E-Book, Deutsch, 416 Seiten
von Wild Der Meister der Karten
2024
ISBN: 978-3-8392-7936-6
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Historischer Roman
E-Book, Deutsch, 416 Seiten
Reihe: Historische Romane im GMEINER-Verlag
ISBN: 978-3-8392-7936-6
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Martin Waldseemüller studiert die sieben Künste, entdeckt seine Liebe zur Kosmographie und will sich ganz der Wissenschaft widmen. Während spanische und portugiesische Seefahrer immer mehr unbekannte Winkel der Erde entdecken, beschließt Martin, sein beschauliches Leben aufzugeben und eine lange Reise anzutreten. In Lissabon begegnet er der schönen Spanierin Elena. Doch ihrer heimlichen Liebe droht Gefahr, als Elenas verschollen geglaubter Ehemann von einer Reise mit Amerigo Vespucci zurückkehrt.
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1478
Wolfenweiler
»Steh nicht faul rum, rühr lieber«, blaffte sein Vater ihn an und schlug Martin mit der flachen Hand in den Nacken. Wie immer zu Martini wurden Schweine geschlachtet, denn der Novembertag markierte den Jahresabschluss für die Bauern, und mittlerweile war es kalt genug, um Würste und Schinken herzustellen. Die Ernte war eingebracht, Kohl, Rüben, Äpfel und Birnen in den Kellern eingelagert. Der sechsjährige Martin stand auf einem großen Stein und mühte sich mit dem langen, schweren Holzstab, um das Blut unter die vorgekochten Schwarten und Zwiebeln, Salz und Gewürze zu rühren. Sein Magen hob sich ob des Geruchs, und wieder hielt er inne, legte den Kopf in den Nacken, sah zum Himmel und atmete tief durch. Er liebte diese Weite über sich. Oft stand er nachts heimlich auf und starrte aus dem Fenster, um den Mond und die Sterne zu betrachten. Wie viele es wohl von ihnen gab? Ob sie je einer gezählt hatte? Grob wurde er an der Schulter gepackt und herumgedreht, der Stab entglitt seinen Händen, und schon hatte ihm sein Vater eine Maulschelle versetzt. »Wenn du jetzt nicht rührst, dann endest du selbst im Topf. Hast du mich verstanden?«, schrie er, sein Gesicht rot vor Zorn. Konrad Waldseemüller war der Metzger im Dorf und hatte an Martini alle Hände voll zu tun. Jeder musste mithelfen. Därme waren zu reinigen, um später der Wurst ein Zuhause zu geben, und das Fleisch sollte in den Kaminrauch gehängt werden, um es für den Winter haltbar zu machen. Martins Vater war ein jähzorniger Mann und bei den Dorfbewohnern nicht wohlgelitten, aber er verstand sein Handwerk wie kein anderer. Die Tiere starben schnell und schmerzlos. Konrads Hiebe mit dem Beil und seine Schnitte mit dem scharfen Messer, um das Fleisch zu zerteilen und von den Knochen zu lösen, saßen immer. »Lass ihn zufrieden«, rief Margarethe und kam herbeigeeilt, als Konrad erneut die Hand hob. Sie fiel ihm in den Arm. Wutentbrannt fuhr er herum. »Das wagst du nicht noch einmal!« Er gab seiner Frau eine gewaltige Ohrfeige. »Mutter!« Mit aufgerissenen Augen und vor Angst zitternd stand Martin neben dem Kessel. Konrad wollte seiner Frau gerade einen weiteren Schlag versetzen, als eine Stimme donnerte: »In Gottes Namen haltet ein, Waldseemüller.« Wie aus dem Boden gestampft erschien Pfarrer Daniel, ein großer Mann mit breiten Schultern. Konrad schnaubte, ließ Margarethe jedoch in Ruhe, die sich die schmerzende Wange rieb. Martin drückte sich an sie. »Nichts für ungut, Hochwürden, aber meine Familienangelegenheiten gehen Euch nichts an«, knurrte er. »Martin, hör auf zu heulen und mach weiter.