Sozialen Arbeit eingesetzt werden kann. In den letzten beiden Unterkapiteln wird kurz auf die speziellen Anwendungsfelder Aus- und Weiterbildung und Personalentwicklung eingegangen. 2.1 Allgemeine Ziele
In der Kollegialen Beratung werden Fragen, Anliegen und Probleme, die sich aus ganz konkreten Praxissituationen heraus ergeben, bearbeitet. Es geht darum, verschiedene Perspektiven auf die erlebte Situation zu entfalten und so den Blickwinkel der einbringenden Person zu erweitern und ihr das Entwickeln neuer Sichtweisen zu ermöglichen (vgl. Tietze 2018, 22). Auf diese Weise fördert Kollegiale Beratung das Reflexions- und Wahrnehmungsvermögen der Professionellen (vgl. Lippmann 2013, 18?f.) und stellt einen arbeitsplatzbezogenen Lernprozess dar (vgl. Scholar 2013, 482). Häufig handelt es sich bei den eingebrachten Fällen um Kommunikations- und Interaktionsprobleme. Kollegiale Beratung hat zum Ziel, zu verstehen, was genau das Problem ausmacht und welche Dynamiken, Strukturen und Einstellungen zum Entstehen oder Aufrechterhalten des Problems beitragen. Es geht darum, das Handeln in der beruflichen Rolle, die Einstellungen und den Umgang mit verschiedenen, sich teilweise widersprechenden Verhaltenserwartungen zu reflektieren. »Reflexion bedeutet, das eigene Verhalten und die eigenen Deutungen von einem anderen Standpunkt aus betrachten und kritisch hinterfragen zu können« (Tietze 2018, 20?f.). Ziel des Entfaltens verschiedener Perspektiven, des Verstehens von Dynamiken, Strukturen und Einstellungen und der Reflexion professionellen Handelns ist es, dass die falleinbringende Person die erlebte Situation neu bewerten und konkrete Handlungsideen entwickeln kann. Praxisbeispiel Eine Frühförderkraft arbeitet mit einem Kind, das eine Behinderung hat. Die Familie des Kindes erwartet eine hohe terminliche Flexibilität der Fachkraft, weil beide Elternteile arbeiten und das Vereinbaren von Arbeit und Familie eine hohe Flexibilität notwendig macht. Die sozialpädagogische Fachkraft, die viele Familien zu betreuen hat, kann diese geforderte Flexibilität nicht leisten. Wie soll sie den Erwartungen dieser Familie begegnen? Wie kann diese Situation gut gelöst werden? Die Kollegiale Beratung kann helfen, sich in die verschiedenen beteiligten Personen einzufühlen. Die Gruppe analysiert, was hier welche Dynamik zwischen den Beteiligten auslöst. Dabei spielen verschiedene Ebenen eine Rolle. Zum einen die individuelle Ebene: Die Fachkraft kann in der Art, wie die Familie den Konflikt mit ihr führt, an frühere konflikthafte Beziehungen erinnert werden. Oder die Eltern wollen nicht zulassen, dass die Behinderung ihres Kindes so stark regulierend in ihr Leben eingreift. Aber auch die institutionelle Ebene hat häufig entscheidenden Einfluss auf die professionelle Interaktion: Das notwendige wirtschaftliche Denken der Institution, die von den Fachkräften eine effiziente Organisation der Familienkontakte erwartet und die Fachkraft nur nach durchgeführten Fachleistungsstunden bezahlt, führt zu einem enormen Druck bei den Fachkräften. Auch die gesellschaftliche Ebene kann hier von Bedeutung sein: Das gesellschaftliche Bild, dass beide Elternteile arbeiten und gleichzeitig den Anspruch der Ermöglichung einer optimalen Förderung der Kinder durch die Eltern erfüllen, kann Teil der Dynamik in diesem Fallgeschehen sein. Mithilfe der anderen Gruppenmitglieder können die verschiedenen Sichtweisen und Ebenen, die in die Interaktionsdynamik hineinwirken, wahrgenommen und betrachtet werden. Das verändert den eigenen eingeschränkten Blick auf die Situation und ermöglicht, die entstandene Situation besser zu verstehen. Ein weiteres Ziel Kollegialer Beratung ist der erwartbare Effekt der Psychohygiene und Entlastung. Von schwierigen, belastenden beruflichen Situationen berichten zu können, bestenfalls eine neue Sichtweise und erste Lösungsideen zu entwickeln und in den Falleinbringungen anderer zu erfahren, dass alle zum Teil sogar sehr ähnliche berufliche Herausforderungen erleben, entlastet ungemein (vgl. Lust, Meister-Scheytt & Scheytt 2019, 491?f.). Ein weiteres Ziel Kollegialer Beratung ist es, von den eingebrachten Fällen anderer für das eigene berufliche Handeln zu profitieren. Da die Teilnehmenden einer Kollegialen Beratungsgruppe häufig aus ähnlichen Arbeits- oder Aufgabenfeldern kommen, können die Zuhörenden häufiger Parallelen zwischen