E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Vry Die Diebe von Troja
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-423-41478-4
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Ein Abenteuer um Heinrich Schliemann
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-423-41478-4
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Gold! Gold! Gold!Troja 1873: Jannis und Nikos wissen genau, dass sie nachts auf der Grabungsstelle nichts zu suchen haben – Heinrich Schliemann hat das Betreten streng verboten! Dass die Brüder sich nicht daran halten, bringt sie in große Gefahr: Sie beobachten, wie Diebe einen riesigen Goldschatz bergen! Was nun?
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Die Mutprobe
Uhuuu ...«
Jannis zuckte zusammen. »Uhuuuuuuuu ...« Er war sich nicht sicher: War das der Ruf einer echten Eule oder war es das vereinbarte Zeichen? Vorsichtig reckte er seinen Kopf und blickte nach oben. Nein, der Himmel war noch genauso tiefschwarz wie vor Stunden. Stunden? Waren es überhaupt schon Stunden, die er hier unten auf dem Boden des Grabens hockte und auf das Ende, den erfolgreichen Ausgang seiner Mutprobe, wartete? Schwer zu sagen, er hatte mittlerweile jedes Zeitgefühl verloren. Er zitterte. Das Einzige, was er spürte, war die nasse modrige Kälte, die aus den metertiefen Erdwänden rings um ihn herauskroch und seine dünne Baumwollkleidung feucht werden ließ. Er hockte fast vierzehn Meter unterhalb der Erdoberfläche. Mit den Armen umklammerte er ängstlich seine Beine, sein Kinn presste er fest auf die Knie, dennoch klapperten seine Zähne und erzeugten ein seltsames Geräusch. Dazu kam die überraschend tiefe Dunkelheit: Es war Neumond, kein noch so kleiner Lichtschein erhellte den Himmel, einer der Gründe, warum sein älterer Bruder Nikos gerade die heutige Nacht für die Mutprobe ausgewählt hatte. Hier unten schien ihn die totale Finsternis nun endgültig verschlingen zu wollen. Dabei war Jannis Dunkelheit eigentlich gewohnt, schon oft hatte er sich nachts im Freien aufgehalten, aufhalten müssen, allerdings war sonst immer Nikos bei ihm gewesen. Oder die warmen und weichen Schafe des Vaters, die ihm wohltuende Gesellschaft geleistet hatten. Das hier aber war etwas anderes. Hier unten war er in einer anderen Welt, in einer Art Unterwelt, die nicht mehr zur echten Welt zu gehören schien. Der Schacht, in dem er saß, gehörte zu einer archäologischen Ausgrabung. Ein seltsamer Kauz, ein deutscher Archäologe, durchwühlte hier zusammen mit den Männern der umliegenden Dörfer den Boden und suchte eine versunkene Stadt. Jannis hatte sich darüber schon oft gewundert, wenn er hier tagsüber mitarbeitete: Wie konnte eine ganze Stadt untergehen? Wie konnten ihre Reste in der Erde versinken und verschwinden? Er zuckte zusammen. Würde der Erdboden am Ende auch ihn verschlucken? Die Wände des Grabens rückten immer dichter an ihn heran, bald würden sie ihn zerdrücken! Oder bildete er sich das nur ein? Er machte sich so klein wie möglich und presste die Augen zusammen. Noch ein anderer furchtbarer Gedanke durchzuckte seinen Kopf: Wahrscheinlich steckten die Geister der vielen Verstorbenen, der Toten der Vergangenheit, noch in der Erde und waren nun wütend auf ihn, weil sie sich in ihrer Ruhe gestört fühlten, nicht nur tagsüber, wenn rund um ihre Knochen gehackt und gegraben wurde, nun