E-Book, Deutsch, 100 Seiten
Voltaire / Verlag Zadig oder das Geschick
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8423-4258-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Eine morgenländische Geschichte
E-Book, Deutsch, 100 Seiten
ISBN: 978-3-8423-4258-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
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"Zadig oder das Geschick" (Zadig ou la destinée, Histoire orientale) ist eine philosophische Erzählung von Voltaire aus dem Jahr 1747. Der zu den so genannten "kleinen Romanen" gehörende Zadig erzählt im Stil von Tausendundeine Nacht die wechselvollen Abenteuer eines jungen, tugendhaften Babyloniers, den himmlische Fügung - die sich ihm zuletzt als geflügelter Cherub entschleiert - zu einem glorreichen, glücklichen Ende führt. Die satirische Darstellung entlarvt den religiösen Fanatismus und den Machtmissbrauch in der französischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts und wirft die Frage nach Glück und Gerechtigkeit auf.
Voltaire (eigentlich François-Marie Arouet, 1694 - 1778) war ein französischer Philosoph und Schriftsteller. Er ist einer der meistgelesenen und einflussreichsten Autoren der französischen und europäischen Aufklärung. In Frankreich nennt man das 18. Jahrhundert auch 'das Jahrhundert Voltaires" (le siècle de Voltaire). Viele seiner Werke erlebten in rascher Folge mehrere Auflagen und wurden häufig auch umgehend in andere europäische Sprachen übersetzt. Voltaire verfügte über hervorragende Kenntnisse der englischen und der italienischen Sprache und veröffentlichte darin auch einige Texte. Er verbrachte einen beträchtlichen Teil seines Lebens ausserhalb Frankreichs und kannte die Niederlande, England, Deutschland und die Schweiz aus eigener Erfahrung. Mit seiner Kritik an den Missständen des Absolutismus und der Feudalherrschaft sowie am weltanschaulichen Monopol der katholischen Kirche war Voltaire ein Vordenker der Aufklärung und ein wichtiger Wegbereiter der Französischen Revolution. In der Darstellung und Verteidigung dessen, was er für richtig hielt, zeigte er ein umfangreiches Wissen und Einfühlungsvermögen in die Vorstellungen seiner zeitgenössischen Leser. Sein präziser und allgemein verständlicher Stil, sein oft sarkastischer Witz und seine Kunst der Ironie gelten oft als unübertroffen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Zadig oder das Geschick
Sadis Widmungsbrief an die Sultanin Scheraa.
Am 18. des Monats Schewal im Jahre der Hedschra 837. Freude der Augen, Qual der Herzen, Licht des Geistes, ich kann den Staub Deiner Füße nicht küssen, denn Du gehest kaum; so Du aber gehest, so wandelst Du auf Teppichen von Iran. Ich bringe Dir die Übersetzung eines Buches dar, das ein alter Weiser geschrieben hat. Er war so glücklich, nichts zu tun zu haben, und so ergötzte er sich denn damit, die Geschichte Zadigs zu schreiben, ein Werk, das mehr enthält, als man zunächst glauben möchte. Ich bitte Dich, es zu lesen und ein Urteil darüber zu fällen; denn wenn Du auch noch im Frühling Deines Lebens stehest, wenn auch alle Freuden Dich suchen, und Du schön bist und gar viele Gaben Deine Schönheit zieren, wenn man Dich auch vom Morgen bis zum Abend preiset und lobt, und Du aus allen diesen Gründen um Deinen gesunden Verstand hättest kommen können, so ist dennoch Dein Geist tief und weise, Dein Geschmack zart und fein, und ich habe Dich verständiger reden hören, als die ältesten Derwische mit den längsten Bärten und spitzesten Mützen. Du bist zurückhaltend, aber nicht mißtrauisch, mild, aber nicht schwach, wohltätig, aber mit Unterschied, Du liebst Deine Freunde und machst Dir keine Feinde. Dein Geist borgt seine Reize niemals dem Spotte und der Verleumdung ab. Du sagst weder das Böse, noch tust Du es, so wunderbar leicht es Dir auch gemacht sein möchte. Kurz, Deine Seele hat mich stets so rein dünken wollen wie Deine Schönheit. Du besitzest sogar eine kleine Neigung zur Philosophie, und das hat mich zu dem Glauben gebracht, Du möchtest