E-Book, Deutsch, 448 Seiten
von Wild Der Getreue des Herzogs
2020
ISBN: 978-3-8392-6634-2
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein historischer Roman aus Württemberg
E-Book, Deutsch, 448 Seiten
Reihe: Historische Romane im GMEINER-Verlag
ISBN: 978-3-8392-6634-2
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Tübingen 1498. Der erst elfjährige Ulrich wird zum Herzog von Württemberg ernannt, Küchenjunge Johannes steht ihm als treuer Freund zur Seite. In den Folgejahren muss Johannes, inzwischen Arzt, miterleben, wie der verschwenderische Herzog das Land in den Ruin treibt und seine große Liebe, Sophie Breuning, den eiskalten Volland heiratet. Während Ulrich immer zügelloser handelt und es zum Bauernaufstand kommt, verschwindet Sophie spurlos. Als Johannes von ihrem Geheimnis erfährt, beginnt für ihn eine Odyssee …
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Teil I
1493 bis 1519
»Du, komm her!« Der sechsjährige Grafensohn Ulrich war auf der Suche nach einem Spielgefährten. Ihm war sterbenslangweilig auf Schloss Hohentübingen, wohin ihn sein Onkel, Graf Eberhard, mitgenommen hatte. Ulrich hatte seiner Kinderfrau Oda eine lange Nase gedreht und war fortgerannt. Im Schlosshof war ihm ein dunkelhaariger Junge aufgefallen, der Gemüse putzte. Der Küchenjunge war etwas älter als Ulrich, sein Gesicht trug einen verträumten Ausdruck und er fühlte sich auf sein Rufen hin nicht angesprochen, ja, er sah nicht einmal auf. Ulrich überquerte den Hof und stellte sich vor den Jungen. »Spielst du mit mir Murmeln?« Der Dunkelhaarige hob den Kopf und blinzelte gegen die Sonne. Der Junge vor ihm trug ein Wams aus dunkelgrünem Samt über einem hellen Hemd, dazu enge Hosen und eine Schaube. Durchdringende graue Augen blickten ihn an. Der Neffe des Grafen, stellte der Küchenjunge verwundert fest. »Meint Ihr mich? Ich muss arbeiten, sonst zieht mir der Koch die Ohren lang.« »Das lass mal meine Sorge sein. Komm schon … wie auch immer dein Name lautet«, forderte Ulrich nachdrücklich. Seine Stimme duldete keinen Widerspruch. »Johannes, mein Name ist Johannes.« Er legte das Messer beiseite und stand von seinem Hocker auf. »Ulrich.« Der junge rotblonde Prinz streckte Johannes seine Rechte entgegen und dieser schlug ein. Die beiden Jungen grinsten sich an, dann eilten sie an den verblüfften Wachen vorbei durch das Schlosstor und fanden in dem angrenzenden kleinen Schlossgarten eine ruhige Ecke für ihr Murmelspiel. Hoch oben über der Stadt thronte das Schloss, sah hinab auf das glitzernde Band des Neckars, der seine ruhigen Gewässer in großen Schleifen vorbei an üppigen Wiesen und goldgelben Feldern führte. Ulrich verteilte die Murmeln. Rot gefärbte für ihn, die Blauen bekam Johannes, der mit der Fußspitze einen Kreis im Gras zog. »Ich habe den ersten Wurf«, bestimmte Ulrich und rieb sich mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn. Er war viel zu warm angezogen. Flink entledigte er sich der Schaube und ließ sie achtlos fallen. Dann kniete er sich ins Gras und schnippte die erste Murmel. Sie landete knapp außerhalb der Linie. Johannes legte sich bäuchlings auf den Boden, krümmte den rechten Zeigefinger, presste den Daumen dagegen, platzierte eine blaue Murmel auf den Daumennagel und zielte. Treffsicher landete die Murmel im Kreis. Am Ende gewann Johannes mit einer Kugel Vorsprung. Ulrich zog ein mürrisches Gesicht. »Noch mal, aber jetzt gewinne ich.