E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Wacker Albuquerque
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-938539-85-9
Verlag: mairisch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Erzählungen
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-938539-85-9
Verlag: mairisch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Nominiert für die Hotlist 2014
»Winnie tat sich während einer Folge A-Team immer Sprühsahne in den Kaffee, manchmal hielt er sich das Ding auch gleich in den Mund und füllte seine Backen. Dann schloss er die Augen und sah sehr glücklich aus.«
Der neue Junge setzt im Freibad die genialste Arschbombe aller Zeiten ins Becken, verschwindet danach aber spurlos. Eine Eule heilt die Ängste eines Busfahrers. In Albuquerque wartet ein alter Trainer auf eine neue Hüfte. Amateurfunker Muffe wird erschlagen. Und während Budde in der Kühlhalle der Fleischfabrik arbeitet, schneit es draußen.
Alle Figuren in Florian Wackers Geschichten teilen das gleiche vage Gefühl: Sie haben eine Vorahnung, dass sich etwas verändern wird. Und auch wenn die meisten von ihnen einfache Leute sind, haben sie doch alle eine Idee davon, was es bedeutet, wirklich intensiv zu leben - und dass es dazu notwendig sein kann, aus seinem gewohnten Leben auszusteigen.
Florian Wacker erzählt klassische Kurzgeschichten, in der Tradition amerikanischer Ikonen wie William Faulkner oder Richard Yates, mal traurig und ernst, mal politisch und witzig. In jedem Fall: Immer lesenswert.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Serpentinen
Es ist jetzt drei Wochen her, seit Bunge verschwunden ist. Hier geht alles wieder seinen normalen Gang, zumindest bei denen, für die Bunge nur ein Kollege ist. Für mich und Winnie ist er aber mehr. Winnie, Bunge und ich, wir sind die schnelle Eingreiftruppe, die Serpentinen-Task-Force. Winnie sagt immer: »Wir sind wie das A-Team, nur für die Straße. Wir sorgen für Gerechtigkeit, oder zumindest dafür, dass die Motorräder und Caravans unbeschadet die Serpentinen hoch- und wieder runterkommen.« Wir sind seit fünf Jahren unterwegs und werden immer dann losgeschickt, wenn irgendwo da oben eine Planke eine Delle abbekommen hat, wenn Leitpfosten abrasiert sind oder der Asphalt aufplatzt. Seitdem Bunge weg ist, seitdem die beiden Beamten unsere Personalien aufgenommen und gesagt haben, sie melden sich, wenn es was Neues gibt, seitdem ist irgendwie die Luft raus. Natürlich rücken Winnie und ich immer noch aus, aber ohne Bunge ist es nicht mehr das Gleiche. Winnie und ich versuchen so gut es geht weiterzumachen. Wir nehmen jetzt nicht mehr den Wohnwagen, sondern fahren die Strecke am Abend wieder zurück oder mieten uns für eine Nacht ein Doppelzimmer in einer Pension. Wir essen dann unten im Gastraum, wir duschen und schauen fern. Zu reden gibt es nicht besonders viel. Irgendwie müssen wir jetzt klarkommen.?Auch ohne Bunge. Unser letzter gemeinsamer Einsatz war auf der Straße hoch zum Schneekopf. Zwei Tage vorher war ein Pärchen mit seinem Hymer durch die Leitplanke gebrochen und zwanzig Meter tief gerutscht, bis das Ding zwischen zwei Fichten stecken blieb.?Als wir an der Stelle eintrafen, waren noch die Spuren der Rettungsaktion zu sehen. Wir standen an der Schneise, Bunge rauchte und wir sahen schweigend den Abhang hinunter. Irgendwo unter uns rauschte Wasser. »Glück für die, dass die Bäume hier so verdammt dick sind«, sagte Bunge. »Sonst wären sie noch hundert Meter weiter und kein Mensch hätte sie gefunden.