an dem Werke eines Weisen vielleicht mehr Geschmack finden als andere Sterbliche. Es wurde zunächst auf altchaldäisch geschrieben, was weder Du noch ich verstehen; dann übersetzte man es ins Arabische, um dem berühmten Sultan Ulugh-Bek gefällig zu sein. Es geschah um die Zeit, da die Araber und die Perser anfingen, ihre tausendundein Nächte und ihre tausendundein Tage, und was dergleichen mehr ist, zu schreiben. Ulugh hörte lieber den Zadig, die Sultaninnen dagegen waren ganz in die Tausendundein verliebt. »Wie könnt ihr nur,« sagte der weise Ulugh, »Geschichten den Vorzug geben, in denen keine Vernunft herrscht und die nichts zu bedeuten haben?« »Eben deshalb haben wir sie ja so gern«, erwiderten die Sultaninnen. Ich schmeichle mir, Du wirst ihnen nicht ähnlich, sondern vielmehr ein echter Ulugh sein! Ich hoffe sogar, daß sich die eine oder die andere Minute finden soll, in der mir die Ehre zuteil werden wird, mich vernünftig mit Dir zu unterreden, wenn Du der gewöhnlichen Unterhaltungen überdrüssig bist, welche ja den Tausendundein ziemlich ähnlich klingen, nur daß sie weit weniger ergötzlich sind. Wärest Du Thalestris zu Zeiten Skanders, des Sohnes Philipps, gewesen oder die Königin von Saba zur Zeit Suleimans, so hätten diese Könige sich wohl zu Dir auf den Weg gemacht. Ich bitte die himmlischen Mächte, daß Deine Freude ungetrübt, Deine Schönheit beständig und Dein Glück ohne Ende sein möge. Sadi.
Erstes Kapitel: Der Einäugige.
Zur Zeit König Moabdars lebte in Babylon ein junger Mann namens Zadig, dessen schöne, natürliche Anlagen durch seine Erziehung gefestigt und entwickelt worden waren. Obgleich er reich und noch jung war, wußte er doch seine Leidenschaften zu bändigen. Er wollte nichts vorstellen, wollte nicht stets recht haben, und wußte die Schwächen der Menschen zu achten. Es war erstaunlich zu sehen, wie er trotz seines reichen Verstandes die weitschweifenden, unzusammenhängenden Reden, die frechen Verleumdungen, die törichten Urteile, die groben Unflätigkeiten, den ganzen eitlen Wortschwall, den man zu Babylon Unterhaltung nannte, mit seinem Spotte geißelte. Er hatte aus dem ersten Buche Zoroasters gelernt, daß die Eigenliebe ein windgefüllter Schlauch sei, aus dem Stürme hervorbrechen, wenn man auch nur mit einer Nadel hineinsticht. Vor allem brüstete Zadig sich niemals damit, die Weiber zu verachten und zu besitzen. Er war großmütig und scheute sich nicht, auch Undankbare zu verpflichten, nach der großen Vorschrift Zoroasters: »Wenn du issest', so gib auch den Hunden, selbst wenn sie dich beißen.« Er war so weise, als man es zu sein vermag, denn er strebte nach dem Umgange der Weisen. In den Wissenschaften der alten Chaldäer unterrichtet, wußte er von den Naturgesetzen alles, was damals von ihnen bekannt war, und von der Metapyhsik so viel, als man zu allen Zeiten davon gewußt hat, das heißt herzlich wenig. Er war trotz der neuen Philosophie seiner Zeit fest davon überzeugt, daß das Jahr aus dreihundertfünfundsechzig Tagen und sechs Stunden bestehe und die Sonne sich im Mittelpunkte des Weltenraumes befinde, und wenn die Obermagier ihm mit beleidigendem Eigendünkel bedeuteten, daß er verwerfliche Gesinnungen hege, und daß es ein Feind des Staates sein heiße, wenn man glaube, die Sonne drehe sich um sich selbst und das Jahr habe zwölf Monate, so schwieg er ohne Zorn und ohne Überhebung. Da Zadig große Reichtümer und folglich viele Freunde hatte, ferner gesund und wohlgebildet war und einen geraden, ausgeglichenen Verstand und ein edles, offenes Gemüt besaß, so glaubte er, auch glücklich sein zu können. Er stand im Begriff, Semira zur Frau zu nehmen, welche wegen ihrer Schönheit, ihrer Geburt und ihres Reichtumes für das begehrenswerteste Mädchen von Babylon galt. Er fühlte für sie eine innige reine Neigung, und Semira liebte ihn leidenschaftlich. Schon nahte die glückliche Stunde, die sie für immer vereinigen sollte, als sie auf einem gemeinsamen Spaziergange unter den Uferpalmen des Euphrat, nicht weit vor einem Tore