Wadauer | Die Erzeugung von Arbeit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 275 Seiten

Wadauer Die Erzeugung von Arbeit

Variationen, Unterschiede und Hierarchien von Erwerb und Unterhalt
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-11-078137-3
Verlag: De Gruyter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Variationen, Unterschiede und Hierarchien von Erwerb und Unterhalt

E-Book, Deutsch, 275 Seiten

ISBN: 978-3-11-078137-3
Verlag: De Gruyter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Was Arbeit war, ist oder sein soll, versteht sich nicht von selbst. Arbeit war und ist Gegenstand und Produkt von Auseinandersetzungen. Die Beiträge des Bandes reflektieren am Beispiel Österreichs von ca. 1918–1938 verschiedene Facetten aktueller internationaler Forschungsdebatten zur Geschichte von Arbeit und folgen dabei einem gemeinsamen Forschungsprogramm. Sie stellen eine Vielfalt an Streit- und Grenzfällen in den Mittelpunkt, mit und gegen die Arbeit (in einem neuen Sinn) durchgesetzt wurde. Die Autor/innen untersuchen anhand verschiedener Beispiele, wie Hierarchien und Unterschiede von Erwerbs- und Unterhaltspraktiken erzeugt und verhandelt wurden: im Zusammenhang von Arbeitsmarktverwaltung, Haushalten, anhand von selbstständigen Erwerben, dem Musik-Machen, den unterschiedlichen Sanktionen von Nicht-Arbeit. Über Legitimität oder Illegitimität von Praktiken entschied nicht bloß, ob diese (noch) als Arbeit anerkannt werden konnten. Auch Beruf, Ansprüche und Pflichten des Sorgens und Versorgtseins waren praktisch relevant. Über Sozialpolitik und Verwaltung hinausgehend, beziehen die Autor/innen systematisch die Perspektiven derer in ihre Überlegungen mit ein, die sich auf mehr oder minder legitime Weisen einen Unterhalt verschafften.

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Zielgruppe


Historians specializing in workers' history and everyday history, / Historiker/-innen mit dem Schwerpunkt Arbeitergeschichte und Allt


Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Die Erzeugung von Arbeit
Grundzüge eines Forschungsprogramms Sigrid Wadauer Was Arbeit ist oder sein soll, war und ist umstritten – war und ist Gegenstand von politischen, alltäglichen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen. Gerade in den letzten Jahren und Jahrzehnten wurden – nicht zuletzt angesichts jeweils aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen und Veränderungen von Arbeitsverhältnissen – viele fest etablierte Vorstellungen der Geschichte von Arbeit in Zweifel gezogen, teils auch verworfen. Es wurden neue Fragen gestellt, die Konzeptualisierung des Forschungsgegenstandes mitsamt seinen Grenzen wurde überdacht.1 Im Zuge dessen verloren auch wieder und wieder formulierte Groß- und Meisternarrative über Begriff und Praxis von Arbeit2 an Überzeugungskraft und Plausibilität,3 gleichzeitig ist in Anbetracht des rezent dominanten Trends zur Globalgeschichte die Nachfrage an epochen- und länderübergreifenden Darstellungen aber kaum rückläufig. Dafür stehen der historischen Forschung vielleicht nicht per se völlig neue Quellen und Materialien, aufgrund der Digitalisierung historischen Quellenmaterials aber doch vielfach neue technische Möglichkeiten der Erschließung, Auswertung und Interpretation von Quellen zur Verfügung. Die Geschichtsforschung scheint dabei trotz aller Differenziertheit und Vielfalt nicht nur nach wie vor in eine breiter angelegte history of work4 und eine auf Lohnarbeit und Arbeiterbewegung fokussierte labour history5 gespalten (die den oft vielfältigen, wechselhaften und kombinierten Lebensunterhalten von Menschen im Laufe ihres Lebens kaum gerecht wird). Zudem steht eine Geschichtsschreibung, die untersucht, wie sich Arbeit verändert hat,6 einer historischen Forschung gegenüber, die die Kategorisierungen und Unterscheidungen, die den Vorstellungen,7 Darstellungen und Daten der Arbeit inhärent sind, zum Untersuchungsgegenstand macht.8 Vermittelt oder konsequent zu Ende gedacht werden diese Konzepte allerdings nach wie vor nur selten: Macht es überhaupt Sinn, die mannigfaltigen Arten und Weisen, wie Menschen in verschiedenen historischen Epochen und Gesellschaftsformationen ihren Lebensunterhalt organisierten, ja im Extrem gar von der Urgeschichte der Menschheit bis zur Gegenwart, allesamt als Arbeit zu verstehen – gleich wie Menschen dies selbst wahrnahmen, beschrieben und begriffen?9 Ist dieses Abstraktum Arbeit nicht vielmehr eine relativ junge Erfindung?10 Wie könnte eine überzeugende Historisierung von Arbeit aussehen?11 Hier setzt dieses Buch an: Es historisiert Arbeit, indem es die Erzeugung von Arbeit untersucht. Es wird also keine bestimmte Definition oder Vorstellung von Arbeit zum Ausgangspunkt genommen, es werden keine Formen, Typen oder Unterarten von Arbeit und deren Veränderungen dargestellt. Vielmehr werden die vielfältigen Auseinandersetzungen zum Gegenstand gemacht, in denen und durch die Arbeit im Spektrum der Vielzahl an möglichen Praktiken, Erwerben, Lebensunterhalten und Lebensbereichen bestimmt und von anderen unterschieden, normalisiert und institutionalisiert, also hervorgebracht wurde. Ausgangspunkt dafür sind Tätigkeiten, die als scheinbare Grenz- oder Randfälle diese Auseinandersetzungen um Arbeit und ebenso die Selbstverständlichkeiten von Arbeit weit besser beobachten lassen als das, was unstrittig als Arbeit galt. Der Fokus liegt auf Österreich von ca. 1918 bis 1938, also auf einer Zeit, die gleichermaßen vom Entstehen einer modernen Sozialpolitik, von politischen Umbrüchen wie von wirtschaftlichen Krisen geprägt war; die Autor/innen berücksichtigen jedoch auch verschiedene vorangehende Entwicklungen seit dem späten 19. Jahrhundert. Die Beiträge adressieren Leitthemen aktueller wissenschaftlicher Debatten: staatliche Regulierung, Kategorisierung und Verwaltung von Arbeit, Beruf und Erwerbslosigkeit im Kontext von Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, die Wahrnehmung und Nutzung dieser Verwaltung; (ir-)reguläre und prekäre Selbstständigkeit; Unterhaltung (konkret: Musizieren) als Arbeit, Freizeit und/oder Konsum; geschlechterspezifische Erwerbsstrategien und geschlechtshierarchische Erwerbsverhältnisse; Tätigkeiten und Erwerbe im Rahmen von Haushalten bis hin zu Beschäftigungs- und Zwangsmaßnahmen. Die hier präsentierten Forschungsergebnisse beruhen auf einer mehrjährigen Zusammenarbeit, auf intensivem Austausch und Diskussion.12 Sie beziehen sich aufeinander und auf ein gemeinsames Konzept. Im Folgenden stelle ich zunächst die wichtigsten Thesen und Leitgedanken des Bandes vor, skizziere die Grundzüge des gemeinsamen Forschungsprogramms und zeige die Prinzipien der forschungspraktischen Umsetzung. Im Anschluss an eine kurze Darstellung der untersuchten Bereiche und Beispiele erläutere ich das für die Beiträge verwendete statistische Werkzeug. Der Gegenstandsbereich: Verengung, Unsichtbarkeit, In- oder Exklusion?
