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E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 192 Seiten

Reihe: Es geschah in Berlin...

Volks Café Größenwahn

Kappes zweiter Fall. Kriminalroman (Es geschah in Berlin 1912)
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-95552-001-4
Verlag: Jaron
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kappes zweiter Fall. Kriminalroman (Es geschah in Berlin 1912)

E-Book, Deutsch, Band 2, 192 Seiten

Reihe: Es geschah in Berlin...

ISBN: 978-3-95552-001-4
Verlag: Jaron
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der zweite Kappe-Roman, nominiert für den „Debüt-Glauser“: Das Café Größenwahn ist im Berlin des Jahres 1912 der Treffpunkt der Boheme. In der überhitzten Atmosphäre des Cafés sucht der junge Eugen Hofmann Anschluss an die Künstlerkreise. Besessen verfolgt er sein Ziel, ein berühmter Dramatiker zu werden. Geldnot und Größenwahn führen Eugen auf die kriminelle Bahn – von Hochstapelei über einen Raub bis zum fast perfekten Mord im Hotel Adlon. Dieser Mord liefert ihm den Stoff zu seinem einzigen erfolgreichen Theaterstück. Bei der Premiere sitzt auch Kriminalwachtmeister Hermann Kappe im Publikum …

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IM STROM
«BERLIN!» Im ersten Moment steht Eugen Hofmann da wie geblendet. Er hält die Hand über die Augen und blickt durch die geöffnete Zugtür in die Bahnhofshalle. Dann tastet er über den Mantel: Eingenäht ins Futter knistern die blauen Hunderter, und obenauf, mehrmals gefaltet, liegt die erste Seite von seinem Theaterstück. Gestern ist er 21 geworden, volljährig. Jahrelang hat er auf den Tag gewartet, an dem man ihm sein Erbe auszahlt, und heute Morgen gleich den ersten Zug nach Berlin genommen. Durch das Bündel Papier und den Stoff des Wintermantels hindurch fühlt er sein Herz schlagen. Er kennt niemanden unter den hastenden Menschen auf dem Bahnsteig, niemanden in der Hauptstadt. Doch er weiß, dass irgendwo in der Menge jemand auf ihn wartet. Jemand oder etwas. Er atmet einen tiefen Zug der neuen Luft ein. Etwas Großes liegt vor ihm in dieser Stadt! Da fühlt er einen Stoß im Rücken, andere Reisende drängen an ihm vorbei auf den Bahnsteig. Er stolpert die Stufen des Waggons hinab, der Hut fällt ihm vom Kopf und kullert in den Staub. Noch bevor er selbst ihn erreichen kann, hat ein fremder Herr den Hut aufgehoben, wischt mit dem Taschentuch darüber und überreicht ihn mit angedeuteter Verbeugung. In der Hand des Fremden kommt Eugen sein schlesischer Hut noch schäbiger vor. «Danke», sagt er, greift danach und will sich zum Gehen wenden. Doch der Fremde hält den Hut einen Augenblick fest, sodass Eugen ihm ins Gesicht sehen muss. «Entschuldigen Sie», sagt der Unbekannte mit leiser Stimme, «können Sie mir sagen, wo ich in der Nähe ein solides Logis finde?» Er trägt einen einfachen Anzug, genau wie Eugen, und einen gelbledernen Koffer, der womöglich noch provinzieller ist als sein eigener. Die leichte Färbung seines Dialekts ist nicht das freche Berlinerisch, das Eugen hier von allen Seiten um die Ohren saust. Schaffner in Uniform fordern die Passagiere auf, von der Bahnsteigkante zurückzutreten, Obst- und Zeitungsverkäufer preisen ihre Waren an, Reisende werden von Verwandten und Bekannten mit großem Hallo in Empfang genommen. Nur das Stampfen der Maschinen, wenn eine Dampflok anfährt, übertönt hin und wieder das Stimmengewirr. Tauben schwirren durch die Bahnhofshalle. Eugen umklammert den Griff seines Koffers. «Ich bin fremd hier», sagt er zu dem Fremden. Der Bahnsteig beginnt sich zu leeren, als eine korpulente Frau auf die beiden zukommt. Dicht vor den Neuankömmlingen bleibt sie stehen und hält ihnen ein Pappschild