« Doch auch bei dieser Runde verlor er, und seine Wangen röteten sich vor Zorn. Sie trugen drei weitere Runden aus, und Johannes achtete dieses Mal darauf, den Grafensohn gewinnen zu lassen, ohne dass Ulrich es bemerkte. Nachdem Ulrich auf diese Weise dreimal den Sieg davongetragen hatte, strahlte er über das ganze Gesicht. Die Jungen setzten sich in den Schatten einer alten Linde. »Hast du Geschwister?«, fragte Ulrich und lehnte sich an den Stamm. »Ja, neun. Sechs Schwestern und drei Brüder«, antwortete Johannes. »Ihr seid Graf Eberhards Neffe, nicht wahr?« Ulrich nickte. »Was ist mit Euren Eltern?« »Lass die höfische Anrede sein. Meine Mutter ist tot, sie starb kurz nach meiner Geburt. Und mein Vater befindet sich auf Hohenurach. Das ist eine Burg, die weniger als einen halben Tagesritt von hier entfernt ist«, fügte Ulrich erklärend hinzu. »Warum bist du nicht bei deinem Vater?«, wollte Johannes wissen. Ulrich rollte mit den Augen. »Er ist nicht gesund, sein Geist sei verwirrt, wurde mir gesagt. Wollen wir morgen wieder spielen? Ich werde wohl einige Zeit hierbleiben.« »Ich gehe zur Schule, und danach muss ich arbeiten. Als Kind armer Eltern ist das Leben nicht so einfach. Du hast es gut, als Grafensohn musst du dir keine Sorgen machen, ob du am nächsten Tag zu essen hast oder …« »Johannes! Du nichtsnutziger Tagedieb, wo steckst du?«, brüllte jemand. Johannes verzog das Gesicht. »Der Küchenmeister scheint mich zu vermissen. Eine Ohrfeige ist mir sicher, aber das war es wert«, grinste er schief und kam auf die Füße. Er winkte dem Grafensohn zu und rannte los. Ulrich hob seine Schaube auf, sammelte die Murmeln ein und folgte ihm gemächlich. Im Schlosshof hörte er Johannes aufschreien. Er beschleunigte seine Schritte, und als er um die Ecke bog, sah er, wie der Küchenmeister Johannes windelweich prügelte. »Lass ihn zufrieden!«, brüllte Ulrich. Mitten in der Bewegung hielt der Küchenmeister inne, wandte seinen kahlen Kopf und ließ den Arm sinken. »Verzeiht, junger Herr, aber dieser Nichtsnutz hat sich aus dem Staub gemacht, anstatt seiner Arbeit nachzukommen.« Ulrich trat näher und sah den dicken Mann böse an, die Hände in die Seiten gestemmt. »Ich habe Johannes dazu gebracht, seine Arbeit liegen zu lassen, und nun lass ihn los. Auf der Stelle!« Der Küchenmeister verzog verächtlich die Lippen. »Johannes hätte seine Arbeit nicht vernachlässigen dürfen, ganz gleich, ob Ihr einen Gefährten suchtet oder nicht. Und du«, zischte er Johannes an und gab ihm eine schallende Ohrfeige, sodass dessen Kopf zur Seite flog, »scher dich in die Küche.« »Das wird dir noch leidtun. Johannes kommt mit mir! Schäl das Gemüse doch selbst«, versetzte Ulrich hochmütig. »Komm, lass uns gehen«, forderte er seinen neuen Freund auf, der sich mit schmerzverzerrter Miene die linke Wange rieb. »Sei bedankt, Ulrich, aber ich glaube, es ist besser …« »Nichts da! Wir gehen zu meinem Onkel.« Er fasste Johannes bei der Hand und zog ihn mit sich. Doch der dicke Mann hielt Johannes am Ärmel fest. »Du bleibst hier.« Ulrich, der es nicht leiden konnte, wenn er seinen Willen nicht bekam, trat dem Küchenmeister mit aller Kraft gegen das Schienbein. Der verblüffte Mann jaulte auf und rieb sich den schmerzenden Knochen. »Ich bin Prinz Ulrich von Württemberg, und wenn ich sage, Johannes kommt mit mir, dann hast du das hinzunehmen. Und wag es nicht noch einmal, meinem Freund wehzutun!