« Wir nickten. Wir wussten, wovon er sprach. Vor ein paar Jahren war an einer ähnlichen Stelle ein Kradfahrer ungebremst den Abhang runter, an allen Stämmen vorbei. Zwei Kletterer fanden die Leiche Monate später, da hatten Füchse, Wildschweine und Krähen schon den Großteil erledigt. Wir schauten uns die Sache jetzt genauer an. Die Planke war an der Durchbruchstelle total hinüber, das herausgerissene Teilstück hing noch immer unten zwischen den Stämmen.?Auch zwei Leitpfosten hatte es erwischt. Bunge trat seine Kippe aus und brummte etwas. Seit einem Bandscheibenvorfall vor zwei Jahren bediente ich nur noch die Winde, Bunge und Winnie wechselten sich mit dem Klettern ab. Wir waren ein eingespieltes Team, der Ablauf war immer der gleiche: Wir fuhren mit dem Transporter dicht an die Stelle, sperrten die Straße halbseitig auf fünfzig Metern mit Pylonen ab und legten los. Diesmal stieg Winnie in den Klettergurt und überprüfte die Karabiner. Bunge schlang Knoten. Winnie hatte ziemlich an Bauchumfang zugelegt und Bunge machte einen Spruch. Winnie tat so, als hätte er nichts gehört, Bunge und ich kicherten wie Schuljungs. Ich hockte schon im Fahrzeug neben der Winde und sah den beiden zu. Ich mochte es, mit ihnen allein zu sein, irgendwo auf einer abgelegenen Straße. Wir redeten während der Arbeit nicht viel, wir wussten ziemlich genau, was der andere machte und wo er Hilfe brauchte, es war eine Art Instinkt, den wir über die Jahre entwickelt hatten. Und weil wir wenig quatschten, hatte ich genügend Zeit, mir die unterschiedlichen Vogelstimmen oder das Rauschen der Bäume einzuprägen, das oben bei den Fichten dumpf und voll war und weiter unten zwischen den Buchen eher einem hellen Klimpern glich. Bunge sicherte, während sich Winnie den Hang abseilte. Es war kein Steilhang und Winnie hätte wahrscheinlich auch ohne Seil runtergekonnt, aber wir wollten nichts riskieren. Ich gab noch Seil nach.?Auf dem Weg nach unten räumte Winnie ein paar abgeknickte Äste zur Seite, dann machte er kurz Pause, richtete sich die Handschuhe und spuckte aus. »Pennen kannst du später.« Wenn Bunge etwas rief, klang es oft wie Gelächter, es war so ein Zwischending, und ich mochte es, weil ich dann selbst oft lachen musste. Ich konzentrierte mich auf die Winde. Irgendwo im Geäst über uns saß ein Baumpieper und zirpte.?Als Winnie die Stelle erreicht hatte, hängte er den Haken ein und gab ein Zeichen. Die Winde surrte und das herausgerissene Stück Leitplanke kroch langsam den Hang hinauf. Es regnete und wir verbrachten den Abend im Wohnwagen. Das Ding war nicht besonders groß, Winnie und ich schliefen im Bett, Bunge auf der Bank. Die Tropfen schlugen schwer aufs Dach, schon den ganzen Tag war kein Vogel zu hören gewesen. Wir hatten den Asphalt in einer Serpentine geflickt. Durch den starken Regen wurde die Straße manchmal weggeschwemmt. Manchmal bildeten sich auch kleine Risse, die sich mit Wasser füllten, im Winter zufroren und bei Tauwetter dann den Belag noch weiter aufsprengten. Wir transportierten den heißen Teer in einem festgezurrten Fass, das Zeug stank erbärmlich, war kochend heiß und klebrig wie Honig.?Außerdem machte es Appetit und jeder von uns verdrückte am Abend ein paar Thüringer extra. Bunge hatte die vierte Staffel A-Team dabei. Draußen ratterte der Dieselgenerator. Wir waren satt und dösig, tranken Kaffee und sahen zu, wie Hannibal, B. A., Murdock und Face ein paar Fieslinge aufmischten. Das Schöne am A-Team war, dass ständig etwas in die Luft flog, aber nicht mal die weißen Hemden von Face Flecken abbekamen. Mir gefiel außerdem Hannibal, seine schwarzen Handschuhe und die Zigarren ließen ihn wie einen Geschäftsmann wirken, und irgendwie war er das auch, auf seine Art. Die Frauen waren meistens blond, hatten Angst oder flirteten mit Face. Bunge lachte krachend, wenn Murdock wieder einen seiner hysterischen Anfälle bekam und B. A. ihn verprügeln wollte. Wir tranken Kaffee aus großen