unter die Nase. «Die Herren suchen een schönet Loschie? Da hab ick was für Sie, solide Jejend, jünstje Preise.» Der neue Bekannte senkt den Kopf, um das Angebot näher in Augenschein zu nehmen. Eugen zieht ihn am Ärmel zurück. «Besten Dank», sagt er mit fester Stimme zur Zimmerwirtin, «wir sind versorgt.» Auf dem Bahnhofsvorplatz wird Eugen zum ersten Mal klar, dass er keinen Schimmer hat, wo in Berlin er sich befindet und vor allem: wohin er will. Merkwürdig, dass er daran so gar nicht gedacht hat. Wenn ich erst 21 bin, frei. .. Weiter hat er nicht denken können. Doch er ist ganz sicher gewesen, all die Jahre, dass ihm zur gegebenen Zeit das Richtige einfallen würde. Und so war es dann auch. Während er am Schreibtisch der Amtsstube saß und das Testament seiner verstorbenen Eltern überflog, hörte er genau in der Sekunde, als er zu der ihm auszuzahlenden Summe kam, ein Flüstern: «Berlin». Berlin, so hell und fein klang das, so klar und deutlich, dass er sich umwandte, um zu sehen, ob tatsächlich jemand gesprochen hatte. Ob Sophie es sich anders überlegt hatte und doch gekommen war zu seinem besonderen Geburtstag? Aber in seinem Rücken kauerte nur der Onkel auf einer Bank, der ihn missgünstig musterte, vor ihm saß der Amtsmann, der mit dem Finger auf die Stelle pochte, an die er seine Unterschrift setzen sollte. Auch dieser Mann hatte - wie vor ihm der Onkel, der Internatsleiter, der Pfarrer - keinen freundlichen Blick, kein menschliches Wort für ihn. Er kannte das Gefühl: nicht vor und nicht zurück. Doch nun gab es für ihn zum ersten Mal einen Ausweg. Zur Annahme des Testaments schrieb er mit Schwung seinen Namen. «Schmied, Berthold Schmied», hört er neben sich eine Stimme. Die Bahnhofsbekanntschaft streckt ihm die rechte Hand entgegen. Eugen besinnt sich. «Eugen Hofmann», sagt er und schüttelt dem Kameraden aus der Provinz die Hand. Auf dem Bahnhofsvorplatz warten Pferde- und Autodroschken auf Passagiere, doch welches Ziel soll man ihnen nennen? Ohne ein weiteres Wort schlagen Eugen und sein Begleiter die gleiche Richtung ein. Auf der Straße braust der Verkehr um sie herum, Kutschen, Fahrräder, die Elektrische, die sich mit Gebimmel Platz verschafft, hier und da sogar ein Automobil. Berthold Schmied ist immer einen halben Schritt voraus, doch kennt er sich ebenso wenig aus wie Eugen. Alle paar Meter bleibt er stehen und fragt Passanten nach dem Weg, nach einem Platz, den ihm ein Vetter genannt hat, wo man gut unterkommen soll. Man müsse sich in der Hauptstadt in Acht nehmen, habe ihm der Vetter geraten, dürfe nicht blindlings jedem vertrauen. Eugen denkt an die Wirtin mit ihrem Pappschild und schmunzelt. Auch mich kennt er ja nicht, geht es ihm durch den Sinn. Nein, er kennt mich nicht, klingt es mehrmals wie ein Echo in seinem Kopf, und er schüttelt den Gedanken ab. Ebenso wenig, denkt Eugen, kennt Berthold Schmied all die braven und weniger braven Bürger, die er mit treuherzigem Blick nach dem Weg fragt und denen er sich so unvermeidlich als Provinzler zu erkennen gibt. Nur den Schutzmann, der mit Uniform und Helm an einer Straßenecke steht, fragt er nicht. Auf diesen will Eugen zusteuern, als sein Weggefährte ihn am Arm um die Ecke zieht und ruft: «Wir sind da!» Das Gasthaus scheint nur von mäßiger Qualität, doch die mit Kreide an die Tafel geschriebenen Speisen klingen vertraut: Bratkartoffeln, eingelegter Hering, Sülze. Die Füße schmerzen, und Eugen ist froh, die Beine unter dem Tisch ausstrecken zu können. Sein Bekannter sieht sich suchend im Lokal um, lässt sich von der Wirtin den Weg zur Toilette weisen und salutiert ihr mit zwei Fingern, als er an der Theke vorübergeht. Die Wirtsfrau wischt weiter mit dem Lappen über die