Babylons, plötzlich eine Schar mit Bogen und Schwertern bewaffnete Männer auf sich losstürzen sahen. Es waren die Trabanten des jungen Orkan, des Neffen eines Ministers, dem die Hofschranzen seines Onkels in den Kopf gesetzt hatten, ihm sei alles erlaubt. Er besaß weder die Anmut noch eine einzige der Tugenden Zadigs: da er sich jedoch für etwas weit Besseres hielt, konnte er es nicht verwinden, jenen ihm vorgezogen zu sehen. Seine Eifersucht, die einzig seiner Eitelkeit entsprang, erweckte den Wahn in ihm, er sei sterblich in Semira verliebt, und so hatte er denn beschlossen, sie zu entführen. Die Räuber ergriffen sie, und im Taumel ihres Ungestüms verwundeten sie sie und vergossen das Blut eines Wesens, dessen Anblick die Tiger des Berges Immaus gerührt hätte. Sie erfüllte den Himmel mit ihrem Wehgeschrei. »Mein teurer Gatte,« rief sie, »oh, man raubt mich dem Manne, den ich liebe.« Ihre eigene Gefahr galt ihr nichts, sie dachte nur an ihren geliebten Zadig. Dieser verteidigte sie unterdessen mit der ganzen Kraft, welche Tapferkeit und Liebe zu verleihen vermögen. Obgleich er nur zwei Sklaven zum Beistande hatte, schlug er die Räuber dennoch in die Flucht und trug die ohnmächtige und blutende Semira in ihr Haus. Als sie die Augen wieder aufschlug, sah sie ihren Befreier vor sich. »Oh Zadig,« sprach sie, »ich liebte dich als meinen zukünftigen Gatten, nun liebe ich dich als den, dem ich Leben und Ehre verdanke.« Niemals war wohl je ein Herz ergriffener als das Herz der Semira, nie sprach ein reizenderer Mund rührendere Empfindung in jenen feurigen Worten aus, welche das Gefühl für die größte aller Wohltaten verbunden mit dem zärtlichsten und rechtmäßigsten Liebesüberschwange einzugeben vermag. Ihre Verwundung war nur leicht, und sie genas schnell. Zadig hingegen war gefährlicher verwundet worden, ein dicht neben dem Auge eingedrungener Pfeilschuß hatte ihm eine tiefe Wunde gerissen. Semira erflehte von den Göttern nichts als die Genesung ihres Geliebten. Tag und Nacht schwammen ihre Augen in Tränen: sehnsüchtig harrte sie des Augenblicks, da die Blicke Zadigs sich wieder an ihren Blicken weiden möchten. Ein Geschwür, welches das verwundete Auge überzog, ließ das Schlimmste befürchten. Man schickte bis nach Memphis nach dem großen Arzte Hermes, der auch bald mit reichem Gefolge eintraf. Er untersuchte den Kranken und hielt den Verlust des Auges für unabwendbar, ja, er sagte sogar den Tag und die Stunde voraus, in der dieses traurige Ereignis eintreten würde. »Wäre es das rechte Auge gewesen,« sprach er, »so würde ich es geheilt haben, Verwundungen des linken Auges dagegen sind unheilbar.« Unter Klagen über das Schicksal Zadigs bewunderte ganz Babylon die Tiefe der Wissenschaft des Hermes. Zwei Tage später brach das Geschwür von selber auf, und Zadig genas völlig. Hermes verfaßte ein Buch, in dem er nachwies, daß Zadig nicht hätte gesunden dürfen. Zadig las es nicht, sobald er jedoch ausgehen konnte, schickte er sich an, diejenige zu besuchen, welche die Hoffnung seines Lebensglückes bildete und für die allein er Augen haben wollte. Semira weilte seit drei Tagen auf dem Lande. Auf dem Wege dorthin erfuhr er, die Schöne habe sich in der letztvergangenen Nacht, nachdem sie ihre unüberwindliche Abneigung gegen Einäugige laut verkündet, mit Orkan vermählt. Bei dieser Nachricht fiel Zadig bewußtlos zu Boden. Sein Schmerz brachte ihn an den Rand des Grabes. Lange lag er krank darnieder, endlich aber besiegte Vernunft seinen Gram, ja, die Grausamkeit dessen, so ihm widerfahren, trug sogar dazu bei, ihn zu trösten. »Da ein am Hofe erzogenes Mädchen mir einen so grausamen Streich gespielt, will ich mir ein Mädchen aus dem Bürgerstande erwählen.« Seine Wahl fiel auf Asora, das klügste und einer der besten Bürgerfamilien entstammende Mädchen der ganzen Stadt. Er vermählte sich mit ihr und lebte einen Monat lang in allen Wonnen zärtlichster Vereinigung, nur gewahrte er an ihr einigen Leichtsinn und den ausgesprochenen Hang, stets die bestgewachsenen...