« Zu dessen Überraschung übernahm jedoch der Pfarrer den Stab und rührte das Blut unter. Der Junge staunte, wie leicht Daniel die kraftraubende Arbeit von der Hand ging. Es sah aus, als täte er nichts weiter, als einen Strohhalm in einem Becher Wasser zu bewegen. »Was tut Ihr da?«, fragte Konrad verblüfft. »Blut rühren, schließlich sollen die Würste ja heute noch fertig werden«, grinste der Geistliche. »Wenn Ihr glaubt, Ihr bekommt davon etwas ab, täuscht Ihr Euch. Dieses Schwein ist nur für mich gestorben und nicht wie der Heiland für uns alle.« Konrad nahm das scharfe Messer und durchtrennte ein paar Sehnen. »Hütet Eure ketzerische Zunge«, fuhr der Pfarrer den Metzgermeister an und bedachte ihn mit einem so zornigen Blick, der Martin erschauern ließ. Auch sein Vater schien eingeschüchtert und senkte demütig den Kopf. »Vergebt mir, Hochwürden«, murmelte er. Dann sah er in den Kessel, befand, die Masse wäre gut vermengt. »Margarethe, füll die Därme damit, Martin, hilf deiner Mutter.« »Ich sehe Euch am Samstag bei der Beichte, Waldseemüller, und am Sonntag bei der Messe«, verabschiedete sich der Pfarrer. Martin sah ihm sehnsüchtig nach und wünschte, der Geistliche würde seinen Vater öfter in die Schranken weisen. Seufzend half er, das Gemisch in die gesäuberten Schweinedärme zu stopfen. Als alle gefüllt waren, band seine Mutter jede zweite Handbreit eine Schnur darum und zog sie fest. Nach und nach entstanden so gleich große Würste, die dann gekocht wurden. Später kamen auch sie zu den Schinken in den Kaminrauch. Während sein Vater weitere Schweine der Dorfbewohner schlachtete und zerteilte, kochten die Frauen Knochen aus, gaben kleinere Fleischreste, Wurzeln und Zwiebeln dazu. Platzten einige der Blut- und Leberwürste, landeten auch diese im Kessel. Waren alle Metzgerarbeiten erledigt, feierte man gemeinsam das Schlachtfest mit der sogenannten Metzelsuppe und frisch gebackenem Brot. Jeder, der mithalf, bekam einen Teller ab. Martins Magen knurrte, als ihm der Duft des dunklen Brotes in die Nase stieg, welches Agnes gerade aus dem Ofen holte. Agnes war die Witwe eines Schuhmachermeisters und nächste Nachbarin der Waldseemüllers. Nach dem Tod ihres Mannes war sie in ihr Heimatdorf zurückgekehrt und lebte bei ihrem Bruder. Ihre beiden erwachsenen Söhne waren im nahen Freiburg geblieben und studierten dort an der Universität, wie sie nicht müde wurde, stolz zu erzählen. Martin mochte die pausbäckige, alte Frau, die ihm immer freundlich begegnete und ihm hin und wieder Leckereien zusteckte. »Du erinnerst mich an meinen dritten Sohn, Martin, den der Herr mir leider viel zu früh genommen hat«, hatte sie ihm vor einiger Zeit gesagt. »Johannes war ein kluger Junge mit ebenso kastanienbraunen Haaren und genauso feingliedrig wie du. Ganz anders als Ludwig und Alfons. Die sind groß und stark, fast so wie unser Pfarrer Daniel.« »Aber sie müssen doch trotzdem klug sein, wenn sie an der Universität studieren«, war Martins Antwort gewesen. »Also ist es gleich, ob man kräftig oder schwach ist, Hauptsache, man kann lesen, schreiben und rechnen und noch viel mehr.« Lächelnd hatte Agnes ihm über den Kopf gestrichen. »Da hast du wohl recht, Martin. Du bist ein schlauer, kleiner Mann, und bestimmt wirst auch du einmal zur Universität gehen.