E-Book, Deutsch, Band 2311, 128 Seiten
Reihe: Beck'sche Reihe
Vorländer Demokratie
2. Auflage 2016
ISBN: 978-3-406-69338-0
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Geschichte, Formen, Theorien
E-Book, Deutsch, Band 2311, 128 Seiten
Reihe: Beck'sche Reihe
ISBN: 978-3-406-69338-0
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Was macht eine Demokratie aus? Das Buch zeigt, wie die Demokratie in der Antike erfunden wurde und wie sie sich in der Moderne verändert hat. Unmittelbare, direkte Demokratie dort, mittelbare, repräsentative Demokratie hier – das sind die Grundformen. Darüber hinaus unterscheiden sich theoretische Modelle und gelebte Demokratien erheblich voneinander. Der Band erörtert alle zentralen Bedingungen, die Voraussetzungen und die Chancen der Demokratie.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politikwissenschaft Allgemein Politische Theorie, Politische Philosophie
- Geisteswissenschaften Philosophie Sozialphilosophie, Politische Philosophie
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politikwissenschaft Allgemein Politikberatung
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politische Systeme Demokratie
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politische Systeme Staats- und Regierungsformen, Staatslehre
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II. Die Entstehung der Demokratie
Als der attische König Theseus vom Herold aus Theben gefragt wird, wem er die Botschaft des thebanischen Königs Kreon überbringen könne – «Wer ist hier der absolute König?» –, da setzt Theseus zu einem Loblied auf Athen an: «Nichts ist dem Volke so verhasst wie ein Tyrann. Dort gelten nicht als Höchstes die gemeinsamen Gesetze; einer schaltet als Gesetzesherr Ganz unumschränkt, und das ist keine Gleichheit mehr. Doch werden die Gesetze schriftlich festgelegt, genießt der Arme wie der Reiche gleiches Recht; die freie Rede steht dem Armen zu wie dem vom Glück Gesegneten, wenn er beleidigt wird, und hat er recht, besiegt der kleine Mann den großen. So klingt der Ruf der Freiheit: ‹Wer will einen Rat, der unsrem Staate nützt, vor die Versammlung bringen?› Und wer es wünscht, der erntet Ruhm, wer nicht, kann schweigen. Wo gibt es größere Gleichheit noch in einem Staat?» Die Rede des Theseus findet sich bei Euripides, in dessen Drama Hiketiden (Die Schutzflehenden – 424 v. Chr.). Hier werden die Grundlagen der Demokratie Athens genannt: Gleichheit vor dem Gesetz, das Recht der freien Rede, die gemeinsame Beratung, schriftlich festgelegte Gesetze. Das Erstaunen des thebanischen Herolds über die Verhältnisse in Athen zeigt sich, als er in seiner Gegenrede das Loblied auf die Monarchie singt: «… in der Stadt, die mich entsandte, wird die Herrschaft von einem Manne, nicht vom Pöbel ausgeübt; und keinen gibt es, der das Volk durch eitles Schwatzen – zum eigenen Vorteil nur! – bald hier, bald dorthin lenkt. … Wie kann überhaupt das Volk den Staat beherrschen, wo es nicht die Redekunst beherrscht? Und ein armer Bauersmann mag zwar nicht unvernünftig sein – im Drange seiner Arbeit kann er jedoch kaum den Blick auf das Gemeinwohl richten! » – Euripides macht den thebanischen Herold zum Sprachrohr der Demokratiekritik: das Volk als «Pöbel», Demokratie als Veranstaltung der Demagogen und Schwätzer, der einfache Mann zur Politik nicht fähig. Das Unverständnis des Thebaners änderte indes nichts daran, dass Athen für knapp zwei Jahrhunderte eine funktionsfähige Demokratie gewesen ist. Nach athenischer Auffassung war demokratia eine Verfassungsform, in der das Volk (demos) die Macht (kratos) in der Polis inne hatte. Darunter wurde verstanden, dass das Volk die volle Gesetzgebungs-, Regierungs-, Kontroll- und Gerichtsgewalt ausübte. Allein das Volk beschloss Gesetze und Dekrete, es wählte die Beamten, es übte die Kontrolle der gewählten und erlosten Amtsträger aus, es prüfte die Amtsführung und es bestimmte die Richter. Damit war die Demokratie in Athen ein Regime direkter, unmittelbarer Herrschaft des Volkes, das auf umfassender Beteiligung aller männlichen Bürger beruhte und das keine Unterschiede zwischen arm und reich kannte. Die Demokratie Athens zeichnete sich durch ein Maß an Bürgerbeteiligung aus, das seitdem kaum wieder erreicht worden ist. Die Reformen von Kleisthenes (508/507 v. Chr.) begründen die athenische Demokratie, mit der erfolgreichen Zurückweisung der beiden persischen Einfälle in Griechenland (490 u. 480 v. Chr.) beginnt das goldene Zeitalter der Demokratie, das vor allem mit dem Namen Perikles verbunden ist. Während des Peloponnesischen Krieges, der 431 v. Chr. ausbrach und sich bis 404 hinzog, zeigten sich Krisen der Demokratie, die aber, nach oligarchischen Intervallen, überwunden werden konnten. Die Demokratie wurde wieder neu eingerichtet und erlebte im Zeitalter des Demosthenes bis etwa 322 v.Chr. eine neue Blüte. Nach dem Tod Alexanders des Großen endet die klassische Epoche der attischen Demokratie. Wenn die Verfassung Athens von den Reformen des Kleisthenes von 508/7 an bis zur Niederlage im so genannten Lamischen Krieg 322 eine demokratia war, so lassen sich die ersten Zeugnisse