Henkelbechern mit der Aufschrift der Firma. Winnie tat sich während einer Folge immer Sprühsahne hinein, manchmal hielt er sich das Ding auch gleich in den Mund und füllte seine Backen. Dann schloss er die Augen und sah sehr glücklich aus. Wir hockten zu dritt im Bett. Wenn zum Höhepunkt einer Folge alles in die Luft flog, strampelte Bunge immer die Decke von sich und schlug mit der flachen Hand auf die Matratze. Dann machten wir Pause. Ich stand neben Bunge unterm Vordach, er füllte Benzin in den Generator, ich horchte in die tropfende Stille. Dichter Nebel quoll über den Parkplatz. Ich stellte mir vor, wie aus der grauen Wand plötzlich die schwarz-rot lackierte Karre des A-Teams schießt und unseren Wohnwagen rammt. Winnie fliegt durch das Rückfenster raus, Bunge hechtet zur Seite und ich bekomme von B. A. eins in die Fresse. Dann kippt der Wohnwagen um und explodiert in einem leuchtenden Feuerball. Bunge rauchte, ich ging über den feuchten Platz und zog fröstelnd meine Weste enger. Wir waren seit zwei Tagen hier. Seit gestern begannen wir unsere Namen zu vertauschen: Ich war Face, Winnie Murdock. Und Bunge riefen wir Hannibal, weil er so was wie der Anführer unserer kleinen Gerechtigkeitsarmee war. Bunge ließ zuerst die Hosen runter. Wir waren in ein ziemlich verlassenes Tal geschickt worden, die Straße endete abrupt an einem Wanderparkplatz. Wir sollten Warnschilder aufstellen und die Fahrbahnmarkierung nachziehen. Es war knalleheiß, der Asphalt warf Blasen. Wir trugen nur unsere orangefarbenen Latzhosen, verbrannten uns Rücken und Schultern und schliefen im Freien.?Am zweiten Abend brachte uns Bunge an den Wildbach. Er stand mit einer Kippe im Mund auf einem Stein und tat wie ein König. Winnie schlug sich die Hosen hoch und watete ins eiskalte Wasser, er jammerte, wir lachten ihn aus. Hintereinander staksten wir in der Strömung, Bunge voran, dann Winnie, ich am Schluss. Meine Beine kribbelten, ständig mussten wir aufpassen, nicht wegzurutschen. Dann erreichten wir das Becken. Der Bach staute sich zwischen Felsen, das Wasser war bestimmt zwei Meter tief und schimmerte grün. Hier zog sich Bunge aus und sprang sofort rein. Er schrie und zappelte, als würde er ertrinken. Dann tauchte er, holte kleine Kiesel nach oben und bewarf uns damit. »Rein mit euch, ihr Luschen«, krakeelte er. Winnie rutschte von einem der Steine, prustete und japste wie ein Hund. Ich ließ mir Zeit, schließlich zog Bunge mich unter Wasser. Wir tauchten nach flachen weißen Steinen, die sich anfühlten, als hätten sie eine eigene Haut. Winnie wollte einen Fisch fangen, aber Bunge sagte: »Die sind längst über alle Berge, bei deiner Plauze.« Später lagen wir nebeneinander auf den warmen Felsen und starrten in den Himmel. Am nächsten Abend kamen wir wieder. Wir standen im Wasser eine Weile nebeneinander und beobachteten, wie sich unsere Schwänze zu kleinen Schnecken kringelten. »Wehe, wenn jetzt einer von euch pisst«, sagte Bunge. Wir schwammen im Kreis, trockneten auf den Felsen und tranken Bier. Irgendwo hämmerte ein Buntspecht, sonst war nur das Rauschen des Bachs zu hören. Wir waren ziemlich schnell angeduselt, zuerst machten wir noch Witze, dann dösten wir eine Weile. Es war wie im Jugendlager, nur dass wir jetzt ganz offiziell Bier trinken duften und keine Probleme mehr damit hatten, auf den Schwanz des anderen zu starren. Ich habe Britta nichts von unserer Bade-Aktion erzählt. Ich hielt es nicht für wichtig und kam mir auch ein bisschen blöd dabei vor, ihr zu erklären, was wir da gemacht hatten und vor allem warum. Solche Sachen blieben unter uns. Es hat nichts darauf hingedeutet. Zumindest ist mir an Bunge nie was aufgefallen, er kam mir eigentlich immer ziemlich normal vor. Bunge ist...