auch noch mitten in der Nacht. Insgeheim verfluchte er seinen großen Bruder und dessen Idee mit der Mutprobe. Ob Nikos geahnt hatte, welch furchtbare Gedanken einem hier unten in den Kopf schossen? Doch der Preis war nicht zu hoch: Wenn Jannis die Mutprobe bestand, durfte sein Bruder ihn nie wieder fowitsiaris – Hasenfuß – nennen oder sonst wegen seiner Ängstlichkeit hänseln. Das war die Vereinbarung. Dafür musste Jannis bis zum ersten Morgenrot am Himmel hier unten ausharren. Das musste er schaffen! Den Vater hatten sie anlügen müssen, damit er keinen Verdacht schöpfte. Sie hätten schon vor Sonnenaufgang auf der Ausgrabung bei Kyrie Schliemann, dem Archäologen, zu tun, hatten sie ihm eingeredet. Er brauche also nicht auf sie zu warten, wenn er bei Tagesanbruch aufbrach, man würde sich direkt auf der Grabung, dem Berg von Hissarlik, treffen. Er hatte es geglaubt. Jannis streckte seine Hand aus, ging einige Schritte und kontrollierte die Entfernung zur gegenüberliegenden Grabenwand. Er atmete auf, sie schien sich nicht von der Stelle bewegt zu haben. Er fühlte noch einmal. Zum Zeichen dafür, dass er wirklich bis zu der vereinbarten, tiefsten Stelle vorgedrungen war und nicht etwa viel weiter vorne Platz genommen hatte, hatte er einen kleinen hölzernen Nagel, versehen mit den eingeritzten Initialen, den Anfangsbuchstaben seines Namens, JS für Jannis Savvidis, tief in die Erdwand gesteckt. Morgen früh würde Nikos die Stelle kontrollieren und den Beweis dafür finden, wie tapfer sein jüngerer Bruder war. Jannis tastete die Wand ab. Befand sich der Stab noch an der ursprünglichen Stelle? War er nicht herausgerutscht? Als er vorsichtig mit den Fingern über die Oberfläche der Seitenwand fuhr, wo er das Beweisstück vermutete, rieselte ein wenig Sand auf den Boden. Da, seine Finger verharrten an etwas leicht Hervorstehendem. Der Holznagel? Er musste es sein, Jannis war sich fast sicher, doch er stutzte. Dieser Gegenstand fühlte sich auffallend kühl an und er steckte nicht gerade, sondern schräg in der Wand. Jannis fühlte genauer, sehen konnte er nichts. Er umfasste die rund auslaufende Form und lockerte dann den seltsamen Gegenstand, der ungefähr die Länge eines Unterarmes besaß, aus der Erde. Plötzlich zuckte er zurück. Das, was er in seiner Hand vermutete, war ein Knochen, womöglich der eines Menschen. Mit einem mühsam unterdrückten Schrei schleuderte er ihn von sich und wischte sich die Hand an seiner feuchten Hose ab. Der Knochen machte ihm Angst. Warum? Was konnte ihm der Knochen eines Toten anhaben? Skorpione konnten ihm gefährlich werden, ja, und auch Anthelions, die kleinen Schlangen, die mit nur einem einzigen Biss einen Menschen töten konnten. Der Knochen aber war harmlos, Schliemann hatte schon viele davon sammeln lassen. Dennoch stand Jannis kalter Schweiß auf der Stirn. Verzweifelt stellte er sich noch einmal auf die Zehenspitzen und blickte hoffnungsvoll nach oben. Doch es war aussichtslos, so weit er sich auch reckte, eine Rotfärbung des Himmels als Zeichen der aufgehenden Sonne konnte er nicht entdecken. »Uhuu, Uhuuuu ...