« »Ich glaube nicht«, hatte er traurig erwidert, »Vater erlaubt mir nicht, zur Schule zu gehen.« Am späten Abend nach dem Schlachtfest, als alle nach Hause gegangen waren, hörte Martin, wie seine Eltern sich stritten. Seine einfache Bettstatt stand an der Wand, die seine winzige Kammer von der seiner Eltern trennte. »Du hast verdammtes Glück gehabt, dass Pfarrer Daniel kam. Wenn du es noch einmal wagst, mich vor aller Augen zu demütigen, erlebst du den nächsten Morgen nicht mehr.« Die wütende Stimme seines Vaters klang schwer und undeutlich vom vielen Bier. »Martin ist noch so klein, und die Arbeit, die du ihm aufbürdest, ist zu schwer für ihn«, traute sich seine Mutter zu widersprechen. »Du benimmst dich wie eine Glucke, in seinem Alter habe ich noch viel schwerer arbeiten müssen. Der Junge muss lernen, wie hart das Leben ist. Er soll einmal mein Nachfolger werden, und du, du verzärtelst ihn nur.« Konrad lachte verächtlich. »Martin ist nicht wie du. Sieh ihn dir doch an. Er wird niemals so kräftig werden«, entgegnete Margarethe. »Du solltest ihn in die Schule schicken. Wünschst du dir nicht auch für unseren Sohn, dass es ihm einmal besser gehen wird als uns?« »Du denkst, es geht uns schlecht? Ich werde dir zeigen, wie schlecht es einem ergehen kann, wenn man ständig Widerworte hat, du nichtsnutziges Weib. Nur einen Sohn hast du mir geschenkt, und dazu noch einen Schwächling, der zu nichts taugt.« Martin hörte das Gerangel zwischen den beiden, und das Flehen seiner Mutter. »Nicht, Konrad, bitte.« Die nachfolgenden Geräusche, Schläge, das Wimmern und Stöhnen versetzten ihn einmal mehr in Angst. Es war nicht das erste Mal, dass sein Vater ihr Gewalt antat. Martin stopfte sich die Deckenzipfel in die Ohren und wünschte, er wäre so kräftig wie sein Freund Oskar, der gut ein Jahr älter und beinahe zwei Köpfe größer war. Dann könnte er seine Mutter beschützen. Dafür war Oskar aber ziemlich langsam, was das Denken anbelangte. Und wenn Martin darüber nachsann, wollte er lieber doch nicht wie Oskar sein. Wenige Tage vor dem Weihnachtsfest begegnete Martin Pfarrer Daniel, der in Begleitung seiner beiden Messdiener war. Andreas trug drei Bücher vor sich her und Reinhold einen Korb, der mit einem Tuch abgedeckt war. Martin vermutete Messwein und Brot darunter. Er war auf dem Weg zum Backhaus und ging hinter ihnen, lauschte ihrem Gespräch. »Ptolemaios war ein kluger Kopf, der vor mehr als tausend Jahren im fernen Alexandria gelebt hat«, hörte Martin den Pfarrer sagen. »Wo liegt dieses Alexandria?«, wollte Andreas wissen. »Reinhold, kannst du seine Frage beantworten?«, gab Daniel den Stab weiter an den anderen Jungen. »In Ägypten, Vater, einem Land jenseits des Mare Mediterraneum.« »Sehr gut, mein Junge«, lobte der Pfarrer. »Und was hat dieser Ptomäu…«, begann Andreas. »Ptolemaios«, berichtigte ihn Reinhold. »… ja, eben der, was hat er so Kluges getan?« »Er hat Bücher hinterlassen, die uns die Welt erklären«, lautete Daniels Antwort. »Die Erde steht fest im Mittelpunkt, und um sie herum bewegen sich die Planeten Mars, Venus, Merkur, Jupiter und Saturn in Kreisen. Dabei zieht beispielsweise der Mars auf einem größeren, also weiter entfernten Ring um die Erde als die Venus.« »Was ist mit der Sonne? Und dem Mond?«, fragte nun Reinhold. »Auch Sonne und Mond ziehen kreisförmig ihre Bahn um die Erde. Der Mond ist uns am nächsten, deshalb können wir ihn auch so deutlich...