Ein Ansatzpunkt der Kritik, ein zentrales Thema aktueller sozialpolitischer und wissenschaftlicher Diskussionen ist – nicht erst in den letzten Jahren – die sogenannte „Verengung“ des Arbeitsbegriffs.13 Viele Formen von Arbeit wären demnach nicht als solche anerkannt, in den politischen Debatten und historiografischen Untersuchungen vernachlässigt, wenn nicht gar unsichtbar und außen vor gelassen worden.14 Tatsächlich lässt sich historisch eine „Verengung des Arbeitsbegriffs“ insofern feststellen, als Arbeit in der westlichen Welt seit dem 19. Jahrhundert in Politik, Verwaltung und in wissenschaftlichen Debatten immer mehr als von außerökonomischen Zwängen „freie“, marktorientierte Erwerbs- und Lohnarbeit verstanden wurde. Diese Arbeit wurde in den entstehenden Sozial- und Wohlfahrtsstaaten zunehmend mit neuen sozialen Rechten und Pflichten (Versicherungen, Arbeitsschutz, Mitsprache) verknüpft.15 Eine solche Arbeit – idealiter berufliche Beschäftigung – erforderte Eignung, Neigung und formelle Ausbildung, sie versprach dauerhafte Anstellung, ausreichend Lohn, Karriere, Status und persönliche Erfüllung. Es entstanden damit verbunden auch neue Arten legitimer und formalisierter Nicht-Arbeit und neue Phasen des (Erwerbs-)Lebens: Krankenstand, Arbeitslosigkeit, Freizeit, Ruhestand etc.16 Wie die Beiträge dieses Bandes an etlichen Beispielen detailliert zeigen, wurde diese Arbeit rechtlich normiert und verbindlich geregelt, durch verschiedenste neuen Einrichtungen definiert, klarer bestimmt und nicht zuletzt in der und durch die Verwaltung etabliert.17 Diese Veränderungen passierten jedoch nicht „von selbst“, sie waren Gegenstand und Produkt von Sozialpolitik, von organisierten politischen Kämpfen, von alltäglichen Konflikten und Auseinandersetzungen. Es handelt sich bei der Durchsetzung dieser Arbeit weder um eine zwangsläufige noch um eine lineare, irreversible Entwicklung. Mehr noch: Diese neue Arbeit war niemals die einzige Art und Weise, wie Menschen ihren Lebensunterhalt organisierten, organisieren konnten und organisieren wollten, oft vielleicht nicht einmal die häufigste. Viele Praktiken des Lebensunterhalts – sowohl in Europa als auch in globaler Perspektive – entsprachen und entsprechen dieser Arbeit kaum oder gar nicht. Normalisierung und Normierung bedeutet ja nicht, dass die normalisierte Arbeit in quantitativem Sinne vorherrschend war oder ist. Im hier verwendeten Sinn meint Normalisierung: als normal durchgesetzt werden, normiert werden, zur Norm, zum Maßstab und zur dominanten Referenz werden. In den aktuellen Forschungen zur Arbeit ist nun die Tendenz feststellbar, den Gegenstandsbereich der Geschichte von Arbeit wesentlich zu erweitern. Forscher/innen beziehen verschiedenste, lange Zeit von der Geschichtsschreibung vernachlässigte Praktiken und Aspekte von Arbeit ein und rücken sie in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen: bezahlte und unbezahlte Tätigkeiten im eigenen oder fremden Haushalt etwa, Erwerbe außerhalb regulärer (Lohn-)Arbeitsverhältnisse und Arbeitsplätze wie Klein- und Kleinstselbstständigkeit18, informelle und prekäre Erwerbspraktiken, die je nach Kontext und Wahrnehmung mal legal, mal verboten sein konnten.19 Es handelte sich um ein breites Spektrum an Tätigkeiten, die oft vor allem, aber nicht nur von Frauen ausgeübt wurden. Zwar konnten sie offensichtlich zum Teil oder ganz Grundlage einer Existenz und eines Unterhaltes darstellen, galten aber zeitgenössisch nicht oder nicht unstrittig als Arbeit. Somit wurden diese Praktiken und Lebensunterhalte kaum oder nur bedingt als Arbeit bezeichnet, geachtet und anerkannt. Sie begründeten nur in begrenztem Maße Status und (sozialrechtliche) Ansprüche und gingen oft sogar mit negativen Sanktionen einher. Um die an Arbeit geknüpften Rechte und Pflichten, um die positiven oder negativen Sanktionen geht es aber letztlich in den Auseinandersetzungen und Konflikten darum, was „Arbeit“ ist oder nicht ist. Darüber hinaus werden gegenwärtig vermehrt verschiedene Formen außerökonomischer Zwänge, Unfreiheit und Sklaverei erforscht. Begründet wird diese Erweiterung des Gegenstandsbereichs nicht zuletzt damit, dass solche...


Sigrid Wadauer, Universität Wien, Österreich.

Sigrid Wadauer, Universität Wien, Austria.



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