für den Begriff «Demokratie» jedoch erst im letzten Drittel des 5. Jahrhunderts finden. Die älteste Quelle ist Herodot, der um 430 v. Chr. festhält, dass es Kleisthenes war, der die demokratia in Athen eingeführt hat. 411 verabschiedete die athenische Volksversammlung ein Dekret, in dem ebenfalls Kleisthenes als Vater der Demokratie bezeichnet wird. Demokratia tauchte also erst zu einem relativ späten Zeitpunkt als Begriff auf, nachdem das, was damit bezeichnet wurde, längst praktiziert worden war. Der Begriff scheint lange Zeit unbekannt gewesen zu sein, die Rede war von isonomia (gleiches Recht), isegoria (gleiches Recht der Rede) oder isokratia (gleicher Anspruch auf Herrschaft). Damit wird deutlich, dass vor allem der Gedanke der Gleichheit entscheidend war für die neue demokratische Ordnung, die sich gleichermaßen von der Tyrannis wie der aristokratischen Gesellschaft abgrenzte. So war auch in zwei Gesetzen gegen die Tyrannis von 401 und 336 v. Chr. eine Strafe, nämlich die Vogelfreiheit, für die Abschaffung der demokratia bestimmt. Auf einer Stele war neben dem Gesetz von 336 übrigens auch das Relief der Göttin Demokratia zu sehen, die einen bärtigen alten Mann, den demos darstellend, bekränzt. Die demokratia wurde nicht nur symbolisch zur Darstellung gebracht, sondern die demokratia wurde, wenngleich erst sehr spät, auch zu einem Gegenstand kultischer Verehrung und Vergewisserung gemacht. So hatte der Rat 333 v. Chr. beschlossen, dass der Göttin Demokratia auf der Agora, dem Markt- und Versammlungsplatz, eine Statue zu errichten war, deren Inschrift zeigte, dass die Strategen der Göttin jedes Jahr ein Opfer darbringen mussten. Auch in Tragödien und Komödien wie in den «Historien» Herodots ist der Begriff demokratia bezeugt. In den schon zitierten Hiketiden lässt Euripides Theseus sagen: «Ich habe das Volk zum Monarchen eingesetzt!» und: «Das Volk herrscht hier in jährlichem Turnus». Andernorts begegnet die Formel «Die Macht ist hier ‹vervolklicht›!». Reden in der Volksversammlung und vor den Gerichten rühmten die athenische Verfassung als eine demokratia. In der Gefallenenrede bei Thukydides sagt Perikles ausdrücklich, dass Athen eine demokratia genannt wird. Vom Siegeszug der Demokratie zeugen schließlich auch Grabinschriften und Namensgebungen. Zahlreiche Schiffe der athenischen Kriegsflotte trugen den Namen Demokratia. Die Demokratie wurde in Athen erfunden, es gab aber keine Blaupause, kein Modell, keine Theorie, nach der die Institutionen entworfen und errichtet worden wären. Die Demokratie hat sich im Laufe der Zeit herausgebildet und sie hat sich auch, soviel wir wissen, zuerst in Athen voll entfaltet, bevor sie in anderen griechischen städtischen Gemeinwesen, den Poleis, zumeist auf Druck Athens, eingeführt wurde. Ganz ohne Frage war die Herausbildung des attischen Seereiches eine notwendige, wenngleich keine hinreichende Voraussetzung der Demokratie in Athen. Für die Etablierung und die Sicherung des Seereiches war die Flotte, und damit die untere Bevölkerungsschicht, die die Mannschaften stellte, unentbehrlich. Neben den Hopliten, den bewaffneten Kämpfern, die die Phalanx bildeten, mussten deshalb auch die Ruderer, die so genannten Theten, in den athenischen Bürgerverband einbezogen werden. Vor allem bei der Abwehr der Perser 490 bis 479 v. Chr. sind, auf Initiative des Themistokles, die Nichtbesitzenden, die Theten, auf die Kriegsflotte gesetzt worden. Sie erwiesen sich als unentbehrlich für den Sieg und konnten fortan politisch nicht mehr ignoriert werden. Es waren dann diese Schichten, mit deren Unterstützung Ephialtes und Perikles den Areopag, das Organ des Adels, stürzten und die Demokratie zu dem werden ließen, was heute als das klassische Modell athenischer Demokratie überliefert ist. Es waren mithin die äußeren Ereignisse der Perserkriege und des Attischen Seebundes gewesen, die die Entwicklung zur Demokratie, zu einer alle Bevölkerungsschichten umfassenden Herrschaft des Volkes, erst wirklich zum Ziel gelangen ließen. Zuvor aber waren die Reformen, die Kleisthenes und bereits Solon eingeführt hatten, die entscheidenden Weichenstellungen gewesen. Solon (594 v. Chr.) beseitigte große soziale Missstände und schuf politische Institutionen, die Marksteine auf dem Weg zu einer demokratischen Ordnung werden sollten. Mittels der so genannten Lastenabschüttelung und der Abschaffung der Schuldknechtschaft wurden die Bauern von ihren drückenden Schulden und der Gefahr, in die Sklaverei abzurutschen, befreit. Solon schuf vier Vermögensklassen, was an sich noch keine genuin demokratische Reform genannt werden konnte, aber es bedeutete doch eine vorentscheidende Abkehr vom aristokratischen, auf Herkunft beruhenden Prinzip gesellschaftlicher und politischer Ordnung. Aber mit Solon, der später vor allem von Aristoteles als der große Gesetzgeber Athens bezeichnet wurde – was die Zeugnisse nicht im Einzelnen zu belegen vermögen –, hatte sich auch die Vorstellung durchsetzen können, dass die politische Ordnung gestaltbar war. Damit war gewissermaßen die Politik als ein Bereich, der der Gestaltung fähig ist, erfunden. Politik, tá...