Theke, wahrscheinlich ist sie an allerlei Dummköpfe aus der Provinz gewöhnt. Sie kommt an Eugens Tisch und nimmt die Bestellung auf, dann geht sie zu den beiden Gästen am Nebentisch und stellt vor jeden von ihnen einen Krug Bier. Während Eugen und Berthold Schmied ihre Bratkartoffeln verspeisen, packt einer der Tischnachbarn ein Kartenspiel aus. Schon bald geht es nebenan lebhaft zu. Die Karten werden auf den Tisch geknallt, Münzen und Scheine von einer Seite auf die andere geschoben. Die Unterhaltung mit dem neuen Bekannten kommt nicht recht in Gang, da Berthold ständig nach dem Nachbartisch schielt. Auf Eugens Fragen antwortet er einsilbig. Schließlich geht er, eine Entschuldigung murmelnd, an den Tisch der Spieler herüber, die ihm gleich einen Stuhl anbieten. Eugen ist enttäuscht, ganz froh hat ihn die Aussicht gestimmt, gleich am ersten Tag einen Weggefährten für die Großstadt zu gewinnen. Doch er will kein Spielverderber sein. Als auf ein Zeichen der Spieler ein frischer Krug Bier vor ihn hingestellt wird, prostet er der Runde zu. Sein Bekannter, obwohl gewiss kein routinierter Spieler, scheint eine glückliche Hand für die Karten zu haben. Beinahe nach jedem Spiel streicht er Münzen und Scheine ein, während sein Gegenüber immer finsterer schaut. Plötzlich steht Berthold auf und winkt Eugen an seinen Platz zu den Karten. Eugen zögert. Da glaubt er ein abschätziges Lächeln über die Lippen des fremden Spielers huschen zu sehen, als würde dieser denken: «Ach was, mit dem Milchbart werden wir fertig.» Dem werd ich’s zeigen, denkt Eugen, während er mit kalter Miene nach den Karten greift. Er hat früher im Internat schon gespielt und gar nicht schlecht, auch damals auf dem Ausflug nach Breslau. Glauben die vielleicht, Spielkarten gäbe es nur in der Reichshauptstadt Berlin? Eine Stunde später sitzt Eugen allein am Tisch. Er stützt den Kopf mit beiden Händen, in seinem Schädel pocht es. Anfangs ist es gut gelaufen, beinahe so gut wie bei Berthold. Doch dann hat sich das Blatt gewendet. Er weiß nicht mehr, wann und warum. Berthold hat ihn angefeuert, ihm ein Glas nach dem anderen auf den Tisch gestellt. Er hat zu viel getrunken, er verträgt es doch nicht. Mit zittrigen Fingern holt er seine Börse hervor, in der er so viel Geld aufbewahrt hat, dass es für die ersten Tage und Nächte reichen sollte. Sie ist leer. Mit einem Schlag ist er nüchtern. Er ruft die Wirtin, die schläfrig in einer Ecke des Lokals hockt, und fährt sie an: «Wer waren die beiden Herren? Wo sind sie hingegangen?» Sie hält ihm die Rechnung unter die Nase. «Woher soll ick det wissen? Soll ick mir die Jeburtsurkunde jeben lassen, bevor ick n Bier ausschenke?» «Und der Herr Schmied, der mit mir gekommen ist?» «Na jedenfalls isser ohne Ihnen jejangen.» Eugen bittet die Wirtin um ein scharfes Messer. Sie mustert ihn erst misstrauisch, reicht ihm dann aber eines herüber. Er geht zur Toilette und trennt dort das Futter seines Mantels auf, an der Stelle, wo er die Geldbündel aufbewahrt. Das Geld, das noch lange nicht angegriffen werden sollte. Er zieht einen Schein heraus, um damit die Rechnung zu begleichen. Er hat kein Vermögen geerbt, denn von dem, was seine Eltern bei ihrem Tod hinterlassen haben, ging das meiste an Onkel und Tante für die Jahre, in denen er bei ihnen gelebt hat. Das, was für ihn übrigblieb, reicht für ein gutes Jahr, wenn er sparsam ist. Es ist sein Schlüssel zur Freiheit. Eugen steht vor dem...


Sybil Volks, geboren 1965 in Rheine, lebt als freie Lektorin und Autorin in Berlin. Sie veröffentlichte bereits zahlreiche Kurzgeschichten sowie Lyrik in Zeitschriften und Anthologien und erhielt mehrere Preise und Stipendien.



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