« Er zerrte Johannes über den Schlosshof in die große Halle, kümmerte sich nicht um die fragenden Blicke und stürmte auf seinen dünnen Beinchen weiter zu Graf Eberhards Gemach. Ohne anzuklopfen, stieß Ulrich die Tür auf. »Ulrich«, tadelte Graf Eberhard, der an einem großen Tisch mit kunstvoll geschnitzten Beinen saß, »was erlaubst du dir, einfach so hereinzustürmen! Deine Kinderfrau ist übrigens außer sich.« »Verzeiht, Onkel. Ich hatte genug vom Herumsitzen. Seht her, das ist mein neuer Freund Johannes, wir haben Murmeln gespielt und ich habe gewonnen«, entgegnete Ulrich stolz. Johannes zog die Schultern hoch, neigte den Kopf und sah zu Boden. Er hatte keine Ahnung, was er tun oder sagen sollte. »Soso, Johannes. Du bist aber kaum auf Hohentübingen, um Murmeln zu spielen, nicht wahr?« Johannes dachte, es könnte nicht schaden, auf die Knie zu fallen. »Nein, Erlaucht. Ich bin einer der Küchenjungen. Vergebt mir, aber bitte lasst mich nicht auspeitschen.« Graf Eberhard lachte herzhaft. »Wie deine Wange mir verrät, hast du deine Strafe schon erhalten. Nun geh wieder an deine Arbeit.« »Aber, Onkel«, begehrte Ulrich auf, »kann Johannes nicht mein Gefährte sein, solange wir in Tübingen sind? Ich habe niemanden, der mit mir spielt. Und die dicke Oda eignet sich nicht für das Murmelspiel. Außerdem lässt des Küchenmeisters Achtung vor mir zu wünschen übrig, das könnt Ihr nicht gutheißen. Auch wenn ich noch ein Kind bin, stehe ich doch im Rang weit über ihm. Ihr solltet ihn dafür bestrafen. Überhaupt ist es nicht gerecht, dass Johannes arbeiten muss. Jeder Mann sollte so viel mit seiner Arbeit verdienen, damit seine Kinder nicht hungern und selbst arbeiten müssen.« Graf Eberhard seufzte. Dieser Junge würde ihn noch einmal ins Grab bringen. Ulrich hatte es sicher nicht leicht, und er, Eberhard, tat sein Bestes, um dem Jungen ein guter Vaterersatz zu sein. Doch Ulrich hatte ein aufbrausendes Wesen, und nicht selten wurde er handgreiflich. Der Knabe musste lernen, seinen Willen nicht mit Gewalt durchzusetzen. Trotzdem tat ihm sein Neffe leid, weil er ohne Eltern und Geschwister aufwachsen musste und er sich oft einsam fühlte. Eberhard erinnerte sich noch gut an seine eigene Kindheit. Er war ein ungezügelter Junge gewesen und hatte manche Dummheit begangen. Doch seine geliebte Mutter, Mechthild, Erzherzogin von Österreich und Gräfin von Württemberg, hatte ihm vieles durchgehen lassen und ihn immer unterstützt. Sein Vater, Ludwig, Graf von Württemberg, war verstorben, als Eberhard fünf Jahre alt gewesen war, und die wenigen Erinnerungen an ihn waren über die Jahre fast vollständig verblasst. Zu seinen Schwestern hatte er ein gutes Verhältnis. Auch wenn die Geschwister sich schon lange nicht mehr gesehen hatten, unterhielten sie doch einen regen Briefwechsel, um in Verbindung zu bleiben. Elisabeth lebte im Harz, und seine ältere Schwester, die nach ihrer Mutter benannt worden war, verbrachte ihren Lebensabend auf Schloss Rotenburg an der Fulda. Es konnte bestimmt nicht schaden, wenn Ulrich sich gemeinsam mit einem anderen Jungen austobte. Und insgeheim gab er seinem kleinen Neffen recht, die dicke Oda war nun wirklich nicht dafür geschaffen, Murmeln zu schnipsen. »Gut, Johannes ist von seinen Aufgaben für die Dauer unseres Hierseins befreit«, entschied er nach reiflicher Überlegung. »Außer, du...