« Erneut ertönte der Schrei der Eule. Jannis seufzte. Eine überaus blöde Idee war das von seinem Bruder gewesen, ein zweifaches Uhu! zu rufen, wenn er – aus welchem Grund auch immer – den Graben verlassen sollte. Eulen gab es hier in der Gegend, der Troas, einfach zu viele und sie ließen während der ganzen Nacht ihr ununterbrochenes Geschrei ertönen. Wie konnte Jannis wissen, ob es eine echte Eule war, die den Ruf ausstieß, oder sein Bruder, der in der Nähe des Grabungshauses auf ihn wartete? Und tatsächlich, schon im nächsten Augenblick hörte er das nächste »Uhu! Uhu!«. Jannis stutzte. Der Ruf klang anders als zuvor, kurz und atemlos. Er war sich jetzt sicher, so klang keine echte Eule, das konnte nur sein Bruder sein! Nikos wollte ihn warnen. Jannis musste hier weg, sofort! Nur wie? Keiner durfte ihn sehen! Kyrie Schliemann hatte unter Androhung höchster Strafen den Arbeitern verboten, das Grabungsgelände nach Einbruch der Dunkelheit zu betreten. Wer dabei erwischt wurde, hatte nichts zu lachen. Der Verlust der Arbeit, eine Anzeige bei der Polizei und eine saftige Geldstrafe wären die Folge und so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber irgendetwas musste passiert sein, sonst hätte Nikos nicht gerufen. Vorsichtig tastend setzte sich Jannis in Bewegung. Aber hier, an der tiefsten Stelle des riesigen Grabens, befand er sich in einer Art Sackgasse. Um wieder an die Erdoberfläche zu gelangen, musste er die gesamte, tief in den Hügel gehauene Schlucht in ihrer ganzen Länge zurücklegen, einmal quer die Jahrtausende zurückwandern, um wieder in der Gegenwart zu landen. Er musste seine Hände zu Hilfe nehmen, um sich an einer der seitlichen Wände vorwärtszutasten. Vorsichtig, fast zaghaft, setzte er einen Schritt vor den anderen. Bei dem Gedanken an weitere Knochen, die womöglich in den Grabenwänden steckten, daraus hervorragten und wie Finger auf ihn zeigten, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken und seine Hände zuckten unwillkürlich zurück. Plötzlich erstarrte er. Vor ihm flackerte das Licht einer Petroleumlampe, nur wenige Meter entfernt erkannte er im Schein der Flamme zwei menschliche Gestalten, zwei Männer. Sie hatten den Graben betreten und kamen nun langsam und direkt auf ihn zu. Für ihn gab es kein Entkommen! Er war gefangen. Ohne das leiseste Geräusch wich er vorsichtig zurück. Er fühlte sich wie ein Tier in einer Falle, die jeden Augenblick zuzuschnappen drohte. In seiner Angst duckte er sich tief auf den Erdboden, vergaß alle Gefahren, die ihm aus dem Erdreich drohten, und suchte Schutz hinter dem Rest eines kleinen Mauervorsprungs, der aus der Grabenwand herausragte. Mit angehaltenem Atem beobachtete er, wie die beiden dunklen Gestalten immer näher kamen. »Halt an. Hier irgendwo muss es sein!«, hörte er eine Stimme flüstern. Sie gehörte einem großen, dünnen Mann, der zügig den Graben entlangschritt, in der einen Hand die Lampe haltend und mit der anderen eine große Spitzhacke vor sich herstemmend. Jannis versuchte, im Schein des Lichtes, das Gesicht des Fremden zu erkennen, doch dessen Kopf war durch ein großes Tuch verhüllt, das nur die Augen und die Nase frei ließ. »Bist du sicher?«, zischte der andere zurück. Er war klein und dick, hatte eine Schaufel geschultert und auch sein Kopf war mit einem dunklen Stoff umschlungen. Die beiden blieben stehen und ließen ihr Werkzeug auf den Boden fallen. Der Dünne begann im Schein der Lampe, den Boden und die rechte Seitenwand des Grabens abzutasten. »Warte! Gleich hab ich’s«, erwiderte er und fing an, Erde aus der Seitenwand zu kratzen. »Seltsam, ich hätte schwören können,...