dem eingebrachten Fall und ihrer eigenen Arbeit erkennen. Lösungsideen, neue Sichtweisen auf einen Fall und das sich entfaltende Verstehen von problematischen Kommunikations- oder Interaktionsszenen können auf eigene Fälle übertragen werden und ebenso das Nachdenken über eigene Einstellungen und Handlungen in bestimmten Situationen anregen (vgl. Tietze 2018, 20). Lippmann (vgl. 2013, 20) erwähnt ein weiteres Ziel, nämlich Empowerment zu fördern. Kollegiale Beratung ermöglicht die Erfahrung, dass sowohl in einer Person selbst als auch in der eigenen Kolleg*innengruppe viele Ressourcen für die Bewältigung schwieriger beruflicher Situationen vorhanden sind. Damit wird ein wichtiges Kriterium von Beratung, nämlich die ratsuchende Person nicht zu entmündigen, sondern in Form von ›Hilfe zur Selbsthilfe‹ zu unterstützen, gewährleistet. Kollegiale Beratung kann somit zu einer Rückbesinnung auf die eigenen wertvollen Ressourcen beitragen (vgl. Bürgisser 2006, 573). Ggf. ist diese Gewährleistung der Nichtentmündigung in der Kollegialen Beratung aufgrund des Kernmerkmales der Wechselseitigkeit leichter zu leisten als z.?B. in der Supervision. Dies macht auch eine Studie von Möller und Wagenaar deutlich. Sie exploriert die Praxis von Intervisionsgruppen niedergelassener Psychotherapeut*innen. Die Ergebnisse zeigen, dass dort, wo es eine höhere Zufriedenheit mit der Form der Kollegialen Beratung gegenüber der Form der Supervision gibt, diese der positiven Beziehungsdynamik der Mitglieder untereinander respektive der negativen Dynamik zwischen Supervisor*in und Supervisand*innen zugeschrieben wird. »Hierbei spielen Offenheit/Vertrauen/Angst/Scham und Hierarchie und Konkurrenz eine besondere Rolle« (Möller & Wagenaar 2017, 111, Hervorhebungen im Original). Während die bisher benannten Ziele wohl jeweils für viele Arbeitsfelder von großer Bedeutung sind, gibt es darüber hinaus Ziele, die nur bzw. mehr für einzelne Bereiche von Relevanz sind. Das Ziel der Erhöhung der eigenen Beratungskompetenz wird z.?B. für Frühförderkräfte oder Erzieher*innen, die keine spezielle Beratungsausbildung durchlaufen haben, Beratung aber dennoch als zumindest kleinen Anteil ihrer Arbeit erleben, eine höhere Relevanz aufweisen als für Beratungsfachkräfte psychologischer Beratungsstellen, da diese bereits eine hohe Beratungskompetenz in speziellen Ausbildungen erworben haben. Die feststehende Ablaufstruktur mit ihren einzelnen Phasen, in der die Aufgaben für alle Beteiligten recht genau definiert sind, grenzt das Beratungsgeschehen vom alltäglichen Ratgeben mit seinem vorschnellen Wissen über Lösungen bzw. über die »beste Handlungsstrategie« ab. Das methodische Vorgehen hilft, den Fokus mehr auf das Verstehen zu legen. Auf diese Weise lernen in Beratung ungeübte Personen, mehr und mehr eine Beratungshaltung einzunehmen. Für Arbeitsfelder, in denen man als Fachkraft mit seiner Disziplin in der Minderheit ist oder einer speziellen Funktion innerhalb der Organisation nachgeht, spielt der Rückhalt, den die Kollegiale Beratungsgruppe geben kann, eine wichtige Rolle. Das gilt z.?B. für Sozialarbeiter*innen im Krankenhaus und in der Schule oder für die einzige Heilpädagog*in in einem Kitateam. Die Funktion, mithilfe der Kolleg*innen aus derselben Profession die eigenen Sichtweisen und Einstellungen reflektieren und überprüfen zu können, minimiert die von Bauer (vgl. 2014, 278) erwähnte Gefahr, im Berufsalltag die eigene professionsspezifische Sichtweise zu verlassen, und schützt davor, die Sichtweise der dominanten Profession schleichend zu übernehmen. Darüber hinaus kommt noch das Lernen von anderen Organisationen als weiteres Ziel hinzu (vgl. Lippmann 2013, 20). Praxisbeispiel Die sechs Schulsozialarbeiter*innen eines Landkreises treffen sich alle zwei Monate zur Kollegialen Beratung. Frau XY arbeitet an einer Hauptschule. Sie bringt einen Fall ein. Sie führt gerade ein besonderes Klimaschutzprojekt durch. Zu der Gruppe der Teilnehmenden gehört ein Mädchen, das ein sehr auffälliges Verhalten zeigt und ein konstruktives Arbeiten der Projektgruppe mit diesem Verhalten immer wieder verhindert. Frau XY...


Sylvia Wagenaar ist als Beraterin in der Zentralen Studien- und Karriereberatung der Universität Oldenburg sowie freiberuflich als Supervisorin/Coach und Organisationsberaterin tätig.


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